Henryk M. Broder / 01.06.2023 / 06:00 / Foto: Fabian Nicolay / 202 / Seite ausdrucken

Deutsche! Verzeiht mir!

Mir wird derzeit vorgeworfen, ich hätte mich über den Nationalsozialismus lustig gemacht. „How dare you!“ würde Greta sagen. Es tut mir wahnsinnig leid und ich bitte um Vergebung, dass ich nicht der Jude bin, den sich manche Deutsche wünschen.

Da ich weder auf Facebook noch auf Twitter „unterwegs“ bin – ich habe auch kein Dixi-Klo in meiner Wohnung – und weil ich gerade Ferien am Strand von Eyrarbakki mache, habe ich erst mit zwei Tagen Verspätung von dem Shitstorm erfahren, der sich soeben über mich entladen hat. Dazu gibt es nichts zu sagen, außer: Ich arbeite seit vielen Jahren, eigentlich schon Jahrzehnten, daran, mich unbeliebt zu machen. Was vor 42 Jahren mit einem lustigen Text in der ZEIT begann, macht sich inzwischen reichlich bezahlt. Claudia Roth, die charmante und charismatische Staatssekretärin für Kultur und Medien, hat diesen Prozess in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen klug zusammengefasst. Broders „Geschäftsmodell beruht auf Hetze und Falschbehauptungen“. Das war die Retourkutsche dafür, dass ich sie einmal als einen „Doppelzentner fleischgewordene Dummheit, nah am Wasser gebaut und voller Mitgefühl mit sich selbst“ bezeichnet habe. 

Aber das ist mittlerweile Geschichte. Außerdem wurde Frau Roth vor Kurzem von „50 jüdischen Prominenten“ rehabilitiert, und das ist die letzte Stufe vor der Seligsprechung durch den Papst oder die Konferenz der Länderkulturminister.

Zurück in die Gegenwart. Ich finde es sehr lustig, wenn die Nachkommen von Angehörigen der Waffen-SS, der SA, der Sonderkommandos und der „Kraft-durch-Freude“-Armee einen Juden belehren, was der Nationalsozialismus war, wie nachhaltig er die deutschen Menschen aller Identitäten und Geschlechter traumatisiert hat und wie sehr sie noch immer darunter leiden, was in den NS-Jahren von 33 bis 45 passiert ist. Dabei haben die Juden den Deutschen den Holocaust längst verziehen, andersrum freilich gilt noch immer der Satz: „Die Deutschen werden den Juden den Holocaust nie verzeihen.“

Mir wird derzeit vorgeworfen, ich hätte mich über den Nationalsozialismus lustig gemacht. „How dare you!“ würde Greta sagen. Ein im WDR angestellter Karnevalist schreibt: „Broder hat das Recht über den NS Witze zu reißen verwirkt, als er begann, das Andenken nicht nur seiner Familie wie Dreck zu behandeln.“ Und nennt mich einen „kleinen Kapo“. Nun, den Kapo lass ich mal gelten, verbitte mir aber den Zusatz „kleiner“.

Haben die Juden den Panzerbau finanziert?

Ich würde gerne wissen, wer es war, der diese Knalltüte autorisiert hat, darüber zu entscheiden, wer wann und weshalb ein Recht „verwirkt“ hat. War es der Intendant des Hohen Hauses, der Rundfunkrat oder gar die Staatsministerin für Kultur und Medien?

Natürlich mache ich mich über den Nationalsozialismus lustig, was sonst? Ich befinde mich damit in bester Gesellschaft, in einem Raum mit Ernst Lubitsch, Mel Brooks, Charly Chaplin, Woody Allen, Roberto Benigni, Radu Mihaileanu. Die sitzen am großen Tisch, und ich schaue ihnen respektvoll von einem Stehplatz zu. Sie denken, ich bin größenwahnsinnig? Stimmt. Aber das finde ich immer noch besser, als sich jeden Tag in der WDR-Kantine die Kante zu geben.

Ein Wort noch zu einem anderen Kameraden, der mich vor kurzem einen „Faschisten“ genannt hat. Es ist ein Bio-Mann, der sich für „die schönste Frau der Welt“ hält. Dermaßen als Experte für parapsychologische Phänomene ausgewiesen, ruft er mir zu: „Nichts, absolut nichts war gut am Nationalsozialismus. Die Arbeitslosen kamen von der Straße, weil sie Panzer bauen mussten. Das Geld dafür stammte unter anderem aus der ‚Arisierung jüdischer Unternehmen‘.“

Echt jetzt? Wieso hat mir das bisher niemand gesagt? Könnte man diesen Satz nicht auch dahingehend deuten, die Juden hätten den Panzerbau finanziert? Irgendwie hört er sich so an.

Also, meine lieben proto- und krypto-deutschen Freunde: Es tut mit wahnsinnig leid und ich bitte euch alle um Vergebung, dass ich euch dermaßen enttäuscht habe, dass ich nicht der Jude bin, der euch von eurem schlechten Gewissen, das eh nur ein eingebildetes ist, befreit, euch die Absolution erteilt und darum bittet, darauf zu achten, dass Israel nicht die Fehler wiederholt, die eure Großeltern begangen haben. Es gibt doch solche Juden in Hülle und Fülle, die Barenboims, Levits, Mendels, Disches, Brumliks, Naumanns, Neimans & Co. Das sind die Guten, die helfen euch gern, auf die könnt ihr euch verlassen. 

Foto: Fabian Nicolay

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gerhard giesemann / 01.06.2023

@Paul J.: Vielleicht ist selektiver Menschenfeind eine echte Alternative?

Holger Chavez / 01.06.2023

Herr Broder,  Du bist und bleibst ein alter, gerechter, weiser, weißer Jude. Und trägst eitel Purpur mit Würde. Langes Leben!!

Hans-Peter Dollhopf / 01.06.2023

Gerd Buurmann erzählte vorgetern auf Achgut über Broder im KZ Dachau: “Danach ging er noch in den Souvenirladen, kaufte sich eine Postkarte von Dachau und schrieb sie an seine Frau mit den Worten: ‘Wish, You were here’. Jeder Mensch mit Restbeständen von Anstand im Leib erkennt sofort, dass dies ein schmerzhaft-brüllend-komischer Weg ist, mit dem Horror umzugehen.” Nun lernte Textanalyse an einer bayerischen Oberstufe, dazu noch vor über vierzig Jahren! Ja, damals nutzten die Pauker bereits die Literatur Bert Brecht oder Max Frisch. Um so besser. Aus beiden Welten! “Wish, You were here.” So drückt man Sehnsucht nach einem geliebten Menschen aus. Man muss wissen, dass der Song vom notorischen Pink Floyd-Antisemititen Roger Waters geschrieben ist, um den Verrat zu begreifen!

gerhard giesemann / 01.06.2023

@Klaus C.: Ja , das Maul aufreißen und dann nix sagen. Kenn ich zur Genüge. Gruß Giesemann. Herrn Broder müsste man erfinden, wenn er nicht schon da wäre, von Gottes Gnaden.

gerhard giesemann / 01.06.2023

Hätte die jüdische Elite damals nicht die Römer dazu benutzt, Jesus Christus zu kreuzigen - DAS wurde nur mit Staatsfeinden, Feinden Roms also gemacht - dann wäre der Hl. Augustinus mit seiner Erbsündenlehre gleich gar nicht erst auferstanden. So aber ... .

Michael Müller / 01.06.2023

Herr Broder, bleiben Sie bitte so, wie Sie sind. Gewisse Leute ärgern sich über Sie. Das ist ein klares Zeichen, dass Sie es richtig gemacht haben. Dass sich irgendwer anmaßt, zu entscheiden, wer irgendwelche Witze über den NS machen darf und wer nicht, zeigt, was für ein widerliches Irrenhaus unser Land mittlerweile schon geworden ist. Solche Deppen wie den Heini vom WDR - unbewusst hatte ich eben zuerst “Heini von der DDR” geschrieben - ignoriert man einfach. Aber mal was anderes: Auch, wenn es richtig ist, dass nie eine Mehrheit “Onkel Adi” gewählt hat, so hatte doch Reich-Ranicki ganz recht, als er sagte, im Jahr 35 und besonders 36 zu den Olympischen Spielen war die Deutschland- und Hitlereuphorie so groß, dass eine Mehrheit Hitler freiwillig gewählt hätte. Das deckt sich auch mit den Beobachtungen, die meine Familie seinerzeit machte. Das bedeutet aber zum Beispiel nicht, dass die Mehrheit der Deutschen antisemitisch gewesen war. Der Antisemitismus in Deutschland vor 1933 war nicht größer als der in Frankreich, eher weniger. Wie verträgt sich das mit einem Wahlergebnis von 37,3% im Juli 1932 für die NSDAP? Bei den Wahlen 1928 hatte die NSDAP noch 2,6 %. Was war seitdem passiert? Der Wolf hatte Kreide gefressen. Die Nazis hatten sich umgehört, warum sie so unbeliebt seien. Ein wesentlicher Punkt neben dem Rabaukentum der SA war das Zeug, das man so über Juden in öffentlichen Reden von sich gab. Kurz: Von da ab wurden antisemitische Reden praktisch eingestellt. Das ist auch von Reich-Ranicki bestätigt worden: Ab 1928 gab es eigentlich keine öffentlichen antisemitischen Reden von Mitgliedern der NSDAP mehr. Der größer werdende Zuspruch der NSDAP verdankte sich nicht zuletzt der Tatsache, dass die Partei nicht (mehr) als antisemitisch wahrgenommen wurde. Alles andere in den 20ern Gesagte wurde als großmauliges Geschwätz von gestern angesehen, dass keine Bedeutung mehr hat, wo die Partei in Richtung Regierungsverantwortung kommt. Erst ab 1933 änderte sich das.

Dirk Lamboy / 01.06.2023

Herr Broder. Made my day!

Gabriele Klein / 01.06.2023

“....Das sind die Guten, die helfen euch gern, auf die könnt ihr euch verlassen. ” Hoffentlich sind diese Guten nicht irgendwann auf das Israel ihrer “Träume” (pardon, ich meinte “Freunde”,  genauso angewiesen wie Frau Roth vielleicht irgendwann auf den Maltheser Hilfsdienst dessen letzte Gründe in den 10 Geboten und nicht 17 SDGs zu finden sind.

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