Toxische Weis(s)heit: Merkel schreibt ein Buch

Ich bereue es. Schon seit langem. Ich habe Angela Merkel gewählt. Schlimmer: Ich habe sogar dazu aufgefordert, sie zu wählen! Die damaligen Gründe finde ich noch immer halbwegs plausibel. Aber. Und jetzt kommen auch noch ihre Memoiren. 700 Seiten.

Ich glaubte, mit Angela Merkel eine kühle Naturwissenschaftlerin zu wählen, die rechnen konnte statt zu moralisieren. Eine Frau mit DDR-Biografie, die auf den ganzen aufgeregten Klimbim westdeutscher Feministen mit Unverständnis reagierte. Die Nüchternheit, Klarheit, Mut und Aufbruchswillen versprach. Und Sachen sagte wie „Die Wahrheit ist konkret“ oder „Ohne Freiheit ist alles nichts.“

Und davon verstand sie als ehemalige DDR-Insassin sicher mehr als all jene, denen Freiheit immer selbstverständlich gewesen ist. Ich mochte sogar ihre mädchenhafte Schüchternheit und verteidigte sie gegen alle, die ihr Äußeres bemäkelten. Ikonisch: wie sie mit schlichter Frisur, Schlabberrock und Strickjacke bei den Fischern von Lobbe am Holztisch hockte. Und wie unverfroren Gerhard Schröder ihr den Wahlsieg 2005 streitig machen wollte! Tja. Ihr unschuldiges Lächeln dabei war ein maliziöses. Sie schien der Beweis dafür zu sein, dass es doch noch möglich ist, das Milieu der Berufspolitiker mit seinen festen Bräuchen aufzumischen. Das erwies sich im Fall des Spendenskandals in der CDU als Glücksfall. Das Mädchen erledigte erst ihren Förderer Helmut Kohl und widmete sich danach Gerhard Schröder. Wer hätte das gedacht.

„Ich will Deutschland dienen“, sagte sie einst in aller Bescheidenheit. Wollte sie mich, uns alle, damit hinter die Fichte führen? Als jemand, der im Unterschied zu anderen Pfarrerstöchtern in der FDJ war und dort als Sekretärin für „Agitation und Propaganda“ agierte, der als so staatstreu galt, dass er studieren und sogar zu Forschungszwecken in die Bundesrepublik reisen durfte, verfügte sie gewiss über die nötige Kunst der Verstellung. Ihren politischen Werdegang nach der Wende begleiteten zwei Inoffizielle Mitarbeiter des MfS, Wolfgang Schnur und Lothar de Maizière. Doch erklärt das etwas?

Das Mädchen mit der Pottfrisur wurde Madame Camouflage

Vielleicht, denn über all das schwieg sie sich aus. Wer noch mit 35 Jahren sozialistischen Idealen anhing, konnte nach 1989 in der Politik nichts werden. Das Mädchen mit der Pottfrisur wurde Madame Camouflage. Sie war eine Meisterin in der Disziplin Wendigkeit. Und seit sie einmal als „Eiskönigin“ tituliert wurde, übte sie sich im Zurschaustellen von Gefühlen.

Irrational etwa ihre Reaktion 2011 auf den Tsunami in Japan, bei dem das Kraftwerk Fukushima havarierte. Zwar sind bei Aufräumarbeiten einige Mitarbeiter zu Tode gekommen, doch geschätzt 18.500 Menschen fielen nicht atomarer Strahlung, wie man bei Grüns immer noch gern behauptet, sondern dem Tsunami zum Opfer. Doch Merkel fügte sich der Stimmung im Lande und beschloss den Ausstieg aus der Kernenergie. Ähnlich 2015: Angela Merkel nahm den Willkommenstaumel für Flüchtlinge im Herbst 2015 zum Anlass, die Grenzen offenzulassen, die von der Bundespolizei hätten geschlossen und geschützt werden können. Doch Angela Merkel äußerte offenbar Angst vor unschönen Bildern an den Grenzen. 

Mein Abschied von „Angie“ bahnte sich an, als sie Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ als „überhaupt nicht hilfreich“ verdammte, ohne es gelesen zu haben. Jetzt wanderten Themen und Meinungen in den Untergrund und wer sich dazu äußerte, wurde als unappetitlich angesehen. Freiheitskämpferin Angie oder Staatsratsvorsitzende Merkel? Den Stab brechen über etwas, das man nicht kennt, stellte sich als stilbildend heraus.

Mein Abschied vollendete sich mit der Eurokrise. Spätestens, als die Kanzlerin die Interessen Deutschlands am Wegesrand liegen ließ und die EU zur Transferunion mit deutschem Zahlmeister wurde, ist Angie zu Tina geworden, die alternativlos nennt, wozu ihr nichts einfällt. Die angeblich „mächtigste Frau der Welt“ wirkte wie eine Getriebene anderer, größerer Mächte. 

Wer etwas „alternativlos“ nennt, verkennt, dass Politik stets aus Aushandeln besteht. „Es gibt keine Alternative“ passt nicht zum Selbstbild von Menschen, die bei Problemen nach der Lösung suchen. Es passt nicht zu Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Es ist totalitär. Ich habe öffentlich Buße getan für meine Wahl vom Angie, die sich als Tina entpuppte. Das Buch heißt: „Angela Merkel. Ein Irrtum.“ 

Nun warte ich auf die Lektüre ihrer Memoiren, die im Herbst bei Kiepenheuer und Witsch erscheinen werden. 700 Seiten! Ob die Lektüre das Rätsel Merkel erklärt? Der Verlag jedenfalls darf sich die Hände reiben. Er hält die Weltrechte am Buch.

„Ich freue mich“, erklärt die Exkanzlerin, „in meinem gemeinsam mit Beate Baumann verfassten Buch zentrale Entscheidungen und Situationen meiner politischen Arbeit zu reflektieren und sie, auch mit Rückgriff auf meine persönliche Geschichte, einer breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen.“  

 

Cora Stephan ist Publizistin und Schriftstellerin. Viele ihrer Romane und Sachbücher wurden Bestseller. Ihr aktueller Roman heißt Über alle Gräben hinweg. Roman einer Freundschaft“.

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Leserpost

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Wiebke Ruschewski / 16.05.2024

Naja wie gesagt, ich habe von der Ollen noch nie viel gehalten. Aber immerhin hat sie früher noch in zusammenhängenden Sätzen gesprochen. Und dass sie einen derartigen Schaden anrichten würde hätte ich früher auch nicht gedacht. Ich hielt sie lediglich für ungeeignet.

S. Donner / 16.05.2024

Bei war es genau der selbe Moment. Frau Merkel erklärte das Buch von Herrn Sarrazin als nicht hilfreich. Und antwortete auf die Frage ob sie es gelesen hätte mit nein. Und Niemand fand es bemerkenswert von den Mainstream Medien…

K. Goldbaum / 16.05.2024

Ich möchte hier an einen Kommentar von Bernhard Freiling / 28.01.2019 erinnern: “Sollte dereinst die Agitpropse Angela Dorothea Merkel, noch Kanzlerin der BRD, ihre “Erinnerungen” schreiben, bin ich überzeugt davon, auf Seite 1, als Intro in Riesenlettern, Folgendes (oder sinngemäß Ähnliches) vorzufinden: “Liebe Mitbürger, als ich 2005 zur Kanzlerin dieses Landes gewählt wurde, konnte ich nicht ahnen, dass es so leicht sein würde. So leicht, die überheblichen Bewohner dieses Landes dem gleichen Schicksal entgegen zu führen, das sie meiner geliebten DDR zugefügt hatten. Sie von der Weltkarte zu tilgen. Diese Überheblichkeit, die ihr dem Osten, den Bewohnern der “neuen Bundesländer” entgegengebracht habt, ist die gleiche Überheblichkeit, mittels derer ihr heute die Welt und das Klima retten wollt. Viel musste ich nicht tun: Nur an eure Überheblichkeit appellieren. Danke, ihr erbärmlichen und überheblichen Gut- und Bessermenschen für eure Naivität, für euer Gutmenschentum, andere würden vielleicht sagen: für eure Dämlichkeit. Danke dafür, dass ihr mir die Möglichkeit eröffnet und mich nach besten Kräften unterstützt habt, den Untergang der BRD irreversibel einzuleiten, Danke dafür, dass ihr auch dann noch zu mir und meinen Freunden von der SED und vom KBW gehalten habt, als ich euren Strom um 100 % verteuerte, als ich euer Geld für die Rettung eines unrettbaren Staates aus dem Fenster geworfen habe, als ich die Finanzierung der italienischen Staatsschulden per Target 2 zu 25 % übernommen habe, damit Italien seine Rentner nach 38 Berufsjahren und mit 63 in Rente schicken kann. Danke dafür, dass ihr euch auch nicht habt beirren lassen, als ich eure Mobilität und eure Meinungsfreiheit immer weiter einschränkte und als ich eure Sozialsysteme untergrub. Selbst dann nicht, als euch das Milliarden an Wertverlusten bei euren schönen Autos gekostet hat. Nochmals: Danke, danke, danke - auch im Namen von Erich. Es war mir eine Ehre und ein großes Vergnügen.”

Dr. med. Jesko Matthes / 16.05.2024

2005 habe ich Merkel gewählt. Ab 2009 war und blieb ich gründlich und nachhaltig kuriert von ihr und der CDU/CSU. Angesichts dessen, was danach kam, muss ich Frau Merkel dankbar sein für meine Rettung. Meinen Dank auch an Horst Seehofer, Wolfgang Schäuble, Jens Spahn, Daniel Günther, Hendrik Wüst und Markus Söder.

Dr. Ralph Buitoni / 16.05.2024

“Die angeblich „mächtigste Frau der Welt“ wirkte wie eine Getriebene anderer, größerer Mächte.” Sie war nie etwas anderes, auch den Sturz von Kohl hat sie nicht aus eigenem Antrieb und Vermögen betrieben. Sie wurde “von außen” platziert, so gezielt wie seit Willi Brandt wohl kein deutscher Spitzenpolitiker mehr. @Emil Meins - “Auf merkur.de schrieb vor 4 Jahren ein Panos Terz Lobeshymnen über A.M.: “Insgesamt kann Angela Merkel als eine herausragende, hochprofilierte, befähigte, intelligente und international anerkannte und hochgeschätzte Politikerin -Persönlichkeit eingeschätzt werden.” und argumentierte so:“Wenn A. Merkel bereit gewesen wäre, in die Partei einzutreten, oder für die Stasi zu arbeiten, hätte sie unbegrenzte Karriere-Möglichkeiten wie z.B. Professur und Forschungsreisen ins westliche Ausland.” - Aber all das hatte sie ja erhalten, ohne Parteizugehöirgkeit wäre sie kaum Sekretärin für Agitprop in der FDJ geworden, und Auslandstudienaufenthalte hatte sie in Moskau, auch Reisen in die Tschecheslowakei (und wie erwähnt in die BRD). Wer so unterwegs war gehörte zum innersten Zirkel der Auserwählten für ganz besondere Aufgaben. Und die US Geheimdienste hatten ein besonderes Gespür und Verständnis für solche Biographien.

Didi Hiernoymus Hellbeck / 16.05.2024

@Leo Hohensee, Fend Georg: Kurz noch die beiden Dissertationen: Merkel A., geb. Kasner (1986): Untersuchung des Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch und Berechnung ihrer Geschwindigkeitskonstanten auf der Grundlage quantenchemischer und statistischer Methoden. Berlin: Akademie der Wissenschaften der DDR, 153 Seiten. Sauer J. (1985): Quantenchemische Untersuchungen aktiver Zentren und adsorptiver Wechselwirkungen von SiO2- [SiO-] und Zeolithoberflächen. Berlin: Akademie der Wissenschaften der DDR, 157 Seiten. “Mechanismus von Zerfallsreaktionen .... Bindungsbruch”: auch irgendwie kurios, oder? Am Rande: ich las - leider vergessen, wo -, dass die gute Frau A.M. VOR der sog. Wende bereits Westbesuche (Uni Karlsruhe?) vollziehen konnte, was damals nur gefestigten Persönlichkeiten vorbehalten war. Sauer wiederum zog es - laut wikipedia - kurz nach der sog. Wende ca. 1990/91 in die USA, wo er bei einem Technologieunternehmen im schönen San Diego einige Zeit foschend und beratend tätig war. Ich bin sicher, dort konnte er sich auch mit “new world order, freedom & democracy” vertraut machen, interessante Menschen kennenlernen und hilfreiche Kontakte knüpfen.

Else Schrammen / 16.05.2024

Tja, liebe Frau Stephan, da habe ich Ihnen einiges voraus. Ich kann mit stolz geschwellter Brust behaupten: Ich habe den Hosenanzug NIE gewählt. Ich weiß nicht wieso, aber bei der Frau habe ich von Anfang an ein ungutes Gefühl gehabt, Jedenfalls kam sie mir nie vertrauenerweckend vor. Die Geschichte hat mir Recht gegeben. Ich habe es 2005 nochmal mit Westerwelle versucht, nachdem der einige vernünftige Sprüche von sich gegeben hatte. Nachdem “Honneckers Rache” die FDP wie einenn Floh zerquetscht hat, gab ich zunächst aus Verzweiflung, dann aus Überzeugung die teuflische blaue Brut gewählt. Aber 700 Seiten kaufen? Doch keine schlechte Idee, wenn man bedenkt, wie teuer “Zewa Soft” ist!

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