Wenn man wissen möchte, welche Probleme die illegale Einwanderung über die Grenze zu Mexiko in Texas verursacht, muss man mit den Leuten vor Ort sprechen.
Wie fühlt sich die Grenzkrise für einen Sheriff an? „Ich wünschte, wir hätten…“ Dodson überlegt und beginnt den Satz erneut: „Das ist ihr Job. Es ist die Aufgabe der Regierung, diese Grenze zu sichern. Doch sie haben nicht genug Männer. Sie zahlen gut, doch der Job ist offenbar nicht so glamourös.“ Über die parteipolitische Haltung der Bevölkerung sagt er: „Die Leute hier wechseln nicht zu den Republikanern; sie sind immer noch Demokraten, sie sind nur sehr konservativ.“ „In Alpine wollen sie keine illegale Einwanderung“, sagt er im Hinblick auf eine der Städte in seinem Landkreis. Das gelte auch für die Hispanics. „Auch sie sagen: Wir wollen keine illegale Einwanderung.“
Wenn er einen illegalen Einwanderer beschäftige, würde er im Gefängnis landen, sagt Sheriff Dodson; weiter im Norden aber, in amerikanischen Metropolen wie Houston oder Chicago, würden überall illegale Einwanderer in den Küchen der Restaurants arbeiten oder auf den Parkplätzen von Baumärkten ihre Arbeitskraft anbieten. Die Einwanderungsbehörde habe nicht genug Leute für Kontrollen.
Doch dann erlebe er es immer wieder, dass illegale Einwanderer etwa von der Polizei auf der Landstraße angehalten werden, weil beispielsweise ein Rücklicht defekt sei. Dann würden diese Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis, obwohl sie fließend Englisch sprechen und vielleicht in den USA Familie haben, abgeschoben in ein Land, das längst nicht mehr ihr Zuhause sei. Eine tragische Situation, die den Sheriff traurig macht. Die einfache Lösung sei doch, wirft Santenello ein, einen einfacheren legalen Zugang zu ermöglichen, diesen aber durchzusetzen, „statt einer offenen Grenze mit Katz-und-Maus-Spiel“. So einfach sei das nicht, entgegnet Sheriff Dodson; auch müsste man immer noch verhindern, dass Mörder, Vergewaltiger und Drogenhändler ins Land kommen. Dazu komme das Problem unterschiedlicher Kulturen. „Das hat nichts mit Rasse zu tun, sondern mit Kultur. Deren Kultur ist es etwa, Mädchen in einem viel niedrigeren Alter zu verheiraten als in Ihrer Kultur hier.“ Wie jung?, fragt Santenello. Manche seien erst 15, so der Sheriff. Auch Kinderbräute also kommen illegal über die Grenze.
Das Asylverfahren
Über das Verfahren, das diejenigen erwartet, die illegal über die Grenze kommen, sagt er:
„Du wirst registriert. Und dann geben sie dir wahrscheinlich etwas, das wir ‚Vorladung‘ nennen: dass du vor einem Verwaltungsrichter erscheinen musst. Das kann überall sein, in Dallas, Chicago, irgendwo, wo sie an einem bestimmten Tag Platz haben. Und du kannst zu dem Termin erscheinen oder niemals erscheinen. Aber sie geben dir das und vertrauen dir, dass du vor dem Gericht erscheinst.“
Wie viele erscheinen? Die Prozentzahl sei unbekannt, sagt er.
Sie fahren an einem Checkpoint vorbei. „Dies ist Checkpoint 118“, sagt Sheriff Dodson. Der sei aber gerade nicht in Betrieb. Santenello möchte wissen, warum. „Sie haben nicht genug Leute, um ihn zu besetzen“, so der Sheriff. Wissen die Schlepper nicht, ob der Checkpoint offen ist oder geschlossen? Doch, das wissen sie. „Sie haben Scouts, die die Lage sondieren.“ Dem Auto mit der „Ware“ fährt ein Scout voran. „Sie kommen durch, wenn die Grenzpatrouille nicht da ist. Sie beobachten uns jetzt in diesem Augenblick.“ Die Geheimdienste der Kartelle seien „so gut wie die der besten Armee“, sagt er.
Bei der „Ware“ kann es sich um Drogen oder Menschen handeln, wobei das Geschäft mit dem Menschenschmuggel lukrativer ist. Tausende von Dollar muss jeder illegale Einwanderer an die Schlepper bezahlen. Ohne die Dienste der kriminellen Kartelle aber kommt niemand über die Grenze. Das liegt nicht daran, dass die US-Grenzschützer dies nicht zuließen – jeder illegale Einwanderer, der aufgegriffen wird, darf trotzdem einreisen und auf ein Asylverfahren warten, sofern er kein Mexikaner ist (die werden gleich wieder nach Mexiko zurückgeschickt). Es liegt daran, dass die Kartelle das mit drakonischen Strafen verhindern. Wenn die Kartelle jemanden an der Grenze erwischen, der sie nicht bezahlt hat, droht ihm der Tod. Ohne die Kartelle zu bezahlen, kommt also niemand über die Grenze. Die Kartelle verdienen auf diese Weise Milliarden.
Die Angst der Anwohner
In Yuma, Arizona, trifft Peter Santenello Sheriff Wilmot. Er zeigt ihm Plätze entlang der Grenze, wo sich die Illegalen ihrer Personalausweise und Reisepässe entledigen. Er habe schon Pässe aus über hundert Ländern aufgesammelt, sagt er, und zeigt durchsichtige Plastiktüten mit Dokumenten. Auch Münzen und Geldscheine aus den Herkunftsländern der Migranten sind auf dem Boden verstreut.
„Das sind Personen, die aus Ländern mit Gewalt geflohen sind. Sie sind dann in ein anderes Land gegangen, haben dort eine Aufenthaltserlaubnis erhalten – das sind viele dieser grünen Karten hier. Ihnen wurde erlaubt, in diesen Ländern zu bleiben, zu arbeiten und zu leben. Aber das war nicht ihre ursprüngliche Absicht. Ihr Plan ist es, durch jenes Land zu reisen, um in die Vereinigten Staaten zu gelangen.“
Auch mit Drohnen würden Drogen über die Grenze gebracht, berichtet er. Die Probleme, die die Grenzkrise mit sich bringe, veranschaulicht er anhand des örtlichen Krankenhauser. Mindestens 310.000 Menschen seien im vergangenen Jahr in den Landkreis illegal über die Grenze gekommen, viele von ihnen „Give-ups“. Einige von ihnen benötigten Dialyse oder hätten chronische Krankheiten, die nie behandelt worden seien. Die Intensivstation für Neugeborene sei für die Einheimischen quasi nicht mehr verfügbar.
„Das Krankenhaus musste Behandlungstermine absagen, weil es von der Einwandererkrise überwältigt wurde. Für die Kosten wird es von niemandem entschädigt, auch nicht von der Bundesregierung. Wenn Sie sich also wundern, warum Ihre Krankenhausrechnung so hoch ist: Das Krankenhaus muss diese Kosten auf Kunden wie Sie verteilen, um die Deckungslücke zu schließen.“
„Es gibt Leute, die keinerlei Grenzsicherheit wollen“
Sheriff Mark J. Dannels aus Cochise County an der Grenze glaubt, dass sich die Krise eindämmen ließe, wenn es den politischen Willen dazu gäbe. Er verweist darauf, dass jeder US-Amerikaner, der wegen einer Straftat verhaftet werde – sei es wegen Mord, häuslicher Gewalt oder Trunkenheit am Steuer – innerhalb von 24 oder 48 Stunden einem Haftrichter vorgeführt werden muss (geschieht dies nicht, muss man ihn wieder auf freien Fuß setzen). Ebenso, meint er, könne man mit denen verfahren, die Asyl beantragen. Neun von zehn hätten keine Aussicht auf Asyl, ihnen könnte die Einreise dann verweigert werden, statt sie bloß zu registrieren und dann einreisen zu lassen. „Es wäre besser organisiert, mit mehr Ordnung, und es würden keine Menschen sterben.“
Manche Anwohner der Grenzregion berichten, wie sie nach einer Reise zurück nach Hause kamen und die Kühl- und Gefrierschränke ausgeräumt fanden. Auch hatten Menschen in ihren Betten geschlafen.
Sheriff Dannels zeigt die Verschmutzung des Farmlands. Weggeworfene Tarnuniformen der Migranten, alle Arten von Müll: „Die Kühe fressen das und sterben“, sagt er. Auf Äckern würden Migranten oft ihre Notdurft verrichten. Das bedeute für den Farmer, dass alles, was dort wächst, abgemäht und vernichtet werden muss. „Ich blicke immer darauf, wie sich etwas auf das Leben der Menschen auswirkt“, sagt der Sheriff. „Es betrifft die Lebensqualität. Fragen Sie meine ländlichen Leute, die in diesem Landkreis leben. Jede Nacht laufen Menschen in Tarnuniformen über ihre Höfe, kommen zu ihren Weideflächen oder sie sterben auf ihrem Grundstück. Wo ist die Lebensqualität? Ich garantiere Ihnen, wenn es die Zahl derer, die durch unseren Landkreis kommen und die überall über die südwestliche Grenze in unsere Gemeinden kommen, wenn die alle durch Washington D.C. oder die New Yorker Innenstadt oder einige der anderen wohlhabenden Regionen kämen, würden sie es so (schnipst mit den Fingern; S.F.) stoppen. Das verspreche ich Ihnen.“
Manche in den USA wollten den Grenzzaun komplett abschaffen, sagt er. „Es gibt Leute, die keinerlei Grenzsicherheit wollen. Wenn es nach ihnen ginge, würden sie die Grenzpatrouille und das ICE (Einwanderungsbehörde; S.F.) komplett abschaffen. Diese Leute würden die Strafverfolgung abschaffen.“ Sie seien wahrscheinlich noch nie Opfer eines Verbrechens geworden, fügt er hinzu – anderenfalls würden sie nicht so denken. Erst auf diese Weise zum Umdenken gezwungen zu werden, sei jedoch schrecklich. Sein Job sei es, sie zu beschützen, damit auch sie niemals Opfer eines Verbrechens würden.
„Als Biden das Amt übernahm, ist es einfach explodiert“
Ein Rentner namens Randy, der in einer Siedlung an der Grenze wohnt, berichtet über die Migranten, die nachts zu Dutzenden durch die Siedlung laufen. „Es ist in diesem Viertel ziemlich weit verbreitet. Sie laufen durch dieses Viertel, weil die Grenze nur etwa eine Meile entfernt ist.“ Er zeigt einen Zaun, hinter dem ein Feld liegt. Abends sitze er gern vor seinem Haus und genieße die Natur. Dann plötzlich würden auf der anderen Seite des Zauns Menschen auftauchen, die hin- und herliefen, Spanisch sprächen – das er nicht verstehe – und versuchten, seine Aufmerksamkeit auf irgendetwas zu lenken. Jede Nacht kämen große Gruppen von Illegalen über den Zaun, liefen durch die Siedlung, um an der Straße in dort wartende Autos zu steigen. Er verstehe nicht, „dass wir das zulassen. Es ist solch eine humanitäre Krise, die unsere Regierung einfach nicht zur Kenntnis nimmt. Die Leute, die hier leben, verstehen das einfach nicht.“ Manche der Menschen, die illegal über die Grenze kämen, seien auf der Suche nach einem besseren Leben, sagt er.
„Aber die Menschen hier – und dies hier ist eine Rentnergemeinschaft für über 55-Jährige – sind wirklich in Sorge um ihre Sicherheit. Wir haben die Grenzpatrouille und die Polizei auf der Kurzwahltaste gespeichert. Sie sind in echter Sorge um ihre Unversehrtheit und Sicherheit und die Grundstückspreise. Nach dem, was ich weiß, besitzt das Kartell Grundstücke und Wohnungen auf dieser Seite der Grenze.“
Der Gedanke an die Schicksale der Menschen, die über die Grenze kämen, breche ihm das Herz, sagt er, vor allem, wenn er an die Kinder denke. Die Situation sei unhaltbar.
„Die Texaner, Gott segne sie, sind das einfach leid. Es ist ein riesiges Problem, das in Angriff genommen werden muss. Die Leute werden ein Machtwort sprechen.“
Früher sei die Zahl der illegalen Grenzübertritte „nur ein Bruchteil“ dessen gewesen, was es jetzt ist, sagt er. Das sei fast über Nacht gekommen. „Als Biden das Amt übernahm, ist es einfach explodiert.“
Dem-Metropolen wenig gastfreundlich
Auch die meisten US-Bürger mit Wurzeln in Lateinamerika haben kein Verständnis für die illegale Einwanderung. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts PEW betrachten 75 Prozent der Hispanics in den USA die Situation an der Grenze als eine „Krise“. Fast ebenso viele, nämlich 74 Prozent, glauben nicht, dass die derzeitige Regierung angemessen auf diese Krise reagiert.
Um auf die Katastrophe aufmerksam zu machen, bringen Texas’ Gouverneur Greg Abbot und Floridas Gouverneur Ron DeSantis immer wieder tausende von illegalen Einwanderern mit Bussen und Flugzeugen in von Demokraten regierte Metropolen, die sich selbst zu „Zufluchtsstädten“ (Sanctuary Cities) für Migranten erklärt haben – Städte wie Chicago, New York, Los Angeles oder Washington D.C. Für die illegalen Einwanderer ist dieser Shuttle-Service (der selbstredend freiwillig ist) praktisch, da sie ohnehin dorthin wollen, wo die Jobs sind und sie Verwandtschaft haben. Doch demokratische Bürgermeister sind empört, dass ihre „Zufluchtsstädte“ an den Problemen der offenen Grenze direkt beteiligt werden. „Wir sind doch keine Grenzstadt“, schimpfte Washingtons Bürgermeisterin Muriel Bowser.
Teil1 finden Sie hier.
Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: „Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“ (2009); „Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos“ (2012).