Cora Stephan / 06.01.2021 / 06:15 / Foto: Pixabay / 68 / Seite ausdrucken

Cora Stephan: Die Stimme der Provinz

Der Megacity gehört die Zukunft, höre ich sie eben noch sagen, die Kristallkugelforscher. Seit Jahren prophezeien sie der Provinz ein Schicksal wie in den „Tributen von Panem“: Die Elite dekadenzt in der Stadt, während das Land, wo die Deplorables hausen, gerade noch ein paar Gemüse- und Tierfabriken beherbergt, vor allem aber als Windpark und Müllkippe fungiert. 

Soll uns recht sein, uns Provinzlern, die wir die Panikpandemie von 2020 am Waldesrand entspannt ausgehalten haben. Bleibt ruhig in euren Quartieren und in euren Gehäusen, ihr Megacitybürger, bei Lockdown und Ausgangssperre. Wir haben das bessere Teil erwählt. 
So war das übrigens immer schon. Wenn Pest und Cholera die Stadtbevölkerung in ihren engen Vierteln dezimierte, zogen sich alle, die es konnten, in ihre Villen in der Toscana zurück und warteten gemütlich ab, bis sich die Seuche erledigt hatte. Gewiss, Villen sind aus der Mode gekommen, Landhäuser mit 60 Zimmern sind schlecht zu heizen, im Übrigen fehlt das Dienstpersonal. Doch auch in bescheidenen Fachwerkhäusern kann man sich feudal fühlen – Michel de Montaigne hatte eine anständige Bibliothek in seinem Schlossturm, wir haben Internet. 

Doch mit unserer Ruhe könnte es bald vorbei sein. Seit Corona, oder, wie uns der öffentlich-rechtliche Rundfunk vorbetet, in „Coronazeiten“, weht der städtische Mief in unsere Richtung. Mein Bürgermeister erzählte mir kürzlich nicht ohne einen gewissen Stolz, dass bei uns im Vogelsberg mittlerweile noch die kleinste Bauernkate verkauft oder vermietet sei. Ich kann das verstehen, ich komme ja auch aus der Stadt, aus der „Mainmetropole“, dessen sich Frankfurt am Main einst rühmte. Aber will ich mehr von so Leuten wie mir hier haben? Warnung! Hier gibt es keine ländliche Idylle, bei uns stinkt es nach Gülle, die Hähne schreien schon morgens früh und wir benutzen Glyphosat für das Unkraut in der Straßenrinne. In den folgenden Wochen deshalb für alle, die sich mit dem Gedanken tragen, in die Provinz auszuwandern, eine kleine Gebrauchsanweisung. Ich weiß schließlich, welche Fehler ich einst gemacht habe.

Und doch – mit einer Träne im Auge zuerst ein kleiner Nachruf auf die Stadt, die ich einst geliebt habe, es muss ja nicht Frankfurt sein. Alle Städte leiden besonders unter Corona, nicht nur, weil die Menschendichte dort größer und die Ansteckungsgefahr höher ist als in meinem Dorf, wo es mehr Hühner als Menschen gibt. Doch sie leiden womöglich weit mehr noch unter dem untauglichen Versuch, ein Virus an seiner Verbreitung zu hindern. Wo ist sie hin, die Anziehungskraft der Stadt, wenn die Innenstädte veröden, weil alles, was sie ausgemacht hat, verschwunden ist? Wer geht noch „shoppen“, wenn er hinterher nicht mehr einkehren kann, wer hat Lust, abends durch eine menschenleere Stadt zu lustwandeln, wo sich nur noch die üblichen jungen Männer aufhalten, die sich um behördliche „Maßnahmen“ nicht scheren? 

Und wer sehnt sich noch nach den vollverglasten Angestelltensilos, wenn er seine Büro-Arbeit auch zu Hause erledigen kann? Im Frühsommer haben angeblich bereits eine Million Pariser der Stadt den Rücken gekehrt. Aus den USA hört man, dass zwei von fünf Stadtbewohnern ihre Metropole verlassen wollen. Und mehr als die Hälfte der Londoner Angestellten könnten ihren Job auch im Homeoffice erledigen, heißt es in einer aktuellen Studie. Wenn das auch nur 20 Prozent aller Bürobeschäftigten täten, schätzt die OECD, würden 128 Millionen Menschen kein Vollzeitbüro mehr benötigen. Und was, wenn Angestellte aus Angst vor dem Virus nicht mehr in Aufzüge steigen wollen? Entleerte Hochhaustürme, die für nichts mehr zu gebrauchen sind: Wir kennen die Bilder aus dem Kino. 
Was wäre eine Stadt wie Frankfurt am Main ohne die Angestelltenströme, die täglich in ihre Silos strömen? Es wäre das Ende der Gastronomie, die von Geschäftsessen lebt. Und das Ende des öffentlichen Nahverkehrs, der sich nicht mehr rentieren würde.

Manch ein Zukunftsprophet sieht in seiner Glaskugel den Niedergang der Städte voraus, wie wir es vor 30, 40 Jahren bereits einmal erlebt haben – als von bürgerlicher Öffentlichkeit entkernter Leerraum, in denen nur noch die drei A anzutreffen sind – Alte, Arme und Ausländer.

Und deshalb: Blickt zurück in Wehmut, bevor ihr euch auf die Landflucht macht, ihr Stadtmüden. Doch seid gewarnt: Bei uns geht es anders zu. Vor allem anders, als ihr denkt.

Cora Stephan wird mit Ihrer Land-Kolumne in Zukunft jede Woche unser Stimme aus der Provinz sein. Freuen Sie sich darauf! Jüngste Buchveröffentlichung von Cora Stephan: Margos Töchter, Roman, Köln 2020. 

Foto: Pixabay

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Volker Wache / 06.01.2021

In den 60/70er Jahren definierte man nach einer volkskundlichen Untersuchung die Grenze zwischen Stadt und Land anhand des Auftretens der Kittelschürze bei weiblichen Probanden. In den 70/80ern trieb es die Städter aufs Land, doch sie erwachten im (barbarischen) Dorf. Dann wollten sie „Frankfurt haben, aber nicht Frankfurt sein“, wie ein Frankfurter Kulturanthropologe damals analysierte. Doch der Eroberungsfeldzug kam auf den tiefen, festgefahrenen Wegen der dörflichen eindimensionalen Lebenswelt zum Erliegen. In Corona-Zeiten macht Stadtluft wohl unfrei. Und so überrennen nun die anywheres die somewheres. Dennoch gilt: Solange sich die Städter nicht der dörflichen Lebenswirklichkeit anpassen oder zumindest an ihr partizipieren, bleibt man als Städter unter sich, frei nach Karl Valentin, „Fremd ist der Fremde nur unter Fremden.“  

Klaus-Dieter Zeidler / 06.01.2021

Windräder und Gülle sind natürlich ärgerlich. Auf dem Land gibt es allerdings noch eine gewaltige Menge von fleißigen, bodenständigen Deutschen. Vorsicht, ihr Weltverbesserer, Spinnerinnen und Spinner! Die mögen euch Fremdkörper nicht. Da fängt man sich schnell mal ‘ne Schelle.

Frances Johnson / 06.01.2021

Schöne Städte werden nicht sterben. Ich hatte nie Sehnsucht danach, in NYC, London oder Paris zu leben, denn Belgravia, Kensington, Chelsey, Manhattan oder das erste bis achte Arrondissement hätte ich mir nicht leisten können. Die Wirtin eines von mir bevorzugten B&B in Kensington war neben den Cambridges so ungefähr die letze Britin dort, der Rest gehörte Russen und wohlhabenden Arabern. Florenz und vielleicht Rom, Madrid oder Nizza wären evtl. möglich gewesen. In Deutschland fallen einem Heidelberg, Tübingen und Münschen ein, auch Hamburg und Dresden. Es sind schöne Städte. Durch ihre Ästhetik werden sie sich problemlos erholen. Der Punkt ist nur, dass viele Menschen sie sich nicht leisten können. Und bevor man dann in ein hässliches Randviertel zieht, geht man doch lieber auf ein Dorf. Und das Dorf mit Kuhscheiße auf der Straße und dem Geruch nach Gülle ist immer noch besser als das Randviertel. Darum geht es weniger, sondern darum, dass sich der Tourismus bald erholt, der viel Geld in die Städte schwemmt, auch nach Berlin, das ich wenig mag. Kein Tourist schaut sich ein normales Dorf an. Der Tourismus, eine Rieseneinnahmequelle für alle, muss sich erholen, und dann fluppt es wieder. Die Studenten werden wieder in die Universitäten strömen, das Leben wird zurückkehren. Grüße von einer notorischen Optimistin, die der Regierung ihre Übertreibungen niemals vergessen wird. Einer alternden Optimistin, die das Risiko mit Covid immer bereit war, zu tragen, und entsetzt über die Politik ist, die alles, was jung und lebendig ist, lahmlegt, daneben auch die meisten Steuerzahler.

Bernd Ackermann / 06.01.2021

Stimmt schon, dass man Lockdown und Ausgangssperre auf dem Land einfacher wegsteckt als in der Stadt - was nie da war vermisst man auch nicht. Man sollte aber auch nicht die Nachteile vergessen, wie etwa 30km Entfernung zum nächsten Facharzt und ein halbes Jahr auf einen Termin warten, oder generell lange Wege und dank CO2-Steuer höhere Kosten dafür, niedrigere Löhne und weniger Jobs. Und auch hier bleibt man vom Irrsinn nicht verschont, Windräder, Migrantenstadl, Antifa, FFF, gibt es auch alles. Die Schulen mögen (noch) besser sein, aber die Kinder werden dort genauso ideologisch verstrahlt wie in der Stadt. Im Neubaugebiet sehe ich inzwischen Autos mit Kennzeichen von Kassel, Dortmund und sonst wo vor den Häusern stehen, weiß nicht ob mir das unbedingt gefällt, da fällt mir der Spruch mit Kalkutta aufnehmen und zu Kalkutta werden ein. “I’m not from here, but people tell me, it’s not like it used to be. They say I should have been here, back about ten years, before it got ruined by folks like me” - James McMurtry, “I’m Not From Here” (bei Youtube)

Hagbard Celine / 06.01.2021

Spannend wird es, wenn die ersten Flüchlingswellen aus den Metropolen kommen. Wir sind seit 10 Jahren ein gutes Stück weit draußen und im Mittelgebirge. Trotzdem kann man sich fragen, wie man dann mit den hilfsbedürftigen Lastenfahrradfahrerinnen umgeht, die nach einem Schluck Trinkwasser und evtl. einem Kanten Brot fragen ...

Helmut Ehmer / 06.01.2021

@ Wolf von Fichtenberg: Wir wohnen anscheinend im gleichen Dorf. Dass wir uns aber noch nicht begegnet sind, liegt wohl daran, dass es nicht das selbe Dorf ist.

Rainer Kaufmann / 06.01.2021

Wenn in meinem Dorf ein Ortverband der GRÜNE gebildet wird, dann werde ich sagen: “Jetzt reichts aber, ihr Städter!”

Otto Fragender / 06.01.2021

Die Provinz hat schon mehrmals die (Haupt-)Stadt gerettet, so zB in Ostpreußen Anfang 1813, wo auf einer Ständeversammlung ohne königliche Erlaubnis die Errichtung einer Landwehr beschlossen wurde, Vorbild für die gesamte preußische Landwehr. Näheres siehe Wikipedia, Stichwort “Ostpreußische Landwehr 1813”. Gruß,  O. Fragender

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