Meine Vorfahren, allesamt asketische Protestanten, standen dem Nationalsozialismus skeptisch gegenüber, beileibe keine erklärten Gegner, aber eben das, was man resistent nennen darf. Mein Vater, Jahrgang 1920, entzog sich der Mitgliedschaft in der HJ, der Wunsch meiner Mutter, Jahrgang 1928, Mitglied im BDM zu werden, wurde von meinem Großvater mit dem Hinweis - kein Umgang mit den Antichristen - kategorisch abgelehnt. Moralische oder finanzielle Nachhaftung meinerseits durch individuelles Fehlverhalten meiner Vorfahren trifft für mich nicht zu. Dennoch, anders als im bürgerlichen Recht sieht das Völkerrecht keine beschränkbare Erbenhaftung vor, es haftet das Staatsvolk als Kollektiv in dem Sinne, dass es die Taten der vorangegangenen Generation als Rechtsnachfolger mitzutragen hat; dem ließe sich nur entgehen, wenn man seinen deutschen Pass abgeben würde. Höchst problematisch empfinde ich die von Plattitüden strotzende „Erinnerungskultur“. Die Abscheulichkeiten des Dritten Reiches werden von Politik, Medien und Schule nach derzeitigen Maßstäben sittlich taxiert und bewertet, zudem in privilegierter Kenntnis des Ausgangs von Geschichte, so gemessen ergibt sich keinerlei Erkenntnisgewinn für die Nachgeborenen. Viel zu kurz kommen das damalige Selbstverständnis der Täter und daraus abgeleitet, deren fehlendes Unrechtsbewusstsein.
Sehr geehrter Herr Bartelt ! Ihre Frage ” Wie lange noch ” ist sehr einfach zu beantworten ....... Bis die ” Kuh ” ausgemolken ist !
@Herr Gunther Bartelt: Diese Fragen haben sich mir auch gestellt. Worin der Unterschied der genannten Beispiele zur Shoah, dem deutschen Präzedenzfall, liegt, erklärt Prof. Yehuda Bauer in «Holocaust und Genozid » Teil 2 ab 6’:30” , zu sehen und hören auf YouTube.
Nur ein kleiner Denkanstoss: SIE belügen uns den ganzen Tag. Aber zum 3. Reich da erzählt man uns die Wahrheit. Schwer naiv.
Frau Stockmann, im Artikel beschreiben Sie Ihre Kontexterfahrungen und Hintergrundbeobachtungen zum Pauschalisierungsvorwurf gegen Frau Arfa durch den Dresdener Musiker. Zusammengefasst stellen Sie dazu fest: Durch allgemeine Einordnung unter abstraktere Täter-Opfer-Beziehungen wird das historisch einmalige “Verhältnis” der Nationalsozialisten zu Juden relativiert, gleichzeitig wird die Ablehnung einer solchen Pauschalisierung aber selbst als Pauschalisierung verworfen. Diese moderne Sichtweise auf den Holocaust ist die gelungene Pflege der stalinistischen Einordnung der Ermordung der “wurzellosen Kosmopoliten”, die ab 1948 vom kommunistischen Regime selbst grausam umgesetzt wurde : “Das Schicksal der Juden werde gegenüber dem der einfachen sowjetischen Bürger in unzulässiger Weise hervorgehoben.” (Wiki: “Geschichte der Juden in Russland”) In den einfachen Dachstübchen des Dresdner Musikers oder des Genossen Eisel von der FES ebenso wie in den Elite-Ganglien unserer Außenminister lebt das stalinistische Ressentiment einfach immer weiter.
Man kann von Berthold Brecht nicht “die Aufarbeitung der NS-Diktatur und ihrer Strukturen im Allgemeinen” in den Jahren 1938 und 1939 verlangen. Hier eine Verlagerung von Themen, die erst nach 1939 in vollem Gange waren, in die Vergangenheit zu erkennen, führt zu weit. Zudem muss auch nicht jeder kritische Autor der Nachkriegszeit mit jedem seiner Werke den Holocaust aufarbeiten wollen. Obwohl ich manchen Ihrer Bedenken und Ausführungen zustimmen kann, sehe ich besipielsweise nicht jede Form von Diskriminierung als falsch an. Beispielsweise finde ich es richtig aktive Pädophile oder offensichtliche Psychopathen zu diskriminieren, obwohl diese für ihr Verhalten keine Schuld haben mögen. Andere weniger offensichtliche aber dennoch sich vernünftig ergebende Diskriminierungen scheinen mir ebenfalls nicht vermeidbar, wie beispielsweise der Verlust des Wahlrechts von Menschen, die nicht mehr zu einer Meinungsbeildung oder Meinungsäußerung in der Lage sind. Wie Sie ja selbst ausführen, können ja Argumente, wie das Diskriminierung zu bekämpfen, leicht missbraucht werden, um eigene politische Ziele auf undemokratischem Weg durchzusetzen. Für den Artikel möchte ich mich trotzdem bedanken.
Also - die einen brauchen jetzt die schriftliche (beglaubigt?) Zustimmung für alles, was über Händchenhalten hinausgeht, die anderen müssen einen Nicht-Nazi-Nachweis über drei Generationen beibringen oder, falls unmöglich, sich vom Opa distanzieren. Schöne, neue, freie Welt - nur wird man es so nicht lange machen! “Wollt der Ritter einmal praxeln, mußt’ er aus der Rüstung kraxeln. Dabei ward ihm die Lust verdorben, darum sind sie auch ausgestorben.”
Ihre Einschätzung des Schaffens von Max Frisch als “literarischer Kunstgriff” trifft den Kern der Diskussion. Ich will es nicht Problem nennen, weil es meiner Ansicht nach keines ist. Es ist ja hier nicht einmal bekannt, ob die clevere Autorin der Couchgeschichte ihre Roman-Dialoge frei erfunden hat oder ob sie in Wahrheit auf realitätsnahes Rohmaterial für ihren nächsten Roman aus ist. Das wäre natürlich auch nicht verboten. Aber wenn die Gesellschaft aus ihrem Selbstverständnis heraus immer “Andere” braucht, dann ist es relativ gleichgültig, ob schon welche da sind, die sich leicht als Andere zurechtschubsen lassen, oder ob man sich die Anderen aus der eigenen Mitte heraus basteln muss. Das ist eine sehr grundsätzliche Angelegenheit, die sich schon sehr lange dadurch speist, dass in den christlich tradierten Gesellschaften Europas immer welche existierten, die den falschen, einen anderen oder gar keinen Glauben teilten. Darum meine ich, muss alles, was an kritischen Fragen an den Islam aufkommt, in gleicher Weise an Christen und auch alle anderen Glaubensgemeinschaften gestellt werden. Denn die sind alle in ihrem theologischen Selbstverständnis totalitär. Die sogenannte Ökumene ist eigentlich nur eine gut funktionierende Tarnvorrichtung. Es bleibt letztlich so, wie es immer war: Wenn der schriftbasierte Glaube an einen einzigen Gott nicht interreligiös zu vereinheitlichen ist, was ja in der Realität beobachtet wird, dann folgt aus dieser Tatsache, dass es in den einzelnen Religionen eben nicht um Vereinheitlichung geht sondern um die Abgrenzung von den Anderen. Bestenfalls um Assimilation. Wenn die Evangelen heute behaupten, der Gott aller Weltreligionen wäre derselbe, dann werden die Muslime ihnen antworten, sie könnten dann ja ganz beruhigt zum Islam übertreten. Und das werden die deutschen Bischöfe überhaupt nicht verstehen. Weil die theologische Erziehung und Ausbildung den kognitiven Verstand von früher Jugend an verkümmern lässt.
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