Rainer Grell / 27.07.2020 / 16:00 / 17 / Seite ausdrucken

Schleyer und der Sultan

Jetzt, wo alle am Umbenennen sind, darf ich nicht abseits stehen. Ich möchte mir nicht von meinen Kindern und Enkeln posthum vorwerfen lassen, wo war denn Deine Stimme bei dieser großartigen Aktion?

Dabei greife ich in meiner Wahlheimat Baden-Württemberg nur zwei Beispiele aus der LHS (steht für Landeshauptstadt Stuttgart) heraus: die Hanns-Martin-Schleyer-Halle und den Kurt-Georg-Kiesinger-Platz.

Am 14. September 1983 wurde mit der Hanns-Martin-Schleyer-Halle in Stuttgart die größte Mehrzweckhalle in Baden-Württemberg eröffnet. Ob Hallenfuß- oder Handball, Reit- und Springturniere, Radrennen, Boxkämpfe, Turnweltmeisterschaften oder Leichtathletik-Wettbewerbe – für Sportveranstaltungen aller Art ist die Schleyer-Halle stets eine gute Adresse. Auch die größte Fernsehschau Europas „Wetten, dass ...?“ fand hier schon statt. Nur die Vollversammlung des Jüdischen Weltkongresses (World Jewish Congress) hat hier noch nicht getagt. Die rund 600 Teilnehmer wären sich angesichts der 8.200 fest eingebauten Sitzplätze wohl auch reichlich verloren vorgekommen (obwohl jetzt, unter der Herrschaft des Abstandsgebots ...), so dass sich die Frage nie gestellt hat, ob die NS-Vergangenheit des Namengebers ein Hinderungsgrund gewesen wäre: Hanns Martin Schleyer, nach eigenem Bekunden ein „alter Nationalsozialist und SS-Führer“.

Die Ermordung Schleyers durch die RAF am 18. Oktober 1977 verschafft diesem jedoch einen unzerstörbaren Bonus, wie Thomas Schmid treffend erkannt hat: „Hanns Martin Schleyer ist nur als Todgeweihter in der öffentlichen Erinnerung haften geblieben. Als ein Gedemütigter, der im Unterhemd vor der Videokamera sitzt. Man empfindet Mitleid gegenüber diesem Menschen. Alles, was vor dieser finalen Situation liegt, ist wie ausgelöscht.“ Man muss deshalb kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass der Initiative eines linken Parteibündnisses im Stuttgarter Gemeinderat zum Umbenennung der Hanns-Martin-Schleyer-Halle kein Erfolg beschieden sein wird. Nun bin ich der linken Initiative zwar nicht grün, wage aber trotzdem einen Alternativ-Vorschlag. Wie wär’s mit Jesse-Owens-Halle, wahlweise Luz-Long-Halle oder Rudolf-Harbig-Halle? Es mangelt also keineswegs an würdigen Namenspatronen.

Rosen nach Paris

Der Kurt-Georg-Kiesinger-Platz am Nordausgang des Hauptbahnhofs ist ebenfalls nach einem Mann mit NS-Vergangenheit benannt (Parteigenosse seit 1933). Der Vorgang, der seinem Verschwinden aus meinem Gedächtnis entgegensteht, ist nicht so spektakulär wie der Tod Schleyers, aber auch einzigartig: Es ist die Ohrfeige, die die deutsch-französische Journalistin Beate Klarsfeld dem seinerzeitigen Bundeskanzler am 7. November 1968 auf dem CDU-Parteitag in Berlin in aller Öffentlichkeit verpasste. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte sie dafür noch am selben Tag im beschleunigten Verfahren (§§ 417 ff. Strafprozessordnung, StPO) zu einem Jahr Gefängnis (der Höchststrafe bei dieser Form des Verfahrens, § 419 Absatz 1 Satz 2 StPO). Die Strafe wurde im Berufungsverfahren auf vier Monate reduziert, die zur Bewährung ausgesetzt wurden.

Der spätere Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll schickte Klarsfeld daraufhin Rosen nach Paris, während sein Preisträgerkollege Günter Grass die Tat als „irrational“ kritisierte. 2015 wurde Beate Klarsfeld und ihrem Mann Serge das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen. 2009 war sie bereits mit dem Georg-Elser-Preis geehrt worden. Auf die naheliegende Idee, den Kurt-Georg-Kiesinger-Platz in Beate-Klarsfeld-Platz umzubenennen, ist bisher allerdings noch niemand gekommen. Deswegen mache ich jetzt diesen Umbenennungsvorschlag. Ich möchte mit dieser Herausforderung – na was wohl? Richtig! Ein Zeichen setzen.

Um die Antisemiten Richard Wagner, Martin Luther und Karl Marx sollen sich andere kümmern. Zu Richard Wagner nur so viel: Die Richard-Wagner-Straße 15 ist heute eine gute Adresse in der Halbhöhenlage von Stuttgart-Ost: Dort liegt die Villa Reitzenstein, der Amtssitz des Staatsministeriums Baden-Württemberg und des Ministerpräsidenten. Die Villa wurde zwischen 1910 und 1913 für Friederike Marie Helene Freifrau von Reitzenstein gebaut, eine Multimillionärin, die 1944 im gesegneten Alter von 91 Jahren gestorben ist.

52 Fatih-Moscheen in Deutschland

Das Ungewöhnliche an dieser Adresse ist ihre Geschichte. Bis zum 25. Mai 1933 hieß die Straße Heinestraße nach dem Juden Heinrich Heine. Am 26. Mai wurde sie auf Veranlassung des Reichsstatthalters in Württemberg, SS-Obergruppenführer Wilhelm Murr, nach dem Antisemiten Richard Wagner umbenannt. Murr hatte nicht nur seinen Amtssitz in der Villa Reitzenstein, sondern gleich nebenan in Nr. 12 auch sein Privathaus, in dem heute der Immobilienmakler Mair & Goyke Prime Estates GmbH residiert.

Nach 1945 blieb es bei dieser Umbenennung, während der Dichter 1946 eine neue Ehrung in den Stadtbezirken Degerloch und Möhringen erfuhr, der die Dornhaldenstraße weichen musste, die während der NS-Zeit Weddigenstraße hieß (nach dem U-Boot-Kommandanten des Ersten Weltkriegs Otto Eduard Weddigen). Man sieht: Die gegenwärtig so beliebte Umbenennung von Straßen und Plätzen hat Tradition. Da wirkt es wie ein Wunder, dass der Kelch der Wandlung an dem Restaurant „Drei Mohren“ in der Pfarrstraße 23 in Stuttgart (Aber Achtung: https://drei-mohren-stuttgart.de/: „Diese Präsenz ist derzeit nicht verfügbar.“) bisher vorüber gegangen ist. 

Mein eigentliches Anliegen ist jedoch ein anderes: Mir sind die 52 Fatih-Moscheen in Deutschland schon lange ein Dorn im Auge. Falls ich keine Meinungsäußerung übersehen habe, hat daran bisher noch niemand Anstoß genommen. In einer Zeit, in der die Hagia Sophia in Istanbul, eine mehr als 900 Jahre alte ehemalige byzantinische Kirche, die ab 1453 bis 1935 als Moschee genutzt und in diesen Tagen nach 75-jähriger Museumsnutzung wieder zur Moschee wurde, in einer solchen Zeit liegt für mich nichts näher, als die Umbenennung eben dieser 52 Moscheen. Sie haben ihren Namen nach Mehmed II., eben jenem osmanischen Sultan, der Konstantinopel im Jahr 1453 eroberte und nach dem zahlreiche Moscheen den Namen Fatih (= Eroberer) erhalten haben, darunter die Fatih-Moschee in Istanbul, wo Mehmed II. begraben ist. Doch nachdem gerade die stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Nurhan („Herrscherin, die Licht verbreitet“) Soykan, zur Beraterin im Auswärtigen Amt berufen wurde, ist dieses Umbenennungsanliegen wohl noch aussichtsloser als die linke Umbenennungsinitiative für die Hanns-Martin-Schleyer-Halle im Stuttgarter Gemeinderat.    

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S. Marek / 27.07.2020

Liebe Herr Rainer Grell, bin voll Ihrer Meinung.

S. Marek / 27.07.2020

@ martina bauer, warum liegt Ihnen das Wohlergehen der islamischer “Religionshäuser” so am Herzen?  Sie haben wohl keine Ahnung was Islam (Bedeutung: Unterwerfung) ist.  ISLAM ist eine äußerst brutale faschistoide IDEOLOGIE unter einem Religionsmäntelchen mit RASSISMUS als Hauptdoktrin. Mohammed war ein Massenmörder und Kinderschänder und alle seiner nachfolgenden Ideologie verbreitenden Kampfgenossen und islamischen Mullahs folgen seinem Lebensbeispiel. In den 1400 Jahren seit Gründung und der Ausbreitung von Islam wurden mindestens 270 Millionen Menschen, 60 Millionen Christen , 10 Millionen Buddhisten, 80 Millionen Hindus, 120 Millionen Afrikaner , durch Jihad (Dschihad) gemeuchelt und das Morden geht täglich weiter bis Heute Weltweit!!!  *Sieht Dr Bill Warner Video: “Why We Are Afraid, A 1400 Year Secret, by Dr Bill Warner”

Karl-Heinz Vonderstein / 27.07.2020

Straßen die nach Martin Luther benannt sind könnte man umbenennen in Martin Luther King-Straße, muss man nur noch das King dran hängen und die Karl Marx-Straße könnte man umbenennen in Kardinal Marx-Straße und Richard Wagner-Straße könnte man umbenennen in Robert Wagner-Straße (Hart aber herzlich). Christoph Kolumbus Denkmäler wurden bereits ein paar entfernt.Man könnte sich ja mal fragen, ob die Entdeckung des amerikanischen Kontinents unterm Strich mehr negatives oder mehr positives der Welt gebracht hat oder ob es sich die Waage hält.Wie ist das eigentlich mit den Spielplänen in den Theatern?Heißt es da jetzt weiterhin noch Othello, der Mohr von Venedig oder Othello, der Mann mit schwarzafrikanischem Migrationshintergrund von Venedig?    

Richard Loewe / 27.07.2020

Herr Grell, Ihr Name muss auch geaendert werden. Grell! da kann man doch gleich Weiss heissen. Total nazi. Und wo wir beim Thema sind: wie kommen eigentlich Pink Floyd damit durch, sich nicht in Black Floyd umzubenennen? Auf der anderen Seite hat Herr Floyd einen munteren Handel mit weissen Pulvern betrieben.

martina bauer / 27.07.2020

herr grell, vielleicht wollen sie auch juden in deutschland die umbenennung ihrer synagogen vorschlagen? oder buddhisten einen anderen namen vorschlagen für ihre tempel in deutschland?

Claudius Pappe / 27.07.2020

Ja, der alte Wagner und seine Nachfahren-begehrt bei Politik und Prominenz-der letzte Auftritt Merkels ( als Frau) in Bayreuth, mit ihren (noch) Ehemann ist bei mir noch abgespeichert. Roth und Hofreiter huldigen Wagner,  Gottschalk & Co sind ebenfalls begeistert vom Antisemiten Wagner….....zufällig beim zappen Rheingold gesehen….....soll das Musik sein ?

Hans, Michel / 27.07.2020

Hallo. Zum ersten: Mir ist es wirklich absolut gleichgültig was meine Kinder, Enkel und vielleicht Urenkel posthum von mir erzählen werden. Die müssen ihr Leben leben, wie es dann halt so geht. Jedenfalls habe ich mich immer bemüht, meine Kinder zum eigenem Denken zu ermutigen. Besonders wichtig finde und fand ich stets das Denken in geschichtlichen Zusammenhängen. Zum zweiten: Mit den um sich greifenden Namensänderungen ist ja nicht nur eine, für mich dämliche, Ideologie verbunden. Es geht vor allem darum die Geschichte neu zu schreiben, neu zu interpretieren. Es wird versucht mit unseren heutigen, mitunter zweifelhaften Wert- und Lebensvorstellungen der Menschen von vor 2oo bis 1000 Jahren rückblickend zu beurteilen. Selbst die Älteren unter uns dürften sich nur sehr rudimentär die Lebens- und Gedankenwelt unserer Vorfahren vorstellen können.

Rita Handt / 27.07.2020

Warum ist eigentlich noch niemand auf die Idee gekommen, daß vor allen Dingen endlich das Autokennzeichen von Hamburg geändert werden muß? HH geht ja nun mal gar nicht. Und dann vielleicht noch als Nummer eine 88!! Da wird mir ja richtig schlecht vor Entsetzen und Scham. Was sollen unsere Altparteiler*innen und Neubürger*innen von so einem Fehlgriff denken? Ich rufe hiermit alle professionellen Namensänderer*innen auf, endlich an der Stelle für Ordnung zu sorgen. In diesem Sinne - frisch ans Werk!

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