Julian Marius Plutz, Gastautor / 10.06.2020 / 06:15 / Foto: Pixabay / 87 / Seite ausdrucken

„Nie wieder Opfer“ – Über das Entsetzliche von Gewalt

Von Julian Marius Plutz.

Was waren wir stolz, denn es war unser erster Live Auftritt vor Publikum. Am Bass stand der Fabi, der zwar nicht Bass spielen konnte, aber sich redlich mühte und vom Stef, der gar nicht so untalentiert die Gitarre bediente und sang, den grobschlächtigen Fabi in das Saiteninstrument eingelernt wurde. Und ich, Hobo, an den Drums. Ja. Hobo war mein Spitzname, in einer Zeit, in der der Nickname von Counter-Strike noch eine Bedeutung im echten Leben hatte.

Und so spielten wir „Californication“ von den roten und scharfen Chilischoten und „Holiday“ von Greenday. Wir hatten sogar eine echt schreckliche Punkversion von „Yesterday“. Ja. Aber auch eigene Songs („Sangs“ ausgesprochen) wie „Wer machts Bier?“ (Wehrmachtsbier), den wir im rotzigen Streetpunk im Stile Anal Cunt den verdutzten Zuschauerohren kredenzten. Ein Titel, der heute in Zeiten der austherapierten Neurotiker der politischen Korrektheit undenkbar ist. Damals interessierte sich unser eher alternativer Bekanntenkreis gar nicht dafür. Ich erinnere mich an eine einzige Frage eines Bekannten, der nach einer Probe lächelnd bemerkte, ob er bei dem einen Lied das mit der Wehrmacht richtig verstanden hätte. Wir waren unpolitisch und gaben einen Scheiß auf das, was andere dachten.

Ich möchte keine „Früher war alles besser“-Debatte lostreten, war es sicher nicht, aber vor 15 Jahren gab es kaum Social Justice Warrior, die in Funk, Print, Web, Politik, Kultur und an der Uni das Ruder in der Hand hatten.

Nach dem Auftritt fuhr ich zu einer ganz anderen Feier. Stolz wie Bolle, von dem eben verdienten Geld ging es mit dem Taxi (Der Bühnenstar lässt fahren!) zu einer Art Klassentreffen von Mitschülern meiner ehemaligen Schule. Meine Vic Firth Drumsticks noch in der Hosentasche, kam ich gut gelaunt in der Kneipe an. Es war warm an dem Abend. Sommerwarm, fast traumschön. Es muss weit nach Mitternacht gewesen sein, als ich mit einem Bekannten aus der Bar raus bin, die Krokodil hieß. Uns entgegen kam ein Typ, den ich versehentlich anrempelte. Lachend und kumpelhaft entschuldigte ich mich bei ihm, indem ich seine Schulter klopfte und „Sorry“ sagte. War ja keine Absicht.

Der Rest ist beschissene Geschichte. Der Typ mit dem sympathischen Ostblockakzent riss meine Hand weg mit den Worten „Schwuchtel“. Ich lag dann am Boden, und vier oder fünf Personen traten auf mich ein. Einfach so. Ein Mädchen oder eine Frau war dabei, die mit ihren hohen Schuhen besonders eifrig am Werk war. „Schwuchtel“ gehörte auch zu ihrer präferierten Vokabel. Irgendein Typ zog mich aus der Menge, meine Brille war jedoch verschollen. Das Ende vom Lied war, dass ich erstaunlich wenig verletzt war. Bis auf eine Platzwunde am Auge und ein oder zwei geprellte Rippen erinnerten mich lediglich blaue Flecken in den nächsten Tagen an diesen zauberhaften Abend. Spaßfakt am Rande der Physik: So richtig überzeugt war ich damals nicht, schwul oder bisexuell zu sein. Und gelebt habe ich es eh noch lange nicht.

Aber das war den Herren und der Dame nicht wichtig.

Seit dem Tag, oder eher Tagen und Wochen danach schwor ich mir eines. „Nie wieder Opfer“ zu sein. Nie wieder der, der da unten liegt und hofft, dass es endlich vorbei ist. Die Erniedrigung, die Gewaltopfer erfahren, das Entsetzliche, lässt dich verändern. Denn ich war im Wortsinn entsetzt, dass Menschen anderen Menschen so etwas antun. Einfach so. Ich konnte es nicht glauben. Ich kann sagen, dass ich seitdem nicht mehr Opfer war, anders auftrat, gerade was den Umgang anging mit Testosteronbolzen nach dem 3. Bier.

Am 25. Mai wurde Floyd George ermordet. Ich möchte das meine nicht mit dem Schicksal des Schwarzen vergleichen, um Gottes Willen. In meinem Leben gehörten Diskriminierungserfahrungen zur Ausname, und ich hatte – außer der Tat – nie wirklich Angst um mein Leben. Ich hatte auch vermutlich keine Nachteile im Beruf. All das oder Teile davon waren bei Floyd anders. Ich kenne seine Geschichte nicht und sie ist auch nicht relevant, weil er längst zum Symbol geworden ist. Ich habe kaum Einblick in die Verhältnisse in den USA, aber ich sehe dieses entsetzliche Video. Der Unterschied scheint mir zu sein, dass die schwarze Gesellschaft gar nicht so entsetzt war, wie ich vor 15 Jahren. Weil es dort vorkommt. Oft und immer wieder. Zu oft.

Und so bleibt mir nichts anderes übrig, als mich mit dem friedlichen Protest zu solidarisieren. Regelmäßig unterschätze ich Symbole, doch sie sind manchmal das einzige, was man tun kann. Es ist oft das, was zählt, weil man ansonsten gar nix macht. Ich habe aus guten Gründen, wie ich finde, eine Abneigung gegenüber Demonstrationen. Aber vielleicht sollte ich mal wieder zu einer hin.

Ich schrieb eben von der Solidarität der friedlichen Proteste. Ja. Es ist natürlich nicht hinnehmbar, dass manch ein Protestler in den USA Gewalt anwendet. Gewalt als Mittel des Protestes ist falsch und schmälert das Anliegen der vielen Friedlichen enorm. Und es schafft neue Entsetzlichkeiten. Sie deligitimieren den Protest damit nicht, das behaupten Rechte oder wollen Rechte erreichen, aber das Geschmäckle bleibt. Bei allem Verdruss ist es tragisch, dass der enorm beteiligte Protest immer wieder durch Gewalttäter ein Stück weit demoralisiert wird. Aus dem Grund ist Martin Luther King so unfassbar integer und wertvoll und bedeutender als Malcolm X, der sich nie von Gewalt lossagte.

Am End‘ waren meine Vic Firth Sticks nicht mehr auffindbar. Meine Brille jedoch hatte ich am nächsten Tag am Ort des Geschehens wieder gefunden. Ob Schwarze, Juden, Homosexuelle oder wer auch immer Gewalt und Diskriminierung, in welcher Form auch immer, ertragen musste, teilt das eine Motto, da bin ich sicher: Nie wieder Opfer sein zu wollen.

 

Julian Marius Plutz ist 33 Jahre alt, Blogger und arbeitet im Personalvertrieb. Er unterhält den Blog neomarius.blog.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Michael Pollan / 10.06.2020

Ich gebe den meisten Lesern recht, die sich über diesen Artikel echauffieren. Tatsächlich schwach,  unüberlegt und spätpubertär.  Der Achse nicht würdig.

Belo Zibé / 10.06.2020

Lieber Herr Plutz,  vor einigen Monaten kam mir nachts auf einem Gehweg ,etwas ausserhalb der Stadt , telefonierend ein junger Mann entgegen- in Zeitungen würde man ihn als südländischen Typus beschreiben- den ich wohl etwas zu lange angesehen habe, weil er abrupt stehenblieb und mich gereizt fragte, ob ich ein Problem hätte . Auf ein sozialpädagogisches Gespräch habe ich , Sie haben es sicherlich schon erraten, verzichtet. Es muss also nicht zwangsläufig jemand mit sympathischem Ostblockakzent sein, der mit gewissen Schwierigkeiten ausgestattet ist. Auch das Erscheinen eines Weissbrotes , einer Kartoffel, jemand aus der Köterrasse im falschen Bezirk könnte Ihre Erfahrung und mehr   zur Folge haben. Schon der Philosoph Bud Spencer wusste »Wenn man beim Billard einen lötet, kann das auch passieren« Mich stört an Ihrem Artikel das Formelhafte. Oriana Fallaci, diese grossartige Freidenkerin, beschrieb das als Vertrauen auf »vorfabrizierte Lösungen,schon getroffene Entscheidungen, auf gebrauchsfertig entwickelte und verpackte Gedanken. Auf Rezepte , die -wie elektronische Waagen , Gasherde-Indoktrinierung betreiben durch die Formeln der Political Correctness. Die Formel des Pazifismus. Die Formel des Imperialismus. Die Formel des Pietismus , die Formel des Gutmenschnentums. Die Formel des Rassismus , die Formel der Ökumene. Die Formel bzw. das Konzept des Konformismus , also der Feigheit.« , ohne sich dessen Gewahr zu werden. Ihre Schlagworte »Schwarze, Juden, Homosexuelle« , »Nie wieder Opfer« sind exemplarische Beispiele dafür. Ob nicht die Tibeter, die Tutsi u.v.a nicht auch »Nie wieder Opfer« sein möchten?        

Johannes Streck / 10.06.2020

Schlimm: Der berichtete Angriff und die Sprache des Aufsatzes. Aber nach 1 1/2 Jahrzehnten auch ein bißchen Mimimi… - Bleiben noch zwei Fragen: Was war das ‘Krokodil’ für eine Bar und was ist ‘Personalvertrieb’? Zeitarbeiter*Innenverleiher?

Peter Meyer / 10.06.2020

Herr Plutz, wenn eine beliebig-mißliebige Demo automatisch dadurch deligimiert wird, daß “Rechte” nur daran teilnehmen, ohne sonstwie aufzufallen (“Unter den Demonstranten waren auch Parteimitglieder der AfD”), dann deligitimiert jede Gewalt automatisch auch jede friedliche Demo; die friedlichen Demonstranten könnten sich ja von der Gewalttätern distanzieren, wird ja sonst auch überall gefordert. Oder messen wir mal wieder mit zweierlei Maß? Eurasien war bekanntlich nie im Krieg mit Ozeanien…

Max Wedell / 10.06.2020

Ich finde schon, daß es geboten ist, zwischen unberechtigter Gewalt von Polizisten bei der Ausübung ihrer Aufgaben und Gewalt zwischen Bürgern untereinander zu unterscheiden. Bei jeder dieser Kategorien stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Demonstrationen anders. Das Problem, daß ich mit den US-Demos gegen Polizeigewalt habe, ist weniger, daß in ihrem Umfeld linksextreme Terroristen (Antifa) gewalttätig aktiv sind, sondern daß große Teile der Demonstranten weitgehend für einen Wunschtraum linksextremer Gewalttäter eintreten: Die Abschaffung der Polizei. In den USA nennt sich das “Defund the Police”. Ohne finanzielle Mittel aber kann es keine Polizei geben. Das geht inzwischen auch schon über die reine Forderung hinaus. Gestern meldete das “Wall Street Journal” im Titelbericht unter der Überschrift “Wave of Protests Fuels Moves To Shift Funding From Police”: “On Sunday, a veto-proof majority of the City Council in Minneapolis—where Mr. Floyd was killed—agreed to disband the Police Department and create a different public-safety system.” Wie ein neues System öffentlicher Sicherheit aussehen soll ist dann die Frage - das ist auch in den USA noch ungeklärt, aber man kann sich vorstellen, wie so etwas aussieht, wenn Linke (oder ihre vielen Mitläufer) das Sagen haben: Linksextremistische Gewalttäter sowie Gewalttäter, die Minderheiten angehören, werden mit Samthandschuhen angefasst, und mit harter Hand werden Gesetzesübertretungen dann allenfalls bei weißen, männlichen, heterosexuellen Bürgern geahndet, und ganz unbedingt bei “Rechts”-Verdächtigen, denn dabei kann man ja nichts falsch machen. Ich selber würde davon absehen, an Demos teilzunehmen, die unseren Rechtsstaat demontieren wollen, nur weil ich persönlich mal verprügelt wurde und es nicht goutiert habe, wie es Herr Plutz von sich berichtet.

Michaela Schmitz / 10.06.2020

Laut BLM (Black lives matter) sollen Weiße nicht gegen Rassismus kämpfen, sondern lediglich gegen den Rassismus, den Schwarze erfahren. Daher greift die BLM-Bewegung auch diejenigen an, die “All Lives Matter” sagen oder diejenigen, die “Blue Lives Matter” (Blue = Polizisten) sagen. Eine Anti-Diskriminierungsbewegung, die ausschließlich Opfer anerkennt, die sich selbst als “black” bezeichnen, also die sich selbst rassisch als Afroamerikaner einstufen, ist nichts für meinen freiheitlich-demokratisch-brüderlichen Grundgesetzkern.

Dr. Karl Wolf / 10.06.2020

Der Autor sagt “Nie wieder Opfer” und scheint nicht zu kapieren, wie sehr er gerade mit seiner friedliebenden Haltung Opfer geworden ist, genau das Opferlamm, das sich unsere Politik und Merkels eingewanderte Jungs so wünschen. Leider sind wir in großen Teilen inzwischen genau das geworden, ein Volk von dämlich blökenden Lämmern, in Geiselhaft gehalten von grün-roten Hütehunden. Und irgendwann schlachtreif.

Wolfgang Nirada / 10.06.2020

Der zugekokste Kriminelle (kurz vorher versucht mit Falschgeld zu bezahlen, sass jahrelang im Gefängnis unter anderem weil er einer Schwangeren eine Waffe an den Bauch hielt um Geld von ihr abzupressen…) wurde nicht ermordet. Das ist eine Lüge! “Ich kenne seine Geschichte nicht und sie ist auch nicht relevant, weil er längst zum Symbol geworden ist…” das passt zum Rest von diesem Geschwätz…

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