Julian Marius Plutz, Gastautor / 20.05.2022 / 16:00 / Foto: Pixabay / 32 / Seite ausdrucken

LGTBQ+: Wenn sich jeder Fridolin zur Frau erklärt

Durch die Trans-Mode fühlen sich „traditionelle“ Homosexuelle in ihrer eigenen Szene zunehmend marginalisiert.

Vor wenigen Tagen fand das Finale des Eurovision Song Contest (ESC) statt. Oder anders: die größte Homoveranstaltung des Jahres. Die Show gilt seit jeher als „das Champions-League-Endspiel des schwulen Mannes.“ Apropos Fußball: In diesem Jahr stand, wie seit zehn Jahren in der Bundesliga, der Sieger bereits vorher fest, die Ukraine gewann das Finale.

Ich denke daran zurück, wo ich denn die vergangenen ESC-Finals verfolgt hatte. Die wohl legendärste Sendung war, als Conchita Wurst mit einem Titel triumphierte, der problemlos ein Bond-Soundtrack hätte werden können. Ich schaute das Finale in einem ziemlich abgerockten schwul-lesbischen Begegnungszentrum mit – in Teilen – ebenso abgehalfterten Gestalten um mich herum.

Queersein ist eine Befindlichkeit

Der Raum war klar aufgeteilt. Rechts saßen die Lesben, links die Schwulen. Es gab eine natürlich wirkende Distanz, bei dem einen oder anderen sogar eine echte Abneigung gegen „die andere Seite“. Man koexistierte so vor sich hin. Aber eigentlich hatten wir, wenn die Stadt groß genug war, eigene Partys, eigene Clubs, eigene Räume. Es waren zwei verschiedene Szenen und das war auch völlig in Ordnung.

Es war die Zeit von LGB, also „lesbisch“, „schwul“ und „bisexuell“. Konkret: biologisch geprägten Neigungen. Stück für Stück kamen neue Buchstaben hinzu.

„T“ für Trans, also einen Mann, der sich Frauenkleider anzieht, weil er sich als Frau fühlt. „Q“ für Queer, also jemanden, der sich irgendwie nach irgendetwas fühlt und ein „+“ für alles Mögliche, was es noch so gibt. Der Unterschied von „lesbisch, schwul und bisexuell“ und Queer und Trans und „Plus“ ist klar. Letzteres sind Zuschreibungen, Gefühlszustände, Ersteres biologische Realitäten.

Sie kaperten unsere Bewegung

Während Homosexuelle keine Wahl haben, homosexuell zu sein, können Männer entscheiden, ob sie Frauenklamotten anziehen oder nicht. Und Heterosexuelle, die sich schon immer wünschten, eine Randgruppe zu sein, können sich nun „queer“ nennen. Doch damit können sie sich nicht per Sprechakt jahrhundertelange Unterdrückung und Ausgrenzung zu eigen machen. Wie der Schwulenrechtler Ali Utlu richtig sagte, wirkt dies wie der peinliche Versuch, durch eine erfundene Randgruppe besonders zu wirken.

So wie Transfrauen in dem Moment echte Frauen marginalisieren, in dem sie meinen, ebenfalls Frauen zu sein, so marginalisieren „queere Menschen“ die Schwulenrechte. „Sie klauten uns unsere Slogans und unsere Fahne“, empörte sich Ali Utlu zu recht. Und in der Tat stand die Regenbogenfahne für die Belange von Schwulen, Lesben und Bisexuellen, bis eine degoutante Masse an wohlstandsverwahrlosten Genderinfizierten die Bewegung kaperte.

Ab irgendeinem Zeitpunkt – fragen Sie mich nicht, wann – wollte jeder besonders sein. Koste es, was es wolle! Endlich Randgruppe, endlich eine eigene Fahne! Endlich Menschen erzählen können, sie würden benachteiligt. Diese Diskriminierungslust ist nicht nur hochnotpeinlich, sie verharmlost auch tatsächliche Diskriminierung. Echte Randgruppen wollen nicht als solche wahrgenommen werden, sondern als Individuen. Kostümrandgruppen brauchen den Status „Besonders“ zur Aufwertung ihres Selbst.

Homo in der „rechten Ecke“

Und so ist es kein Zufall, dass woke Homos Leute wie Ali Utlu ablehnen, ihn in „die rechte Ecke“ stellen wollen, weil er „nur“ für Schwulenrechte eintritt und sich nicht für jeden Fetisch verantwortlich fühlt. Und noch weniger Zufall ist es, dass gerade Lesben, einst von schwulen Männern eher distanziert betrachtet, Menschen wie Utlu zustimmen. Sie als Frauen wissen ganz genau, wie leicht man marginalisiert wird, wenn sich am Ende jeder Fridolin per Handzeichen zur Dame erklären kann.

Wer existenzielle Tatsachen wie biologische Merkmale mit individuellen Befindlichkeiten und Selbstdefinitionen gleichstellt, versteht es nicht. Wer glaubt, eine Frau zu sein, wenn er nur ganz fest dran glaubt, versteht es nicht. Und wer meint, das Leid der Emanzipation von Homosexuellen kapern zu können, weil er sich „queer“ nennt, der hat rein gar nichts verstanden.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog Neomarius.

Den im Beitrag erwähnten Ali Utlu können Sie auch hier auf indubio als Gast von Gerd Buurmann im Gespräch mit Birgit Kelle hören.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Sophie Edlman / 20.05.2022

Ich habe es immer als Zumutung empfunden, daß umgekehrt die echten Transsexuellen von der LGB-Bewegung vereinnahmt wurde. Das ist jetzt eine Dissonanz! Ich bin eine “technische” Transsexuelle. Nach meiner Geburt wurde konnte man mit meinen Geschlechtsmerkmalen wohl nicht viel anfangen, also warf man eine Münze und dann wurde operiert und ich wurde als Bub erzogen. Ich wußte immer, daß ich ein Mädchen bin, daber damals war das noch eine Straftat. Als ich dann endlich den Mut hatte, die Rolle rückwärts zu machen und als Frau zu leben und mich auch operieren zu lassen, da habe ich auch mal eine Selbsthilfegruppe für Transsexuelle aufgesucht. Da bin ich zweimal hingegangen und dann nie wieder. Das waren lauter Wahnsinnige. Die waren auch nach ihrer OP keine Frauen. Das wirklich Wichtige ist, daß ich als Schwuler, Lesbische, m2f-Transsexuelle oder f2m-Transsexuelle mein Schicksal in mein Leben und meine Persönlichkeit einbaue, so daß ich bei all dem, was irgendwie nicht zur Masse paßt doch aus mir eine authentische Persönlichkeit wird. Das ist richtig viel Arbeit. Das ist eine Arbeit, die die Queer-Leute und die Charaktere vom Transgender-Zirkus alle nicht leisten, weil sie keine echte Not haben und auch nie einen echten Leidensdruck spüren. Die Transgender-Freunde kriegen ihren Leidensdruck erst nach der OP, wenn sie merken, daß es ein Fehler war. Dann kommt aber erst der richtige Shitstorm auf sie zu, denn der Soziale Druck im Transgender-Zirkus ist groß. Leute, die da ausssteigen wollen und ihrerseits die Rolle rückwärts machen wollen müssen stark sein, sonst kommen sie aus diesem Sumpf nicht wieder raus.

Dr Stefan Lehnhoff / 20.05.2022

Naja, wenigstens kann ich so vielleicht ins Frauengefängnis nachdem ich den Grünen Parteitag in die Luft gesprengt habe, oder?

A. Ostrovsky / 20.05.2022

Schade, beim Zickenkrieg darf ich nicht mitmachen, weil ich nie begreife, worum es überhaupt geht. Und dann schlagen immer alle anderen Zicken auf mich ein. Nein, aus Selbstschutz bin ich nicht dagegen, aber auch nicht dafür. Jeder hat Recht, ein Bischen. Außer mir, aber das bin ich gewohnt. Ich bin selbst im Unrecht, wenn ich gar nichts sage und die Augen schließe, nur um nicht blöd zu glotzen. Aber selbst wenn ich ungefragt eingestehen würde, dass ich im Unrecht bin, wird es nicht besser. Ach hätte ich doch geschwiegen!!!

Markus Kranz / 20.05.2022

Es ging nie um die Rechte von Homosexuellen oder Frauen. Es ging immer nur um Linke, die eine Minderheit brauchten, um Linke als Anwälte von Minderheiten darzustellen. Und die Minderheiten selbst stören dabei natürlich, insbesondere, wenn sie sagen, dass Linke ihre Bewegung kapern oder missbrauchen.

giesemann gerhard / 20.05.2022

Mir sind alle Leute sehr sympathisch, die keine Kinder machen - obwohl ich Kinder liebe über alles. Oder vielleicht gerade deswegen.

Bertram Scharpf / 20.05.2022

Dieser Beitrag war überfällig! Es ist eine Krankheit unserer Zeit, wie viele Menschen, nur um einmal im Leben auch ein wenig wichtig zu sein, den echten Kampf gegen Diskriminierung mißbrauchen.

Donatus Kamps / 20.05.2022

Der Artikel mag durchaus Recht haben mit seiner zentralen Kritik daran, daß es Menschen gibt, die die Zugehörigkeit zu Randgruppen aktiv betreiben, um dies für eigene Vorteile zu instrumentalisieren. Nichtsdestotrotz finde ich einen Satz im Artikel sehr merkwürdig, weil er eine Unterscheidung macht, die ich nicht nachvollziehen kann. Ich zitiere: “Während Homosexuelle keine Wahl haben, homosexuell zu sein, können Männer entscheiden, ob sie Frauenklamotten anziehen oder nicht.”—- Der Sachverhalt ist folgender: Homosexuelle Männer und homosexuelle Frauen haben sexuelle Vorlieben, bei denen sie entscheiden können, ob sie sie ausleben oder nicht. Wenn sie sie aber ausleben, müssen sie damit klarkommen, daß dies von der Mehrheit als merkwürdig empfunden wird. Männer, die weibliche Kleidung anziehen, haben einen Modegeschmack, bei dem sie entscheiden können, ob sie ihn ausleben oder nicht. Wenn sie ihn aber ausleben, müssen sie damit klarkommen, daß dies von der Mehrheit als merkwürdig empfunden wird.—- Worin hier der grundsätzliche Unterschied bestehen soll, erschließt sich mir nicht.

Klaus Biskaborn / 20.05.2022

Hervorragender, hochinteressanter Artikel. Nur wann melden sich die tatsächlich Homosexuellen endlich lautstark zu Wort gegen ihre Diskreminierung durch diese Trans, Queer, Plus und wie die alle heißen. Hierauf fehlt mir jetzt die Antwort!

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