In den 60/70er Jahren definierte man nach einer volkskundlichen Untersuchung die Grenze zwischen Stadt und Land anhand des Auftretens der Kittelschürze bei weiblichen Probanden. In den 70/80ern trieb es die Städter aufs Land, doch sie erwachten im (barbarischen) Dorf. Dann wollten sie „Frankfurt haben, aber nicht Frankfurt sein“, wie ein Frankfurter Kulturanthropologe damals analysierte. Doch der Eroberungsfeldzug kam auf den tiefen, festgefahrenen Wegen der dörflichen eindimensionalen Lebenswelt zum Erliegen. In Corona-Zeiten macht Stadtluft wohl unfrei. Und so überrennen nun die anywheres die somewheres. Dennoch gilt: Solange sich die Städter nicht der dörflichen Lebenswirklichkeit anpassen oder zumindest an ihr partizipieren, bleibt man als Städter unter sich, frei nach Karl Valentin, „Fremd ist der Fremde nur unter Fremden.“
Windräder und Gülle sind natürlich ärgerlich. Auf dem Land gibt es allerdings noch eine gewaltige Menge von fleißigen, bodenständigen Deutschen. Vorsicht, ihr Weltverbesserer, Spinnerinnen und Spinner! Die mögen euch Fremdkörper nicht. Da fängt man sich schnell mal ‘ne Schelle.
Schöne Städte werden nicht sterben. Ich hatte nie Sehnsucht danach, in NYC, London oder Paris zu leben, denn Belgravia, Kensington, Chelsey, Manhattan oder das erste bis achte Arrondissement hätte ich mir nicht leisten können. Die Wirtin eines von mir bevorzugten B&B in Kensington war neben den Cambridges so ungefähr die letze Britin dort, der Rest gehörte Russen und wohlhabenden Arabern. Florenz und vielleicht Rom, Madrid oder Nizza wären evtl. möglich gewesen. In Deutschland fallen einem Heidelberg, Tübingen und Münschen ein, auch Hamburg und Dresden. Es sind schöne Städte. Durch ihre Ästhetik werden sie sich problemlos erholen. Der Punkt ist nur, dass viele Menschen sie sich nicht leisten können. Und bevor man dann in ein hässliches Randviertel zieht, geht man doch lieber auf ein Dorf. Und das Dorf mit Kuhscheiße auf der Straße und dem Geruch nach Gülle ist immer noch besser als das Randviertel. Darum geht es weniger, sondern darum, dass sich der Tourismus bald erholt, der viel Geld in die Städte schwemmt, auch nach Berlin, das ich wenig mag. Kein Tourist schaut sich ein normales Dorf an. Der Tourismus, eine Rieseneinnahmequelle für alle, muss sich erholen, und dann fluppt es wieder. Die Studenten werden wieder in die Universitäten strömen, das Leben wird zurückkehren. Grüße von einer notorischen Optimistin, die der Regierung ihre Übertreibungen niemals vergessen wird. Einer alternden Optimistin, die das Risiko mit Covid immer bereit war, zu tragen, und entsetzt über die Politik ist, die alles, was jung und lebendig ist, lahmlegt, daneben auch die meisten Steuerzahler.
Stimmt schon, dass man Lockdown und Ausgangssperre auf dem Land einfacher wegsteckt als in der Stadt - was nie da war vermisst man auch nicht. Man sollte aber auch nicht die Nachteile vergessen, wie etwa 30km Entfernung zum nächsten Facharzt und ein halbes Jahr auf einen Termin warten, oder generell lange Wege und dank CO2-Steuer höhere Kosten dafür, niedrigere Löhne und weniger Jobs. Und auch hier bleibt man vom Irrsinn nicht verschont, Windräder, Migrantenstadl, Antifa, FFF, gibt es auch alles. Die Schulen mögen (noch) besser sein, aber die Kinder werden dort genauso ideologisch verstrahlt wie in der Stadt. Im Neubaugebiet sehe ich inzwischen Autos mit Kennzeichen von Kassel, Dortmund und sonst wo vor den Häusern stehen, weiß nicht ob mir das unbedingt gefällt, da fällt mir der Spruch mit Kalkutta aufnehmen und zu Kalkutta werden ein. “I’m not from here, but people tell me, it’s not like it used to be. They say I should have been here, back about ten years, before it got ruined by folks like me” - James McMurtry, “I’m Not From Here” (bei Youtube)
Spannend wird es, wenn die ersten Flüchlingswellen aus den Metropolen kommen. Wir sind seit 10 Jahren ein gutes Stück weit draußen und im Mittelgebirge. Trotzdem kann man sich fragen, wie man dann mit den hilfsbedürftigen Lastenfahrradfahrerinnen umgeht, die nach einem Schluck Trinkwasser und evtl. einem Kanten Brot fragen ...
@ Wolf von Fichtenberg: Wir wohnen anscheinend im gleichen Dorf. Dass wir uns aber noch nicht begegnet sind, liegt wohl daran, dass es nicht das selbe Dorf ist.
Wenn in meinem Dorf ein Ortverband der GRÜNE gebildet wird, dann werde ich sagen: “Jetzt reichts aber, ihr Städter!”
Die Provinz hat schon mehrmals die (Haupt-)Stadt gerettet, so zB in Ostpreußen Anfang 1813, wo auf einer Ständeversammlung ohne königliche Erlaubnis die Errichtung einer Landwehr beschlossen wurde, Vorbild für die gesamte preußische Landwehr. Näheres siehe Wikipedia, Stichwort “Ostpreußische Landwehr 1813”. Gruß, O. Fragender
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