Cora Stephan / 02.05.2024 / 10:00 / Foto: Mttbme / 49 / Seite ausdrucken

Toxische Weis(s)heit: Nancy und das Kalifat der Reichsbürger

So also ist das: Erst errichten die Reichsbürger ein Kalifat, um dann ins Deutsche Reich von 1871 zurückzukehren? 

Gut, dass es den Prozess gegen die sogenannten Reichsbürger gibt, sonst müsste man sich über radikale Muslime Gedanken machen, die Demokratie und Rechtsstaat in Deutschland durch ein Kalifat ersetzen wollen. Umsturz! Und das auch noch öffentlich erklärt! Aber keine Sorge: in unseren öffentlich-rechtlichen Medien wurde die Hamburger Demo sogleich unter Rechtsextremismus eingeordnet. Schließlich hat die Innenministerin bereits im September 2022 den Expertenkreis Politischer Islamismus aufgelöst. Sie will hier keine Gefahr erkennen. Die Innenministerin kämpft vielmehr unermüdlich gegen alles, was sie als „rechtsextrem“ verdächtigt. 

Und was könnte rechter sein als die sogenannten „Reichsbürger“, die sich auf das historische Deutsche Reich beziehen und „die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen“, wie es das Bundesamt für Verfassungsschutz formuliert, weshalb „die Besorgnis besteht, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen“?

Passenderweise findet der Prozess gegen den neunköpfigen „militärischen Arm“ der Reichsbürger auf historischem Gelände statt, in Stuttgart-Stammheim, denn „Große Terrorismusprozesse haben Tradition in Stuttgart-Stammheim“, schwärmt die Tagesschau. Zwar gehen noch nicht einmal die Ermittler davon aus, dass dieser Sekte ein „Umsturz“ hätte gelingen können, aber immerhin hat man bei ehemaligen und einem aktiven Elitesoldaten ein enormes Waffenarsenal gefunden – 380 Schusswaffen, 350 Hieb- und Stichwaffen, 148.000 Munitionsteile. Worum auch immer es sich bei diesen Teilen handelt. Schrott? Überreste vom Bleigießen zu Silvester? Egal: es handele sich um das „größte Staatsschutzverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik”, so der Präsident des Oberlandesgerichts Stuttgart.

Reichsbürger geben sich als Anhänger des Kalifat aus...

Ich gebe zu, dass mir bei der Vorstellung ein wenig warm wird, wie das Trüpplein mit den Munitionsresten den Bundestag stürmt. Den Bundestag, nicht etwa das Kanzleramt. Das klingt ähnlich an den Haaren herbeigezogen wie der „Sturm aufs Capitol“, der eher wie ein Happening aussah. Aber egal: Das zeuge von Hass auf die Demokratie, zürnt die Innenministerin, also „unserer“ Demokratie, die ja bekanntlich nicht für alle gilt. 

Und nun erfahren wir auch, warum die Freunde des Kalifats als Rechtsextreme gelten: denn die sind eigentlich gar keine Muslime, sondern getarnte Reichsbürger, wie Nancy Faeser weiß: „Immer mehr Reichsbürger verfallen auf den Trick, sich als Anhänger des Kalifat auszugeben, um nach dem Erreichen des Zwischenzieles auf ihre wahren Vorhaben umzuschwenken. Das geht aus den Akten, die uns vorliegen, eindeutig hervor”, erklärte sie zu Prozessbeginn. Hat sie das wirklich gesagt – oder war das ein Scherzkeks bei der taz? Dort hat man analysiert:

 „In ihrem Herbeisehnen eines Kalifats haben sie indes viel gemein mit Rechtsextremen, die das ehemalige deutsche Kaiserreich glorifizieren. Sie eint die vormoderne Sehnsucht nach einem autoritären Staat (…) Am Montag konnte man sehen, wohin dieser Pfad führt: im Falle der Reichsbürger um Prinz Reuß vor das Oberlandesgericht in Stuttgart.“

So also ist das: erst errichten die Reichsbürger ein Kalifat, um dann ins Deutsche Reich von 1871 zurückzukehren? Oder wäre es besser, die Reichsbürger hätten gar nicht das Deutsche Reich im Sinn, sondern wollten gleich bei Allahs Abgesandtem einkehren?

Wer weiß, in wie vielen Prinzen ein Kalifatsanhänger steckt...

Anyway: Mit der Zahl von Ermittlungsakten in 700 Leitzordnern ist natürlich ein gewisses Niveau gekennzeichnet, fünf Richter, zwei Ergänzungsrichter und 22 Verteidiger nehmen am Stuttgarter Prozess teil, hinzu kommen nicht weniger als 300 (!) Zeugen. Das ist Größe! Auch die Verteidiger des mutmaßlichen Oberputschisten Prinz Heinrich XIII. Reuß zeigen sich beeindruckt davon: Die Prozessakte beläuft sich mittlerweile auf über 400.000 Seiten. Die Anklage auf 750 Seiten. Wer 100 Seiten täglich an 365 Tagen im Jahr schafft, hat Lektüre für 11 Jahre...

Hauptsache, die Angelegenheit lenkt übers Jahr von all den anderen Putschversuchen gegen Demokratie und Rechtsstaat ab, die auch mal von Ministerinnen wie Lisa Paus und Nancy Faeser ins Spiel gebracht werden. Denn auf den Prozessauftakt folgen drei weitere Verfahren, am 21. Mai beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main und am 18. Juni beim Oberlandesgericht München. Die drei parallelen Prozesse sind in dieser Form Neuland und dürften die  Beteiligten erheblich herausfordern. Aber man kann ja schon mal üben. Wer weiß, wie viele 73-jährigen Prinzen sich künftig als Kalifatsanhänger ausgeben werden, um den Argusaugen der auf Rechts spezialisierten Innenministerin zu entgehen. Doch halt: Nancy hat das doch längst durchschaut.

 

Cora Stephan ist Publizistin und Schriftstellerin. Viele ihrer Romane und Sachbücher wurden Bestseller. Ihr aktueller Roman heißt „Über alle Gräben hinweg. Roman einer Freundschaft“.

Dieser Text wurde am 2. Mai um 13 Uhr aktualisiert.

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Leserpost

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R. Nicolaisen / 02.05.2024

Dies ganzen Staats- und Justizdarsteller werden hoffentlich bald mal in ihrer Pubertät etwas vorankommen. Wenn’nicht so böse wäre, könnte man nur von jämmerlich und eklig reden.

Werner Schmid / 02.05.2024

Da müssen die rechtsextremen Islamisten nur aufpassen, dass sie sich nicht aus Versehen selbst deportieren.

K.Behrens / 02.05.2024

Falls ich mich nicht verzählt habe, existieren allein 13 Moscheen mit diversen klingenden Namen wie Komitee der Völkerverständigung e.V. rund Steindamm. Wen wundert da der Aufmarsch von Kalifat-Schreihälsen ausgerechnet in diesem Viertel, das zu den dreckigsten Hamburgs gehört und fest in der Hand netter bunter Muslime ist. Spaßig wird es, wenn Tschentscher in diesem Jahr seine pride week/Stolzwoche über den Steindamm anführt, natürlich warm angezogen unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen. Ach so, da war ja noch was, die Reichbürger…eine Nummer kleiner als Stammheim war wohl nicht drin.

Lutz Liebezeit / 02.05.2024

Auch ein 3. Reich hat es nie gegeben, das 3. Reich ist Polemik. Hitler war Kanzler des Deutschen Reichs, beziehungseweise der Weimarer Republik, und es steht in einer Kontinuität mit Bismarck, Michaelis, Ebert (erster Regierungschef der Weimarer Republik, aber immer noch im Dt. Reich), Scheidemann, Adenauer, Kohl, Merkel, bis zu Scholz. So leid mit das tut. Auch Hitler war nur ein Kanzler des Dt. Reichs wie Scholz. Die Kontinuität des Dt. Reichs von der Gründung 1871 bis heute ist ungebrochen, und der stichhaltige Beweis ist nicht das Urteil des BVerfGs, sondern die Reparationszahlung für die Kriege. Weimaerer Republik, Deutsches Reich, BRD, das sind nur neue Namen für das Dt. Kaiserreich! Die Kontinuität wird bestätigt durch die Reparationszahlungen. Ich kann das verstehen, jetzt hat man sich so schön auf das Deutsche Reich eingeschossen, und dann sitzt man glatt selber mit im Boot und ist ein Reichsbürger!

Lutz Liebezeit / 02.05.2024

Die BRD ist identisch mit dem Deutschen Reich, darüber gibt es ein Urteil des Verfassungsgerichts. Deshalb ist das nur völlig verdooftes Reichbürger-Heckmeck ohne Substanz. Einer dieser sozialdemokratischen Popanze, die bei genauer Betrachtung zerplatzen wie eine Seifenblase. Jeder, der eine deutschen Paß hat, ist automatisch auch ein Reichbürger. Daß Politiker geistig zurück sind und unfähig, die Verfassung oder Gesetze zu lesen, ist kein Geheimnis. Aber eines sollte selbst diesen begriffsstutzigen Mitbügern aufgehen, daß wir bis 2010 Reparationszahlungen für den 1. WK gezahlt haben, die Forderungen des Versailler Abkommens! Wenn die BRD NICHT identisch ist mit dem Deutschen Reich, wenn das Deutsche Reich untergegangen ist, dann möchte ich das Geld zurück und zwar alles und sofort!

Ralf Pöhling / 02.05.2024

Schönen Gruß an das Bundesinnenministerium. So wie es gerade läuft, bleiben dummerweise genau die verschont, die diese ganzen Scheißdreck überhaupt erst angerichtet haben, während alles auf deren Kosten läuft, die an der ganzen Sache unschuldig sind. Das kann es nicht sein. Es braucht den direkten Schlag mitten in die Zwölf. Das Volk muss aufgeklärt werden. So lange das Volk selbst im Unklaren bleibt, ändert sich gar nichts.

Dirk Jungnickel / 02.05.2024

Die EKD entblödet sich nicht - wie schon bei der Corona - Lüge - Staatstreue zu zelebrieren und AfD - Mitglieder in den regierungsamtlich organisierten Polit -Müll zu schmeißen.  Deutschland - ein Jammertal. Als nächstes dürften Karnickelzüchtervereine Mitglieder mit AfD - Sympathien gnadenlos aufspüren und ausschließen.

Matthias Ditsche / 02.05.2024

Ja, ich gebe zu: ich hatte Kontakt zu Reichsbürgern. Meine Mutter, Jahrgang 1937 und mein Vater 1942 wurden als Bürger des Deutschen Reiches geboren und ich hatte mit ihnen zu tun! Irgendwie. Und meine Großeltern erst, Kaiserzeit- Deutschland noch größer, herrliche Zeiten- 1900/03/04/08 !! Um Gottes Willen, tritt mir morgen früh um 4.45 Uhr das SEK die Wohnungstüre ein? Wird mir meine Ahnentafel zum Verhängnis? Klare Beweislage?  Aber wie sagte schon unsere Reichsbischöfin über die hießigen Ureinwohner: zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern- da weiß man schon, woher der braune Wind weht. Das nenne ich mal weise Voraussicht.

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