Volker Seitz / 26.04.2019 / 06:15 / Foto: Pixabay / 33 / Seite ausdrucken

Afrika hat Besseres verdient als den Opferstatus

Bartholomäus Grill hat seinem neuen Buch den Titel „Wir Herrenmenschen“ gegeben, was den Inhalt vorhersehbar macht. Grill arbeitete unter anderem für die taz, Die Zeit und seit 2013 für den Spiegel. Er widmet sich in seinem jüngsten Buch der deutschen Kolonialgeschichte. Er sieht sie, das verrät bereits der Untertitel, als „unser rassistisches Erbe“. Er schreibt: „Es ist der koloniale Blick, der unsere Sicht der Welt bis heute prägt.“ Grill promotet derzeit sein Buch und hat damit viel Erfolg in den Medien, die Bücher brauchen, die auf eine bestimmte Richtung zugeschnitten sind.

Hierzu passt ein Artikel der FAZ  vom 3. April 2019 über die Umbenennungspläne von Straßen und Plätzen in Berlin von rot-rot-grünen Politikern, weil sie nach Kolonialherren benannt sind. Beispielsweise die Petersallee, die aber seit Jahrzehnten nicht mehr für den verrufenen Kolonialisten Carl Peters steht.

 „Denn schon 1986 widmete der damalige Bezirk Wedding den Namen um: Ihr Namenspatron ist seitdem Hans Peters, ein Widerstandskämpfer gegen die Nazis, der nach dem Krieg an der Berliner Landesverfassung mitschrieb. Der Beschluß wurde sogar im Amtsblatt veröffentlicht, es wurden Schilder, die den neuen Namenspatron erläuterten angebracht.“

Auch Karin Filusch, Sprecherin der Initiative „Pro Afrikanisches Viertel“ spricht vom „kolonialen Habitus“, mit dem der Bezirk die Bürger beglücken wolle. So seien viele Namen in Namibia noch erhalten, die in Berlin als unerträglich gebrandmarkt würden. Bewohner mit afrikanischer Herkunft, die sich vor allem als Berliner sähen, würden darüber belehrt, wie sie das Thema zu sehen hätten. Viele Bürger fühlten sich bevormundet.“ 

Das Vorhaben der Straßenumbennung ist symptomatisch für die linke Attitüde moralischer Überlegenheit. Der vermeintlich einzig wahre Maßstab heutigen Denkens wird pauschal in die Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts projiziert. 

Grill schreibt zu viel über sich selbst

Der Vorzug von Grills Buch ist, dass sich die Leser nicht durch historische Beschreibungen mit vielen Fußnoten quälen müssen. Grill schreibt über Afrika, China und die Südsee, mit persönlichen Erlebnissen. Der Autor fragt : „Wie prägen uns koloniale Denkweisen und Verhaltensmuster bis heute?“ Damit trifft Grill natürlich mitten in die Debatte um die Bewusstwerdung des deutschen Kolonialismus. Wir hätten begriffen, dass jede Form von Kolonialismus auf Unrecht beruht. Aber unsere „kolonialen Denkmuster“ hätten wir, bei aller Weltoffenheit, noch nicht überwunden.

Als einen Beleg zitiert Grill schon im ersten Kapitel seines Buches den Afrika-Beauftragten der Bundeskanzlerin Günter Nooke. Der wolle in Afrika Wirtschaftssonderzonen einrichten, in denen Migranten sich ansiedeln könnten. Für Grill verwendet Nooke „Denkfiguren der Kolonialära“. Grill schließt aus Nookes Vorschlag, dass dieser Teile Afrikas wieder unter Kuratel stellen will. Man müsse nur die Bezeichnung ändern und „Schutzgebiet“ durch „Sonderzone“ ersetzen. Grill erwähnt nicht, dass der Vorschlag von Nobelpreisträger Paul Romer stammt, den Nooke lediglich zitiert hat. (vgl. Achgut.com vom 09.10.2018 Nobelpreis für politisch nicht korrekten Armutsbekämpfer)

Romer nannte diese „Sonderzonen“ Charter Cities. Eine unkonventionelle, radikale Idee. Das Ziel ist es, Städte als Zufluchtsorte und Lebensräume für Millionen Menschen zu errichten, die eine Art Sonderwirtschaftszone mit einem neuen Regelwerk für soziale, ökonomische und politische Reformen bilden. Richter aus stabilen Rechtssystemen (zum Beispiel Botswana) sollen angeworben werden. Arme Länder könnten ihre Flächen freiwillig in die Hand von Garantiemächten geben, und jedem stünde es frei, dort zu leben. Sie sollten nicht mehr ihr Leben riskieren müssen, um einen Job zu bekommen, sondern Lebensqualität im eigenen Land finden. Man kann die Idee nun gutheißen oder nicht, als Beleg für eine „paternalistische Haltung“, gar ein „rassistisches Erbe“ taugt sie nicht. Grill überhöht sich moralisch. Er schreibt etwas zu larmoyant, schreibt viel über sich selbst. 

Grill schildert die Grausamkeit und Unterdrückung der deutschen Kolonialherrschaft. Es gelingt ihm in seiner Reise durch die Kolonialgeschichte, Unterschiede in der Führung der einzelnen Kolonien herauszuarbeiten; so lassen sich durchaus gutwillige Gouverneure und Missionare erkennen.

„Graf von Zech legte auch Wert darauf, dass der allgemeine Bildungsstand der Afrikaner verbessert wurde. Die drei größten Missionsgesellschaften im Lande [Togo] unterrichteten über 10.000 Kinder, allein die katholische Steyler Mission betrieb 178 Schulen, die evangelische Norddeutsche hatte 133 aufgebaut.“

Auch erwähnt er, dass Kolonien ausgebeutet werden sollten, aber das Reich ein Vielfaches mehr kosteten, als erwirtschaftet wurde. Irritiert ist der Autor über die mehrheitlich unkritische und eher positive Einstellung zur deutschen Kolonisierung in Togo. Auch in Kamerun wundert er sich „immer wieder über die Wertschätzung, die Deutschland in Ländern genießt, die es unterdrückt und ausgeplündert hat“. 

Kolonialtrauma und Gesinnungsethik

Die kurze deutsche Kolonialgeschichte war kein harmloses Zwischenspiel. Aber ich habe in vier Jahren in Kamerun häufig Menschen getroffen, die sich gerne – vermutlich vom Hörensagen in der Familie – an die autoritäre Ordnung der Kolonialzeit erinnern, weil sie zumindest den Schein von Gerechtigkeit bot. Die hässlichen Seiten des kolonialen Alltags mit ihren rassistischen Diskriminierungen, die Praxis des Arbeitszwanges und der Strafjustiz werden ausgeblendet oder sind nicht mehr bekannt.

Grill beherrscht die Phraseologie des Zeitgeistes, wenn er schreibt: „Es ist der koloniale Blick, der unsere Sicht der Welt bis heute prägt.“ Auch von einigen Kolonialhistorikern und Medien wird das schmerzvolle und tief verwurzelte afrikanische Trauma der Kolonialzeit bemüht. Afrikanische Politiker, oft von deutschen Gesinnungsethikern unterstützt, führen die Misere in ihren Ländern ausschließlich auf die Kolonialzeit zurück, um als Opfer von ihrem eigenen Versagen abzulenken. Demgegenüber hat zum Beispiel die ältere kamerunische Bevölkerung von der deutschen Kolonialzeit (1884 bis 1916) ein eher undifferenziertes, allerdings sehr positives Bild. (siehe Achgut vom 02.1.2017: Afrika muss sein Schicksal selbst in die Hand nehmen)

Erfreulich, dass Grill noch einmal auf seine Recherchen zur Frage des Völkermordes in Namibia eingeht. Im Juni 2016 war im SPIEGEL sein Report unter der Überschrift „Gewisse Ungewissheiten“ erschienen, der scharfe Reaktionen der Vertreter der Genozid-These auslöste. Er war zu dem Schluss gekommen „was tatsächlich geschah und was nur erfunden ist, lässt sich kaum beurteilen“. Grill bemängelt, „dass der Terminus Völkermord stetig ausgeweitet und immer unschärfer gebraucht wird“. Ein echter Diskurs scheine mittlerweile unmöglich geworden zu sein. Zwei Auffassungen stehen sich unversöhnlich gegenüber.

Grill geht auch auf die „sogenannte Flüchtlingskrise“ ein und fragt sich, ob die armen Afrikaner vielleicht in großer Zahl zuwandern, „weil sie sich an uns reichen Europäern rächen wollen“. In Kamerun nahe Limbe, in Idenau, einem „verdammt heißen und heruntergekommenen Kaff am Ende der Nationalstraße N3“, ruft ihm – wie er nicht politisch korrekt schreibt – ein im Hafen herumhängender „Tagedieb“ nach: „Grüßt Frau Merkel von mir. Sagt ihr, ich werde auch kommen!“ 

Afrikaner lassen sich von einem Buch über deutsche Herrenmenschen nicht abschrecken, sie glauben, dass sie ins Gelobte Land kommen, wo Milch und Honig fließen und das Geld auf der Straße liegt. Das klingt weltfremd, aber so in etwa stellen sich viele junge Afrikaner das Leben in Deutschland und anderen westlichen Ländern vor. 

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018 und ist hier bestellbar. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

Foto: Pixabay

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Volker Seitz / 26.04.2019

Prof. Dr. Peter Graf Kielmannsegg kommentiert den Artikel in der F.A.Z. vom 3. April 2019 in einer Leserzuschrift in der F.A.Z. vom 24. April 2019 (S.6): “Es geht, das ist offensichtlich, um unser Verhältnis zur Geschichte überhaupt. Wenn alles aus dem kulturellen Gedächtnis verbannt werden soll, woran meinungsmachende Minoritäten hier und heute Anstoß nehmen, dann läuft das auf einen vollständigen Bruch mit der Geschichte hinaus; eine Absage an die Geschichte, die nicht etwa nur Verbrechern und Verbrechen gilt, sondern Menschen und ihren Taten, die in den Anschauungen ihrer Zeit gedacht und nach den Maßstäben ihrer Zeit gehandelt haben. ‘Ihr Verbrechen’ liegt darin, dass sie anders gedacht und gehandelt haben, als wir heute denken und handeln. Wir begegnen hier einem Denken, das uns erschrecken sollte. Die selbstgerechte Attitüde, die die gesamte Geschichte vor das Gericht der eigenen Weltanschauung zitiert, um sie abzuurteilen, hat, wenn sie sich das kulturelle Gedächtnis unterwerfen will , etwas durchaus Totalitäres an sich. Sie hat es ganz gewiss, wenn es Minderheiten sind, die uns vorschreiben wollen, was wir im Gedächtnis behalten dürfen, und was nicht…. Was immer die Säuberungskommondos aus diesem Land machen möchten, deutsch soll es jedenfalls nicht mehr sein.”

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