Sehr geehrter Herr Seitz, wieder ein brillianter Artikel - auch ihr eigener Leserbrief! Die Entwicklungshilfe dieser unserer Bunderegierung verteilt meines Erachtens den Geldsegen reichlich “blauäugig”. Ich wünsche mir mal eine TV-Diskussion mit Ihnen und unserem Entwicklungshilfeminister Gert Müller - wenn der keine Traute hat - wäre ein Herr Grill auch sehr interessant als “Gegenüber”. Aber leider wird Sie unser öffentlich-rechtliches Gutmenschen-TV nicht zu einer solchen Diskussion einladen; vermutlich stehen Sie da - wie viele andere achgut-Autoren auch - auf dem “Schlechtmenschen-Index”. Schönes Wochenende! Bevor ich es vergesse: Ein Staßenumbenennung ist der absolute Horror für die Anwohner der umbeannten Straße (Briefpapier/Visitenkarten müssen upgedated werden; aslle Freund, Behörden/Lieferanten etc müssen angeschrieben werden. Und bis alle alten, nicht updatefähigen Navigationsgeräte ausgemustert sind, dauert es ne Weile ...
Immerhin hat Grill versucht, ein realitätsnaheres und differenzierteres Bild zu zeichnen, wie bereits zuvor in seinem Spiegel - Report über Namibia. Dieser hatte mich sehr überrascht, denn differenzierte, alle Fakten berücksichtigende Reportagen sind selten geworden. Nur deart fundierte Analysen führen aber weiter. Leider (oder natürlich) kann er nicht aus seiner Haut. Die Vermutung, die Afrikaner kämen, um uns zu strafen, ist m. E. abwegig. Sie zeigt aber, wie verhaftet er in seinem Denken ist. Man könnte fragen, ob dieses Denken, dass Afrikaner durchweg als Opfer sieht und sie faktisch für völlig außer Stande sieht, sich selbst zu helfen, nicht Rassismus in anderem Gewand ist. So wie Antisemitismus gelernt hat, sich zu maskieren, scheint es mir der Fall auch beim Rassismus zu sein, denn nichts ist überheblicher als zu meinen, Afrikaner müssten zu uns kommen, weil sie es niemals selber schaffen könnten, wir daher immer für sie sorgen müssten. Wie muss man sich selber sehen, um so zu denken? Und wie wenig muss man Afrikanern zutrauen, wenn man kein Risikokapital und menschliche Ressourcen zur Verfügung stellen will, um mit einer Art start - up city, wie Romer sie vorschlug, ihnen eine echte Chance zu geben? Entweder hält man Afrikaner dann wirklich für komplett unfähig, was Rassismus wäre, oder man will die Abhängigkeiten nicht ändern, was eine Form von Despotismus wäre. Beides wäre moralisch nicht besonders hochwertig!
Machen wir es doch kurz: Die ganze Welt ist verantwortlich für die “Probleme” Afrikas. Nur nicht die Afrikaner, die übrigens selbst aufgeprägtes “Herrenmensch”-Denken kultivieren. Nicht nur die Moslems im Norden auch die Schwarzafrikaner.
Wer Ergänzendes zur deutschen Kolonialzeit lesen will sei “Deutsche Botschaft Peking - Das Jahrhundert deutsch-chinesischen Schicksals” von Bernd Ruland empfohlen (1973, ISBN 3-7770-0115-5) Hier geht er - noch mit Informationen einer Erlebensgeneration- nicht nur auf die Geschehnisse in China ein, auf chinesische Überläufer im Ersten Weltkrieg, sondern berichtet z.B. auch von der begeisterten Aufnahme der von den Engländern vertriebenen Deutschen in Togo 1921. Warnung: Dieses Buch kann auf politisch korrekte verstörend wirken! Es beschreibt ganz klar die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Man sollte sich auch einmal die Frage stellen, warum es einer 15.000 Mann starken Truppe -mit gerade einmal 10 % deutscher Offiziere- gelang, sich den ganzen Ersten Weltkrieg erfolgreich gegen die englichen “Befreier” zu widersetzen und erst mit der Kapitulation des Reichs die Waffen strecken mussten. Könnte es nicht sein, dass die Alternative für die schwarzen Soldaten gar keine war? Vielleicht nach Kennenlernen der Alternative in Togo und Kamrun erst recht Begeisterung auslöste? Alle Kolonialstaaten sahen sich um die Jahrhundertwende als geistig und moralisch überlegen an und somit zur Hilfe für die unmündigen, oft aus deren Sicht primitiven Regionen verpflichtet. Es war die Entwicklungshilfe der Jahthundertwende. Ist dies denn heute soviel anders? Der Herrenmensch ist nun ein Gutmensch, die geistig-moralische Überlegenheit dieselbe, auch das Ausbeuten funktioniert gut (z.B. Kongo) nur eben anders.
Wenn diese Auffassungen dazu führen, dass die “Entwicklungshilfe” in ihrer derzeitigen weitgehend sinnlosen, ineffektiven und eher schädlichen Form abgeschafft wird als “Erbe des Kolonialismus”, wenn also unser “schlechtes Gewissen” genauso behandelt wird wie das fehlende Gewissen derer, die seinerzeit Unrecht begangen haben, dann unterstütze ich die Grillsche Weltsicht uneingeschränkt. So falsch das alles ist, so nützlich wäre es. Denn es gibt sehr wohl das Richtige im Falschen. Warum nicht den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, wenns am Ende auch dem Beelzebub an den Kragen geht? Die Wahrheit ist, dass die absurde Behauptung, die Probleme des heutigen Afrikas seien ausschließlich Probleme, die durch den Kolonialismus hervorgerufen wurden, in der Tat kolonialistisches Denken offenbaren. In jedem Fall wird den Afrikanern das Recht abgesprochen, selbst verantwortlich zu sein, sei es fürs Gute, sei es fürs Böse. Insofern hat Grill, ohne es zu wissen und zu wollen, tatsächlich Recht.
Ich habe das Buch nicht gelesen und werde es auch nicht lesen. Ich habe genug vom deutschen Masochismus auch in Bezug auf die kurze koloniale Vergangenheit. Wie Herr Seitz habe auch ich mich gründlich in Togo und Kamerun umgeschaut und viele Gespräche mit Angehörigen aller Bevölkerungsschichten geführt, vom Hafenarbeiter über Lehrer und Politiker bis zum König von Togo (es gibt immer noch einen und er ist nicht ohne Einfluss) und seinen Söhnen. Nie hat mir jemand einen Vorwurf gemacht, nicht einmal die Politiker, die gelegentlich lautstark irgendwelche Forderungen erheben, häufig auf Veranlassung von außen, aber nicht für das eigene Publikum, das daran nicht interessiert ist, sondern um einschlägigen deutschen Politikern einen Anlass zu liefern, mal wieder ihr Steckenpferd zu reiten. Es ist unbestritten, dass es in der Kolonialzeit viel Ungerechtigkeit gegeben hat und nach heutigem Verständnis auch Verbrechen. Aber das interessiert kaum noch jemanden, nicht zuletzt, weil es von den Verbrechen und der Koruption der heute Herrschenden vollkommen überlagert wird. Die Zeit der deutschen Herrschaft wird meist undifferenziert als die “gute alte Zeit” gesehen unter Hinweis auf Hafen- und Eisenbahnbau, auf die für afrikanische Verhältnisse gut funktionierende Verwaltung und die angeblich unpateiische Gerichtsbarkeit. Persönliche Ressentiments habe ich nie gefunden, obwohl es sie sicherlich auch gibt. Ein Gesprächspartner erzählte mir schmunzelnd, dass sein Großvater zu 20 Stockhieben auf das blanke Gesäß verurteilt wurde, weil er gegen die Mauer der Kathedrale uriniert habe. Das fand er anscheinend ganz in Ordnung.
>>Das klingt weltfremd, aber so in etwa stellen sich viele junge Afrikaner das Leben in Deutschland und anderen westlichen Ländern vor. << Warum weltfremd? Genauso ist es doch hier in Deutschland! Anspruch auf monatlichen Geldeingang allein durch (multiple?) physische Anwesenheit im Land. Gibt es nirgends sonst. Würde ich auch machen, wenn für mich als Deutschen so ein Land gäbe… Und so gut und informiert Ihre Analysen sind, Herr Seitz: ändern tun sie nichts. Leider.
Unterhält man sich mit Afrikanern, deren Familien aus ehemaligen deutschen Kolonien stammen, reden diese häufig auffällig positiv über die Kolonialzeit. So als seien sie geradezu stolz darauf, dass die Deutschen einmal ihr Land beherrscht haben. Gerne berichten sie von noch sichtbaren Spuren dieser Kolonialzeit. Anders verhält es sich bei den Machthabern. Diese weisen auf begangene Ungerechtigkeiten hin und betonen die Schuld der Kolonialmächte und deren Verantwortung für die derzeit schwierige Lage vieler afrikanischer Länder. Oft geht es ihnen in Wirklichkeit um persönliche Bereicherung und da ist es durchaus nützlich ein schlechtes Gewissen bei denjenigen zu erzeugen, die dicke Portemonnaies vorweisen können. Das linke „Opfer- und Empörungs-Vokabular“ haben die nicht selten bereits verinnerlicht. Den Chinesen, die in Afrika sehr „aktiv“ sind, braucht man auf „diese Tour“ nicht zu kommen. Das wissen die Machthaber. Obwohl das doch Kommunisten sind ... Nur, naiv sind sie nicht.
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