Henryk M. Broder / 29.05.2022 / 13:00 / Foto: Achgut.com / 80 / Seite ausdrucken

Wie es in Klaus von Dohnanyi denkt

Die Älteren unter unseren Lesern werden sich bestimmt noch an Herbert Wehner erinnern, den sozialdemokratischen Politiker aus den Flegeljahren der Bundesrepublik, vor dessen Spott niemand sicher war, am wenigsten seine „Freunde“ aus der SPD. So pflegte „Onkel Herbert“ die Auftritte des Parlamentarischen Staatssekretärs und späteren Ministers im Wissenschaftsministerium, Klaus von Dohnanyi, mit den Worten zu kommentieren: „Es wurde mal wieder dohnaniert.“

Ende Dezember 1971 erschien im Spiegel ein längerer Artikel über den „weltläufigen Edelmann“, in dem die Wehnersche Analyse anhand konkreter Beispiele bestätigt wurde. Um den Beruf des Landlehrers attraktiv zu machen, hatte KvD u.a. vorgeschlagen, die Erzieher mit staatseigenen Dienstwagen auszustatten. Nicht minder originell war seine Idee, Studenten als Maurer zum Bau von Studentenwohnheimen zu verpflichten. So sollte der Wohnungsmangel behoben und zugleich das Ansehen der Studenten aufpoliert werden.

Dennoch – oder gerade deswegen – schaffte es KvD in eines der höchsten Ämter der Republik, als Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg. Wofür zwei Gründe entscheidend waren: seine Maßanzüge und die Tatsache, dass die SPD nicht erst seit Kurzem unter einem Personalmangel leidet. 

Wie aus dem Handbuch für ein gesundes Leben

Nun ist KvD inzwischen 93 und in einer erstaunlich guten Verfassung. Ein Elder Statesman, wie aus dem Ayurveda-Handbuch für ein gesundes Leben. Man könnte sagen, der Krieg in der Ukraine tut ihm gut, er ist wieder da, diesmal als Experte für Geopolitik. Er gibt laufend Interviews zur Lage an der Ostfront, wie es zu dem Krieg um die Ukraine gekommen ist und wie die Krise gelöst werden könnte. Der „Dialog mit Russland darf nicht auf Dauer enden“, sagte er neulich im NDR.

Allerdings liege „der Schlüssel für den Frieden in den USA“, es sei „die Politik der USA gewesen, die Ukraine unbedingt in die NATO zu bringen“, die amerikanischen Präsidenten, zuletzt auch Biden, hätten alle Warnungen sachkundiger Experten ignoriert. „Das ist die westliche Seite dieser Geschichte.“ Man müsse verstehen, „dass es für Russland ein Problem ist, wenn die NATO mit amerikanischen Soldaten bis an seine Grenze hineinreicht“. Man dürfe nicht vergessen, dass seit „dem Einmarsch der Deutschen bis nach Moskau“ Sicherheitsinteressen für Russland eine „riesige Rolle gespielt haben“. Ohne „eine Berücksichtigung dieser Interessen wird man keinen Frieden in Europa finden“.

Ja, das hätten auch Sergej Lawrow und Oskar Lafontaine nicht schöner sagen können.

Dennoch wäre es falsch, KvD als einen Appeaser zu bezeichnen, der ein Krokodil in der Hoffnung füttert, es werde ihn als Letzten fressen. KvD ist ein Deutschnationaler im Mantel eines besorgten Pazifisten. Auf die Frage, ob der ukrainische Botschafter in Berlin mit seiner Kritik an Olaf Scholz vielleicht recht haben könnte, antwortet KvD, unterlegt mit einem heiteren Glucksen: „Herr Melnyk hat nie recht. Herr Melnyk ist einfach eine unverschämte Person.“ Ein französischer Kollege, mit dem er gesprochen habe, meinte: „Wenn er so etwas bei uns so etwas sagen würde, hätten wir ihn längst einbestellt und ihm gesagt, er soll sich entschuldigen, und wenn er nicht aufhört, muss er gehen. Diese Art, in der ukrainische Politiker, aber zum Teil auch polnische, mit deutschen Interessen umgehen, ist eine Unverschämtheit, und ich finde, Deutschland sollte sich dagegen auch klarer wehren.“

Man hört aus dem O-Ton das Leiden des Edelmannes heraus, dass es ihm nicht erlaubt ist, dem ukrainischen Lümmel Manieren beizubringen. Offenbar ist die erzieherische Wirkung der militärischen Sonderoperation der Wehrmacht („Unternehmen Barbarossa“) inzwischen evaporiert. Jetzt zeigen uns diese Barbaren den Mittelfinger und wir lassen sie gewähren.

Wie die Juden beim Holocaust beinahe mitgemacht hätten 

Ähnliche Positionen vertrat KvD auch als Gast bei Maischberger, wo er seinen inneren Schweinehund dermaßen ungeniert von der Leine ließ, dass es der Moderatorin zeitweise schwerfiel, die Fassung zu behalten. 

Wer meint, man könnte solche Ausraster mit dem Alter des Probanden erklären, der irrt sich. Einer der wenigen, die von der Eleganz und der Eloquenz des Hamburger Sozialdemokraten nicht geblendet wurden, war Wiglaf Droste, der 1998 in der taz einen Artikel über Martin Walser und das ungeheure „Erlösungsbedürfnis der Deutschen“ veröffentlichte. Der damalige Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Ignatz Bubis, hatte Martin Walser „geistige Brandstiftung“ vorgeworfen, nachdem dieser in seiner Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels vor Übertreibungen bei der Bewältigung der NS-Geschichte und einem „Missbrauch“ des Holocaust gewarnt hatte.

Zu denjenigen, die sich schützend vor und hinter Martin Walser stellten, gehörte auch Dohnanyi, der „die jüdischen Bürger in Deutschland“ aufforderte, sich zu fragen, „ob sie sich so sehr viel tapferer als die meisten anderen Deutschen verhalten hätten, wenn nach 1933 ,nur‘ die Behinderten, die Homosexuellen oder die Roma in die Vernichtungslager geschleppt worden wären. Ein jeder sollte versuchen, diese Fragen für sich selbst ehrlich zu beantworten“, eine irre Überlegung, die Droste in einem Satz enttarne: „Wie die Juden beim Holocaust beinahe mitgemacht hätten…“

Damit nicht genug, richtete KvD an Ignatz Bubis eine persönliche Bitte: „Ich finde, als Vorsitzender des Zentralrates der deutschen Juden könnten Sie mit Ihren nicht-jüdischen Landsleuten etwas behutsamer umgehen; wir sind nämlich alle verletzbar.“ 

Auch wenn das alles lange her ist, es ist nicht vorbei.

So wie „es“ in KvD vor 25 Jahren dachte, so denkt „es“ immer noch in ihm. Die eigentlichen Opfer der Geschichte sind die Deutschen. Sie wurden von Hitler verführt und von den Alliierten gegen ihren Willen befreit. Erst wenn die Juden, die Polen und die Ukrainer diese Traumata anerkannt haben, wird es Frieden in Europa geben.

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Alfons Hagenau / 29.05.2022

KvDs Argumentation mal auf 1938/39 übertragen (Zitatänderung in Kapitalen): “Man müsse verstehen, „dass es für DEUTSCHLAND ein Problem ist, wenn ENGLAND UND FRANKREICH mit IHREN Soldaten bis an seine Grenze hineinreicht“. Man dürfe nicht vergessen, dass seit „dem Einmarsch der FRANZOSEN bis nach BERLIN“ Sicherheitsinteressen für DEUTSCHLAND eine „riesige Rolle gespielt haben“. Ohne „eine Berücksichtigung dieser Interessen wird man keinen Frieden in Europa finden“.—- Mußte Nazi-Deutschand etwa deswegen Polen, Tschechien, Benelux und Frankreich überfallen? Hätte man es gewähren lassen sollen? Oder entsprangen diese Feldzüge nicht doch eher den Wahnvorstellungen irrer Ideologen?—- Dieses verfehlte Argument mit den “Sicherheitsinteressen”, womöglich auch noch “berechtigten”, war schon immer ein recht billiges, wenn es darum ging, Kriege vom Zaun zu brechen, und offenbart ein Denken, das in das spätfeudale 19. Jahrhundert gehört und eigentlich schon damals deplaziert war, zum Schaden der europäischen Zivilbevölkerung. Zumal auch niemand ernsthaft den NATO-Beitritt der Ukraine für eine realistische Option hielt - und hält.

Alexander Peter / 29.05.2022

Na,na, das geht doch ein wenig unter die Gürtellinie. Herbert Wehner ist ja nun auch nicht über jeden Zweifel erhaben. Melnyk ist und bleibt ein unverschämter Patron. Ob seine Art der „Kommunikation“ hierzulande Sympathie mit der Ukraine weckt, darf bezweifelt werden. Ansonsten herrscht in der deutschen Öffentlichkeit ersichtlich kein Mangel an Militärexperten wie Toni Hofreiter, die sofort mit „schweren Waffen“ vom sicheren Fernsehsessel aus andere in den Kampf ziehen lassen wollen.

Johannes Schuster / 29.05.2022

Ein deutscher Schäferhund, der verlangt als Schaf behandelt zu werden. Aber eigentlich lassen sich all diese Phänomene auf einen Nenner reduzieren: Wie kann der Deutsche sich seine Dummheit des Gehorsam erträglich selbst erzählen ? Im narrativen Anteil des anderen an der eigenen Dummheit, die Voraussetzung ist überhaupt in diesem Land mehr zu werden. Diese Soziologie wird es den Juden nie verzeihen in der Vernichtung die moralische Hoheit errungen zu haben: Einen anderen töten , gänzlich töten wollen und jeden Stellenwert dabei verlieren, das ist doch des Pudels Kern in all diesen Zoten aus Entrüstung und Getue. Der Teufel hat sich an seinem eigenen Feuer verbrannt, so ein Pech aber auch. Und nun jault der Geist des Teufels und verlangt Umsicht und Brandsalbe. Wer auf die Gedenkheuchler reinfällt, bitte. Kaum gebadet suhlt sich das deutsche Wesen und erfindet neue Segregationsobjekte und sucht nach Maßnahmen für die Volksgesundheit um diesen Onaniedruck abzufahren, der halt nun einmal da ist, wenn man nur Pissen und Apportieren gelernt hat - Wau ! Wer einmal das Sabbern in einem deutschen Unternehmen in den Abteilungen gesehen hat, der wird wissen über was für eine Kötermanier ich hier philosophiere. Und alles, was das Wau nicht kann, macht das Wauer nicht schlauer, sondern zu einem Auswurf an Galle. Entschuldigung an alle Hunde für den Vergleich mit der Unart toter Sachlichkeit.

Christian Feider / 29.05.2022

lange habe ich mir auf die “Zunge” bzw auf die Tippfinger des Zweifingerstystems geklopft,aber langsam ist es dann auch gut mit HmB’s emotionalen Ausfällen. Liegt es eventuell an einer “gefühlten” nationalen Zugehörigkeit zu Wolhenien, die Ihn so in Rage bringt? Beim Jemen ist er doch durchaus nüchtern betrachtend-zurückhaltend,oder ist es die Idee die “Schtedels” wieder aufleben zu lassen im demnaechst polnisch-dominierten W(R)estukraine-Raum? Gab ja schon früher Gedanken, den “jiddischen” Charakter rund um Lemberg wieder aufleben zu lassen. So oder so, dieser Krieg ist !NICHT! Deutschlands Krieg,er geht uns als formal neutralen Staat nur insofern an, den Kriegsflüchtlingen zu helfen und eventuell auf eine Lösung des Konflikts zu erhoffen. Und solange da die NATO-Mitgliedschaft nicht vom Tisch ist(wie zb die frühere Zugehörigkeitsoption Cuba’s zum Wahrschauer Pakt),solange wird es von den benachbarten “Grossmaechten”(beiden) immer eine unangenehme Reaktion geben

Marcel Seiler / 29.05.2022

Herrn von Dohnanyi ist jedenfalls in einem zuzustimmen: Die Selbsterniedrigung der Deutschen, die ja religiöse Züge trägt und sich teilweise zu einem umgekehrten Größenwahn entwickelt hat, kritisiert er zu recht. Außerdem: Herr Broder unterstellt Herrn von Dohnanyi Antisemitismus. Vielleicht ist das richtig, aber vielleicht auch nicht. Wer sich das jüdisch-deutsche Verhältnis anders wünscht als es ist, muss absolut kein Antisemit sein.

Georg Dobler / 29.05.2022

Gott sei Dank gibt es Medien wie die Achse, wo verschiedene Ansichten stehen dürfen und wo man den Machern und Autoren auch widersprechen darf, was ich hiermit tue. Ich finde von Dohnanyi’ s Sichtweise durchaus betrachtenswert. Die USA waren auch nicht begeistert als 90 Meilen vor Florida Atomraketen herumlagen. In den berühmten “13 Tagen” stand die Welt deswegen am Rande des Atomkrieges. Schon 2007 hat Putin in der berüchtigten “Brandrede” (Wikipedia) zum Ausdruck gebracht wohin die Reise geht. Hat das jemand für voll genommenund mal ernsthaft sich damit beschäftigt? Ich weiß es nicht, aber fragen darf man ja. Und über den “dohnanierenden” “Onkel Herbert” kann ich schon gar nicht lachen, denn die Gerüchte (oder ist es gar bestätigt?) sagen dass er im Moskauer Exil viel “geredet” habe und bei den Genossen dann morgens um 5 an die Tür geklopft worden sei. Die Genossen sollen das selten überlebt habe. OK, für einen schönen Sonntag ist das jetzt nicht geeignet, aber Herr Broder hätte einfach den Onkel Herbert weglassen sollen, da ist mir dann jeder Dohnanierer lieber, was ist das eigentlich, dohnanieren?

A. Ostrovsky / 29.05.2022

Ich würde für diese Schmähschrift den Henry Nannen Preis vergeben. Objektiv, informativ und nicht ideologisiert, so geht der Neue Broder. OK, der Verlust der Patrioten in Asovstal kann einem schon an die Nieren gehen. Aber ich habe die Bilder gesehen. WAS genau macht diese Leute so wertvoll??? Ich verstehe es nicht. Ist das, weil ich heute wieder ZU DEUTSCH bin? Was läuft da im Hintergrund, das man mir nicht klar erklären kann?

Karl Mistelberger / 29.05.2022

Klaus von Dohnanyi kann das Dohnanieren nicht sein lassen.

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