In der auch „Drei-Kaiser-Schlacht“ genannten Schlacht in Mähren besiegt Napoleon Bonaparte am 2. Dezember 1805, genau ein Jahr nach seiner Kaiserkrönung, eine Allianz aus österreichischen und russischen Truppen.
Es muss ein fast vorweihnachtlich zu nennender Anblick gewesen sein, den die russischen und österreichischen Soldaten am 1. Dezember des Jahres 1805 auf dem Pratzen-Hügel hatten: In der Ebene im Westen vor ihnen brannten hunderte von kleinen Feuern wie hell leuchtende Sterne. Es hatte den Anschein, als würden ihre französischen Gegner, die am Tag vorher den Pratzen geräumt hatten, ihrer Übermacht weichen und ihre Lager abbrennen. Der nächste Tag sollte für Kaiser Franz I. von Österreich und außerdem in Personalunion Franz II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und den jungen russischen Zaren Alexander I. so tatsächlich ein Spaziergang zu einem glorreichen Sieg werden.
Die französische Armee mochte Wien kampflos genommen haben und mutig den jetzt vereinigten Österreichern und Russen entgegenmarschiert sein – mittlerweile dürfte sie erkannt haben, dass sie die Vereinigung der beiden alliierten Armeen nicht verhindern konnte und nun einer Übermacht gegenüberstünde.
Etwas weiter östlich, im Dörfchen Krzenowitz, im behaglich warmen Hauptquartier der beiden Kaiser, beugte sich ein glücklicher österreichischer Generalstabschef Weyrother über seine Karten und erklärte nachts um 1 Uhr seinen kongenialen Plan, die schwachen, im Rückzug begriffenen Franzosen auf beiden Flanken anzugreifen. Die meisten seiner subalternen Offiziere waren da bereits weggenickt, und lediglich der russische General Kutusow war noch nicht müde genug, um Weyrothers Plan nicht zu widersprechen und zur Vorsicht zu mahnen. Kutusow wollte lieber warten, bis eigene Verstärkungen heran waren. Der alte dicke Fuchs roch eine Falle, bevor er in sie trat. Aber gegen Weyrothers Plan und einen jungen, enthusiastischen Zaren, der unbedingt siegen wollte, konnte er sich nicht durchsetzen. Und in der Tat sah Weyrothers Plan auf dem Papier gut aus: In einer Zangenbewegung von den beiden Flanken aus wollte er seinen augenscheinlich im Rückzug befindlichen Gegner einkesseln und vernichten – oder wenigstens von seinen Rückzugslinien abschneiden. Es würden ihm Kränze geflochten werden!
Alles bedacht, alles vorbereitet
Die Ebene vor dem Pratzen-Hügel wurde im Süden durch das Dorf Tellnitz und das Schlösschen Sokolnitz begrenzt, vor dem sich östlich zwei kleine Seen befanden. Richtung Norden, ungefähr in der Mitte eines Quadrates mit 12 Kilometern Seitenlänge, lagen die Dörfer Kobelnitz und Puntowitz, ganz im Norden schließlich, an der Straße von Brünn nach Ölmütz, lagen das Dörfchen Bosenitz und eine kleine Erhebung, die unter dem Namen „Santon“ bekannt war. Etwas weiter im Osten schließlich, hinter der Pratzen-Höhe, gab es eine kleine Stadt mit dem Namen Austerlitz.
Was die kleinen Feuer betrifft, von denen gelegentlich der Ruf „Vive l´empereur“ bis hin zu den alliierten Streitkräften drang: Hier machte im grauen Wintermantel und mit dem unverwechselbaren Hut der französische Feldherr und Kaiser Napoleon I. seine Runde durch die Feldlager seiner Soldaten, nicht so inkognito wie seinerzeit Heinrich V. bei Azincourt, aber doch möglicherweise genauso nachdenklich. Er hatte alles bedacht, alles vorbereitet, und er hatte sich sogar in seine Gegner hineingedacht. Er sprach mit seinen Soldaten, trank hier vielleicht einen Schluck Tee oder Kaffee, aß dort etwas von den Zwiebeln oder Kaninchenfleisch und tätschelte da einen alten Gardisten, der mit ihm schon bei Marengo gekämpft hatte. Es würde, trotz allem, hart werden.
Auf seiner rechten Flanke, im Süden, hatte Napoleon lediglich rund 24.000 Mann zwischen Tellnitz und Puntowitz unter seinem Feldmarschall Soult stationiert, die nur die Aufgabe hatten, ihre Stellung zu halten. Er wusste, dass im Laufe der Nacht und des Morgens dort noch weitere 6.000 Mann Verstärkung eintreffen würden, die dann allerdings bereits einen Gewaltmarsch von 120 Kilometern in zwei Tagen hinter sich haben würden und sofort ins Feuer gehen mussten.
Männer in klammer Kleidung kämpfen gegen Männer in klammer Kleidung
Von Puntowitz in der Mitte der Ebene bis auf den Santon hatte er seine Hauptstreitmacht von etwa 50.000 Mann aufgestellt, teilweise von einem Wäldchen, vor allem aber im dichten Nebel vor den Augen der Alliierten verborgen. Napoleon muss in den Tagen zuvor auf dem Pratzen-Hügel gewesen sein und die Ebene erkundet haben und sich überlegt haben, wie ER vorgehen würde, wäre ER ein richtiger Kaiser und ein richtiger Zar. Anders ist kaum zu erklären, warum sich seine Gegner exakt so verhielten, wie Napoleon es vorausgesehen hatte.
Die Feuer waren erloschen. Bei Eiseskälte und Nebel zogen gegen 7.00 Uhr 59.000 Mann der Alliierten vom Pratzen herunter Richtung rechter französischer Flügel, um Tellnitz und Sokolnitz zu nehmen. Für die Franzosen muss das, sofern die im Nebel überhaupt etwas erkennen konnten, ausgesehen haben, als würden sich riesige Raupen direkt auf sie zubewegen. Die Männer mit ihren steifgefrorenen Gliedern sollten hier einer dreifachen Übermacht gegenübertreten – was allerdings durch den Bodennebel und das Gelände abgemildert wurde, denn Russen und Österreicher konnten sich hier nicht in voller Breite entwickeln. Aber besser ging es denen auch nicht.
Schuhe und Stiefel waren in der Regel aus grobem Leder und „über den Leisten geschlagen“, es gab also keine linken und rechten Schuhe. Der Leim der Sohle hielt nur etwa einen Monat. Die Kavalleriestiefel waren etwas besser – und damit gern genommene Beute, wenn man an einen toten Kavalleristen kam. Die Uniformen bestanden meistens aus grobem Filz, der innen mit Leinen gefüttert war – so etwas hielt eine Weile Kälte und Regen ab, sog sich aber mit der Zeit mit Wasser voll. An ein Trocknen an einem Lagerfeuer war im Dezember bei Austerlitz nicht zu denken. Tatsächlich kämpften hier Leute in klammer Kleidung gegen Leute in klammer Kleidung. Die Feuchtigkeit gab zusätzlich Gewicht, und zwei Tage vorher hatte es geschneit. Immerhin waren jetzt die Temperaturen über 0 Grad gestiegen.
Praktisch: ein hübsches Souvenir aus Ägypten
Am Anfang funktionierte Weyrothers Plan recht gut – und zum Pech der Alliierten exakt so, wie Napoleon es wollte: Russen und Österreicher drückten die Franzosen gegen 9.00 Uhr aus Tellnitz heraus. Was im Klartext heißt: Die russisch-österreichischen Truppen dürften die Franzosen aus dem Dorf mit Bajonett und Kolben regelrecht herausgehackt haben, denn durch die Witterung war das Pulver der Gewehre feucht und die Steinschlossmusketen funktionierten eher so mittel. Allerdings konnten Soults Truppen hinter dem Dorf in guter Ordnung Stellung beziehen. Auf Napoleons linker Flanke hingegen mühten sich die Truppen des Fürsten Bagration, durch die französischen Stellungen zu brechen – da hier aber die Kräfte ausgeglichen waren, entstand ein strategisches Patt, das den Franzosen mehr als den frustrierten Russen nutzte. Die Franzosen hielten, und man vertrieb sich dort die Zeit mit Reiterattacken und Gegenattacken.
Ebenfalls um 9.00 Uhr tauchten die bisher im Nebel versteckten Truppen Napoleons jetzt am Fuße des Pratzen gemeinsam mit der aufgehenden Sonne auf und marschierten bei geringer Gegenwehr auf den Hügel. Mit rund 30.000 Mann hatte Napoleon dreißig Minuten später ohne nennenswerte Gegenwehr den strategischen Schlüsselpunkt der kompletten gegnerischen Armee eingenommen. Die Alliierten um Tellnitz und Sokolnitz staunten nicht schlecht, als sie der Franzosen hinter sich gewahr wurden. Napoleon ließ nun seine Truppen nach rechts schwenken, und so wurden die österreichisch-russischen Einheiten zwischen dem Pratzen und Tellnitz quasi eingeklemmt, wobei die Franzosen bei Tellnitz der Amboss und die auf dem Pratzen der Hammer waren.
Sicher, die Russen mühten sich redlich, den Pratzen zurückzuerobern, allein, es scheiterte jeder Versuch. Die Franzosen waren im wahrsten Wortsinn obenauf und blieben es auch. Trotzdem wurde es noch einmal knapp. Während Napoleon das Gros seiner Truppen nach Süden schwenken ließ, entblößte er wiederum seine linke Flanke auf dem Pratzen. Und genau hier hinein, ob durch Absicht oder Zufall, stieß die russische Garde, die bisher in Reserve gestanden hatte und vernichtete gegen 13.00 Uhr ein französisches Bataillon. Die rasch herbeigeführte Eliten-Mameluken-Kavallerie bereinigte die Situation. Nicht immer also sind hübsche Souvenirs aus Ägypten sinnlos.
Napoleon nun fast auf dem Höhepunkt seiner Macht
Jetzt erst kam es zu dem Drama, das in so vielen Filmen und Büchern verewigt wurde: Der linke Flügel der Alliierten, eingeklemmt zwischen den Franzosen, brach komplett zusammen. Es kam zu einer Art Massenpanik, viele Soldaten suchten ihr Heil in der Flucht und ihr Glück über die gefrorenen Teiche östlich von Tellnitz. Die französische Artillerie hielt gnadenlos auf die Flüchtenden und brauchte bei den Massen nicht einmal großartig zu zielen. Es genügte, die Eisdecke der Teiche zu beschießen. Wenngleich die beiden Gewässer nicht sonderlich tief waren, so genügen doch auch zwei Meter, um einen Körper, schwer von Montur und vollgesogener Kleidung, nach unten zu ziehen und ertrinken zu lassen, zumal bei Eiseskälte. Die Teiche sind mittlerweile übrigens trockengelegt, aber man sagt, es ließen sich nach wie vor Knöpfe und andere kleine Monturstücke finden.
Die Schlacht war für Russen und Österreicher restlos verloren. Die komplette linke Flanke der Alliierten, fast 60.000 Mann, wurde rückstandslos aufgerieben. Wer nicht floh, warf die Waffen von sich und ergab sich. Was dieses Mal die bessere Idee war. Zar Alexander brachte sich in Sicherheit, im Norden schafften die Truppen Bagrations einen einigermaßen sortierten Rückzug, Kaiser Franz von altem Adel bereitete sich darauf vor, Kaiser Napoleon vom neuen Adel gegenüberzutreten. Die Alliierten zählten etwa 15.000 Tote, die Franzosen im Vergleich nur eine lächerlich geringe Anzahl von 1.300 Gefallenen. Dafür gab es Lob, und das klang laut Napoleons Bulletin ungefähr so: „Soldaten, ich bin mit Euch zufrieden. Ihr habt während des Tags bei Austerlitz alles bewiesen, was ich von eurer Unerschrockenheit erwartete; ihr habt Eure Adler mit unsterblichem Ruhm bedeckt. Eine Armee von 100.000 Mann, befehligt von den Kaisern von Russland und Österreich, ist in weniger als vier Stunden aufgerieben und zerstreut worden. Wer euren Klingen entkam, ertrank in den Seen. Vierzig Fahnen, die Standarten der russischen Leibgarde, 120 Kanonen, zwanzig Generäle und mehr als 30.000 Kriegsgefangene sind die Ausbeute dieses auf immer berühmten Tages.“ Die Kanonen wurden später eingegossen und als Sockel für die Siegessäule auf dem Place Vendôme verwendet.
Napoleon verlegte sein Hauptquartier nach Austerlitz und empfing Kaiser Franz in einem Kaff, das nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag hat. Im „Frieden von Pressburg“ schließlich wurde der komplette Abzug der Russen vereinbart sowie die Souveränität Napoleons über diverse italienische Kleinstaaten bestätigt. Der entnervte Kaiser Franz II. kündigte als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und beschäftigte sich fortan als Kaiser Franz I. von und mit Österreich. Napoleon hingegen befand sich – fast – auf dem Höhepunkt seiner Macht. Einen Gegner gab es noch in unmittelbarer Nähe: die Preußen. Die sich für stark und clever genug hielten, es ohne Verbündete mit Napoleon aufzunehmen. Was, im Nachhinein gesehen, sehr einfältig war. Aber das ist eine andere Geschichte.
Thilo Schneider, Jahrgang 1966, freier Autor und Kabarettist im Nebenberuf, LKR-Mitglied seit 2021, FDP-Flüchtling und Gewinner diverser Poetry-Slams, lebt, liebt und leidet in der Nähe von Aschaffenburg.