Henryk M. Broder / 26.12.2022 / 08:00 / Foto: Achgut.com / 47 / Seite ausdrucken

Juden im Höheren Dienst

Der Beamte war und ist die Krone der Schöpfung. Schon Tucholsky wusste: „Vor einem Schalter stehen: Das ist das deutsche Schicksal. Hinter dem Schalter sitzen: Das ist das deutsche Ideal.“

Machen wir uns nichts vor: 2022 war ein Scheißjahr.

Corona, Ukraine, Inflation, Migration, Letzte Generation, Grand Prix Eurovision, zu viele Baustellen auf den Autobahnen, zu wenige Medikamente in den Apotheken und kaum Fortschritt bei der Digitalisierung des ländlichen Raumes. Deutschland auf dem Weg in einen Failed State.

Umso dankbarer sind wir für jede gute Nachricht, die uns erreicht. Luisa Neubauer hat einen festen Freund, Boris Becker kann den Rest seiner Haftstrafe im Haus seiner Mutter absitzen, und Schleswig-Holstein bekommt einen Antisemitismus-Beauftragten, der sich mit antisemitischen Stellungnahmen für den Job qualifiziert hat, einen echten Experten also.

Die beste aller Nachrichten, auf die wir lange und sehnsüchtig gewartet haben, hat ebenfalls mit einer Beförderung zu tun. Am 21. Dezember teilte die Pressestelle des Zentralrates der Juden mit, soeben sei der „erste Militärrabbiner verbeamtet“ worden, damit nehme das Militärrabbinat „weiter Konturen an“. Die Verbeamtung sei „in Berlin im Rahmen der Chanukka-Feier des Militärrabbinats“ durch die „Leiterin des Militärrabbinats, Dr. Angelika Günzel“ vollzogen worden; die Bedeutung des „historischen Augenblicks“ habe „der beim Zentralrat der Juden in Deutschland angestellte Militärbundesrabbiner Zsolt Balla“ mit folgenden Worten herausgestellt: „Mit der Verbeamtung eines neuen jüdischen Militärseelsorgers haben wir einen neuen Meilenstein erreicht. Dies bedeutet eine neue Ebene des Vertrauens, die den Soldatinnen und Soldaten hilft, sich mit der jüdischen Militärseelsorge zu verbinden, und einen weiteren bedeutenden Schritt zur Etablierung unserer Behörde, nicht um ihrer selbst willen, sondern für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr.“

Die Leiterin des Militärrabbinats ist eine Frau

So erfahren wir beiläufig, dass es beim Zentralrat der Juden in Deutschland bereits einen angestellten Militärbundesrabbiner gibt, der offensichtlich noch nicht verbeamtet ist, dass die Leiterin des Militärrabbinats eine Frau ist – das hat es in der Geschichte des Judentums noch nie gegeben – und dass im Bundesministerium der Verteidigung ein Unterabteilungsleiter in der Abteilung Führung Streitkräfte, Brigadegeneral Marcus Ellermann, für das Militärrabbinat zuständig ist. 

Das ist nicht allzu viel, würde aber für die Erstellung eines Organigramms reichen. Kaum etwas erfahren wir dagegen über den „ersten verbeamteten Militärrabbiner der Bundesrepublik Deutschland“, außer dass er Konstantin Pal heißt und ein „liberaler Rabbiner“ ist. Der leise Verdacht, er könnte seine Weihen am Potsdamer Abraham Geiger Kolleg erhalten haben, einer Firma des Unternehmers Prof. Dr. Walter Homolka, wird durch einen Wikipedia-Eintrag bestätigt. Da steht: „2010 wurde er (Konstantin Pal) am Abraham Geiger Kolleg zum Rabbiner ordiniert.“ Seitdem repräsentiert er die Jüdische Landesgemeinde Thüringen und betreut die jüdischen Gemeinden von Erfurt, Jena und Nordhausen.

Ob er in der Bundeswehr gedient hat und falls ja, wie weit er es gebracht hat, bleibt ungesagt. Anders als bei einem Antisemitismus-Beauftragten muss ein jüdischer Militärrabbiner nicht einschlägig vorbelastet sein. Es genügt, wenn er „De bello Gallico“ gelesen hat.

Eine Bereicherung für die Bundeswehr

Wie jede lustige Geschichte hat auch diese eine Vorgeschichte. Und die haben wir Ende Mai letzten Jahres an dieser Stelle bereits erzählt. Damals ging es um die „feierliche Amtseinführung des neuen Militärbundesrabbiners“ im Beisein der damaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und des damaligen und vor Kurzem wiedergewählten Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster. Der sagte anlässlich der Ordination des ersten und bis zum 21. Dezember einzigen jüdischen Militärrabbiners u.a.: „Mit der Berufung von Militärrabbinern knüpfen wir an eine alte Tradition an und schlagen zugleich ein neues Kapitel auf. Das Wirken der Rabbiner wird für die Bundeswehrsoldaten eine Bereicherung sein. Die Amtseinführung des Militärbundesrabbiners ist ein historischer Tag für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland.“

Von da an war der Weg zur Verbeamtung eines jüdischen Militärseelsorgers klar vorgezeichnet. Diese Maßnahme ist nicht nur ein Meilenstein, sie ist der Höhepunkt der neueren deutsch-jüdischen Geschichte, seit Leo Baeck als Feldrabbiner am Ersten Weltkrieg teilnahm. Und der wurde hinterher nicht verbeamtet, sondern 1943 in das Ghetto Theresienstadt deportiert.

Verbeamtung jetzt!

Was lehrt uns das? Der Beamte war und ist die Krone der Schöpfung. Schon Tucholsky wusste: „Vor einem Schalter stehen: Das ist das deutsche Schicksal. Hinter dem Schalter sitzen: Das ist das deutsche Ideal.“

Möglich, dass Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, ohne es zu wollen, einen Weg zur Bekämpfung des Antisemitismus freigelegt hat. Statt immer mehr Antisemitismusbeauftragte zu berufen, statt Schulklassen zum Geschichtsunterricht nach Auschwitz, Buchenwald, Majdanek und andere Lager zu schicken, statt Ausstellungen über Juden in Kunst, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft zu organisieren, statt Lehrstühle für Holocaust-Studies einzurichten, wäre es klüger, alle in Deutschland lebenden Juden umgehend und unbürokratisch zu verbeamten. Niemand wird es wagen, die Hand gegen einen Beamten zu erheben. Und jeder verbeamtete jüdische Mitbürger bekäme den Ehrentitel: „Jude im Höheren Dienst“. 

Im Übrigen: Rabbiner sind keine Seelsorger wie Pfarrer oder Priester. Sie nehmen keine Beichte ab und erteilen keine Absolution. Rabbiner sind Rechtsgelehrte, die darauf achten, dass die Regeln der Thora eingehalten werden. Alles Übrige liegt in der Verantwortung jedes einzelnen gläubigen oder ungläubigen Juden. 

Und noch was: Ich habe versucht, herauszufinden, wie viele sich als jüdisch verstehende oder gelesene Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr dienen. Die einzige Info dazu habe ich auf der Seite des Zentralrates gefunden: „Die genaue Zahl jüdischer Soldatinnen und Soldaten, die gemeinsam mit den anderen 180.000 Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr dienen, ist nicht bekannt und nicht ermittelbar, da die Angabe der Religionszugehörigkeit freiwillig ist.“ – Es gibt nicht einmal eine ungenaue Zahl, nur Schätzungen, die von 30 bis 300 reichen. Genauso witzig wäre es, wenn die Firma Wiesenhof eine koschere Produktlinie anbieten würde, ohne zu wissen, ob sich jemand dafür interessiert.

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A. Ostrovsky / 26.12.2022

@Anneliese Bendit : “Im 1. WK haben 85.000 deutsche Juden für Kaiser, Gott und Vaterland gekämpft; darunter auch mein Opa und meine Großonkel. In welchem Geschichtsbuch wird das gelernt?” In meinem Gedächnis steht es. Nur so ist die Empörung und Verbitterung des Großvaters zu verstehen, der die Entrechtung und Verfolgung gerade deshalb nicht ertragen konnte. Aber er war ja nur ein Halber, weil die Mutter nicht jüdisch war, nur sein Vater. So einer hatte überhaupt keine Freunde, er war nirgendwo anerkannt, zumal er selbst noch eine “Schickse” geheiratet hatte. Das konnte nur schief gehen. Sein Ankerpunkt war nach dem verlorenen Weltkrieg seine Identifikation mit dem sozialdemokratischen Deutschland. Und er hatte das Schlachten überlebt und damit die Widersprüche, die in seiner Person lagen, untrennbar, unabwaschbar, in die spätere Zeit mitgebracht, in die Nazizeit. Seine Söhne wurden zum Arbeitsdienst gezwungen, sie konnten gar nicht in die Wehrmacht, denn sie erbten ja den Makel. Für die, die nicht richtige Juden waren (nach Biller und Schuster) war es besonders bitter. Sie konnten nicht fliehen, sie mussten alle Not und Verfolgung bis zum bitteren Ende durchstehen und das Ende war bitter. Für seinen Sohn, meinen Vater, war nach dem Schreckensregime Hitlers die Wiederbewaffnung beider Teile Deutschlands eine Katastrophe, der sichere Weg in neue Gewalt und Niedergang. Und eine Identifikation mit einem der beiden remilitarisierten deutschen Staaten war nicht mehr möglich, nicht mit dem einen und nicht mit dem anderen. Aber er hätte auch nie in Israel seine Heimat sehen können. Als Kind war mein Vater im Geist der deutschen Aufklärung aufgewachsen, nicht im deutschen Nationalismus. Als Erwachsener hat er versucht, in diesem Geist eine Heimat zu finden. Sein Vater hatte den Terror knapp überlebt und starb ganz kurz nach dem Ende der Tyrannei an den Krankheiten und den Umständen, die noch lange nach dem “Endsieg” in die Besatzungszonen hineinwirkten.

A. Ostrovsky / 26.12.2022

“Machen wir uns nichts vor: 2022 war ein Scheißjahr.” Absolut! Aber es wird nicht besser. Wodurch sollte es besser werden? Die Meilensteine des Militärrabinats halte ich für eine Wegmarkierung in der Ebene, die die Mühen messbar macht. Aber was ist das Ziel? Gibt es unter den Berufssoldaten der Bundeswehr wirklich Juden? Oder Jüdinnen? Viele? Kämpfen sie wirklich für den Militärkomplex eines deutschen Staates? Oder ist das symbolischer gemeint?

Michael Müller / 26.12.2022

Sie haben recht: 2022 war ein richtiges Scheißjahr. Andererseits muss man zugeben, dass wenigstens einiges los war; es war also nicht langweilig.  Außerdem hat die Ökobewegung ein richtiges Wunder vollbracht: Diese Neubauer sieht scheißgut aus - von Jahr zu Jahr besser. Dabei dachte man immer, die Ökos bringen nur so weibliche Frankensteinmonster wie Claudia Roth und Ricarda Lang auf die Beine. 

Christa Born / 26.12.2022

Frau Fäser: hat er seine Unschuld bewiesen? Oder haben Juden wieder mal ein Sonderprivileg? Wachsam bleiben!

Lars Bäcker / 26.12.2022

Das deutsche Wesen im Jahre 2022 besteht im Setzen von Zeichen. Und wenn sich Politiker “irgendwas mit Juden” auf die Fahne schreiben können, sind sie zufrieden. Jetzt gibt es einen verbeamteten Militärrabbiner. Ob das Sinn macht oder nicht, spielt überhaupt keine Rolle. Es ist ein Zeichen. Und nur darauf kommt es an.  Herrn Balla sei es gegönnt. Zwar denke ich, dass er sich da für “das Zeichen” missbrauchen lässt, aber die Verbeamtung auf Lebenszeit, nebst einer guten Pension, ist ein fairer Ausgleich. Herzlichen Glückwunsch…

Ben Goldstein / 26.12.2022

Ich glaub, in der Nähe des Brandenburger Tors steht auch ein monströser Channukaleuchter rum. Mir riecht das stark nach Ankumpelei. Die tiefere Botschaft soll wohl sein: Wir reden nicht abschätzig über den koranischen Gott, weil wir es ja auch nieeeeeee und nimmer über den alttestamentarischen Gott täten. Wir bezeichnet den Koran nicht als Märchenbuch, weil wir das ja auch niiiiiiiiiieeeeeeeeeeeeeeeeeemalsnie bei der Bibel tun würden. War immer so viel Geschiss? Ich denke, es geht gar nicht um Juden.

Yehudit de Toledo Gruber / 26.12.2022

¿Como? Wie bitte, Der russische Konstantin Pal wurde nun zum ersten verbeamteten Rabbiner Deutschlands? Ach, persönliche kenne ich ihn nicht, doch wußte unsere Religionslehrerin eine Menge über ihn zu berichten. Und besser ist, ich behalte ihre Eindrücke für mich… Aber ansonsten paßt es doch vorzüglich, daß man große Mittel verschwendet und immer seltsamere Wege geht, um sich auch die meschuggensten Juden (von denen man ja so wenig weiß) dienstbar zu machen. Der Riesen-Skandal um Walter Homolka (!) zeigt doch, daß es keinerlei Grenzen nach oben - und schon gar keine in´s Abseits gibt. Ach, sehr geehrter Herr Broder, ich glaube es auch nicht, daß irgend ein “Beamtenstatus” vor Ähnlichem rettet, wie es die Juden während der Nazijahre erfahren mußten. Übrigens finde ich es äußerst aufschlußreich und symtomatisch, daß es sich unsere tapferen Bundeswehrsoldaten offenbar nicht mal trauen zu ihrer Religion zu stehen? Diese Feiglinge! Oder liegt die Hauptschuld nur bei unserem Zentralrat, der Weisung hat, über die Anzahl der jüdischen Soldaten besser zu schweigen. Wegen ihrer Auslandseinsätze ... und so.

Doris Walter / 26.12.2022

Jeden Juden zum Beamten machen ?  Aber das würden Sie doch ablehnen Herr Broder , oder nicht ?

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