Henryk M. Broder / 23.06.2019 / 11:05 / 10 / Seite ausdrucken

Stange halten und den Rücken stärken

Es passiert nicht oft, aber wenn es doch mal passiert und ein Minister, ein Landrat, ein Beamter oder sonst ein Funktionsträger zurücktritt, das heißt zurückgetreten wird, weil er aufgrund der Umstände nicht zu halten ist, dann werden erst einmal seine enormen Verdienste gerühmt, was er alles geleistet und vollbracht hat, wie beliebt er war und wie sehr man ihn vermissen wird. Was dabei nicht gesagt wird: Wenn der/die Betroffene so toll war, warum lässt man ihn/sie dann gehen?

Genau das ist dem Direktor des JMB (Jüdisches Museum Berlin) passiert. Er trat zurück. Der Anlass war eine Bagatelle: Ein Tweet des JMB, der sich seinerseits auf einen taz-Beitrag über BDS bezog. Das war aber nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ein Bauernopfer, um weiteren Schaden vom Museum abzuwenden.

Nun gibt es eine neue „Pressemitteilung des Stiftungsrates der Stiftung Jüdisches Museum Berlin" zu der Causa "JMB oder: Wir machen weiter". Die Überschrift lautet:

Der Stiftungsrat und Staatsministerin Prof. Monika Grütters stärken dem Jüdischen Museum Berlin den Rücken

Das ist saukomisch, beinah so komisch wie der Satz einer Spielerfrau, die auf die Frage, was die Spielerfrauen während eines Fußballspiels machten, antwortete: "Wir halten unseren Männern die Stange!"

Etwas Ähnliches muss wohl gemeint sein, wenn der Stiftungsrat der Stiftung Jüdisches Museum und Staatsministerin Prof. Monika Grütters gemeinsam bekannt geben, sie würden dem Jüdischen Museum "den Rücken stärken". Bei dieser Gelegenheit "dankte" der Stiftungsrat "Professor Peter Schäfer ausdrücklich für seine Arbeit in den zurückliegenden Jahren und wünschte ihm persönlich alles Gute".

Wer sich bei irgendjemand für irgendetwas "ausdrücklich" bedankt, und sei es nur dafür, dass er seinen Job gemacht hat, der bringt es auch fertig und wünscht ihm "persönlich" alles Gute. Und zwar ausdrücklich, nicht etwa beiläufig. Dazu passt auch, dass Staatsministerin Grütters sich "immer wieder aktiv darum bemüht" hat, "das JMB vor Unterstellungen und unberechtigter Vereinnahmung zu schützen". Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sich die Staatsministerin lediglich "passiv" darum benüht hätte, das JMB zu schützen.

Der stalinistische Sound der Erklärung – Der Stiftungsrat hat sich zugleich geschlossen hinter das JMB gestellt und alle Vorwürfe, das JMB verfehle seine Stiftungsziele oder hätte seine inhaltliche Richtung verloren, zurückgewiesen – macht deutlich, was der Stiftungsrat der Anstalt von Kritik hält, nichts bis gar nichts. Genau genommen will das JMB auch kein jüdisches Museum sein, allenfalls ein Mausoleum der jüdischen Geschichte in der Diaspora, ein virtueller Friedhof. Außerdem will es „produktive Unruhe in die Gesellschaft tragen“, ausdrücklich und aktiv.

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Wolfgang Kaufmann / 23.06.2019

Die deutsche Neigung zur Nabelschau macht jedes Museum zur Kultstätte der eigenen Überlegenheit.

Marc Blenk / 23.06.2019

Lieber Herr Broder, ist ja entzückend, ein Rücktritt. Da hätte ich auch gleich einen Vorschlag für die Nachfolge: Wie wäre es mit derFrau des Baden Würtembergischen Antisemitismusbeauftragten? Der Posten muss ja nicht immer männlich und jüdisch besetzt sein, gelle.

Andreas Bitz / 23.06.2019

Frau Grütters: Frau, von Merkels grün-linken Gnaden, die Berliner CDU-Hoffnung. Nicht zu vergessen, was sie mit Herrn Lederer Hubertus Knabe angetan hat…

Hans-Peter Dollhopf / 23.06.2019

Die Welt, in der wir leben, dieser hauchdünne Biofilm auf der Oberfläche eines im Inneren glutflüssigen Felsens am Rande des Universums, ist menschengemacht. Seit Generationen wurde auch in Berlin jeder Stein, jeder Eimer Erde zig hundertmal hin und her getragen und neu abgelegt. Von den Wasserleitungen in der Straße unter den Gehwegen bis hoch zum Geländer für den Kaktus am Balkon ist jedes Detail durch Menschenhand immer und immer wieder neu arrangiert worden. Es ist der Stand der Produktivkräfte, der den kontemporären Phänotyp zeitloser Bedürfnisse in die jeweils angemessene Form gießt. Unser Konsum, die Produkte, die wir fürs Leben und zum Genießen herstellen und erwerben, sie basieren auf dem aktuellen Stand der Technologie, von homogenisierter Milch in viereckigen Kartons bis zu “Hen die koi Schnur?”-Telefon"apparat"en. Die Zahnbürste von Josephine de Beauharnais hat mit der aus dem Discounterregal noch ein bestimmtes Bedürfnis gemein, sonst nix. Auch wer beabsichtigt, ein Jüdisches Museum Berlin zu errichten, erhält am 24. Januar 1933 ein anderes Produkt als am 9. September 2001. Da der 14. Deutsche Bundestag 2001 das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung Jüdisches Museum Berlin verabschiedete, verläuft der Museumsbetrieb denn auch nach Vorgabe der herrschenden Produktionsverhältnisse: als verantwortlich zeichnende BKM achtet die Monika Grütters ganz haarscharf auf die Befriedigung aller ihrer persönlichen Alphaweibchen-Bedürfnisse. Entsprechend pflegt sie die Wichtel ihres kleinen Privatstaates, wie etwa den geopferten Bauern Schäfer.

Frank Holdergrün / 23.06.2019

“... ein virtueller Friedhof.” Genau das trifft es präzise. Ich kann mich noch an meine schlotternden Knie erinnern, als ich einmal (und nie wieder) drin war. Schuld in höchsten und eben nicht in angemessen Dimensionen wurde verabreicht. Völlige Fehlanzeige: was sollte man denn heute gegen Antisemitismus tun? Und wie einen normalen, unverkrampften Umgang mit Menschen jüdischen Glaubens finden?

Heinrich Rabe / 23.06.2019

Lieber Herr Broder, es ist wahrscheinlich am einfachsten, wenn man vom JMB und Frau Grütters bezüglich Juden und Israel exakt so viel erwartet wie von Deutschland und der Bundesregierung: wenig bis nichts. Sie wollen nicht, sie können nicht, sie sind opportunistisch bis zur Selbstverleugnung und, wenn es ankommt, zuverlässig feige.

Thomas Taterka / 23.06.2019

” Übrigens war die Sucht, an die Existenz ihrer Gegner durch spezielle Museen zu erinnern, sehr typisch für die Nazis. Während des Krieges stritten sich mehrere Dienststellen erbittert um die Ehre, antijüdische Museen und Bibliotheken zu errichten. Dieser eigenartigen Manie verdanken wir die Rettung vieler bedeutender Schätze der jüdischen Kultur in Europa. “ Hannah Arendt, Merkur 186, 1963

U. Smielowski / 23.06.2019

Habe den Artikel in der Zeit gelesen. Leider erschließt sich mir nicht, was Herr Schuster denn schlimmes angestellt hat. Habe ich da etwas überlesen, nicht begriffen? Wieso meldet sich da eine Lea Rosh, um einen Kommentar abzugeben. Mir ist sie nur als selbsternannte Jüdin bekant.

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