Henryk M. Broder / 05.10.2010 / 09:26 / 0 / Seite ausdrucken

Die Jüdin von Sötenich

Vor einiger Zeit hatte ich in Krakau zu tun und besuchte bei der Gelegenheit auch das alte jüdische Viertel, Kazimierz, das sich im Laufe der Jahre zu einer Touristenattraktion entwickelt hat. Die verfallenen Synagogen wurden restauriert, ein jüdisches Museum eröffnet, und in den Cafes, die “Ariel” und “Bagelmama” heissen, werden jüdische Speisen serviert, wie z.B. “Karp po zydowsku”, Karpfen auf jüdische Art, der berühmte “gefilte Fish”, eine Fischbulette in pikanter Tunke. Vor dem Krieg haben in ganz Krakau etwa 80.000 Juden gelebt, heute sind es gerade noch 150. Und im Kazimierz geben als orthodoxe Juden verkleidete Ukrainer den Ton an - “Klezmorim”, die Klezmer-Musik spielen und dabei so herumkaspern wie der “Fiddler auf dem Dach” in “Anatevka”.

Wir saßen also in einem der Cafes an der “Ulica Szeroka”, der Breiten Straße, und räsonierten darüber, dass die “jüdische Kultur” umso besser gedeiht, je weniger Juden es gibt; dass also das Nichtvorhandensein von Juden geradezu die Vorbedingung für eine Konjunktur des “Jüdischen” ist. Da trat ein junger Mann auf uns zu und fragte, was wir bestellen möchten. Er war nicht auf den ersten Blick als Kellner erkennbar, auch deswegen, weil er eine “Kippa” auf dem Kopf hatte, wie sie von normalen Juden beim Gebet und von strenggläubigen auch im Alltag getragen wird. “Entschuldigen Sie bitte”, sprach ich den jungen Mann an, “sind Sie jüdischer Herkunft?”. Ich wählte diese höfliche Formel, weil ich wusste, dass es Polen gibt, die erst nach dem Ende des Kommunismus ihre “jüdischen Wurzeln” entdeckt haben und nicht wussten, ob sie nun polnische Juden oder jüdische Polen oder was auch immer dazwischen sein wollten. “Nein”, antwortete der junge Mann und rückte dabei seine “Kippa” zurecht, “bin ich nicht, aber ich fühle mich jüdisch”. 

Ein paar Minuten später brachte er uns polnischen Kaffee und irgendeinen als “jüdische Spezialität” deklarierten Kuchen. Ich wollte ihn fragen, wie das so ist, wenn man sich “jüdisch” fühlt, aber ich traute mich nicht, denn ich wollte nicht arrogant erscheinen. Außerdem hatte ich Kopfweh und fühlte mich noch müde von der nächtlichen Zugreise.

Die Geschichte fiel mir wieder ein, als ich am 17.Juni “Monitor” schaute, mehr zufällig als absichtlich, weil ich wegen meiner Köln-Allergie keine Programme höre oder sehe, die wie “Kölsch” schmecken oder oder wie “Rievkoche” riechen. Aber diesmal horchte ich auf. “Monitor”-Moderatorin Sonia Mikich kündigte einen Beitrag über “deutsche Juden” an, die eine Hilfsaktion für die Not leidenden Menschen in Gaza planten, einem, so Mikich, “abgeriegelten Homeland”. Hier die ganze Anmoderation von Sonia Mikich:

?“Gerade mal 17 Tage ist es her, da gab es diesen - nach wie vor nicht untersuchten - Zwischenfall im Mittelmeer. Das israelische Militär stoppte gewaltsam eine Flotte mit Aktivisten - auch aus Deutschland - die die See-Blockade vor Gaza durchbrechen wollten. Jetzt kommen Bilder vom türkischen Fernsehen TV-net. Kurz nach dem Übergriff des israelischen Militärs. Der Passagierraum der Mavi Marmara ist ein Lazarett. Im Fußraum liegen Tote. Neun Aktivisten wurden getötet. Im Gaza leben 1,5 Millionen Menschen in einem abgeriegelten Homeland. Isabel Schayani und Nikolaus Steiner berichten über die nächsten Helfer, die übers Meer kommen werden - und es sind Juden aus Deutschland.”

Stellvertretend für die “Juden aus Deutschland”, die nun “übers Meer kommen” wollten, um den Eingeschlossenen von Gaza zu helfen, wurde eine ältere weisshaarige Frau gezeigt, die in einem sehr rheinischen Tonfall sagte:

“Ein Signal geht schon mal davon aus, egal, ob wir die Blockade durchbrechen oder nicht, dass man sieht, da sind Juden, die denken an die Menschen in Gaza und die zeigen anderen, vor allen Dingen Politikern, dass sie mit der Politik Israels nicht einverstanden sind.”

Was mir, außer dem Singsang in der Stimme, auffiel, war die Kopfbedeckung der Frau: eine weisse Haube, wie sie von holländischen Frauen in Volendam am Wochenende getragen wird, wenn Touristen kommen, die “authentische” Niederländer sehen wollen. In der nächsten Einstellung wurde gesagt, wie die Frau heisst und was sie macht: Edith Lutz “packt Spenden ein”, die per Schiff nach Gaza gebracht werden sollen. “Seit dem Übergriff (der israelische Marine auf die türkische Flotilla) haben sich Juden aus der ganzen Welt bei ihr gemeldet, aus einem Schiff sind jetzt drei geworden.”

Erst einmal sah man aber nur Edith Lutz, wie sie sich in einem mit Kartons vollgepackten Raum bewegte wie eine Lageristin im Brockenhaus. Eine Stimme aus dem Off sagte:

“Auch Medikamente werden sie mitbringen. Route und Abfahrtshafen halten sie geheim. Denn genau solche Schiffe will Israel verhindern. Aber was, wenn das Militär sie auf hoher See stoppt?”

Worauf Frau Lutz antwortete:??“Wir können es auch noch mal versuchen und noch mal versuchen. Und dann ist aber auch der Druck auf die Weltgemeinschaft auch größer.”

Dann wurde von einer Pro-Israel-Demo in Köln berichtet und auch ein Völkerrechtler von der HU Berlin befragt, der die Gaza-Blockade für “völkerrechtswidrig” erklärte, “weil sie die Zivilbevölkerung unverhältnismäßig belastet”; es gab auch einen O-Ton des schwedischen Außenministers Carl Bildt: “Diese Politik hilft der Hamas. Israel sagt ja selber, dass 80 Prozent der Waren durch die Tunnel kommen, und die Hamas betreibt diese Tunnel. Sie profitieren davon. Die Blockade nährt und stärkt die Hamas.”

Am Ende des etwa sieben Minuten langen Beitrags ging es wieder zurück in die Eifel, in das Haus von Edith Lutz. Ihr letztes Statement wurde mit diesen Sätzen anmoderiert:??“Die promovierte Judaistin durchbrach bereits vor zwei Jahren mit einem Schiff die Blockade und schaffte es bis nach Gaza. Die Bundesregierung, sagt sie, soll Israel härtere Bedingungen stellen.”

Nämlich diese:?

“Bevor ihr in die OECD reinkommt, bevor ihr von uns Wirtschaftshilfe bekommt, bevor ihr von uns diese immensen Waffenlieferungen bekommen, wir sehen ja, wofür ihr diese Waffen einsetzt. Wir machen uns ja mitschuldig an diesem Verbrechen.”

Frau Lutz war also nicht nur Jüdin, sondern auch Judaistin, eine Fachfrau fürs angewandte Judentum. Mehr Kompetenz, Israel zu kritisieren, konnte es nicht geben.

Ich war beeindruckt, aber nicht überzeugt. Irgendwas störte mich, roch nach Felicitas Krull. Die weisse Haube auf dem Kopf, der manische Blick, der missionarische Tonfall. Andererseits: Auch bei Juden ist jeder Jeck anders. Es könnte also eine jüdische Judaistin geben, die in Sötenich/Eifel lebt, einem Zentrum jüdischer Spiritualität, wo es nicht nur mindestens eine Synagoge, sondern sicher auch koschere Metzgereien zur Versorgung der jüdischen Gemeinde gibt.

Ich telefonierte ein wenig rum, fragte bei den beiden jüdischen Gemeinden in Köln nach, niemand dort hatte je etwas von einer Frau Edith Lutz gehört. Mit Googles Hilfe fand ich dann diese Seite über Frau Lutz (http://gaza-journey.blogspot.com/2008/08/dr-edith-lutz.html) und bei Amazon den Hinweis auf ein nicht mehr lieferbares Buch, das sie geschrieben hatte: Über Henrich Heine und den “Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden”. 

In der Rheinischen Post entdeckte ich einen Artikel, in dem Frau Lutz als “eine Powerfrau” vorgestellt wurde: “Vier Kinder, drei Studienabschlüsse, eine Promotion. Nun kämpft die gebürtige Leverkusenerin für den Frieden in Gaza.” (http://www.rp-online.de/bergischesland/leverkusen/nachrichten/Gebuertige-Leverkusenerin-kaempft-fuer-den-Frieden-in-Gaza_aid_671793.html)

Nicht schlecht, dachte ich, von Heine nach Gaza, manche kommen in ihrem Leben nicht mal von Bacharach nach Königswinter.

Ich legte die Geschichte zur Seite. Bis mir - leicht verspätet - ein Artikel aus der taz in die Hand fiel (“Ärger schaffen ohne Waffen”), der mit diesen Worten eingeleitet wurde: “Der politische Rückhalt für ihre Initiative ist gering. Die deutsche Jüdin Edith Lutz stört das nicht. Sie organisiert ein Hilfsschiff, auf dem nur jüdische Aktivisten mitreisen sollen.”

Seltsam, dachte ich, früher wurden Züge organisiert, in denen nur Juden mitreisen durften, heute ist es ein Schiff. Und weil nur Juden mitreisen sollen, müssen besondere Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden. 

“Seit ein paar Wochen fragt sie sich, ob der Mossad wohl ihr Telefon abhört. Wie sonst soll sie sich diesen merkwürdigen Anruf beim letzten Treffen mit den anderen Aktivisten erklären? ‘Jonathan!’, rief eine Männerstimme am anderen Ende der Leitung: ‘Jonathan?’ An einen Irrtum oder einen Zufall mag sie nicht glauben. Denn Jonathan, heißt ja einer der Skipper, die demnächst das Schiff mit Hilfsgütern nach Gaza steuern sollen. ‘Die Israelis sind IT-Experten’, sagt Edith Lutz. ‘Wir wissen gar nicht, was der Geheimdienst schon alles weiß.’ Sie bespricht also ihre Reisepläne möglichst nicht mehr am Telefon. Und wenn sie Mitstreiter persönlich trifft, nimmt sie vorsichtshalber den Akku aus ihrem Handy, damit das Gerät nicht abgehört werden kann. Niemand soll den Plan sabotieren, an dem sie seit Monaten arbeitet.” (http://www.taz.de/1/politik/nahost/artikel/1/aerger-schaffen-ohne-waffen/)

Und damit der allgegenwärtige Mossad, der es auf Frau Lutz abgesehen hat, nichts von ihren Plänen mitbekam, traf sie sich mit der taz-Reporterin konspirativ im Garten ihres Hauses in “Sötenich, einem blank geputzten Dorf in der Nordeifel, auf halbem Weg zwischen Bonn und der belgischen Grenze” zu einem gemütlichen Kaffee-Plausch und zeigte der taz-Frau auch, was sie alles nach Gaza mitnehmen wollte. Frau Lutz “schließt die Tür zu einem Nebengebäude ihres Hofes auf. In der staubigen, spinnwebverhangenen Kammer lagert ein Teil der Hilfsgüter für Gaza, Spenden von Schülern aus Deutschland. 80 bunte Schulranzen, Kinderrucksäcke und Turnbeutel, der Turm reicht fast bis unter die Decke. Edith Lutz öffnet einen Rucksack, darin sind Stifte und Schreibpapier, eine Kinderjeans, ein grün-weißer Ringelpulli, eine Plüschmaus, ein deutsches Kinderbuch. Auch einige Musikinstrumente, Medikamente und Fischernetze sollen mit an Bord.”

Der Artikel in der taz erschien am 12.7., also vier Wochen nach dem Monitor-Bericht, der mit den Worten endete: “Mitte Juli wollen sie in See stechen.” Doch statt, wie angekündigt, auf hoher See zu schaukeln, saß Frau Lutz im Garten ihres Hauses in Sötenich und zeigte einer aus Berlin angereisten Journalistin, was sie alles in einer “staubigen, spinnwebverhangenen Kammer” gehortet hatte, darunter eine Plüschmaus, einen Ringelpulli und ein deutsches Kinderbuch, lauter Dinge, die von den Kindern in Gaza schon sehnsüchtig erwartet wurden.

Da kann doch was nicht stimmen, dachte ich, meiner Intuition folgend, die Sache ist so koscher wie eine Portion Kassler. Und schrieb am 21.7. eine Mail an die Leiterin von Monitor, Sonia Mikich, die ich noch aus der Zeit kenne, die ich versehentlich in Köln verbracht habe.

liebe SM,
in einer der letzten monitor-sendungen war auch ein beitrag über “deutsche juden”, die eine hilfsaktion für gaza planen. wenn ich mich richtig erinnere, ging es dabei um zwei frauen, eine von ihnen war dr. edith lutz aus der eifel.
frau lutz ist ohne zweifel deutsche. woher aber weiss man/frau bei monitor, dass sie eine jüdin ist?
ich hoffe, es geht dir gut, ich bin derzeit in sydney.
beste grüße aus dem winter

Die Antwort kam umgehend, noch am selben Tag, wenn auch nicht von Sonia Mikich:

Sehr geehrter Herr Broder,
Sonia Mikich bat mich, Ihre Email direkt zu beantworten, da ich die Autorin des Beitrages war.
Sie fragen nach der Religionszugehörigkeit von Frau Dr. Lutz. Sie hat mir gesagt, sie sei vor vielen Jahren zum Judentum konvertiert, gehöre keiner Gemeinde und keiner speziellen Strömung an, sei im Zweifel sicher liberal und habe ausserdem Judaistik studiert. Die “Jüdische Stimme”, Frau Leiterer und Herr Prof. Verleger aus Lübeck bestätigten mir ebenfalls, dass Frau Lutz Jüdin ist und stellten dies nicht in Frage.

Ich hoffe, Ihre Frage damit beantwortet zu haben.
Mit freundlichen Grüßen aus Köln auf die andere Seite des Erdballs
Isabel Schayani
Redaktion MONITOR

Ich fand diese Antwort extrem unbefriedigend und schrieb Frau Schayani am nächsten Tag eine weitere mail:

sehr geehrte frau schayani,
“jude” bzw. “jüdin” ist ebenso wie “eventmanager” oder “wunderheiler” keine geschützte berufsbezeichnung. seien sie bitte so nett und fragen sie bei frau lutz nach, wann und bei welchem rabbiner sie konvertiert ist und welcher “beit din” die konversion bestätigt hat. alles übrige ist mumpitz…
mit dank für ihre mühe und sonnigen grüßen aus australien

Frau Schayanis Antwort liess nicht lange auf sich warten, war aber im Grunde nur eine Wiederholung ihrer ersten mail:

Sehr geehrter Herr Broder,
wir haben Edith Lutz in ihrer Funktion als  Ansprechpartnerin für die deutsche Delegation des “jewish ship to gaza” gefragt und von ihr mehrfach die Aussage erhalten, sie sei Jüdin, gehöre aber zu einer Gemeinde. Die Aktivistin Dr. Leiterer, Ihnen vermutlich bekannt und der
Vorsitzende Verleger, denen ich diese Frage auch stellte, haben mir dies bestätigt und zweifelten nicht an ihrer Aussage. Aus den beiden Kölner Gemeinden habe ich gehört, dass sie dort, eben so, wie sie es mir gleich zu Beginn sagte, kein Mitglied sei.
Von Köln nach Australien einen freundlichen Gruß von Isabel Schayani

“Doppelt jemoppelt, hält besser”, sagt der kölsche Volksmund. Das war offenbar auch die Devise von Frau Schayani. Ich teilte ihr am 30.7. mit, dass ich mich leicht veräppelt fühlte:

sehr geehrter frau schayani,
in ihrer mail vom 27.7. wiederholen sie das, was sie schon in der mail vom 21.7. geschrieben haben. dadurch wird die sache nicht besser. zudem schreiben sie: “...gehöre aber zu einer gemeinde”, was den unsinn auf die spitze treibt.
könnte es sein, dass sie meine höfliche anfrage nicht ernst nehmen?
also noch einmal und ganz langsam, so dass es auch in köln verstanden wird.
jude ist, wer von einer jüdischen mutter geboren wurde oder entsprechend der “halacha” zum judentum übergetreten ist. beides ist bei frau dr. lutz nicht der fall. sie ist bestenfalls “judaistin”, aber keine jüdin. sie hat sich selber “konvertiert” und sie (i.e. monitor) sind auf diesen schwindel reingefallen, weil es in ihr konzept gepasst hat. in diesem zusammenhang ist es irrelevant, ob sie herrn verleger oder den chef des kölner dreigestirns fragen, ob frau lutz jüdin ist oder nur eine durchgeknallte eifeler hausfrau mit drang zum höheren.
bleibt also nur die frage: machen sie die monitor-zuschauer auf diese fehlleistung aufmerksam oder soll ich es tun?
mit besten grüßen vom fünften kontinent

Die Antwort kam prompt, am selben Tag:

Sehr geehrter Herr Broder,
bevor ich in den Urlaub aufbreche, auf diesem Kontinent bleibend, diese Antwort auf Ihre Mail von heute früh.
Wir nehmen Ihren Einwand ernst und werden ihn prüfen. Im eigenen Interesse.
Vom Ergebnis unserer Recherchen werden wir Sie und gegebenenfalls auch unsere Zuschauer informieren. 
Mit freundlichen Grüßen aus Köln
Isabel Schayani

Doch dann hörte ich nichts mehr von Frau Schayani, ich fing schon an, mir Sorgen zu machen; hoffentlich war ihr im Urlaub nichts zugestoßen. Sie wird doch nicht nach Gaza gereist sein, um von dort live über die Ankunft des “jüdisches Schiffes” zu berichten?

Ein paar Wochen vergingen, das “jüdische Schiff”, das Mitte Juli “in See stechen” wollte, lag immer noch irgendwo vor Anker, Frau Lutz sammelte weiter bunte Ranzen und Plüschmäuse für die Kinder in Gaza, die sie in ihrer “staubigen, spinnwebverhangenen Kammer” aufbewahrte. Da bekam ich am 30.8. eine mail von Sonia Mikich, mit der sie sich von jeder Verantwortung freisprach und mir den Schwarzen Peter zuschob.

Lieber Henryk,
ein paar persönliche Zeilen zu den Mails an Isabel Schayani. Ich nehme Deine Fragen ernst, bin aber über Ton und Drängen doch reichlich verwundert. Die Faktenlage: Frau Lutz hat sich uns gegenüber bei den Dreharbeiten als Jüdin vorgestellt, die Jüdische Stimme (und später die EJJP) haben dies auf unsere Nachfrage auch bestätigt. Bei den Nachfragen in den letzten Wochen hat Frau Lutz auf ihre Privatsphäre insistiert. Das gilt bis zum heutigen Tag.
 
Sollte das nicht ausreichen, zumal Frau Lutz eine von vielen Personen ist, die diese Schifffahrt organisieren und der Kern des Berichtes ja die Blockade war? Wieviel Glaubensschnüffelei sollte ein Journalist Deiner Meinung nach betreiben? (Hat jeder Kollege recherchiert, ob Du - theologisch unanfechtbar - Jude bist, wenn Du Dich zu jüdischen Fragen geäußert hast?) Und wäre das wirklich wünschenswert? Was ist mit Bekenntnissen insgesamt?...
Uns Unredlichkeit bei der Recherche zu unterstellen, finde ich ehrlich gesagt etwas seltsam.

Mit freundlichen Grüßen
Sonia

Ich verspürte einen leichten Brechreiz und überlegte, ob ich mich nicht auf den Weg nach Köln machen und vor der Abteilungsleitertür von Frau Mikich im WDR übergeben sollte, um dann anzuklopfen und sie höflich zu bitten, die Sauerei wegzumachen. Das Anstößige war also nicht, dass die Monitor-Redaktion sich eine eingebildete Jüdin als Protagonistin eines Berichts über ein “jüdisches Schiff” ausgesucht hatte, um aus einem belanglosen Furz einen grandiosen Fackelzug zu machen, das Anstößige war, dass ich “Glaubensschnüffelei” betrieb, indem ich das in Frage stellte, was den Kern des Monitor-Berichts ausmachte: die Jüdischkeit von Frau Dr. Edith Lutz aus Sötenich in der Eifel auf halbem Weg zwischen Bonn und der belgischen Grenze. Noch anmutiger war nur noch, dass Sonia Mikich gerne wissen wollte, ob ich in der Lage wäre, mein Judentum “theologisch unanfechtbar” zu belegen.

Die Chuzpe, die in ihrem Brief zum Vorschwein kam, war eine Grenzüberschreitung, die mit der Unbedarftheit der Urheberin nicht entschuldigt werden konnte. Also machte ich mich wieder auf die Socken.

Ich rief Prof. Dr. Rolf Verleger in Lübeck an, der eine Weile den Landesverband der jüdischen Gemeinden von Schleswig-Holstein im Präsidium bzw. Direktorium des Zentralrates der Juden vertrat. Er war es, der Monitor gegenüber Frau Lutz für koscher erklärt hatte. Verleger ist Psychologe von Beruf und Antizionist aus Leidenschaft. Er nimmt gerne an Tagungen und Seminaren teil, auf denen über das “Existenzrecht” Israels diskutiert wird. Persönlich soll er ein netter und umgänglicher Mensch sein, und so war er zwar überrascht, als ich mich bei ihm meldete, aber durchaus kooperativ, als habe er schon mit meinem Anruf gerechnet. “Ich wette”, sagte er, “Sie wollen von mir etwas über eine bestimmte Person wissen”. - “So ist es”, antwortete ich, “und Sie ahnen schon, um wen es geht”. 

Am 28.9. schickte ich diese mail an Prof. Dr. Rolf Verleger in Lübeck:

lieber herr verleger,
ich habe sie eben angerufen. es geht, wie sie schon vermutet haben, um frau edith lutz, die “deutsche jüdin”.
nachdem “monitor” am 17. juni einen bericht über frau lutz und die “jüdische stimme…” ausgestrahlt hatte (http://www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2010/0617/gaza.php5), fragte ich bei der redaktion nach, woher man dort wisse, dass frau lutz eine jüdin sei. als antwort wurde mir mitgeteilt, man habe bei ihnen nachgefragt, und sie hätten gegenüber “monitor” erklärt, frau lutz sei eine jüdin.
nun sind sie ein gesetzestreuer jude, während ich nur “glatt hiloni” bin. aber wir beide wissen, was die halacha sagt. frau lutz hatte keine jüdische mutter, und für einen übertritt gemäss der halacha gibt es keinen beleg. es sei denn, sie hätten einen. in diesem falle wäre ich ihnen sehr dankbar, wenn sie mir sagen könnten, bei welchem rabbiner und vor welchem beit din frau lutz konvertiert ist. sie selbst verweigert darüber jede auskunft.
für eine ernsthafte antwort wäre ich ihnen sehr verbunden
mit den besten grüßen und einem späten aber herzlichen schana tova
ihr hb

Einen Tag später, am 29.9., hatte ich die Antwort von Prof. Dr. Rolf Verleger, mit der er bewies, dass er nicht nur ein praktizierender, sonder tatsächlich ein gläubiger Jude ist.

Sehr geehrter Herr Broder,
als mir Dr. Edith Lutz zum ersten Mal im August 2006 schrieb, teilte sie mir mit, sie sei “jüdischen Glaubens”. Es gab für mich keinen ersichtlichen Grund, daran zu zweifeln. (Ich zweifle ja letztlich - nach erster Skepsis am Telefon - auch nicht daran, dass Sie tatsächlich der bekannte und beliebte Henryk Broder sind und habe mir nicht Ihren Lichtbildausweis faxen lassen.)
Daher sagte ich auch der Journalistin von “Monitor” am Telefon, meiner Kenntnis nach sei Frau Dr. Lutz Jüdin.
Den Verdacht, sie sei nur in ihrem Herzen, aber niemals formal zum Judentum übergetreten, äußerte ich gegenüber Frau Lutz aufgrund weiterer Nachfragen der Journalistin am 22. 8.10. Frau Lutz’ Antwort räumte diesen Verdacht nicht aus. Das ist der Stand der Dinge…

Des weiteren liess mich Prof. D. Rolf Verleger wissen, er habe jahrelang mit einem “Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland zu tun” gehabt, der seinerseits kein Jude war. Dennoch sei er, Verleger, nicht auf “die Idee gekommen, dass daher auch die von ihm durchexerzierten Unternehmungen des Zentralrats… nicht jüdisch seien”.  Von so viel Logik einer akademischen Kapazität schwer beeindruckt, verzichtete ich auf weitere Nachfragen, darunter auch die, ob er, Prof. Dr. Rolf Verleger, auch seinem Metzger aufs Wort vertrauen würde, wenn er, der Metzger, auf die Idee käme, ihm eine Schweinshaxe als Tafelspitz anzubieten.

Inzwischen ist Frau Edith Lutz, die “nur in ihrem Herzen zum Judentum übergetreten ist”, tatsächlich übers Meer gesegelt, mit einem Katamaran und weiteren neun “Aktivisten” an Bord, darunter dem “Holocaustüberlebenden” und Titelbetrüger “Dr.” Reuven Moskowitz, der sich auf eine ähnliche Weise selbst promoviert hat, wie Frau Lutz konvertiert ist. Als der Törn aufgrund einer Intervention der israelischen Marine in Ashdot statt in Gaza endete, wurden an Bord der “Irene” drei Rucksäcke mit Kinderspielzeug gefunden. Alles übrige ruht noch immer in der “staubigen, spinnwebverhangenen Kammer” in Frau Lutz’ Anwesen in Sötenich in der Eifel. Die Medikamente, die Musikinstrumente und auch die Fischernetze.

Von dem Schreiben von Sonia Mikich an mich abgesehen, hat sich Monitor des Falles nicht wieder angenommen. Dabei müssten grade jetzt ein paar offene Fragen beantwortet werden. Was macht die “deutsche Jüdin” Edith Lutz mit all den Sach- und Geldspenden, die sie angenommen hat? Was taugt ein Psychologe als Gutachter, der offenbar noch nie etwas vom Wilkomirski-Syndrom gehört hat? Und vor allem: Wie kam Frau Edith Lutz an Bord des Hilfsschiffs “Irene”, auf dem “nur jüdische Aktivisten mitreisen” sollten?

Seit kurzem ist die Jüdin von eigenen Gnaden wieder daheim in Sötenich. Nach ein paar Tagen in israelischer Haft wurde sie in die Eifel abgeschoben. Kaum angekommen, stellte sie auf einer einschlägigen Homepage eine Information ins Netz. Sie bedankte sich bei der deutschen Botschaft in Tel Aviv (“The German embassy did a good job. They were in contact with the Israeli Foreign ministry… and visited me twice”), klagte darüber, dass sie von den Israelis nicht im Dan Hotel an der Tel Aviver Promenade einquartiert wurde (“In my dirty prison cell at Ramle I continued writing my diary, but often had to rest and lie down because of the strong impact of the experience and the waves swinging within me”) und fand einigen Gefallen an der Art, wie sie verabschiedet wurde: “Two policemen took me directly into the plane… which makes you feel like a vip.”

Vor allem aber bat sie ihre zahlreichen Freunde, sie erst einmal nicht anzurufen, um die Leitung für die wirklich wichtigen Anrufe frei zu halten: “I ask my friends not to contact me on phone unless it is for media reasons. Media can e-mail me or phone me (+49 2441 4740) and ask me to call back.” (http://www.ipk-bonn.de/gesellschaft/news/2010100200.html)

Ab sofort steht sie auch Monitor wieder zur Verfügung.

(Eine Kurzfassung dieses Artikels steht heute im Berliner Tagesspiegel unter: http://www.tagesspiegel.de/medien/von-heine-nach-gaza/1949094.html)

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