Der Parfüm-Influencer Jeremy Fragrance verlor Geschäftspartner wegen Selfies mit den Falschen. Die Grünen wollten Fotos der gescheiterten Kandidatin für den Berliner Landesvorsitz entfernen lassen, da diese nach ihrer Wahlniederlage weinte. Und Dirigent Justus Frantz darf wegen angeblicher Putin-Nähe nicht auf dem Schleswig-Holstein Musik Festival auftreten.
Schon mal von Jeremy Fragrance gehört? Oder gerochen? Der Mann, bürgerlich Daniel Schütz, ist Deutschlands führender Parfüm-Influencer. Sein englischsprachiger Youtube-Kanal hat Millionen Follower aus aller Welt, auch auf Instagram und Tiktok folgt man ihm in siebenstelliger Höhe. Siebenstellig soll auch sein Jahresumsatz 2020 gewesen sein. Der 34-Jährige mit polnischem Migrationshintergrund macht nicht nur durch exzentrische Videos von sich reden, sondern hat inzwischen auch ein Buch veröffentlicht, an der Show Promi Big Brother teilgenommen und vertreibt eigenes Parfüm. Vor gut einem halben Jahr sah er sich mit Sexismus-Vorwürfen konfrontiert, weil er bei einem Auftritt Äußerungen wie „Ich könnte pro Tag fünf Mädels bumsen“ getätigt hatte.
Kürzlich verschlug es Fragrance nach New York, wo er am Samstag einer Gala-Veranstaltung des Jugendverbandes der Republikanischen Partei beiwohnte, auf der Donald Trump sprach. Er bewohnt nach eigener Aussage in dem Gebäude, wo die Gala stattfand, ein Apartment und hat deshalb mal vorbeigeschaut. Unter den Gästen, die Selfies mit ihm aufnahmen, befanden sich auch welche aus dem deutschsprachigen Raum. Dazu gehörten David Brendels, Chef des AfD-nahen Mediums Deutschland-Kurier, der AfD-Europaabgeordnete Maximilian Krah, der aus der Identitären Bewegung stammende Alexander Kleine, Marlene Svazek, die stellvertretende Regierungschefin des österreichischen Bundeslandes Salzburg (FPÖ), sowie der frühere FPÖ-Mann und Publizist Gerald Grosz. Auf Fotos mit Brendels und Kleine ließ sich Fragrance jeweils werbewirksam mit Hinweisen auf deren Unternehmen ablichten.
„Parfüm-Influencer Jeremy Fragrance wirbt für Rechtsextreme“, pfiff der Spiegel am Sonntag, und die Unternehmen tanzten am Montag reflexartig. Streamingdienst Sky nahm die Doku Jeremy Fragrance – Power, Baby offline und sein Buchverlag Heel beendete die Zusammenarbeit. Der Betroffene antwortete auf Medienanfrage, namentlich im Fall Grosz habe er keine Ahnung gehabt, mit wem er da aufs Foto ging. Die Welt geht davon aus, dass Fragrance auch die anderen genannten Personen unbekannt gewesen sein dürften. Wer viel auf Selfie-Wünsche eingeht, und das gilt auch für Politiker, landet mitunter mit sonst wem auf einem Bild. Grosz zur Welt: „Man tut [Jeremy Fragrance] Unrecht, wenn man ihm jetzt Kontaktschuld zu Rechtsextremen vorwirft. Der kam zu den Bildern wie die Jungfrau zum Kind.“
Fragrance selbst erklärte am Dienstag, er stehe als gläubiger Jesus-Anhänger politisch am ehesten der CDU nahe, da sie das Christentum im Namen führt. „Ich habe in keinster Weise irgendwas mit rechtsradikalem Krams zu tun. Null!“ Einen Post, der ihn mit Politikerin Svazek zeigt, löschte er wieder. Offen bleibt dabei, auf wen der Beteiligten Framing-Etiketten wie „rechtsextrem“ und „rechtsradikal“ zutreffen. Und wer diktieren darf, durch welche Kontaktschuld Karrieren in Bedrängnis geraten.
Misstöne
Justus Frantz darf beim Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) nicht mehr auftreten. Der Pianist und Dirigent hatte das SHMF einst mitbegründet und war bis 1994 dessen Intendant. Die Hintergründe erläutert der NDR: Es geht um seine „Haltung gegenüber Russland, gegenüber dem russischen Krieg in der Ukraine, um seine Auftritte in Moskau, zum Beispiel um ein Konzert mit dem Orchester des Marinski-Theaters“, seine Mitwirkung in der Jury des bedeutenden Tschaikowsky-Wettbewerbs in Russland und seine Freundschaft zu Waleri Gergijew, der letztes Jahr als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker gefeuert wurde. Der jetzige SHMF-Intendant Christian Kuhnt wirft Frantz vor, dass „er sich bewusst oder unbewusst in den Dienst von Putins Propaganda-Apparat stellt“.
Zu allem Überfluss veranstaltet der 79-Jährige Maestro auch noch Salons in alter bürgerlichen Tradition. Vermutlich inspiriert von der „Freitagsgesellschaft“ bei Altkanzler Helmut Schmidt (SPD), dessen Vertrauter Frantz jahrzehntelang war. In Frantz‘ Salon waren zum Beispiel gleichzeitig Weltwoche-Chefredakteur Roger Köppel (SVP) aus der Schweiz und eine gewisse Sahra Wagenknecht anwesend. „Ein wundervoller Gast“, wie der Gastgeber über Letztere auf Instagram schrieb. Und „eine ganz zauberhafte Person“ soll er Alice Weidel genannt haben, die ebenfalls mal zu Gast war. „Kunst muss sich […] immer davor hüten, politisch missbraucht zu werden“, so SMHF-Kuhnt – während er seine Entscheidung, Frantz nicht mehr einzuladen, auch politisch begründet.
Tränen sind immer das Ende
Tanja Prinz ist gescheitert. Beim Versuch, Landesvorsitzende der Grünen in Berlin zu werden, erhielt sie im dritten Wahlgang weniger als 30 Prozent Zustimmung. Bei einem ähnlichen Anlass vor 35 Jahren hatte Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) eine Halle noch mit den Worten „Gott schütze Rheinland-Pfalz!“ verlassen. Prinz hingegen kamen die Tränen. Dies abbildende dpa-Fotos gelangten zeitnah in die Medien. Auf Twitter gab es Kritik an dieser Darstellung, ein grüner EU-Parlaments-Kandidat zum Beispiel findet sie „respektlos“, und der Pressesprecher des Landesverbands der Partei rief sogar bei der B.Z. an, um das Foto entfernen zu lassen – angeblich zum Schutze der Heulsuse Prinz. „Die B.Z. lehnt mit Hinweis auf die Pressefreiheit ab, damit ist das Telefonat schnell beendet“, schreibt die Zeitung.
Gegen weiße Säcke
Die spanische Modekette Zara hat eine Bilderstrecke aus dem Verkehr gezogen. Die Fotos einer neuen Kampagne zeigen ein Model in einer Umgebung mit unter anderem einer weiß eingewickelten Schaufensterpuppe. Letzteres verursachte einen Shitstorm, da sich viele Social-Media-User an Leichensäcke aus dem Gazastreifen erinnert fühlten und dem Modekonzern daher Respektlosigkeit gegenüber (angeblichen) Opfern vorwarfen. In diesem Zusammenhang kam es zu Boykott-Aufrufen, wohl auch zu Protestaktionen und mindestens einer beschmierten Schaufensterscheibe an einer Zara-Filiale. Das Bekleidungsunternehmen erklärt, die Kampagne sei im Sommer entwickelt und die Fotos im September geschossen worden. Die Interpretation der Motive, wie sie in propalästinensischen Kreisen verbreitet wird, habe man keineswegs beabsichtigt.
Einige haben es jetzt außerdem auf eine leitende Zara-Designerin namens Vanessa Perilman abgesehen und fordern ihre Entlassung. Denn Perilman hatte 2021 Instagram-Nachrichten an einen Palästinenser geschickt, die angeblich „rassistisch“ gewesen seien. Die Designerin hatte dort ihrer Israel-Solidarität Ausdruck verliehen und Palästinenser als ungebildet hingestellt. Perilman entschuldigte sich beim Empfänger. Israel geht, was Mode anbelangt, übrigens offener mit der aktuellen Situation um.
Kunstraub in Neukölln?
Im Mai hatte ich Ihnen von einer gecancelten Kunstausstellung in Berlin-Kreuzberg berichtet. Vergangenen Sonntag wollte der gleiche Verein, die aus den Coronaprotesten hervorgegangene IAFF um Künstlerin Jill Sandjaja, eine Ausstellung mit Vernissage im Café Rix im Stadtteil Neukölln präsentieren. Die Bilder hingen schon, einige Teilnehmer der Vernissage waren bereits vor Ort, als der Pächter des Cafés, das sich in einem kommunalen Saalbau befindet, den Daumen senkte. Eine Stunde vorher wurde die Eröffnung, die Karsten Troyke musikalisch gestalten sollte, abgeblasen. Die Vermutung liegt nahe, dass Antifa-Kreise zuvor Druck ausgeübt hatten.
Die Bilder, so hieß es, dürften – statt wie vereinbart einige Wochen – nur ein paar Tage hängen bleiben. Als dann Künstler und Organisatoren ihre Werke aus Protest gleich wieder von den Wänden nahmen, rief eine Mitarbeiterin die Polizei. Man befürchtete Kunstraub, und so fand ein Polizeieinsatz mit zahlreichen Beamten statt – als hätte sich der Remmo-Clan wieder den schönen Künsten zugewandt. „Warum bekämpfen die nicht lieber die Dealer im Görlitzer Park mit dieser Mannstärke?“, fragt ein Blogger. Troyke, der sich um den Vortrag jiddischsprachigen Liedguts verdient gemacht hat, gab während des Einsatzes draußen einen Song zum Besten. Vorgestellt werden sollten übrigens Bilder aus einem Kalender für 2024 – den können Sie hier bestellen.
Oje, Oyoun
Andere in Berlin wiederum erhalten Millionensubventionen für ihre „Kunst“, wie etwa das Kulturzentrum Oyoun, ebenfalls in Neukölln angesiedelt. Letztes Jahr – ich hatte Ihnen berichtet – wurde dort ein Musiker mit jüdischen Wurzeln samt seiner kleinen Tochter des Saales verwiesen, weil man sich in seiner Gegenwart „unsicher“ fühlte. Jetzt fühlt sich das Oyoun, „eine BIPOC-geleitete, kosmopolitische und intersektionale Kunst- und Kultureinrichtung“, selbst als Opfer. Das Kulturzentrum, das schon mal Parolen wie „Offene Grenzen“ oder „Antifa bleibt Handarbeit“ (ein kaum verklausulierter Gewaltaufruf) an seine Fassade hängt, sieht sich vom Wegfall seiner Subventionen bedroht. Kultursenator Joe Chialo (CDU) will die Landesförderung für den woken Laden zum Jahresende vorzeitig beenden.
Zum Hintergrund gehört wohl, dass das Oyoun jüngst seine Räume der israelfeindlichen Organisation „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ zur Verfügung gestellt hat. Der Verein musste sich 2010 von einer Aktivistin trennen, nachdem Recherchen Henryk Broders ergeben hatten, dass sie gar keine Jüdin war. Auch die Stellungnahme des Kulturzentrums selbst liest sich recht antiisraelisch. Jetzt droht der Verlust von einer ganzen Million Euro jährlicher Kultursubvention durch das Land Berlin. Über 30 Oyoun-Leute „verlieren in kürzester Zeit ihre Jobs“, klagt man, und „in manchen Fällen damit einhergehend auch ihre Aufenthaltserlaubnis“. Um das zu verhindern, will man den Rechtsweg beschreiten. Eine Online-Spendensammlung erbrachte schon über 80.000 Euro für diesen Zweck. Man stehe schließlich für „kulturelle Vielfalt, Zusammenarbeit und das Streben nach Meinungsfreiheit“. Wie viel Meinungsvielfalt die Woken in ihrem eigenen Einflussbereich – in diesem Fall im Oyoun – zulassen, steht freilich auf einem ganz anderen Blatt.
Sendung wird weggesperrt
Eine Folge von Jan Böhmermanns Show ZDF Magazin Royale landet im Giftschrank (Achgut berichtete). Der ZDF-Fernsehrat beschloss, dass die Ausgabe vom 8. September aus der Mediathek des Senders verschwindet. Darin hatte Böhmermann sich mit der Frage auseinandersetzt, ob es Opfer ritueller Gewalt durch Satanisten & Co. gibt. Die Sendung (hier bei Redaktionsschluss noch zu sehen) betrachtet dies als unzutreffende Verschwörungshypothesen („Satanic Panic“) und kanzelt die einschlägige Arbeit der Psychotherapeutin Michaela Huber ab. „Die Therapeutin wurde als gewinn-orientierte Esoterikerin dargestellt und durch den Kakao gezogen“, so die Einschätzung von Nius. Nach Beschwerden, das Böhmermann-Format würde Opfer sexueller Gewalt verspotten, diskutierte der Fernsehrat über diese Frage.
In dem 60-köpfigen, aus Lobbyisten und Politikern bestehenden Gremium gab es laut Spiegel „nur eine knappe Mehrheit“ für die Entfernung der Folge aus dem Programm. ZDF-Intendant Nobert Himmler habe den Beitrag verteidigt. Das Medium zitiert eine Dame vom Deutschen Journalistenverband (DJV); ihr zufolge „standen die emotionalen Auswirkungen des Böhmermann-Beitrags auf die Betroffenen“ bei der Entscheidung über der „Satirefreiheit“, wie sie bedauert. Böhmermann gibt sich wahlweise als Satiriker oder als investigativer Journalist.
Aus für Nikolaus
Den abgeschafften Weihnachtsbaum in einer Hamburger Kita haben Sie aus der vergangenen Woche noch in Erinnerung. Die Kita Im Brande im niedersächsischen Seelze hat neben dem Baum auch Nikolausgeschenke und jeglichen Weihnachtsschmuck verbannt. „Auf Wunsch einiger Eltern“, wie sie gegenüber Nius erklärt. Einem Leser dieses Mediums zufolge sei die Begründung gewesen: „Zuckerfest feiere man ja auch nicht.“ Dazu passt ein Erlebnis von Rainer B., der als Nikolaus kostümiert auf dem Weg zu einer Veranstaltung in Kassel war, dann aber nach seiner Darstellung auf eine Gruppe ca. 15-jähriger Jugendlicher traf, die ihn beleidigten und aufforderten, seine Verkleidung abzulegen. Sie rissen an seinem Nikolauskostüm, einer packte ihn am Hals. „Die Jugendlichen hätten gesagt“, heißt es in der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen „dass sie Muslime seien und dies ihr Land sei“. Der Staatsschutz ermittelt.
Ein Leitbild
Marie-Luise Vollbrecht konnte einen Erfolg gegen die Humboldt-Universität (HU) Berlin erzielen. Die dort tätige Biologin war durch ihre Ablehnung der Transgender-Ideologie bekannt geworden. Von einem von ihr mitverfassten, einschlägigen Artikel in der Welt, der vor anderthalb Jahren für Furore sorgte, hatte sich die HU in einer Pressemitteilung distanziert. „Die Meinungen, die Frau Vollbrecht […] vertreten hat, stehen nicht im Einklang mit dem Leitbild der HU und den von ihr vertretenen Werten.“ Der Hochschule wird durch ein Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin – in erster Instanz, noch nicht rechtskräftig – untersagt, diese Aussage zu wiederholen. Aus der Begründung zitiert Vollbrechts Anwalt Ralf Höcker: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht verbietet es grundsätzlich dem unmittelbar an die Grundrechte gebundenen Staat, sich ohne rechtfertigenden Grund herabsetzend über einen Bürger zu äußern, etwa eine von diesem vertretene Meinung abschätzig zu kommentieren.“ In der Vergangenheit war es noch generell unüblich, dass Unis sich allgemeinpolitisch oder zu Meinungen einzelner ihrer Angehörigen äußerten.
Gottlose Cancel Culture
Passend zur Adventszeit zuletzt zurück zur Religion. Vergangenen Samstag wurden zwei neue deutsche Erzbischöfe vom Papst ernannt. Als neuer Oberhirte in Bamberg fungiert künftig Herwig Gössl, bisher Weihbischof und Dompropst selbiger Erzdiözese. Dieser hatte Anfang des Jahres eine Predigt im Bamberger Dom dem Thema Cancel Culture gewidmet. „Die angeblich von einer höheren Position gezeigte Entrüstung der Öffentlichkeit sei kein Zeichen für das Wirken des Geistes Gottes“, führte der katholische Kirchenmann aus, „sondern ein Zeichen der Gottlosigkeit“. Auf diese Weise werden Menschen abgeschreckt, den Mund aufzumachen. Im Gegensatz dazu „überspringt [Gott] immer wieder die klaren Abgrenzungen, die Menschen ziehen, um sich anderen gegenüber als etwas Besseres darzustellen“. „Das Motiv für ein solches Disqualifizieren oder Eliminieren anderer Meinungen sei oft die Suche nach Selbstbestätigung“, wird Gössl zitiert. Diese wiederum, so der Priester, habe mit der Schwäche und Verunsicherung der Menschen zu tun.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.