Nun ja, hier wird die unberechtigte Benutzung des Begriffs „Unschuldsvermutung“ kritisiert. Das mag berechtigt sein. Viel schlimmer ist jedoch, dass in der veröffentlichten Meinung fast durchweg eine Alleinschuld Putins behauptet wird. Sollte man nicht eher das kritisieren? Alleinschuld ist etwas anderes als Hauptschuld. Wenn einer sagt, der Krieg habe viele Väter, spricht er Putin doch nicht frei. Aber er ist als Wahrheitssucher für eine vereinfachende schwarz-weiß-Sicht eben nicht zu haben.
Dieser schlimme Krieg gegen die Ukraine, und nicht die militärische Spezialoperation, ist russisches Werk. Basta! Wie andere barbarische Eroberungskriege seitens Russlands in den vorigen Jahrzehnten. Vor lauter Lügen kann man schon mal den Überblick verlieren. Da Herr Koeppel ja auch sonst gern provoziert und unbedingt als individuelle Stimme wahrgenommen werden möchte, subsumiere ich seinen Beitrag mal als daneben. Die Gerichte sind gefordert, natürlich, und das eigentlich schon seit Jahrzehnten. Eine Unschuldsvermutung dahinter zu vermuten wäre an Obszönität nicht zu überbieten. Aber schön Herr Broder, dass sie es aufgegriffen haben. Werden wir je die Antwort erhalten auf die Obszönität dieser Welt und die darin lebenden kranken Geister?
“Angesichts der Nachrichten aus der Ukraine….........”. Mir scheint, da liegt das Problem. Wer nach diesen zwei vergangenen Jahren der täglichen “Nachrichten” noch von Nachrichten spricht, den verstehe ich, dass er den Köppen nicht versteht oder verstehen will.
Das Wort „Unschuldsvermutung“ war ein Fehlgriff. Aber die Schuld Russlands am Krieg gegen Ukraine steht nicht in Rede! Sondern selbstverständlich die Schuld an den Untaten in Butscha!
Grundsätzlich stimme ich hier Broder zu, da das von Russland begangene Unrecht gravierend ist. Dennoch sollte man sich vor Vereinfachungen hüten. Denn wenn B zuvor bereits mehrfach in das Haus von A eingebrochen hatte, um beim Beispiel zu bleiben, und jahrelang A drangsaliert hat, dann ist der Einbruch von A vielleicht die Folge genau dieser Vorgeschichte. Was den Einbruch von A aber nicht weniger verachtenswert und illegal macht. Auf die Ukraine bezogen: Seit 2014 keine Rentenzahlungen mehr in den Donbass, Verweigerung der Ausstellung/Verlängerung von Pässen an die dortigen Bewohner. Verbot russischer Radio-, und TV-Sendungen. Verbot russischer Zeitungen. Und seit 2014 immer wieder Beschuss mit Raketen aus der Ukraine mit hunderten ziviler Opfer. Das hat dort nicht gerade Sympathien für die Ukraine bewirkt. Russland hat darauf mit Lebensmittellieferungen und der Ausstellung russischer Pässe für die Bewohner des Donbass reagiert. Zu finden ist darüber in den westlichen Medien nichts. Und nun hat man sich diese Gebiete mit Gewalt einverleibt. Sicher völkerrechtlich illegal. Aber logisch nachvollziehbar.
Ein Beispiel mehr dafür, dass der Mensch mit dem Bauch denkt, und das Gehirn lediglich in Anspruch nimmt, Argumente zu liefern.——Wenn auch Putin die Ukraine überfallen hat, so ist er doch trotzdem nicht zwangsläufig dafür verantwortlich, das Massaker von Buča befohlen zu haben (vgl. die Einwände des ehem. Waffeninspekteurs und Analysten Scott Ritter); oder hätte Hitler, der Polen überfallen hat, das Massaker von Katyn befohlen?——Dem einen Verbrecher um jeden Preis auch die Verbrechen zur Last legen zu wollen, die ein anderer Verbrecher begangen hat, ist in meinen Augen um keinen Deut besser, als diesem die Weste reinwaschen zu wollen.——In einem alternativmedialen Umfeld, in dem mittlerweile mit Schimpansen und Chimären argumentiert, oder “Putinverstehern” gar unterstellt wird, Nachkommen der Willkommenskultur von Angehörigen der Roten Armee zu sein, hebt sich der Appell zur Besonnenheit eines Roger Koeppel besonders wohltuend ab.
Der IGH sollte der Reihe nach gehen und erstmal die zahlreichen Altfälle aufarbeiten, die sich seit Jahrzehnten angesammelt haben. Sonst könnten böse Zungen behaupten, der Internationale Gerichtshof und seine “Chefanklägerin” seien voreingenommen oder auf einem Auge blind. Und das wollen wir doch nicht! Bis dahin besteht genügend Zeit, die Kriegsverbrechen beider Seiten und die Vorgeschichte der russischen Agression auszuwerten. Denn jeder Krieg hat eine Vorgeschichte und diese beginnt hier 2014. Und noch was: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“ (Egon Bahr). Lassen Sie sich also den Zahn ziehen, Herr Broder.
Nicht für den Angriff auf die Ukraine, sondern den Vorwurf des Völkermords oder die Begehung von Kriegsverbrechen spricht er sich doch erst Mal für eine Unschuldsvermutung aus. Und das zurecht. Ist Ihre Forderung, Herr Broder, erst mal jedem zu glauben? Dann glauben wir doch bitte auch den Russen. Und jeder anderen Partei in jedem Konflikt der Welt, auf dessen Seite wir uns nicht geschlagen haben. Assad in Syrien, den Taliban in Afghanistan, den Palästinensern…
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