Es wird immer wieder behauptet, die Deutschen hätten keinen Humor, auch wenn sie über jeden Witz zweimal lachen würden. Das erste Mal aus Höflichkeit, das zweite Mal, nachdem man ihnen die Pointe erklärt hat. Deswegen würden sie Judenwitze mögen, die sind direkt, leicht verdaulich und müssen nicht mühsam „kontextualisiert“ werden. Zum Beispiel: „Warum haben Juden so große Nasenlöcher?“ – „Weil die Luft nichts kostet.“
Der Humor unserer Kanzlerin ist natürlich viel subtiler, elaborierter. Wobei nicht jeder versteht, was sie meint, wenn sie z.B. sagt: „Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ War das eine versteckte Drohung, dass sie uns verlassen und sich ein anderes Volk suchen würde, wenn wir, ihre Untertanen, nicht aufhörten, sie zu kritisieren? Es klang danach. Aber sie hat ihre Drohung, wenn es denn eine war, nicht wahrgemacht. Gott sei Dank.
Grundsätzlich gilt: Der deutsche Humor ist besser als sein Ruf. Nehmen wir das folgende Beispiel.
Keller goes underground
Der Präsident des Deutschen Fußballbundes, Fritz Keller, 64, rastet in einer Vorstandssitzung des DFB aus und nennt seinen Stellvertreter Rainer Koch, 62, von Beruf Richter am Oberlandesgericht München, in einem Atemzug mit Roland Freisler, Hitlers berüchtigtsten Blutrichter, auf dessen Konto über 2.600 Todesurteile gehen, darunter die gegen die Geschwister Scholl. Was Keller zu dieser phänomenalen Fehlleistung veranlasst hat, ist nicht bekannt. Die richterliche Tätigkeit seines Vertreters kann es nicht gewesen sein. Der hat kein einziges Todesurteil gefällt und gilt auch sonst als umgänglich.
Der Vorstand des DFB reagiert umgehend, erklärt Fritz Keller zur Persona non grata und fordert ihn auf, von seinem Amt als DFB-Präsident zurückzutreten. Keller aber möchte gerne DFB-Präsident bleiben und weigert sich, sein Amt aufzugeben. Es gibt seinem Leben einen Sinn. Um sich um ein anderes Ehrenamt zu bemühen, beim Technischen Hilfswerk, dem Deutschen Roten Kreuz oder dem Bund deutscher Philatelisten, dafür ist er zu alt. Er hat allerdings einen Plan, wie er die Wogen wieder glätten und sein Amt behalten könnte.
Warum musste es Frau Knobloch sein?
Keller ist Winzer, er weiß um die versöhnende Kraft eines guten Tropfens. Er lässt sich eine kleine Kiste Wein aus seiner Kellerei kommen, kauft einen Riesenblumenstrauß, der mindestens 100 Euro gekostet haben muss, und marschiert mit beiden Gaben, begleitet von einem Fotografen der BILD-Zeitung, in das Büro von Charlotte Knobloch, 88, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und früheren Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland. Warum? Warum musste es Frau Knobloch sein? Warum nicht der Kabarettist Eckart von Hirschhausen oder die Schauspielerin Iris Berben?
Nun, für Frau Knobloch sprechen drei Gründe. Erstens hat sie einen Sohn, Bernd Knobloch, der in der Ethik-Kommission des DFB aktiv ist, zweitens hat sie den Holocaust überlebt und drittens bei der letzten Gedenkfeier zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz im Bundestag die Festrede gehalten. Dabei sagte sie, an die Abgeordneten der AfD gewandt: „Sie haben ihren Kampf vor 76 Jahren verloren.“ Damit hatte sie sich nicht etwa als historische Fachkraft disqualifiziert, sondern als das moralische Gewissen der Nation bestätigt.
Wer also wäre geeigneter, Fritz Keller die Absolution zu erteilen, um die er, der DFB-Präsident, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern ersuchte, obwohl sie mit dem Fall, um den es ging, faktisch und praktisch nichts zu tun hatte?
Es ist zum Totlachen
Und tatsächlich, Frau Knobloch war sich nicht zu schade, ihm das „Ego te absolvo“ zu gewähren. Gegenüber der BILD-Zeitung gab sie die folgende Erklärung ab: „Ich kenne Fritz Keller seit langem als Menschen, der sich für Erinnerung in Verantwortung einsetzt und der versteht, welche wichtige Rolle der Fußball dabei gesamtgesellschaftlich spielen kann und muss. Ich habe ihn deshalb heute sehr gerne zu einem Gespräch empfangen und mich längere Zeit freundlich und offen mit ihm ausgetauscht. Dass er mit seiner unbedachten Aussage einen Fehler gemacht hat, steht außer Frage: Er selbst hat dafür bereits um Entschuldigung gebeten. Ein einziger verbaler Fehlgriff macht aber Kellers langjähriges Engagement nicht ungeschehen, und er ändert auch nichts an der Person Fritz Keller, die ich kenne und unverändert schätze.“
An dieser Stelle treffen der deutsche und der jüdische Humor wieder in eine symbiotische Beziehung zueinander. Der deutsche ist gradlinig wie der Lauf einer Walther PPK, der jüdische gebrochen wie eine Zick-Zack-Linie. Es ist zum Totlachen. Früher kannte jeder Deutsche einen anständigen Juden, heute ist es umgekehrt.
Kurze Ergänzung: Dr. iur. Roland Freisler, Vorsitzender Richter am Volksgerichtshof, kam am 3. Februar 1945 bei einem alliierten Bombenangriff auf Berlin ums Leben. Seine Witwe Marion, geb. Russegger, bezog bis zu ihrem Ableben im Jahre 1997 eine Kriegsopferrente entsprechend dem Bundesversorgungsgesetz.
Kurzer Nachtrag: Frau Knoblochs Fürsprache zugunsten von Fritz Keller war vergeblich. Am 11. Mai gab der DFB-Präsident seine "grundsätzliche Bereitschaft" zum Rücktritt bekannt, "aus eigener freier Entscheidung". Wenn nichts dazwischenkommt, will er am 17.5. aus dem Amt scheiden.
Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche.