Hotel Stalingrad – Israels Rettung 1948 (13)

Im Sommer 1948 wird Mexiko von den USA, der UNO und von im Land lebenden Arabern unter Druck gesetzt, Israel keine Waffen zu liefern. Hank Greenspun hat den rettenden Einfall.

„Ich weiß nicht mehr, wessen Idee es war zu versuchen, offizielle Dokumente von der chinesischen Botschaft in Mexico City zu bekommen. Wahrscheinlich war es Hank Greenspun, denn er steckte immer voller innovativer Ideen, und diese Idee hatte alle Merkmale einer typischen Greenspun-Idee.“
Eliyahu Sacharov

Eliyahu Sacharov war von Teddy Kollek nach Mexiko geschickt worden, um Hank Greenspun bei der Waffenbeschaffung und -verschiffung zu unterstützen. Der 1914 geborene Sacharov hatte sich als Teenager der Haganah im Mandatsgebiet Palästina angeschlossen. Schon im Alter von achtzehn Jahren wurde er Assistent des Haganah-Koordinators Shaul Avigur (der damals noch Meyeroff hieß). In seiner Autobiografie Out of the Limelight(Abseits des Rampenlichts) schreibt Sacharov:

„So hatte ich das Privileg, eng mit [den beiden Haganah-Mitgründern; Anm. Mena-Watch] Eliyahu Golomb und Dov Hoz zusammenzuarbeiten und häufig in ihren Häusern zu Gast zu sein. Meine Nähe zu Eliyahu Golomb (Golomb wurde ,Großer Eliyahu‘ genannt, während ich ,Kleiner Eliyahu‘ war) und meine Zusammenarbeit mit Shaul Avigur brachten mich zur Aliya Bet. Meine Hauptaufgabe bestand darin, Waffenlieferungen aus dem Ausland entgegenzunehmen, die Waffen in zentralen unterirdischen Lagerhäusern unter der Kontrolle von Jacob Feinberg zu lagern und sie an die Siedlungen zu verteilen.“

Ab Ende der 1930er Jahre war Sacharov mitverantwortlich für das geheime Waffenbauprogramm der Haganah. 1940 wurde er zum ersten Mal von den Briten verhaftet und saß einige Monate im Gefängnis. Nach der zweiten Festnahme im Jahr 1943 war er bis 1946 inhaftiert.

In seiner Autobiografie beschreibt Sacharov ausführlich die Probleme, die er 1948 bei der Einreise nach Mexiko hatte. Obwohl ein Freund ihn in San Francisco dem mexikanischen Konsul vorgestellt und Sacharov sich blendend mit diesem verstanden hatte („Was ich sah, war ein Mann, der vor Herzlichkeit, Geselligkeit, einem enormen Wissen über die russischen Klassiker und einer großen Liebe zu Israel strotzte“), war es dem Konsul unmöglich, Sacharov ein Visum auszustellen, weil das Außenministerium sich querstellte:

„Der mexikanische Außenminister stand dem Staat Israel feindlich gegenüber und war nicht an unseren Verhandlungen über den Kauf von Waffen beteiligt. Keiner der Überredungsversuche meines Gastgebers brachte etwas ein.“

Sacharov teilte dies Kollek mit und schlug vor, trotzdem nach Mexico City zu fliegen. Elias Suraski, der Bankier, und ein früherer Präsident des mexikanischen Verbands der Zionistischen Organisation namens Arieh Dulzin sollten ihn am Flughafen treffen und zusehen, ob sie etwas unternehmen könnten. „Kollek billigte die Idee, denn es gab wirklich keine andere Wahl“, schreibt Sacharov. Tatsächlich gelang es Suraski dank Kontakten ins Innenministerium, ein Visum für Sacharov zu erwirken.

Bei Diktator Trujillo

Unterdessen war Hank Greenspun, wie mit Teddy Kollek am Telefon besprochen, nach Santo Domingo in die Dominikanische Republik gereist, um dort Verhandlungen über Waffenankäufe zu führen. Nachdem er sich im Hotel Jaragua einquartiert hatte, traf er einen „speziellen Vertreter“ von Diktator Rafael Trujillo. Gemeinsam gingen sie durch Arsenale, feilschten um Preise und kamen zu einem Geschäftsabschluss. Auf dem Weg zurück zum Hotel holte ihn ein uniformierter, bewaffneter Beamter – außer Atem von einem Spurt – ein und sagte ihm, dass Trujillo ihn persönlich sprechen wolle. Greenspun war aufgeregt. Trujillo war jemand, der Oppositionelle einsperrte und ermorden ließ. Was hatte er ihm mitzuteilen?

In Trujillos Amtszimmer erklärte dessen Dolmetscher, dass die Dominikanische Republik keine Waffen verkaufen könne. Zwei US-Agenten seien im Land und stellten Ermittlungen an. Sie hatten Greenspun seit seiner Ankunft am Flughafen beschattet, ohne zu wissen, dass sie ihrerseits von Trujillos Geheimpolizei beschattet wurden. Den dominikanischen Agenten war es gelungen, Schnappschüsse von ihren amerikanischen Kollegen zu machen. Trujillo zeigte die Fotos. Greenspun schreibt: „Die Männer auf den Fotos waren kantige Typen mit kurz geschnittenem Haar in Anzügen von Brooks Brothers. Ich hatte beide noch nie gesehen.“

„Wir wollen keinen Ärger mit den Vereinigten Staaten“, übersetzte Trujillos Dolmetscher. „Unter den gegebenen Umständen wäre es klüger, zu warten, bis das politische Klima gemäßigter ist.“ Die Verträge wurden annulliert. Greenspun kehrte zum Hotel Jaragua zurück, rief in New York an und teilte Teddy Kollek mit, dass „das dominikanische Geschäft vorläufig ausverkauft“ sei. Dann reiste er weiter nach Guatemala:

„In Guatemala ließ die ,Ware‘ viel zu wünschen übrig. Ich verbrachte ein paar Tage damit, die besten der unhandlichen 1917er Enfield-Gewehre und 7-mm-Mauser zusammen mit Munition auszuwählen. Nachdem ich den Transport veranlasst hatte, kehrte ich nach Mexico City zurück und hielt nach Agenten aller möglichen Nationalitäten Ausschau.“

„Nationalistisch-chinesische Einkaufskommission“

Zurück in Mexico City traf er Willie Sosnow und Tito Rivera. Sie hatten schlechte Nachrichten. In Mexiko City und anderswo waren Demonstrationen von Sympathisanten der Araber ausgebrochen. Die mexikanische Regierung wurde unter Druck gesetzt, um das Auslaufen der Kefalos zu verhindern, und man würde sich bald bemühen, die Bestellungen für alle in den Nahen Osten gehenden Waffen zu stornieren.

„In der Bucht von Tampico wurde die Kefalos selbst mit Protestposten belegt, und ihr Kapitän kochte vor Unzufriedenheit. Sacharov hatte bereits eine Reise nach Tampico unternommen, um ihn zu beruhigen. Das Letzte, was wir brauchten, war Ärger an Bord der Kefalos. Das Schiff war bereits zu zwei Dritteln beladen; wenn die restlichen Ladungen in Tampico eintrafen, würde es segelfertig sein.“ – „Was zum Teufel ist hier los?“, fragte Greenspun Rivera. Man könne es mit einem Wort erklären, antwortete Rivera: „Miguel Abed.“

Greenspun rief seinen mexikanischen Partner, den Mechaniker Alejandro Paredes, an und arrangierte ein Treffen in einer Bar. Bei Bier und Erdnüssen fragte er: „Wird deine Regierung die Verträge auflösen?“ – „Das wollen wir nicht. Aber der Druck von deiner Regierung, von Großbritannien und den Vereinten Nationen, wächst Tag für Tag.“ – „Alex, was können wir machen?“ – „Offiziell richtet sich das Embargo gleichermaßen gegen Juden und Araber in Palästina.“ – „Zur Hölle, du weißt, was für eine stinkende Farce das ist!“ – „Warte, hör mir zu. Ein neutrales Land könnte die Waffen ohne Probleme kaufen und verschiffen. Fällt dir irgendeine Möglichkeit ein?“

Ein neutrales Land, dachte Greenspun. „Hatte deine Regierung in letzter Zeit irgendwelche Probleme mit Chiang Kai-shek?“ – „Nicht, dass ich wüsste.“ – „Sehr gut. Sag ihnen, dass ich die Waffen für das nationalistische China kaufe.“ – „Das werden sie niemals glauben.“ – „Das erwarte ich nicht von ihnen. Aber es gibt ihnen eine Story, die sie Abed, der UNO und dem Rest erzählen können. Vielleicht können sie das so lange aufrechterhalten, bis wir das Schiff aus Tampico heraushaben.“ – „Comprendo. Wie soll ich deinen offiziellen Status beschreiben?“ – „Sag’ ihnen, dass ich die nationalistisch-chinesische Einkaufskommission leite. Wenn du denkst, dass es hilft, sage, dass ich einen Rang in Chiangs Armee habe.“ – „Was ist dein Rang?“ Greenspun dachte nach. Er war Major der Reserve, aber das war nicht beeindruckend genug. Darum sagte er: „Nenn mich Oberst Greenspun.“

Im mexikanischen Präsidentenpalast

Eliyahu Sacharov war entsetzt, als ihn Greenspun auf den neuesten Stand brachte. „Oberst Greenspun! Die nationalistisch-chinesische Einkaufskommission! Du wirst nie damit durchkommen. Es ist durchsichtig, lächerlich und vollkommen idiotisch! Wer wird das ernst nehmen?“ – „Niemand. Aber es wird uns vielleicht ein bisschen Zeit bringen. Wir müssen der mexikanischen Regierung die Chance geben, vor den Jungs, die den Druck machen, ihr Gesicht zu wahren. Kapierst du?“ Sacharov schüttelte weiter ungläubig und ärgerlich den Kopf. „Hör auf, dir Sorgen zu machen“, versuchte ihn Greenspun zu beruhigen, „ich werde das Problem auf meine eigene Art angehen“. – „Das ist es, was mir Sorgen bereitet!“

Das Telefon klingelte. Paredes rief an und sagte, er und Suraski hätten ein „Dringlichkeitstreffen“ mit dem mexikanischen Präsidenten Miguel Aleman vereinbart. Es ging um Greenspuns neuen Status als Geheimagent von Chiang. Vor dem Präsidentenpalast warteten Reporter. „No comprendo!“, sagte Greenspun zu allen, die um einen Kommentar baten. Greenspun und Paredes wurden ins Amtszimmer von Präsident Miguel Aleman geführt. Dort warteten sie.

„El Presidente war nirgends zu sehen. Wir setzten uns hin und warteten. Nach den ersten paar Minuten war ich ins Schwitzen gekommen und grübelte über das Ausmaß des verrückten Betrugs nach, den ich einem regierenden Staatschef beibringen sollte. Dann ging ich in Gedanken all die Gesetze durch, die ich vor, während und seit der Reise der Idalia gebrochen hatte. Als Jurist konnte ich nicht anders, als zu erschaudern. Wo sollte die ganze Sache enden – in einem US-Bundesgefängnis oder in einem mexikanischen Knast?“

Paredes warf ihm ein beruhigendes Lächeln zu. Eine Tür öffnete sich. Es war nicht der Präsident. „Stattdessen wurden wir, wie Paredes flüsterte, von General Cuenca, dem stellvertretenden Chef der mexikanischen Armee, begrüßt. Der General gab mir einen höflichen Händedruck, begrüßte Paredes herzlich und sprach mit ihm mehrere Minuten lang auf Spanisch.“ – „Bitte, sag’ General Cuenca, warum du hier bist“, wandte sich Paredes an Greenspun. So gut er konnte, hielt Greenspun nun auf Spanisch eine Rede über das nationalistische China, seinen „Führer“, Generalissimo Chiang Kai-shek und die dringenden Bedürfnisse seiner Armee.

„Es ist zweifelhaft, ob der General alles verstand, aber er schien sehr ernsthaft zuzuhören. Als ich schloss, herrschte eine bedrohliche Stille. Sie war ohrenbetäubend. Dann ergriff General Cuenca das Wort, Paredes übersetzte: ,Bis auf Weiteres wird die mexikanische Regierung Ihre Erklärung akzeptieren, dass Sie eine offizielle chinesische Einkaufskommission vertreten.‘“ – „Sag ihm, …“, Greenspun musste Luft holen. „Sag ihm, dass ich zutiefst dankbar bin.“

Paredes übersetzte, sprach aber viel länger, als es nötig schien. General Cuenca warf einige freundlich klingende Bemerkungen ein. Dann lächelte er und reichte Greenspun die Hand mit den Worten: „Buena suerte, Coronel Greenspun!“ Sobald der General das Zimmer verlassen hatte, fragte Greenspun seinen Begleiter: „Was war all dieses Extragerede?“ – „Ich habe darum gebeten, dass er Soldaten zur Bewachung der Kefalos bereitstellt, falls es Versuche der Sabotage geben sollte; dazu Züge, die die verbleibenden Lieferungen nach Tampico bringen.“ – „Du bist ein Genie“, sagte Greenspun. „Ein echtes Managergenie.“ Paredes zuckte mit den Schultern: „Ich bin nur ein Geschäftsmann.“

Teil 1 finden Sie hier.

Teil 2 finden Sie hier.

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Teil 9 finden Sie hier.

Teil 10 finden Sie hier.

Teil 11 finden Sie hier.

Teil 12 finden Sie hier.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.

 

Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: „Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“ (2009); „Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos“ (2012).

Foto: Gemeinfrei via Wikimedia Commons CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

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Dirk Kern / 04.09.2023

Wunderbar, spannender als ein Krimi. Vielen Dank für diese interessante Serie über die Hintergründe der Staatsgründung.

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