Chaim Noll / 29.01.2022 / 06:00 / Foto: Maurice Quentin de La Tour / 60 / Seite ausdrucken

Die 100 besten Querdenker: Voltaire

Der 1694 geborene französische Schriftsteller ist das perfekte Beispiel eines zeitlosen Freigeistes: Eines seiner Werke ist heute wieder so geschmäht wie 1741.

Francois-Marie Arouet, genannt Voltaire, geboren 1694 als Sohn eines Advokaten, war einer der ersten Europäer, die den Beruf eines freien Schriftstellers ausübten. Die in jedem seiner Texte spürbare Lust am freien Gedanken, am offenen Wort, seine vielzitierten Apercus und Respektlosigkeiten im Umgang mit den Mächtigen brachten ihn früh in Schwierigkeiten. Schon den 22-Jährigen ließ der erzürnte Pariser Regent, Philipp von Orleans, wegen eines satirischen Gedichts aus Paris verbannen, ein Jahr später brachten ihn despektierliche Äußerungen über den Herzog von Berry für ein knappes Jahr ins Gefängnis, in die Pariser Bastille. Zehn Jahre später fühlte sich der Chevalier de Rohan, Angehöriger eines der mächtigsten französischen Adelshäuser, durch einen Scherz Voltaires so sehr beleidigt, dass er ihn von seinen Dienern überfallen und zusammenschlagen ließ.

„Gottesgnadentum“ und politische Korrektheit

Den schreiblustigen Literaten Voltaire konnte das nicht abschrecken: im Zweifelsfall siegte bei ihm immer das Vergnügen an einem witzigen Bonmot über alle gesellschaftlichen Bedenken. Querdenker wurden damals „Freidenker“ genannt, französisch libre penseur oder esprit indépendant, doch das Wort ist zuerst im Englischen überliefert, free thinker, in einem Brief des Naturphilosophen Molyneux an John Locke von 1697. Im Falle Voltaires waren es vor allem die überall in seinen Schriften eingestreuten Zweifel am „Gottesgnadentum“ aristokratischer Herrschaft und an der „alleinseligmachenden Wahrheit“ der Lehren der Kirche. Wie würde er heute mit der „politischen Korrektheit“ zurechtkommen? Der Status eines „Freidenkers“ war damals sensationell, und Voltaire lebte lange an wechselnden Höfen, bei aufgeklärten Potentaten und Literaturliebhabern, die ihn einluden, zwecks amüsanter Unterhaltung und geistiger Bereicherung, unter anderem bei Friedrich II. von Preußen, der als junger Prinz eine Korrespondenz mit dem verehrten Autor begonnen hatte.

Es verwundert nicht, dass Voltaire nirgendwo lange blieb – sein Widerspruchsgeist war zu ausgeprägt, um erfolgreich den Höfling zu spielen. Hinzu kam eine Neigung zu gewagten Geschäften und Investitionen, in denen der gutverdienende Literat seine Honorare und Apanagen anzulegen wusste. Voltaire sah keinen Widerspruch darin, geistreicher Autor und erfolgreicher Unternehmer in Einem zu sein. Er betonte gern, er hätte sich seinen Wohlstand und Einfluss mit seiner Feder verdient und erschrieben, die Ländereien im Elsass, später die Landgüter Tourney und Ferney bei Genf, die er nach den damals neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen mit großem Gewinn bewirtschaftete und auf denen er, vom liberalen Schweizer Bürgersinn geschützt, unbehelligt leben konnte wie ein Souverän.

Mit 83 Jahren, im Februar 1778, reiste er noch einmal nach Paris, wo er wie ein König empfangen wurde. Pro forma bestand immer noch ein Ausweisungsbefehl gegen ihn, doch daran wollte sich niemand mehr erinnern. Die Mitglieder der Académie francaise kamen ihm bis zum Portal entgegen, er wurde mit Ehrungen überhäuft, und tausende Pariser aller sozialen Schichten feierten ihn, als er abends aus dem Theater in sein Quartier fahren wollte, mit einem Fackelzug. Er starb wenige Wochen darauf und überließ der Nachwelt ein gewaltiges Oeuvre von rund 700 literarischen Werken.

1741 so verboten wie heute wieder

Wie sehr Voltaire noch heute als Querdenker empfunden wird, zeigt seine Tragödie „Le fanatisme ou Mahomet le prophete“, 1799 von Goethe ins Deutsche übertragen, die den Propheten des Islam einer schonungslosen Kritik unterzieht und als unmenschlichen Machtpolitiker darstellt. Goethe identifizierte sich so sehr mit diesem Stück, dass er es unter seinem eigenen Namen erscheinen ließ. Heute wird „Mahomet“ nirgendwo mehr in Europa aufgeführt. Seine Unterdrückung, schrieb ich 2011 in einem Essay (der auch auf Achse des Guten erschien), „ist ein besonders beschämender Fall europäischer Kultur-Verleugnung. Diese Verleugnung geschieht unter dem Druck neuer Tabus, die verstohlen an Stelle der alten getreten sind.“ Bereits 1741 war Voltaires Stück zum ersten Mal verboten worden, da einflussreiche Kirchenfürsten eine Parabel auf den Machtmissbrauch der Kirche darin sahen. Heute fürchtet man die Verstimmung einflussreicher muslimischer Kreise. Die Angst vor dem offenen Wort, vor Voltaires kritisch-analytischer Sicht auf die Welt, hat Europa bis heute nicht verlassen.

„Querdenker der Woche“ ist eine lockere Folge von kurzgefassten Biographien berühmter westlicher Denker, die zu Lebzeiten wegen ihrer abweichenden Ideen umstritten, verleumdet oder gar verfolgt waren und heute zum stolzen Bestand okzidentaler Selbstdarstellung gehören.

Foto: Maurice Quentin de La TourCC BY 4.0 via Wikimedia Commons

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Helmut Rott / 29.01.2022

Gut,dass heute immer noch Staat und Religion verbandelt sind (“So wahr mir Zeus helfe”). NUr die Gründen MInister haben sich dieser Anmaßung enthalten

Werner Arning / 29.01.2022

Die Aufklärung ist dann teilweise (bis heute) mächtig über ihr Ziel hinausgeschossen. Die angestrebte „Befreiung „ von „Gottes Gnaden“ wurde zu einer Versklavung von „Menschen Gnaden“. Klerikaler und aristokratischer Despotismus wurde nur ersetzt. Eine wahre Befreiung steht noch bevor. Ob das Reich in dem diese stattfinden kann, von dieser Welt ist, sei dahingestellt. Und dabei ist „Reich“ keineswegs örtlich zu verstehen (oder etwa „zeitlich“ nach dem Tod anzusiedeln) . Die Überschätzung und Überbewertung menschlicher Fähigkeiten führt jedenfalls nicht dorthin.

Frank Holdergrün / 29.01.2022

@ Kostas Aslanidis, >>>>>>vielen Dank, Sie haben das perfekt zusammengefasst. Enzensberger hat es so ausgedrückt: „Als schwere narzisstische Kränkung wird nicht nur die militärische Unterlegenheit gegenüber dem Westen empfunden. Viel schlimmer wirkt sich die intellektuelle und materielle Abhängigkeit aus. In den letzten vierhundert Jahren haben die Araber keine nennenswerte Erfindung hervorgebracht. (Radikale Verlierer” v. Magnus Enzensberger, Spiegel 45/2005, S. 182 ff.) Der Spiegel würde heute so etwas nicht mehr schreiben, Enzensberger wäre Querdenker und Islam = Frieden. Heute wie früher verklären bildungs-ferne Menschen zudem El Andaluz (so auch der einfältige Michael Blume), von einer islamisch-toleranten Hochkultur reden sie, die uns Wissen weiter gereicht hätte. Fataler Haupt-Grund für diese Verklärung waren aber abendländisch-europäische Aufklärer, leider auch jüdische Denker und Poeten im 18.-19.Jh, die damit der katholischen Kirche und den Regierungen die Leviten lesen wollten, um selbst mehr Rechte zu erhalten. Unter den Gebildeten wurde es bald zum obligatorischen Dünkel, der christlichen Kultur die muslimische entgegen zu halten,  man nannte diese Leute die HALBMONDSÜCHTIGEN. Sie sind heute mitten in unserer Regierung gelandet und beten ihr Mantra von Inklusion und Toleranz auf eine Art und Weise, die die europäische Aufklärung rück-abwickeln wird. Mit dem Islam vorwärts schreiten heißt in den iranischen Untergang reiten und die gelebte Toleranz als bunten Strick am Kran zurückerhalten.

Wilhelm Rommel / 29.01.2022

Was für ein hervorragender und in diesen trüben Zeiten herzerfrischender Beitrag, verehrter Herr Noll! Heutigen Tages würden sich sämtliche Mainstreamer, polit-mediale Welterklärer und Weichspüler sowie Hundertschaften von DITIB-Aimännern, Özoguzen, Chiplis und Kaddorinen, die inzwischen in schönster Taqīya-Manier schmatzend an den Zitzen des großen, aber unsäglich dummen Staatsviechs hängen, auf den mutigen kleinen Franzosen stürzen - und das viel effektiver als es dies reaktionäre Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts je konnten. Darüber hinaus dürfte Francois-Marie mit Blick auf die inzwischen üblichen Todes-Fatwas halbirrer Rauschebärte in JottWeDe zu seiner Zeit ganz unbehelligt geblieben sein. Zu guter Letzt: Ihnen, Monsieur @Holdergrün, Dank für den lesenswerten Kommentar!

Dirk Jungnickel / 29.01.2022

Herr Holdergrün, wenn Sie schreiben ” ... weil das Christentum weniger rigide war und durch den Protestantismus weich geklopft war” , dann verwechseln Sie wohl etwas. Der Protestantismus hat sich wenigstens bemüht, das im Katholizismus ziemlich herunter gekommene und ideologisierte Christentum auf die Ursprünge, nämlich Jesus, zurückzuführen.(Luther sah im Papst den Antichristen! ) Weichgeklopft wird - wie hier bereits angemerkt - der I s l a m von dummlinken rot-grünen Multikulti - Ideologen.

Hjalmar Kreutzer / 29.01.2022

„Die 100 besten Querdenker“ oder „Querdenker der Woche“ ist ein brillante Idee. Vielen Dank!

Kostas Aslanidis / 29.01.2022

@Frank Holdergruen, Michael Blume ist ein Dampfplauderer, nur Haltung ist sein Beruf. Das der Buchdruck der Grund fuer die rueckstaendigkeit des Islam herhalten muss, ist an laecherlichkeit, nicht zu ueberbieten. Die antiken Aegypter, Griechen, Roemer, Chinesen, Karthager usw. hatten auch keinen Buchdruck und sind in ungeahnten Fortschritt geritten. Der Islam ist rueckstaendig, voll mit Minderwertigkeitskomplexen gegenueber dem Westen. Sie wissen es und statt sich zu oeffnen, wird trotzig in diesem Buch gehangen. In Europa hat der Islam nichts zu suchen, eher in der Wueste. Die errungeschaften des Westen, werden aber gerne in Anspruch genohmen. Heuchelei und Dekadenz

Helmut Driesel / 29.01.2022

  Hundert Querdenker, mein lieber Scholli, da muss man aber tief im Sumpf stecken, um derart geistig mit den Ohren zu wackeln, sehr geehrter Herr Noll. Und französisch können Sie auch, es gab ja tatsächlich Schulen mit Französisch als Fremdsprache in der DDR. Nun ja, von Voltaire bis Friedrich Merz ist es ja noch gut ein halbes Jahr Arbeit für Sie. Ja, der Obergefreite Merz, der mangels Vorfahren, die an der Front waren, gerne die Ukraine von den finsteren Mächten befreien möchte. Gut, ich habe mir angewöhnt, alles zuerst daraufhin zu prüfen, ob es mir vielleicht egal sein könnte, das hat sich über die Systemgrenzen hinweg bewährt. Wenn hier drei Bäcker wegen Corona schließen müssten, das hätte systemerschütternde Relevanz, die Leute würden sich vor dem leeren Brotregal die Kehlen zudrücken, ein invalider Rentner hätte da keine Chance. Aber ein kleiner Weltkrieg in der Ukraine, der könnte uns am Steißbein vorbei rauschen. Ich bin natürlich überzeugt, als Querdenker des alten Systems auf Ihrer Liste zu stehen. Etwa nicht?

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