Henryk M. Broder / 11.08.2023 / 10:00 / Foto: Imago / 82 / Seite ausdrucken

Manfred Weber und das beste Europa, das wir je hatten

Wer wissen möchte, aus welchem Zwirn die Tagträume der Politiker gesponnen werden, sollte sich das Interview mit Manfred Weber im heute-journal unbedingt antun. Es dauert nur fünf Minuten, hat aber die gleiche Wirkung wie eine Achterbahnfahrt mit vollem Magen.

Beinahe wäre der Europa-Abgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der CSU, Manfred Weber, Präsident der Europäischen Kommission geworden. Aber eben nur beinahe. Bei der „Europawahl“ 2019 trat er als „Spitzenkandidat“ der Europäischen Volkspartei an, einer losen Vereinigung christlich-demokratischer und bürgerlich-konservativer Parteien in den Ländern der Europäischen Union. Nach den Wahlen wurde er gegen Ursula von der Leyen ausgetauscht, die als Verteidigungsministerin der Bundesrepublik kraftvoll gescheitert war und einen neuen standesgemäßen Job brauchte.

Die Charade soll, so hieß es damals aus gut informierten Kreisen, auf Betreiben der deutschen Bundeskanzlerin erfolgt sein, die Weber nicht mochte und mit von der Leyen befreundet war. Pikantes Detail: Es gibt Regeln, wer an der Wahl zum Europäischen Parlament teilnehmen kann, von einem „Spitzenkandidaten“ ist an keiner Stelle die Rede. Die Position wurde in irgendeinem Brüsseler Hinterzimmer ausgehandelt, um angesichts der lauen Wahlbeteiligung das Interesse der Wähler zu stimulieren.

Für Manfred Weber, 1972 in Niederhatzkofen, einem Ortsteil von Rottenburg an der Laaber im Kreis Landshut geboren, wäre die Wahl zum Präsidenten der EU-Kommission der Höhepunkt seiner Politiker-Karriere gewesen, die 2002 im Kreistag des Landkreises Kelheim begann. Die Wahl zum Partei- und Fraktionsvorsitzenden der EVP im Europäischen Parlament war ihm vermutlich kein großer Trost, aber er ließ sich die Enttäuschung über die Niederlage nicht anmerken und machte Dienst nach Vorschrift aus der zweiten Reihe.

Wie eine Achterbahnfahrt mit vollem Magen

Für Interviews stand MdEP Weber immer zur Verfügung, wobei ihm zugutekam, dass er – anders als die meisten seiner Kollegen – mehrere Sätze zusammenhängend aussprechen konnte, ohne sich dabei zu verhaspeln. Nicht immer, aber meistens. 

Am 6. August stand Manfred Weber im heute journal Christian Sievers Rede und Antwort über die Frage, wie die „demokratischen Parteien“ mit der AfD umgehen sollten. „Die Europäische Union ist das beste Europa, das wir je hatten, und wir werden alles tun, um die AfD kleinzuhalten“, versprach Weber gleich zu Anfang des Interviews, als wäre es ihm entgangen, dass der Abstand zwischen der Union und der AfD auf vier Prozentpunkte geschrumpft war. Wer wissen möchte, aus welchem Zwirn die Tagträume der Politiker gesponnen werden, sollte sich das Interview unbedingt antun. Es dauert nur fünf Minuten, hat aber die gleiche Wirkung wie eine Achterbahnfahrt mit vollem Magen.

Die AfD, sagt Weber, habe „eine Kriegserklärung an Europa“ abgegeben, gegen all das, wofür „Vorgängergenerationen“ gekämpft haben, „von Adenauer, Kohl und Theo Waigel beim Euro bis hin zu Angela Merkel“, dieses Erbe werde man „verteidigen“. Die EU müsse „reformiert werden“, aber nicht so, wie die AfD es sich vorstellt. Sie wolle den Euro abschaffen und aus dem gemeinsamen Währungssystem aussteigen, hin zu einem „Europa der Vaterländer“, einem „nationalistisch geprägten Europa, das unsere Stimme da draußen in der Welt nicht hören lassen wird“. Deswegen wird bei der nächsten Wahl „die Grundsatzfrage zu klären sein, ob wir zu diesem Europa stehen, und wir als CDU/CSU stehen“.

Machen wir es Kohl nach

Ähnlich verdruckst klang Webers Erklärung dafür, warum seine Partei gelegentlich mit der AfD abstimmt. Dass die AfD bestimmte Positionen vertritt, sei „in der Analyse leider Gottes der Fall“, aber sie vertrete in vielen Bereichen auch Positionen, „die nicht die unseren sind“. Jetzt brauche man einen „programmatischen Aufbruch“, eine „Zukunftsperspektive“, wie damals in den 90er Jahren, als „Helmut Kohl im Kampf gegen die Republikaner den Euro vorgeschlagen hat“. Kohl habe gestaltet, „und diese Gestaltungskraft müssen wir wieder aufbringen“.

Deswegen müsse eine „Brandmauer“ gegenüber Parteien „klar definiert sein“, die ein anderes Europa wollen. Wie „die PIS in Polen, Le Pen in Frankreich und die deutsche AfD“, diese Parteien kämen als „demokratische Partner und Mitbewerber im politischen Wettbewerb“ nicht infrage. „Die sind für uns Gegner und werden von uns bekämpft.“

War das eine Drohung oder ein Versprechen? Hatte Weber einen Aussetzer? Dachte er an ein deutsches Hilfswerk, das Polen und Franzosen Demokratie lehren würde? So ein Projekt gibt es schon, es heißt „Demokratie leben!“, wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend betrieben, richtet sich aber an die einheimische Population. Es könnte freilich auch die Blaupause für ein europäisches Programm gewesen sein, natürlich unter deutscher Führung.

Und dann bekäme Manfred Weber vielleicht eine zweite Chance, an die Spitze einer wichtigen Institution berufen zu werden.

Foto: Imago

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Thomas Szabó / 11.08.2023

Herr Manfred Weber positioniert sich gegen ein „Europa der Vaterländer“. Will er die Nationalstaaten abschaffen? Würde das nicht gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker im Charta der Vereinten Nationen verstoßen? Ist Herr Weber ein tragischer Einzelfall, oder betätigt sich die gesamte CDU/CSU in seinem Sinne?

Walter Gustav / 11.08.2023

Es ist doch so, dass der .......keine Spur von Selbstachtung hat, und ein grausamer Spiesser und Schleimer ist. Wäre er das Gegenteil hätte er sich zwingend aus der Union verabschieden müssen als ihm von der Leiden vor die Nase gesetzt wurde. Kann weg. Braucht keine frei Gesellschaft. Was ich mich immer wieder frage. Sind die Eltern stolz auf ihren Sohn, was denkt die Frau, Kinder, Freunde? Wenn er welche haben sollte, was ich eher bezweifle. Nicht von dieser Welt. Es gibt keinen Grund das Geringste über den zu wissen oder zu schreiben. Der Schlüssel ist und bleibt der ÖR….

Marco Schulz / 11.08.2023

Man redet über die AFD, darüber, was man verhindern möchte, nicht darüber, wie man die Welt gestalten möchte. Wie praktisch. Die Zukunft ist Faktum, steht nicht zur Debatte. Mit diesem Europa sind alle Debatten belanglos. Heute in der LVZ: Autofahren im Alter, mit Umfrage, ob man als Leser für Eignungstests ist. Man erfährt, die Sache kommt von der EU. Da muss man sich doch fragen, warum Debatte, warum LVZ lesen, wenn die Lokalpolitik allenfalls EU Vorgaben ausgestalten kann?Politik und Medien haben sich selbst abgeschafft. Und jetzt wundert man sich in den unteren Etagen, dass die Leute nur noch Verachtung übrig haben. Die obere Etage hat für die projizierte Verachtung ein Ziel geschaffen, die AFD. Eine Partei, eine Spaltung.

Thomas Szabó / 11.08.2023

Herr Manfred Weber spricht sich gegen ein „Europa der Vaterländer“ aus? Im Umkehrschluss heißt das, dass er die Nationalstaaten abschaffen will. Deutschland abschaffen, ist das nicht zufällig §§ 81–83a StGB Hochverrat? Hochverrat gehört zum Parteiprogramm der CDU/CSU?

Sepp Kneip / 11.08.2023

So ist das mit Leuten, die einen Tritt in den Hintern bekommen haben. Sie verhalten sich wie ein geprügelter Hund, der seinem Peiniger noch die Stiefel leckt. Jeder vernünftig denkende Mensch weiß, was es mit diesem Moloch EU auf sich hat. Ineffizient, korrupt und übergriffig. Die einzelnen Staaten gelten nichts mehr. Die werden nach und nach kastriert. Deutschland und die EU gehen im Gleichschritt einher. So wie wir derzeit das schlechteste Deutschland haben, erleben wir auch die schlechteste EU aller Zeiten, denen der Bürger total schnuppe ist.  Natürlich haben alle Angst vor einer Partei, der ein ganz anderes Europa vorschwebt. Oder einem Staatsmann wie Orban, dem diese EU ebenfalls ungeheuerlich ist.  Diese werden von der EU bis aufs Blut bekämpft. Sowohl die Geschicke der EU als auch die Deutschlands werden von Zwangsregimen bestimmt. Das muss aufhören.

Curt Handmann / 11.08.2023

Au weia. Noch so ein Merkelknecht ... Nee liebe Leute, für mich wird immer klarer, wen ich künftig wähle. SO geht es NICHT mehr weiter. Nicht mehr auszuhalten.

Friedrich Richter / 11.08.2023

Will er tatsächlich demokratisch gewählte Parteien anderer europäischer Staaten bekämpfen? Das wird interessant, und ich freue mich drauf.

Rainer Niersberger / 11.08.2023

Um nur mal wieder zwei Aspekte herauszugreifen : In der AfD wird durchaus darueber gestritten, wie international bzw europäisch es denn sein darf oder muss oder wie “nationalistisch”, uebersetzt, was wird in der Nation geregelt und was nicht. Darueber darf und muss man, vor allem als Superdemokrat, was ohne Nation nicht geht, streiten. Niemand in der AfD hat sich m. W. gegen Verträge diverser Art mit anderen Laendern geaeussert. Von dem mit Verlaub hirnissigen Abschottungsvorwurf des Kartells sollte man sich als Erwachsener nicht irritieren lassen. Was offensichtlich nicht begriffen wird ist, dass Organisationen/ Systeme dieser Art immer und unvermeidlich sehr toxische Potentiale in sich tragen, die am Ende nur sehr schwer, wenn ueberhaupt einzudämmen sind. Das gilt fuer den ÖRR, fuer die staatliche Verfassung dieser Republik und auch fuer die EU. Die Gruende dafuer liegen auf der Hand. Falls dann noch das Regime eines Landes wie hier den nationalen Aufloesungsprozess im Innern betreibt, ist das Ergebnis klar.  Was im Innern bleibt sind sich immer weiter aufgeblähende Institutionen ohne jeden Einfluss. Eine Korrektur ist per se unmoeglich, denn die Frösche legen ihren Sumpf nicht trocken. Einstein hat es weniger bildlich formuliert. Die AfD hat auch hier recht. Zurueck auf Los und dann von vorne, aber anders und besser, oder, falls nicht moeglich, gar nicht. Es geht auch ohne. Dieses Narrativ der Taeter wurde und wird permanent widerlegt. Dass der ” Frosch” Weber hier der Falsche ist, liegt auf der Hand. Etwas mehr intellektuelle Schärfe und Präzision waere nicht schlecht.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Henryk M. Broder / 03.04.2024 / 12:00 / 120

Kein Freibrief von Haldenwang

Von „Verfassungshütern“ wie Thomas Haldenwang geht die größte Gefahr für Meinungsfreiheit und Demokratie in unserem Land aus. Wenn die Bundesrepublik eine intakte Demokratie wäre, dann…/ mehr

Henryk M. Broder / 12.03.2024 / 14:00 / 62

Christian Wulff: Liechtenstein? Nein, danke!

Unser beliebter Ex-Präsident Christian Wulff hat Angst, Deutschland könnte auf das Niveau von Liechtenstein sinken. Das kleine Fürstentum hat auf vielen Gebieten längst die Nase…/ mehr

Henryk M. Broder / 07.03.2024 / 16:00 / 19

Aserbaidschanische Kampagne verhindert Armenien-Debatte

Eine in Berlin geplante Buchpräsentation und Diskussion über bedrohtes armenisches Kulturgut konnte aus Sicherheitsgründen nur online stattfinden. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP)…/ mehr

Henryk M. Broder / 04.03.2024 / 14:00 / 23

Michael Blume: Vom Zupfgeigenhansl zum Ersten Geiger?

In der Dienstzeit des Antisemitismus-Beauftragten Michael Blume hat die Zahl antisemitischer Straftaten in Baden-Württemberg erfolgreich zugenommen. Aber der Mann hat andere Sorgen. Ende Dezember letzten…/ mehr

Henryk M. Broder / 24.02.2024 / 12:15 / 35

Eilmeldung! Herr Schulz ist aufgewacht!

Im Büro der Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann war nach einem Bericht von Achgut.com die Luft heute morgen offenbar besonders bleihaltig. Richtet man…/ mehr

Henryk M. Broder / 24.02.2024 / 06:00 / 125

Frau Strack-Zimmermann hat Cojones, ist aber not amused

Es spricht für Marie-Agnes Strack-Zimmermann (MASZ), dass sie mein Schaffen verfolgt. Deshalb hat sie noch eine Rechnung mit der Achse offen. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (MASZ) hat…/ mehr

Henryk M. Broder / 22.02.2024 / 10:00 / 80

No News aus Wolfsburg in der Tagesschau

In Wolfsburg stellt sich der VW-Chef auf die Bühne, um Weltoffenheit zu demonstrieren. Die Belegschaft hat derweil andere Sorgen. Die Tagesschau meldet, auch an diesem Wochenende hätten tausende…/ mehr

Henryk M. Broder / 18.02.2024 / 11:00 / 57

Eine Humorkanone namens Strack-Zimmermann

Ja, wenn einem deutschen Politiker oder einer deutschen Politikerin nichts einfällt, irgendwas mit Juden fällt ihm/ihr immer ein. Dass immer mehr Frauen in hohe politische…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com