Volker Seitz / 09.10.2018 / 06:25 / Foto: Jay Hill / 32 / Seite ausdrucken

Nobelpreis für politisch nicht korrekten Armutsbekämpfer

Die Königlich-Schwedische Wissenschaftsakademie in Stockholm hat entschieden: neben William Nordhaus wird Paul Romer 2018 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet. Der 62-jährige Romer arbeitet an der Stern School of Business der New York University. Romer, der früher als Chefvolkswirt bei der Weltbank arbeitete, hätte dabei "Methoden entwickelt, die Antworten auf die drängendsten Herausforderungen unserer Zeit liefern", erklärte die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften.

Er beschäftigt sich mit Problemen der Wirtschaft in Entwicklungsländern, den besonderen Effekten der Verstädterung auf das Wachstum dort, Folgen technischer Neuerungen sowie der Verteilung des wirtschaftlichen Wohlstands. Im Jahr 2009 erweckte er viel Aufsehen: Er schlug die Gründung von künstlichen „Charter Cities“ als Mittel zur Armutsbekämpfung vor. Die Idee: Die Regierung eines struktur- und wachstumsschwachen Landes wählt ein nicht-besiedeltes Stück Land aus, um es komplett an eine ausländische Regierung abzugeben.

Diese Sonderzone solle als Wachstumsmotor dienen, die Auslandsinvestitionen anlocke und dank ihrer Vorbildsfunktion positiv auf das Umfeld wirken könne. Romer nannte als Erfolgsbeispiel häufig Hongkong unter britischer Kolonialherrschaft. 

Lebensqualität im eigenen Land finden

Charter Cities sind eine unkonventionelle, radikale Idee. Romer hat sie den Regierungen in Honduras und Madagaskar bereits 2012 vorgeschlagen, aber bislang mit wenig Erfolg. Das Ziel ist, Städte als Zufluchtsorte und Lebensräume für Millionen Menschen zu errichten, die eine Art Sonderwirtschaftszone mit einem neuen Regelwerk für soziale, ökonomische und politische Reformen bilden. Eigene rechtliche und politische Verfassungen sollen sich an den Vorbildern westlicher Länder orientieren. Möglicherweise sollen andere Länder die Verwaltung führen. Richter aus stabilen Rechtssystemen sollen angeworben werden.

Wenn diese Ausgangspositionen geschaffen sind – so Romer –, werden Investoren Infrastruktur und Arbeitsplätze schaffen. Zielgruppen dieses Stadtkonzepts sind, laut Romer, nicht Menschen die eine Steueroase suchen, sondern Menschenmassen aus ländlichen Gebieten, denen eine Berufsausbildung geboten werden soll. Sie sollen nicht mehr ihr Leben riskieren müssen, um einen Job zu bekommen, sondern Lebensqualität im eigenen Land finden.

Kritiker halten die Idee für neo-kolonialistisch. Allerdings widerspricht Romer: arme Länder gäben ihre Flächen freiwillig in die Hand von Garantiemächten, und jedem stünde frei, dort zu leben. Romer ist nicht nur Wissenschaftler, sondern war auch ein erfolgreicher Unternehmer. Das zeichnet ihn meines Erachtens besonders aus. 

Leider hatte Romer bislang wenig Erfolg. Allerdings habe ich die Hoffnung, dass er als Nobelpreisträger doch noch die Möglichkeit bekommt, die Idee mittels eines Pilotprojekts auszuprobieren. Vielleicht scheitert das Projekt, aber aus den Fehleranalysen könnten wir viel lernen. Vor allem brauchen wir in der Armutsbekämpfung  keine Beschönigungen, Bagatellisierungen und selektiven Informationen mehr.

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

Siehe zum gleichen Themenkomplex auch folgenmde Achgut.com-Beiträge:

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Regina Dexel / 09.10.2018

Senkung der Fertilitätsrate scheint mir eher das Gebot der Stunde. Kein Konzept kann mit der Bevölkerungsexplosion mithalten. Außerdem ist es weitaus verheißungsvoller in Länder mit vorhandener Infrastruktur und reichlich Sozialleistungen zu emigrieren anstatt sich mühevoll am Aufbau der eigenen Heimat zu beteiligen. Viele „Flüchtlinge“ waren bereits in sicheren Nachbarstaaten bevor sie sich zur „Gewinnmaximierung“ auf die gefährliche Reise nach Europa bzw. Deutschland machten. Man lese auch die Erfahrungsberichte von Entwicklungshelfern.

Andreas Rochow / 09.10.2018

@ Esther Burke. Fataler Irrtum! Auch im sonnenverwöhnten Afrika scheint nachts die Sonne nicht. Speicher ist also notwendig, wenn der Strom immer fließen soll. Sonst: Blackout!

Thomas Holzer. Österreich / 09.10.2018

Leider ist es in diesen Zeiten halt so, daß “kleine, einfache” Vorschläge sofort vom Tisch gewischt werden, dafür aber, von jeglicher Medienmeute lautstark begleitet, die großen “Lösungen” -siehe “Klimarettung”- wie eine Monstranz vor sich hergetragen werden, ganz typisch megalomanisch. Weder die Politiker noch die Menschen sind -und werden niemals- in der Lage sein, Mord, Krieg, Vergewaltigung etc. abzuschaffen, aber sie maßen sich an, das “Klima retten zu können”

Esther Burke / 09.10.2018

Interessante Idee !  Ich selber denke in letzter Zeit sehr an die Möglichkeiten, z.B.  die Energieversorgung in Afrika dort - wo die Sonne im Überfluss scheint - flächendeckend mit Photovoltaik/Solar zu realisieren - dort wäre man ja auch nicht so auf Speicher angewiesen, wenns jeden Tag reichlich neuen Lichtnachschub gibt.  Die Afrikaner, “die nun halt hier sind “, sollten konsequent in der hierfür erforderlichen Technik geschult werden (notfalls englisch) , Aufenthaltserlaubnis für den Zeitraum ihrer beruflichen Bildung haben und anschließend - evtl. mit Existenzgründungsdarlehen - in ihre Heimat zurückkehren .  Heimaturlaub, statt Familiennachzug !  Stärkung der familiären Zusammengehörigkeit Zuhause, statt zerrissene tradierte sozialen Strukturen. Aber ob dies der UN mit ihrem Traum von der “Open Society”  schmecken würde ?

Marcel Seiler / 09.10.2018

Diese Idee der Charter-Citys gefällt mir außerordentlich. Die wären ein echtes Forschungslabor der Entwicklung. Die Regeln eines Wirtschafts- und Gesellschaftssystem eines Landes sind kaum gezielt zu ändern, aber eine Enklave mit neuen Regeln kann man schaffen. Ich unterstütze diesen Vorschlag!

M Braun / 09.10.2018

Ich habe eben in den Deutschen Wirtschaftsnachrichten gelesen, dass der südafrikanische Präsident eine schnelle Entrignung weisser Farmer beschlossen hat. Was sagt eigentlich Claudia Roth dazu?

Andreas Rochow / 09.10.2018

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung “Globale Umweltveränderung” (Vorsitzender: Prof. Hans Joachim Schellnhuber) hat in seinem Hauptgutachten “Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte” (2016) Paul Romers Idee der Charter Cities als “umstritten” erwähnt, ohne konkret auf seine krachend gescheiterten Projekte - zuletzt in Honduras - einzugehen. Romers Erwartung, dass die von Charter Cities ausgehenden “überdurchschnittliche(n) Wachstumsimpulse” eine “hohe Attraktivität für Zuzüge durch Armutsgruppen” haben würden, haben sich im wahren Leben nicht bestätigt. Kritiker wie Mallaby (2010), die das Modell der Charter City als neokolonialistisch bezeichnen, greifen schlicht zu kurz. Man muss darin eine “moderne” Form des Marxismus sehen, die sich allerdings auf City-Ebene immer als Gulag entpuppen dürfte. Linke Möchtegern-Gesellschaftsdesigner wie George Soros geben sich deshalb mit Charter Cities gar nicht erst ab. Hinter dem bei Popper abgekupferten Begriff der “offenen Gesellschaft” träumt er in Wirklichkeit von der Charter World!

Albert Pflüger / 09.10.2018

Wenn die Leute nicht daran gehindert werden, zu uns zu kommen, wohin werden sie wohl gehen? Hierher, in ein Land mit Vollversorgungssozialsystem, oder in eine Sonderwirtschaftszone, in der sie für sich selbst sorgen müssen? Der Compact for Migration gibt eine klare Richtung vor. Nobelpreis hin oder her.

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