Thilo Schneider / 13.08.2021 / 14:00 / Foto: Pixabay / 73 / Seite ausdrucken

Die Nachhaltigkeit des Mittelalters

Recycling, Crowdfunding und nachhaltige Fischerei – das alles gab's schon in vormodernen Zeiten. Sagt Frau Prof. Dr. Annette Kehnel. Und die ist Historikerin und kennt sich aus.

Bis vor 24 Stunden sagte mir der Name auch nichts, und die entsprechende Person dahinter sprach nicht zu mir und so hätte es auch bleiben können, denn dann hätte ich diesen Artikel bleiben lassen können. Aber nein – BR24, der Leib- und Magensender von Markus Söder, dem Unvermeidlichen, musste ja Prof. Dr. Annette Kehnel dringend zu ihrem neuen Buch „Wir konnten auch anders“ interviewen.

Gleich zu Anfang stellt Frau Prof. Dr. Kehnel klar: „Ich bin Historikerin, ich kenne mich da aus!“ Nur falls jemand an ihren Worten zweifeln möge und sich denkt, dass sie sich nicht auskennt. Ich gebe zu, ich habe das Buch nicht gelesen und ich habe auch nicht vor, das zu tun, denn wie die Historikerin ausführt, waren im Mittelalter viele Dinge, die wir heute als „Nachhaltigkeit“ propagieren, bereits bekannt. Weswegen die mittelalterlichen Gesellschaften insgesamt klimaneutraler waren, was auch kein Kunststück ist, wenn die Bevölkerung alle drei Generationen durch Seuchen oder Krieg wieder halbiert wird. Aber so fies will ich erst einmal nicht sein, ich bin kein Historiker und ich kenne mich nicht aus. Was ich hörte, hat mir auch vollumfänglich gereicht.

Frau Kehnel führt aus, dass beispielsweise in den mittelalterlichen Klöstern in ganz fantastischer Weise Menschen bedürfnislose Kollektive in Bescheidenheit gebildet haben, trotzdem aber die Klöster meist sehr reich und erfolgreich waren. Dies ist für Frau Kehnel der Beweis, dass Kollektive durchaus in der Lage sind, Wohlstand zu schaffen. „Für wen?“, hat sie sich anscheinend nicht getraut zu fragen. Mit der gleichen Argumentation ließe sich auch die Sklaverei als „effektive Kollektivierung“ feiern, auch da hatten die Sklaven kaum Rechte, trotzdem war ihr Besitzer in der Regel recht wohlhabend. Frau Kehnel hat in ihrer Beobachtung anscheinend vollkommen ausgeblendet, dass nicht jede Nonne und jeder Mönch ganz freiwillig in den Klöstern war, sondern dies oft die einzige Möglichkeit war, den Nachstellungen der Familie oder der Gesellschaft zu entgehen und sich einem eher mehr als weniger strengen Regelwerk zu unterwerfen. Sehr zur Freude der katholischen Kirche, die den Gewinn der Klöster und der entsprechenden Schenkungen einfach behielt. Wasser und Brot für die Mönche, Wein und Fleisch für Adel und Klerus.

Gendergerechte Sprache im Mittelalter?

Frau Kehnel schwärmt auch davon, wie nachhaltig die Menschen lebten. Ja, ganze Branchen lebten von Nachhaltigkeit! Scherenschleifer, Kesselflicker, Flickschuster … „Second-Hand-Stände“ auf den mittelalterlichen Märkten … Toll oder toll?! Dass die Menschen des Mittelalters schlicht zu arm waren, kaputte Dinge durch neue, bessere Gegenstände und Technologien zu ersetzen, spielt in der Betrachtung der sich auskennenden Historikerin ebenso wenig eine Rolle wie die Tatsache, dass Scherenschleifer, Kesselflicker und Flickschuster nicht gerade die Cremé de la Cremé der sozialen Schichten abbildeten, sondern sich, ebenso wie ihre Kunden, meist gerade so über Wasser halten konnten. Es hatte einen Grund, warum man beispielsweise den Leichen auf den Schlachtfeldern die Kleidung auszog. Und ich bin sicher – die Mehrheit der „Second Hand“-Käufer hat lieber mal nicht danach gefragt, woher das hübsche Leinenhemd mit den „Erdbeerflecken“ kam …

Und die Ernährung erst! Ein Großteil der Gesellschaft lebte vegan! Ist das nicht grandios? Jeden Tag gab es lecker Hirsebrei mit etwas Brot. Dass sich die meisten Menschen kein Fleisch leisten konnten, weil beispielsweise das Jagdrecht und die großen landwirtschaftlichen Höfe fest in Fürsten- und Junkerhand waren – egal. Dass es nur deswegen eine „florierende Tauschwirtschaft“ gab, weil es schlicht an Gütern mangelte – wurstegal. „Nachhaltig“ war es, darauf kommt es an. Außerdem benutzte man im Mittelalter bereits „gendergerechte Sprache“, wie Frau Kehnel nachweist, denn Frauen waren auch in höchsten Positionen tätig … Gut, vielleicht nicht als Bischöfin, aber als Fürstin oder Königin ging das durchaus, wenn die Verheiratung die richtige Partie war. So gesehen, gab es also tatsächlich eine Frauenquote, wenn der männliche Nachwuchs einer Dynastie sichergestellt werden sollte. Aus dem Stegreif fällt mir nur eine einzige Frau ein, die im Mittelalter durch eigene Leistung Karriere vom Bauernmädchen zur Heerführerin machte: Johanna von Orleans – und auch da dauerte es ja nicht lange bis zu einem kirchlichen Barbecue auf dem Dorfplatz.

„Notwendiges Regulativ zur Überbevölkerung"

Im Grunde will Frau Prof. Dr. Kehnel den Nachweis erbringen, dass Nachhaltigkeit keine neue Idee ist, sondern schon seit knapp 1.000 Jahren existiert. Dass diese spezielle Art der mittelalterlichen Nachhaltigkeit nicht aus Umweltgedanken oder Klimaschutzaspekten, sondern aus bitterster Armut und Not resultierte, blendet Frau Kehnel dabei vollkommen aus. Mit einer derartigen Sichtweise lassen sich Hunger und Pest auch als „notwendiges Regulativ zur Überbevölkerung“ deklarieren. Ähnlichkeiten zu heute sind zufällig und voll beabsichtigt.

Am Schluss ihres Interviews hat Frau Kehnel noch eine kleine Anekdote parat: Nach ihrer ersten Fahrt mit dem „Patent Motorwagen Nummer 3“ ihres Mannes Carl soll Bertha Benz gesagt haben, das Fahrzeug mache Krach und stänke abscheulich. Sicher wäre sie 130 Jahre nach ihrer Fahrt überrascht, dass die Menschheit immer noch den Verbrenner als Antrieb nutzt und keiner auf eine bessere Idee kam. Dann lacht Annette Kehnel.

Ich hingegen glaube, Bertha Benz wäre überrascht, wie sauber, leise und schnell sich die Erfindung ihres Mannes heute verhält. Und ich bin sehr sicher – vor die Wahl gestellt, den Kollektivismus und die „Nachhaltigkeit“ des Mittelalters mit der Freiheit und der Wirtschaft des 21. Jahrhunderts zu tauschen – das Mittelalter wird zweiter Sieger bleiben. Es war gar nicht schön da, im Mittelalter. Wir haben ja nicht ohne Grund Zuwanderung aus mittelalterlichen Gesellschaften. „Wir“ „konnten“ nicht „auch anders“ – „wir“ mussten! Aber, zugegeben: ich bin kein Historiker. Ich kenne mich da nicht aus.

(Weitere unhistorische Betrachtungen des Autors unter www.politticker.de)  

 
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

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Leserpost

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Bernd Weber / 13.08.2021

“Wasser und Brot für die Mönche” ?, Mönche werde immer als wohbeleibt dargestellt - ist das die Folge von Wasser u. Brot ? war Luther ein Kostverächter ? einfach mal googeln “klösterliche Fastenspeise”

Chr. Kühn / 13.08.2021

Im Mittelalter gab es und es wurden auch eingesetzt Mistgabel, Fackel, Eiserne Jungfrau und Galgen. Nur so ein Gedanke.

Wolf Hagen / 13.08.2021

Da offenbart sich bei der offenbar weltfremden Professorin ein weitverbreitetes Bildungsdebakel, was schon bei den Studenten auftritt. Nämlich, wie man durch schlichte Auslassung und Realitätsverweigerung, möglichst kreativ, eine zeitgeistige Haltung mit den unbestreitbaren Erkenntnissen der Forschung in Einklang bringt. In der Geschichtswissenschaft ist das natürlich besonders einfach, denn die Protagonisten der Forschung, bzw. die Erforschten, können ja glücklicherweise nicht mehr widersprechen, oder sich gar wehren. Ich fürchte Anderes wäre auch fatal für Frau Kehnel, würde sie doch am mittelalterlichen Pranger enden, wegen Lügen und Geschwätzigkeit. Oder, um es im Stile der sich auskennenden Professionellen zu schildern: Lebensmittel, deren Haltbarkeit überschritten war, wurden einer nachhaltigen Wiederverwendung, als Wurfgeschoss und wortlose Meinungsäußerung zugeführt, während die Angeprangerte etwas für ihre Figur, durch Ressourcenverzicht beim Essen, tat und sogar manchmal eine kostenlose Schlammmaske zugestanden bekam. Last but not least glaube ich jedoch, die Frau Professor weiß selbst sehr genau, dass sie Blödsinn redet, aber wer Gelder für das nächste Forschungsprojekt, oder Forschungsreise, haben will, muss halt mit den Wölfen heulen und den zeitgeistigen Quatsch erzählen, den die Geldgeber hören wollen.

Claudius Pappe / 13.08.2021

Durch einen Kommentar hier auf der Achse angeregt, habe ich mal nach den Ernährungsvorschriften für die Hitlerjugend gesucht. Tolle Werbung für Soja wurde da gemacht…..die Frau Professor***************************:::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: hicks Schluckauf in sollte lieber tierisches Eiweiß zu sich nehmen…............dann klappt s auch mit den Gedanken im Hinterstübchen

Andreas Mertens / 13.08.2021

Diese Dame mag (vielleicht) Geschichte studiert haben (Historiker ist per se kein geschützter Begriff ... so wie Journalist), aber sie hat eindeutig keine Ahnung wovon sie redet. Da ist der Wunsch Vater/Mutter ... Zeugenden*innen des Gedankens. Frei nach Claudia Nahles: “Ich mach mir die Welt wie sie mir gefällt.” Allerdings kann sie in der illiteraten Dummblase des GEZehnt finanzierten Propagandafunks darauf wetten sowohl bei den dort Schaffenden als auch deren Rezipienten auf völlig verblödete Ohren zu treffen. Denn seelig sind die geistig Armen, denn ihrer ist das Himmelreich.

J.G.R. Benthien / 13.08.2021

Mein ernstgemeinter Vorschlag: Wir sollten alle selbstherrlichen Haltungsschranzen 100% ignorieren. Das wäre Urlaub für unsere Panik geschundenen Seelen und wir müssten nicht immer wieder neue Kotztüten kaufen. Ausserdem, Herr Schneider, kann man ein Radio abschalten. Klick. Oder die Dreckschleudern TV und Radio direkt entsorgen. Habe ich schon vor 15 Jahren gemacht, und es geht mir sehr gut ohne die dummen Meinungstalibane.

Ronja Schmidt / 13.08.2021

Kannibalismus ist auch nachhaltig.

Harald Unger / 13.08.2021

Frauin Professorende Doktorende Annette Kehnel, spricht eben die Sehnsüchte jener drolligen Lebensformen an, die man heutzutage mit ihren Helmchen auf den Pedelecs erleben kann. Indes Merkelflüsterer Klaus Schwab, das gleiche etwas lakonischer ausdrückt, die kommende Finsternis, welche mental bereits Wirklichkeit wurde, zu bewerben: “Viele von uns fragen sich, wann sich die Dinge wieder normalisieren werden. Die kurze Antwort lautet: Niemals. ... Die Welt, wie wir sie in den ersten Monaten des Jahres 2020 kannten, gibt es nicht mehr. Sie hat sich im Kontext der Pandemie aufgelöst. Diese Veränderungen werden uns, wie bisher, plötzlich und unerwartet überraschen ... und unvorhergesehene Folgen hervorrufen. Auf diese Weise wird eine neue Normalität entstehen, die sich radikal von jener unterscheidet, die wir nach und nach hinter uns lassen werden. Viele unserer Überzeugungen und Annahmen, wie die Welt aussehen könnte oder sollte, werden sich dabei zerschlagen.” - - - PS, OT, Frage: Hat sich Thilo tatsächlich spritzen lassen? Oder nur Schabernack mit uns getrieben?

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