Rainer Grell / 11.08.2018 / 08:46 / Foto: Eastman Johnson / 14 / Seite ausdrucken

Serie zum Asylrecht (4): Drei Leser Fragen und die Antworten

Drei Achse-Leser haben mich gebeten, meine Ausführungen in folgenden Punkten zu ergänzen:

1. „Was hindert uns, (außer politischem Willen,) den Grenzübertritt ohne Visum z.B. pauschal mit 5 Jahren Haft zu ahnden und damit die umfangreichen Folgeansprüche auszuhebeln? Vielleicht könnten Sie, Herr Grell, auf den Punkt nochmals eingehen.“ – Axel Müller

2. „Können Sie bitte auch mal aufklären, wie es mit den Pässen und Reisemöglichkeiten für Asylbewerber und Geduldete bei uns aussieht, da ich von einigen Seiten hörte, dass einige auch gern die Sommerferien in dem Land verbringen, aus dem sie geflohen sind?“ – Eva Quistorp

3. „Ich verstehe nicht so recht, warum nur für Asylberechtigte nach Artikel 16a GG die Einreiseregelung aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem sicheren Drittstaat gilt. Im Asylgesetz heißt es doch unter § 18 Absatz 2 Nr. 1: „Dem Ausländer ist die Einreise zu verweigern, wenn er aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) einreist.“ Warum gilt das dann nicht für Flüchtlingsanerkennungen (§ 3 Absatz 1 Asylgesetz) und Gewährungen von subsidiärem Schutz (§ 4 Absatz 1 Asylgesetz), da doch im Asylgesetz alle Schutzbegehren unter „Asyl“ subsumiert werden?“ – Frank Pressler

Dieser Bitte komme ich gerne nach. Bei der Gelegenheit möchte ich mich bei den drei Fragestellern und bei allen übrigen Achse-Leserinnen und -Lesern für ihr Interesse an diesem Beitrag bedanken, der ja nun wirklich nicht leicht zu lesen war.

Rechtmäßiger Aufenthalt?

Zu Frage 1. Sehr geehrter Herr Müller, mit ihrer Feststellung, dass das Aufnahmeland die Flüchtlinge, grob gesagt, so zu behandeln hat, wie die eigenen Leute auch, haben Sie durchaus recht. Allerdings mit zwei Einschränkungen. Artikel 24 Nr. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) bestimmt unter der Überschrift „Arbeitsrecht und soziale Sicherheit“, dass die vertragschließenden Staaten den Flüchtlingen, „die sich rechtmäßig in ihrem Gebiet aufhalten, dieselbe Behandlung gewähren wie ihren Staatsangehörigen“ bezüglich näher bezeichneter Angelegenheiten.

Es sind also zwei Kriterien näher zu betrachten:

  • Halten sich die Flüchtlinge rechtmäßig in Deutschland auf?
  • Welche Leistungen werden von der GFK umfasst? Die aufgeführten Leistungen setzen durchweg voraus, dass sich der Flüchtling in einem Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis befindet, dürften also für die meisten zunächst einmal nicht in Betracht kommen. Auf die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gehe ich in diesem Zusammenhang nicht ein, weil das den Rahmen dieser ohnehin umfangreichen Antwort sprengen würde.

Zur Frage des rechtmäßigen Aufenthalts gibt es eine aufschlussreiche „Ausarbeitung“ der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 24. Mai 2017 zur „Einreiseverweigerung und Einreisegestattung nach § 18 Asylgesetz“:

Konkret geht es um die Voraussetzungen der Einreiseverweigerung nach § 18 Abs. 2 AsylG gegenüber Asylsuchenden aus sicheren Drittstaaten (§ 26a Abs. 2 AsylG) sowie um die Reichweite der in § 18 Abs. 4 AsylG geregelten Ausnahmeregelungen, die eine Pflicht zur Einreisegestattung begründen. In Bezug auf die Reichweite der Ausnahmeregelungen nach § 18 Abs. 4 AsylG ist insbesondere auf den umfassten Personenkreis sowie auf die Frage nach der Mitwirkung des Bundestages einzugehen.“

„Bestehen vorrangige Dublin-Zuständigkeiten im Sinne des § 18 Abs. 4 Nr. 1 AsylG oder liegt eine Anordnung des Bundesministeriums des Innern nach § 18 Abs. 4 Nr. 2 AsylG vor, ‚ist von der Einreiseverweigerung abzusehen‘, § 18 Abs. 4 AsylG.“

Beide Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Die Frage des „Selbsteintritts“ der Bundesregierung wird allerdings ausdrücklich offen gelassen („möglicherweise“).

Vorsichtiges Ergebnis:

„Unabhängig von diesen Erwägungen könnte man meinen, dass jedenfalls die Pauschale und massenhafte Einreisegestattung nicht mehr von § 18 Abs. 4 AsylG gedeckt sei. Insoweit könnte man argumentieren, dass eine so weitgehende Anordnung durch das Bundesministerium des Innern oder die Wahrnehmung des Selbsteintrittsrechts nach der Dublin-III-Verordnung durch die Bundesrepublik innerstaatlich einer gesetzlichen Regelung oder einer parlamentarischen Zustimmung bedarf.“

Welcher Wortlaut kam aus dem Innenministerium

Auf die klare Frage des Bundestagsabgeordneten Stephan Stracke (CDU/CSU) (Bundestagsdrucksache 18/7510 S. 29 bzw. 36/88), die übrigens sehr schön zeigen könnte, dass die Regierung nicht nur von der Opposition, sondern vom (ganzen) Parlament kontrolliert werden soll, wenn Stracke nicht der in diesem Punkt Quasi-Opposition CSU angehörte:

„Mit welchem Wortlaut hat das Bundesministerium des Innern nach § 18 Absatz  4 Nummer 2 des Asylgesetzes (AsylG) angeordnet, von der Einreiseverweigerung gegenüber Asylsuchenden nach § 18 AsylG abzusehen, und wie lange gilt bzw. galt diese Anordnung (bitte  unter  Angabe des Zeitpunktes und der Art der Veröffentlichung)?“

Die nebulöse Antwort gab die Staatssekretärin im Bundesinnenministerium Dr. Emily Faber am 5. Februar 2016:

„Maßnahmen der Zurückweisung an der Grenze mit Bezug auf um Schutz nachsuchende Drittstaatsangehörige kommen derzeit nicht zur Anwendung (§ 18 Absatz 2, 4 – AsylG). Dies hat die Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. mitgeteilt (siehe die Vorbemerkung der Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 18/7311 vom 20. Januar 2016). Die Regelungen in § 18 Absatz 2 bis 4 AsylG sind im Kontext des europarechtlichen Regelungsgefüges zu betrachten. Zurückweisungen an der Grenze sind im Rechtsrahmen der Dublin-III-Verordnung und des § 18 AsylG zulässig. Hierzu wird auf die vorgenannte Antwort der Bundesregierung verwiesen. Die Entscheidung, den betreffenden Personenkreis nicht zurückzuweisen, wurde im Zusammenhang mit der vorübergehenden Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den deutschen Binnengrenzen im Rahmen der bestehenden Zuständigkeiten innerhalb der Bundesregierung getroffen.“

Ich kenne solche Antworten aus meiner langjährigen Ministerialtätigkeit nur zu gut. Formulierungen wie „im Kontext des europarechtlichen Regelungsgefüges“ zeigen überdeutlich, dass das Bundesinnenministerium nicht willens oder nicht in der Lage war, die Frage eindeutig zu beantworten.

Der unrechtmäßige Aufenthalt der Mehrheit

Mein Fazit deshalb: Die im Zuge der unterlassenen Grenzschließung am 5. September 2015 eingereisten Flüchtlinge halten sich nicht rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland auf.

Der frühere Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio weist in seinem Rechtsgutachten für den Freistaat Bayern vom 8. Januar 2016 auf folgendes hin:

„Der Bund hat im Rahmen seiner Kompetenzen dafür Sorge zu tragen, dass elementare Gefährdungen für den Bundesbestand unterbleiben und wirksam abgewehrt werden. Dem kann pauschal nicht entgegengehalten werden, die Bundesregierung sei aus Gründen des Schutzes der Menschenwürde zu Grenzöffnungen verfassungsrechtlich verpflichtet. Das Verfassungsrecht hat mit Art. 16 a GG zwar eine klare Entscheidung für das Grundrecht auf Asyl getroffen; es gewährt gem. Abs. 2 aber kein subjektives Recht bei Einreise über einen sicheren Drittstaat.“ (Gutachten S. 90)

Und: „Doch um eine Feststellung kommt man auch beim besten Willen, pauschale Verantwortungszuweisungen zu vermeiden, nicht herum: Das geltende europäische Recht nach Schengen, Dublin und Eurodac wird in nahezu systematischer Weise nicht mehr beachtet, die einschlägigen Rechtsvorschriften weisen ein erhebliches Vollzugsdefizit auf.“ (Gutachten S. 82)

Auf die Äußerung des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, habe ich bereits in meinem Beitrag hingewiesen:

„Ohne eine solche Einreiseerlaubnis ist die Einreise nach Deutschland oder in die Europäische Union illegal; sie ist de iure grundsätzlich zu verweigern. Die Verwaltungspraxis in Deutschland entsprach und entspricht dem eindeutig nicht.“

Was die Frage der Strafbarkeit betrifft, die Sie ansprechen, so gilt folgendes: Nach § 95 Absatz 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist, das heißt ohne Pass oder Passersatz, oder ohne einen der nach § 4 erforderlichen Aufenthaltstitel. In § 4 Absatz 1 Satz 1 werden sieben mögliche Aufenthaltstitel aufgeführt. Allerdings ist einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, nach § 55 Absatz 1 Satz 1 AufenthG zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet ab Ausstellung des Ankunftsnachweises gemäß § 63a Absatz 1 gestattet (Aufenthaltsgestattung).

Artikel 31 Nr. 1 GFK, auf den Sie ebenfalls verweisen, bestimmt zur Strafbarkeit der illegalen Einreise eines Flüchtlings:

„Die vertragschließenden Staaten werden wegen unrechtmäßiger Einreise oder Aufenthalts keine Strafen gegen Flüchtlinge verhängen, die unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit im Sinne von Artikel 1 bedroht waren und die ohne Erlaubnis in das Gebiet der vertragschließenden Staaten einreisen oder sich dort aufhalten, vorausgesetzt, dass sie sich unverzüglich bei den Behörden melden und Gründe darlegen, die ihre unrechtmäßige Einreise oder ihren unrechtmäßigen Aufenthalt rechtfertigen.“

Sachlage und Rechtslage

Diese Voraussetzung ist bei keinem Flüchtling, der auf dem Landweg in das Territorium der Bundesrepublik Deutschland einreist, gegeben. Doch die tatsächliche Sachlage ist eine völlig andere als die Rechtslage.

So liest man im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 14. Februar 2017 (Aktenzeichen: 13 UF 32/17, Randnr. 58) die geradezu erschreckende Feststellung:

„Zwar hat sich der Betroffene durch seine unerlaubte Einreise in die Bundesrepublik nach §§ 95 Abs. 1 Nr. 3, 14 Abs. 1 Nr. 1, 2 AufenthG strafbar gemacht. Denn er kann sich weder auf § 15 Abs. 4 Satz 2 AufenthG noch auf § 95 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 31 Abs. 1 GFK berufen. Die rechtsstaatliche Ordnung in der Bundesrepublik ist in diesem Bereich jedoch seit rund eineinhalb Jahren außer Kraft gesetzt und die illegale Einreise ins Bundesgebiet wird momentan de facto nicht mehr strafrechtlich verfolgt.“

Auch di Fabio kommt in seinem (Gutachten S. 98) zu dem ernüchternden Ergebnis:

„Eine effektive Strafverfolgung der Einreisekriminalität findet de facto nicht mehr statt.“

Wenn in dieser Situation der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, „die Asyl-Rhetorik von Seehofer“ rügt (ohne diesen freilich namentlich zu nennen), dann überschreitet er nicht nur seine Kompetenzen, sondern liegt auch in der Sache falsch. Wenn geltendes Recht in dieser Weise gebrochen wird, kann man mit Fug und Recht von einer „Herrschaft des Unrechts“ sprechen. Die von Voßkuhle behaupteten „Assoziationen zum NS-Unrechtsstaat“ sind angesichts des Kontextes abwegig. Aber Nazi-Vergleiche erfreuen sich nun mal ungebrochener Beliebtheit.

Pässe und Reisen

Zu Frage. 2 Mit den „Pässen und Reisemöglichkeiten für Asylbewerber und Geduldete“, nach denen Sie, sehr verehrte Frau Quistorp, fragen, verhält es sich so:

Laut Zeit Online vom 30. März 2017 kommen nach Schätzungen der Bundesregierung „Mindestens 60 Prozent aller Asylbewerber ... ohne Ausweisdokumente nach Deutschland“. Ob das tatsächlich stimmt oder nicht, werden wir noch sehen.

Nach § 63a Absatz 1 Satz 1 Asylgesetz wird

„Einem Ausländer, der um Asyl nachgesucht hat und nach den Vorschriften des Asylgesetzes oder des Aufenthaltsgesetzes erkennungsdienstlich behandelt worden ist, aber noch keinen Asylantrag gestellt hat, ... unverzüglich eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (Ankunftsnachweis) ausgestellt.“

Dieses Dokument hat nur für das Asylverfahren Bedeutung, ermöglicht also keine Ausreise.

Hat der Ausländer einen Asylantrag gestellt, wird ihm nach § 55 Absatz 1 Asylgesetz „zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet ab Ausstellung des Ankunftsnachweises gemäß § 63a Absatz 1 gestattet (Aufenthaltsgestattung).“ Auch dieses Papier ist lediglich innerhalb des Bundesgebietes von Bedeutung.

Wird der Ausländer als asylberechtigt oder als Flüchtling nach der GFK anerkannt, erhält er einen Reiseausweis nach Artikel 28 GFK. Dort heißt es in Nr. 1 Satz 1 Halbsatz 1:

„Die vertragschließenden Staaten werden den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Gebiet aufhalten, Reiseausweise ausstellen, die ihnen Reisen außerhalb dieses Gebietes gestatten, es sei denn, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung entgegenstehen“.

In der Bundesrepublik ist diese internationale Vorgabe in § 4 Absatz Satz 1 Nr. 4 der Aufenthaltsverordnung umgesetzt: „Durch deutsche Behörden ausgestellte Passersatzpapiere für Ausländer sind: ... 3. der Reiseausweis für Flüchtlinge (§ 1 Absatz 3)“. § 1 Absatz 3 verweist auf Artikel 28 der GFK.

Keine Ausreise ohne Papiere

Für subsidiär Schutzbedürftige hat der Verwaltungsgerichtshof München mit Beschluss vom 10.02.2016, Aktenzeichen 19 ZB 14.2708 festgestellt:

„Aufgrund Art. 25 RL 2011/95/EU können subsidiär Schutzberechtigte, die keinen nationalen Pass erhalten können, ein Reisedokument unter den selben Voraussetzungen beanspruchen wie anerkannte Flüchtlinge einen Reiseausweis“.

Bei der erwähnten EU-Richtlinie handelt es sich um die Qualifikations- oder Anerkennungsrichtlinie. Deren Artikel 25 Absatz 2 lautet:

„Die Mitgliedstaaten stellen Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist und die keinen nationalen Pass erhalten können, Dokumente für Reisen außerhalb ihres Hoheitsgebiets aus, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.“

Fazit: Vor seiner Anerkennung als Asylberechtigter, Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter hat kein Ausländer, der ohne gültige Ausweispapier eingereist ist, die Möglichkeit, legal wieder auszureisen.

Wenn dies gleichwohl geschieht, gibt es nur folgende Erklärungen:

  • Der Betreffende besitzt noch einen gültigen Pass seines Heimatstaates, hat dies aber verschwiegen, um seine wahre Herkunft zu verschleiern.
  • Der Betreffende hatte seinen Pass dem Schleuser als Sicherheit für die Bezahlung der noch ausstehenden „Gebühr“ übergeben, diesen nach Zahlung aber wieder zurückerhalten.
  • Der Betreffende benutzt einen gefälschten Pass, den er aus Angst vor Entdeckung beim Grenzübertritt nicht vorgelegt hat.

Wie viele Fälle der Art, die Sie ansprechen, es gibt, ist naturgemäß nicht bekannt. Es würde mich aber wundern, wenn es sich tatsächlich nur um „Einzelfälle“ handelte, wobei dieser Begriff ja sehr dehnbar ist und deshalb auch so beliebt. Es lässt sich einfach nicht leugnen: Die deutschen Behörden, die mit dem Thema „Migrationskrise“ befasst sind, haben weitgehend die Kontrolle verloren. Ob man deshalb von einer „Bananenrepublik Deutschland“ sprechen kann, wie ich das in einem Achse-Beitrag vom 18. Dezember 2017 getan habe, ist letztlich Geschmackssache. Aber auch ohne solche provokanten Formulierungen ist die Situation alarmierend.

Urlaub in der Heimat?

Wenn ein Asylbewerber Urlaub in dem Land macht, in dem er angeblich verfolgt wird, so gilt: „Das Bundesinnenministerium weist auf europäische Regeln hin, wonach Reisen in den sogenannten Verfolgerstaat nach einer Einzelfallprüfung zur Aberkennung des Schutzstatus führen können“, wie die „Welt“ bereits am 11.09.2016 meldete. Wie so oft, werden diese Regeln aber nicht konkret benannt. Eine entsprechende Vorschrift habe ich nicht gefunden, wohl aber diese: Artikel 11 der RICHTLINIE 2011/95/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung  von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes – ABL. L 337/9 vom 20.12.2011, in dem es in Nr. 1 Buchstabe a heißt:

„Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist nicht mehr Flüchtling, wenn er sich freiwillig erneut dem Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, unterstellt“.

Von einer Einzelfallprüfung ist dort allerdings nicht die Rede, vielmehr tritt die Rechtsfolge unmittelbar ein. Umgesetzt durch § 73 Absatz 1 Nr. 1a Asylgesetz.

Asylbewerber, deren Antrag abgelehnt wurde, die aber eine Duldung besitzen, verlieren ihren Status, wenn sie ins Ausland reisen (egal wohin). § 60a Absatz 5 Satz 1 AufenthG.

Ratlos im Rechtsstaat

Zu Frage 3. Sehr geehrter Herr Pressler, die Antwort auf Ihre allzu berechtigte Frage haben Leute wie di Fabio und Papier, aber auch Vosgerau und Rupert Scholz bereits gegeben: Der Rechtsstaat, wie ihn Artikel 20 Absatz 3 GG beschreibt, ist zumindest teilweise außer Kraft gesetzt. Deshalb habe ich ja auch in meinem Beitrag geschrieben: „Im Übrigen wäre es wünschenswert, dass diese Frage mit all ihren Facetten vom Bundesverfassungsgericht entschieden würde, was angesichts der gutachtlichen Äußerungen von zwei seiner ehemaligen Mitglieder (di Fabio und Papier) sicher äußerst interessant wäre.“

Allerdings sind die Möglichkeiten, den Zugang zum höchsten deutschen Gericht zu erreichen, ziemlich begrenzt.

Zwar sind in § 13 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) 21 Möglichkeiten aufgeführt, von denen in unserem Kontext aber höchstens zwei oder drei in Betracht kommen:

  • Nr. 5 über die Auslegung des Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch das Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind (Artikel 93 Abs. 1 Nr. 1 des Grundgesetzes). Dazu könnte die von di Fabio problematisierte Nichtbeteiligung des Bundestages gehören.
  • „Antragsteller und Antragsgegner können nur sein: der Bundespräsident, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und die im Grundgesetz oder in den Geschäftsordnungen des Bundestages und des Bundesrates mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe“, sagt § 63 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG). In Betracht kämen die Bundestagsfraktionen, nach Lage der Dinge aber nur die AfD und die FDP, wobei die Frage auftritt, ob eine Fraktion antragsberechtigt ist, die zum maßgeblichen Zeitpunkt, also ab dem 5. September 2015, gar nicht im Bundestag vertreten war. Doch das würde in diesem Zusammenhang zu weit führen.
  • Nr. 11 und 12 über die Vereinbarkeit eines Bundesgesetzes oder eines Landesgesetzes mit dem Grundgesetz oder die Vereinbarkeit eines Landesgesetzes oder sonstigen Landesrechts mit einem Bundesgesetz auf Antrag eines Gerichts (Artikel 100 Abs. 1 des Grundgesetzes). Hierfür müsste sich ein Gericht finden, dass ein laufendes Verfahren aussetzt, weil es eine einschlägige Rechtsnorm für grundgesetzwidrig hält und deshalb eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholt. Das gleiche gilt bei Zweifeln, „ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25)“, Artikel 100 Absatz 2 GG.

Sie sehen mich also genauso ratlos wie Sie. Achse-Leser Peer Munk hat es auf den Punkt gebracht: „Seitdem [Daniel] Thym [Dr. jur., Prof. an der Uni Konstanz] in die Diskussion mit eingestiegen ist und klarmachte, dass ein normaler Bürger das halt nicht verstehe, kommt mir das alles vor, wie einer Erzählung von Kafka entnommen.“ Siehe dazu auch hier.

Serie zum Asylrecht (1): Wer ist ein Flüchtling?

Serie zum Asylrecht (2): Zwischen Dublin und Schengen?

Serie zum Asylrecht (3): Nicht ohne meine Familie​​​​​​​

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Chr. Kühn / 11.08.2018

>>„Aufgrund Art. 25 RL 2011/95/EU können subsidiär Schutzberechtigte, die keinen nationalen Pass erhalten können, ein Reisedokument unter den selben Voraussetzungen beanspruchen wie anerkannte Flüchtlinge einen Reiseausweis“.<< Diese Dokumente und Ausweise haben aber meines Wissens folgende Einschraenkung, dass sie gerade fuer das Land, aus dem der Migrant angibt vor Verfolgung geflohen zu sein, NICHT gueltig sind… Hier koennte eine Weitergabe von Passdaten, die zur Heimreise an ausserdeutschen Flughaefen vorgelegt werden, an die deutschen Behoerden helfen, aber klar, Datenschutz…

Frank Pressler / 11.08.2018

Sehr geehrter Herr Grell, Ihnen vielen Dank dafür, dass Sie an dieser Stelle Ihre Ratlosigkeit über Merkels hermetisches Vorgehen in der „Flüchtlings“-Frage vertieft und politisch ins Werk gesetzte Dysfunktionen unseres Gemeinwesens für uns Leser schmerzvoll aufgezeigt haben.

Silas Loy / 11.08.2018

Zunächst einmal bedanke ich mich auch bei Ihnen, sehr geehrter Herr Grell, für Ihre aufschlussreichen Beiträge hier zu diesem Thema! Ich bin dabei weiterhin der Auffassung, dass nicht erst Verfassungsrichter im Ruhestand, verdienstvolle Journalisten oder der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages einer Rechtsgrundlage für das Regierungshandeln nachspüren müssen, sondern dass die Regierung selber hier die Bringschuld hat, diese Rechtsgrundlage vollständig und öffentlich vorzubringen. Die wiederholte Weigerung der Regierung durch unvollständige und abseitige Erklärungen von Vertretern des Bundesinnenministeriums im Bundestag die Rechtsgrundlage für ihr Handeln bzw. Unterlassen 2015 ff. klar und öffentlich zu benennen, darf kein Parlament so akzeptieren. Die Regierungen Merkel mussten und müssen sie -gerade auch angesichts so weitreichender Folgen- dem Parlament und den Wählern endlich erschöpfend darlegen! Andernfalls ist das Misstrauensvotum obligatorisch. Sonst spreche auch ich von Bananenrepublik, und ich denke, das ist dann keine Geschmacksfrage mehr.

Karla Kuhn / 11.08.2018

Obwohl juristischer Laie und viele Gesetzestexte mußte ich mehrmals lesen um sie mit meinem - Gott sei Dank- klarem Verstand zu verstehen, kann ich Ihrem Fazit nur beipflichten. “Mein Fazit deshalb: Die im Zuge der unterlassenen Grenzschließung am 5. September 2015 eingereisten Flüchtlinge halten sich nicht rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland auf.” Was mich besonders erbost ist, daß Menschen in diesem Land, die sich kritisch äußern, wie Akiv Pirincci oder auch die Putzfrau aus Vierkirchen, die von den jeweiligen Gerichten zu hohen Geldstrafen verurteilt wurden !  Das alles wäre gar nicht eingetreten, wenn Merkel die Grenze nicht geöffnet hätte an diesem denkwürdigen Septembertag 2015. Wenn sie sie wenigstens SOFORT wieder geschlossen hätte ( hätte, hätte Fahrradkette..) auch dann wäre die Zustände in unserem Land anders. Daß aber jetzt auch noch “Gefährderinnen” aus einem Gefängnis befreit und zurück nach Deutschland geholt wurden, setzt dem allen die Krone auf. !! Wie sagte Merkel ? Dann ist es nicht mehr mein Land ? Das erste Mal, daß ich ihr recht gebe. Aber WARUM lassen wir das zu ??  “Ratlos im Rechtsstaat”  Ist das wirklich noch ein RECHTSSTAAT ??    “Auch di Fabio kommt in seinem (Gutachten S. 98) zu dem ernüchternden Ergebnis: „Eine effektive Strafverfolgung der Einreisekriminalität findet de facto nicht mehr statt.“ EINREISEKRIMINALITÄT, das ist nicht zu fassen !! Es ist unglaublich, was Sie sich für eine Mühe gemacht haben, danke.  

Dr. Roland Stiehler / 11.08.2018

Die Politik der Altparteien ist doch völlig verfahren. Die Bürger müssen nun endlich mutig die Reset-Taste drücken und nur die glaubwürdigste Oppositionspartei wählen.

Jan-Hendrik Brünink / 11.08.2018

Eine Anmerkung aus der Sicht eines vormaligen Staatsanwalts und Strafrichters: schon in den 80/90er Jahren wurden Verfahren wegen bloßer unerlaubter Einreise und Aufenthalt von “Schutzsuchenden” aus Nicht-EU-Staaten ohne Visum in das Bundesgebiet von den weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften regelmäßig wegen “geringer Schuld” nach § 153 StPO eingestellt, also faktisch also nicht bestraft. Zumindest ansatzweise - d.h. mit minimalen Geldstrafen - geahndet wurde damals noch der qualifizierte Tatbestand der unerlaubten Einreise und Aufenthalt ohne Pass bzw. mit gefälschten Reisedokumenten (Urkundenfälschung), und die Wiedereinreise nach Ausweisung und Abschiebung hatte jedenfalls in Bayern sogar grundsätzlich eine Haftstrafe von 6 Monaten ohne Bewährung zur Folge. In den Jahren nach dem sog. “Asylkompromiss” 1992/1993 sanken die Zahlen der Neuankömmlinge stark, sodass das Thema in Politik und Medien weitgehend verdrängt wurde. Das änderte allerdings nichts an der massiven Kriminalitätsbelastung (Drogenhandel, Eigentums- und Betrugsdelikte etc.) der massenhaft zugeströmten Fachkräfte vom Balkan, dem Orient und aus Afrika. Seit dem starken Wiederanstieg der neuerdings “Flüchtlinge” genannten illegalen Einwanderer - zumeist in die Sozialsysteme - ab 2012 und erst recht nach dem Merkel’schen Dammbruch 2015 gibt es in dem o.g. Bereich praktisch überhaupt keine effektive Strafverfolgung mehr, nicht einmal für die Wiedereinreise nach Abschiebung. Ich teile deshalb die Auffassung des Verfassers wie der in dem Beitrag genannten namhaften Staats- und Verfassungsrechtler, dass die rechtsstaatliche Ordnung im Ausländer-, Asyl- und Strafrecht seit Jahren teilweise außer Kraft gesetzt ist, und dies nicht nur unter Billigung, sondern sogar auf Betreiben der Bundesregierung und praktisch sämtlicher anderer staatlicher und kommunaler Institutionen geschieht. Die Rechtfertigung dafür: “Humanität” und “Willkommenskultur”.

Gerd Kistner / 11.08.2018

Sehr geehrter Herr Maxara, Sondereinsatzkommandos der Polizei und dem Militär würde es möglicherweise gelingen, die Bundesregierung und alle Landesregierungen auszuschalten- und dann? Deutschland verträgt keinen Putsch, solche Aktionen würden das Land noch mehr spalten als es ohnehin schon ist. Ja, Justitia ist eine schieläugige, in die Jahre gekommenen Dame mit Muskeldystrophie, Demokratie ist zum Teil nur noch Fassade, öffentlich rechtliche und viele Printmedien sind eher erste als vierte Gewalt. Dennoch: Jede gewaltsame Aktion würde am Widerstand der Etablierten und dem Opportunismus der Massen scheitern. Jedem, der derartige Aktionen in Erwägung zieht, kann ich nur empfehlen: Zurück in die Löcher wie Boeselagers Reiter.

Uwe Dippel / 11.08.2018

Alles gut und schön, Herr Grell, und sehr erleuchtend. Eine Frage, die mir seit 2015 niemand beantworten konnte: Wieso eigentlich hat sich bisher kein pro bono Anwalt mit der entsprechenden Spezialisierung gefunden, der als Rechtsvertreter einer natürlichen oder juristischen Person Strafantrag gegen die Bundesregierung, vertreten durch die Bundeskanzlerin Angela Merkel gestellt hat? Amtseid ist vielleicht nicht einklagbar. Aber andere Dinge schon. Persönlich finde ich, es sollte zumindest ermittelt werden ob ein Fall von Hoch- bzw. Landesverrat auszuschliessen ist. Falls ja, lese ich gerne in einer Ihrer zukünftigen Artikel, wieso beides in keinem Falle anwendbar wäre. Andernfalls erhalte ich meine Frage von weiter oben aufrecht. Vielen Dank im Voraus!

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