Volker Seitz / 09.03.2024 / 06:00 / Foto: Pixabay / 58 / Seite ausdrucken

Kolonialismus auf dem Obstteller?

Überall werden Spuren des Kolonialismus aufgedeckt, denn es muss schließlich „dekolonisiert" werden. Auch in Botanischen Gärten und auf dem Obstteller. Doch woher kommen die Kolonialfrüchte wirklich?

Der Deutschlandfunk berichtete am 19. Februar 2024 unter dem Titel „Wie viel Kolonialismus steckt in unseren Gärten?“ über die angebliche koloniale Vergangenheit in unseren botanischen Gärten. Die Sendung nennt sich „Wissenschaft im Brennpunkt.“ Die Tradition des „Pflanzensammelns“ sei ohne Zustimmung der Menschen in den Ländern, damaligen Kolonien, begründet worden. Die Pflanzen müssten „dekolonisiert“ werden. 

Wer sich als Laie eine fundierte Meinung zu dem Thema bilden will, hat es schwer. Der Trend zur „engagierten“ Wissenschaft scheint unaufhaltsam. Es geht laut einer Befragung des Deutschen Hochschulverbandes für jüngere Wissenschaftler oft nicht darum, Wissen zu generieren und zu verbreiten, sondern gesellschaftliche Probleme zu beheben und „politische Beratung“ zu leisten. Das bedeutet, nicht nur beim „Botanischen Kolonialismus“ liegt deshalb eine bewusst verzerrte Medienberichterstattung vor. Im Sinne der herrschenden Meinung werden wichtige Aspekte weggelassen. Mit rechthaberischem Moralismus wird bei uns jede beliebige Wahrheit „bewiesen“. Ich kenne andererseits Afrikaner, die sich darüber lustig machen, weil sie eine erfrischend skeptische Einstellung gegenüber der Besessenheit haben, mit der so viele sich heftiger mit der Vergangenheit beschäftigen als mit der Zukunft.

Da ich den Kontinent am besten kenne, bin ich den kolonialen Spuren vor allem in Bezug auf Afrika nachgegangen. Ich beschränke mich auf vier Obstarten und die Vanillepflanze, um den Ursprung der Pflanzen aufzeigen. Sie sind für viele Konsumenten die beliebtesten exotischen Produkte aus Afrika. Die Frage ist, ob sie tatsächlich aus Afrika stammen und deshalb dekolonisiert werden müssen. Machen Sie sich selbst ein Bild.

Ananas

Die Ananas war eine der ersten Pflanzen, die aus Südamerika nach Europa kamen. Sie war dort auch ein uraltes Heilmittel gegen Entzündungen und Schmerzen. 1661 kam die erste reife Ananas nach England. Etwas später gelang den Niederländern und Franzosen ihre Kultivierung in beheizten Gewächshäusern, und so wurde die Tropenfrucht im 18. Jahrhundert zum Statussymbol der Reichen.

Heute wird sie in Afrika vor allem in Nigeria, Benin, Ghana, der Côte d’Ivoire und Kenia angebaut. Sie ist anspruchslos, was die Bodenverhältnisse betrifft. Gleichmäßige Temperaturen von 25 bis 32 Grad bilden gute Voraussetzungen.

In Afrika werden tropische Früchte wie die Ananas zu einem Großteil von Kleinbauern erzeugt und sorgen so für Einkommen.

Ich habe auf dem Kontinent zahlreiche Ananas probiert. Die für mich schmackhafteste Sorte ist „Pain de Sucre“. Sie wird traditionell nur im Süden Benins für den eigenen Verbrauch und Export (jährlich ca. 600 Tonnen) kultiviert. Ich habe die Sorte allerdings nur einmal außerhalb Benins auf einem Wochenmarkt in Südfrankreich gesehen. Das Fruchtfleisch ist hellgelb, zart, saftig und süß. Der Strunk im Innern ist weich und essbar. 

Bananen 

Die aus Neuguinea stammende Pflanze wurde nach Forschungen eines archäologischen Teams um Julius Leu von der Mbarara University of Science & Technology in Uganda bereits vor 4.500 Jahren kultiviert. Auch im Süden Kameruns wurden 2.500 Jahre alte Überreste kultivierter Koch(?)-Bananen entdeckt. Analysen sind meist nur in Europa oder USA möglich, weil dort – anders als in den meisten afrikanischen Staaten – die nötigen Labore vorhanden sind. Afrikanische Wissenschaftler werden in ihren Ländern (Ausnahme Uganda) selten gefördert. Wie die Bananen erstmals nach Afrika kamen, ist nicht bekannt.

Die Pflanze breitete sich von Neuguinea nach Südostasien aus. Von dort brachten arabische Händler die Frucht erneut nach Afrika. Es waren allerdings Kochbananen für die Selbstversorgung. Sie sind heute noch ein Grundnahrungsmittel in Afrika, ähnlich wichtig wie die Kartoffel in Europa.

1870 wurde die Banane – wie wir sie heute kennen – aus Jamaika in die USA gebracht. Sie wurde teilweise günstiger angeboten als Äpfel und war deshalb sehr beliebt. Amerikanische Firmen haben in Süd-Mittelamerika investiert, und es entstand erstmals eine Obstindustrie (United Fruit Company, heute Chiquita Brands International). 1930 war United Fruit Company der größte Arbeitgeber in Süd-Mittelamerika und hatte großen Einfluss in diesen Ländern. Allerdings wurden alle Plantagen der Dessertbananen von einem Pilzbefall zerstört (Panama-Krankheit). Als wesentlicher Grund für die Krankheitsanfälligkeit der Plantagenkulturen gilt die vegetative Vermehrung der Pflanze.

Als Exportprodukt wurde die bisherige Sorte Gros Michel oder Big Mike von der aus Vietnam oder China stammenden Cavendish-Banane abgelöst. Standard Fruit (heute Dole) baute die neue Sorte Cavendish an. Diese Bananensorte ist nicht so anfällig gegen Pilze. Sie hat eine dünnere Schale und kann deshalb nicht mehr als Staude verkauft werden. Deshalb wurde die stabile Bananenkiste erfunden. Die Kisten können jetzt direkt auf den Plantagen verpackt werden. Die Banane kann im ganzen Jahr geerntet werden. Ab den 1960er Jahren kommt die Banane auch nach Deutschland. 

Jedes afrikanische Land freut sich über Einnahmen aus Exporten. In Kamerun machen sie einen erheblichen Teil der Exporte in die Länder der Europäischen Union aus. Mit 22.721 Tonnen erreichten die Bananenexporte im Januar 2024 ein Allzeithoch. 2023 waren es noch 18.101 Tonnen. Um die Einnahmen zu maximieren, will das Land die nationale Produktion nach den Angaben des Kamerunischen Bananenverbandes (Assobacam) auf 500.000 Tonnen steigern. Kamerun ist nach Uganda der zweitgrößte Exporteur von Bananen. Weitere wichtige Exporteure des Kontinents sind der Kongo (Kinshasa) und Ghana.

Mango

Die Mango wurde bereits vor 4.000 Jahren in Asien kultiviert. Wissenschaftler streiten sich allerdings noch, ob die Frucht ursprünglich aus dem Gebiet zwischen den indischen Assam und Myanmar oder aus Borneo stammt. Heute ist das führende Erzeugerland Indien. Neben Bananen werden Mangos weltweit am meisten gegessen. Es gibt 2.000 Sorten. In Indien gilt der Mangobaum bei Hindus und Buddhisten als heilig. Die Portugiesen brachten die Frucht vermutlich zu Beginn des 16. Jahrhunderts von Goa nach Ost- und Westafrika. 

Mangobutter ist in vielen kosmetischen Produkten enthalten. Sie schützt die Haut vor Austrocknung. Neben Indien und Südamerika werden Mangos heute auf dem Kontinent vor allem in Nigeria, Kamerun, Kenia, Malawi, Mosambik und Südafrika angebaut.

Vanillepflanzen 

Auch die Vanille-Schote, die heute in Madagaskar und den Nachbarinseln Komoren, Mauritius und La Reunion (früher Ile Bourbon) verortet wird, kam ursprünglich nicht aus Afrika. Sie wurde von den Azteken entdeckt und kultiviert (Tlilxochill oder Schwarze Schote). An Bord spanischer Schiffe kam das Gewürz Mitte des 16. Jahrhunderts nach Europa, wo es bei der Zubereitung von Kaffee und Schokolade verwendet wurde. Vanille zählt zu den Orchideen und umfasst etwa 120 Arten. Allerdings werden nur drei Arten kommerziell angebaut.

Während der Kolonialzeit bauten die Franzosen Vanille, Kaffee und Gewürznelken auf Madagaskar und den genannten Nachbarinseln an. Heute ist Madagaskar der größte Vanille-Lieferant (über 6.000 Tonnen) der Welt; eine wertvolle Einnahmequelle für die Dorfbewohner. Die Vanille aus Madagaskar trägt den Qualitätsmarkennamen „Bourbon-Vanille“. Die Qualität und das Aroma der teuren und kostbaren Gewürze hängt vom mühevollen Trocknungs- und Fermentierungsverfahren ab. Auf dem Weltmarkt ist Vanille derzeit knapp und teuer.
 
Welches Obst kommt denn nun ursprünglich wirklich aus Afrika? Jackfrucht. Die Frucht ist in Europa noch weitgehend unbekannt und wird vorwiegend in Bioläden als „Schnetzel“ verkauft. Der Geschmack erinnert an Hühnerfleisch und ist ein Ersatzprodukt für Veganer, die „Fleisch“ essen wollen. Jackfrüchte müssen allerdings mit dem Flugzeug transportiert werden und sind deshalb im Schnitt 25 Prozent teurer als andere Fleischimitate.

 

Volker Seitz, Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“ dtv, 11. Auflage (2021)

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Wolfgang Kolb / 09.03.2024

Lieber Herr Seitz, Vielen Dank - ein hervorragender Artikel! Zeigt er doch, wie verrückt die woke Blase geworden ist. Stellen Sie sich vor, folgende Feldfrüchte würde man ebenfalls, weil von Kolonien eingeführt vom Teller verbannen: - Kartoffel aus Südamerika - Tomate aus Südamerika - Zuckerrohr - aus Polynesien - Tabak - aus Zentral- und Südamerika - Kaffee - aus Ostafrika - Bohnen - aus Afghanistan / Nordindien und Südamerika Pommes und Ketchup - gone! In weiten Teilen Afrikas hat die Tomate die Stelle eines Grundnahrungsmittels eingenommen. Zuckerrohr und die Endprodukte Rohrzucker und Rum haben einen festen Platz in unserem Leben. Tabak wird weltweit angebaut und konsumiert Von Kaffee nicht zu reden. Es ist gut und richtig, dass es einen Austausch gibt. So haben Kolonien von anderen Errungenschaften profitiert, so zum Beispiel im Gesundheitswesen, der Verwaltung oder einer Sprache.

Gus Schiller / 09.03.2024

Ja dann machen wir doch geputzte Platte. Welches Obst oder Gemüse stammt denn wirklich aus heimischen Landen? Genau genommen wurde doch alles irgendwann von irgendwoher importiert. Selbst Äpfel und Kohl oder Getreide sind nicht deutsch/europäischer Herkunft.  Konsequenz: wir stellen das Leben hier ein, mangels adäquater Ernährung.

Wilhelm Rommel / 09.03.2024

@R. H. van Thiel: Was Ihre Beobachtung zum Bananenkonsum in D betrifft, möchte ich Ihnen ausdrücklich zustimmen und Zweifel an der Mitteilung des Autors anmelden: In den Kindheits-Erinnerungen älterer Zeitgenossen spielte begeisterter Bananen-Konsum selbst im kleinstädtisch-ländlichen Raum des Mittelwesergebiets während der 20er Jahre bereits eine beachtliche Rolle. Sogar in die briefliche Überlieferung fanden einschlägig-amüsante Kindersprach-Belege Eingang: “Onkelchen, wenn Du Dir ‘Prömken’ (=Kautabak) holst: Bringst Du uns auch ‘Apfelsinen und Banadinen’ mit?”. Das überlieferte Familienrezept der in Butter gebratenen Bananen mit Zucker und Zimt dürfte in dieser Zeit gleichfalls seinen Ursprung haben…

gerhard giesemann / 09.03.2024

Welch Glück, dass die Deutschen den WW I verloren haben und damit alle Kolonien abliefern mussten, spätestens 1919, Versailles. So konnten wenigstens sie keine Verbrechen mehr verüben, dort. Haben sie dann anderweitig geliefert. Ein Pfund, mit dem man wuchern könnte, wenn nicht zu blöd auch dazu. Insgesamt waren die Kolonien eh ein Verlustgeschäft, genau so wie die derzeitige Invasion von Fachens. Porca miseria.

Peter Bernhardt / 09.03.2024

Hallo ihr drögen Schlafwandler, jetzt geht es nicht mehr um Bananen, jetzt geht es um die Wurst. Deutsche kauft Flaggen mit Sichelmond, Kartoffelland ist abgebrannt! Jambo bwana, hakuna matata!

George Samsonis / 09.03.2024

Die Zeit des “Wokismus” nähert sich dem Ende entgegen. Wie alle Fehlentwicklungen in der Natur wird sich auch diese wegmendeln. Also, lieber achgut.com-Leser, *innen wie *außen, bleiben Sie ruhig und vertrauen Sie auf die Natur. Im Übrigen gilt: Dumm, dümmer, am dümmsten und als Steigerung dazu das Absolutiv “woke”.

R. H. van Thiel / 09.03.2024

“Ab den 1960er Jahren kommt die Banane auch nach Deutschland.” So stimmt das aber nicht. Laut einer Dissertation waren Bananen in Deutschland seit den 20er Jahren eine beliebte Frucht. Oder ist gemeint “diese” Banane - also die erwähnte Sorte?

Anna Scheufele / 09.03.2024

@Ilona Grimm: Hab ich auch schon gemacht. Sie werden nie eine Antwort erhalten!

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