Henryk M. Broder / 21.05.2024 / 12:00 / Foto: Acgut.com / 30 / Seite ausdrucken

Ab nach Kassel!

Neues aus Kassel. Eine israelische Kunsthistorikerin bekommt eine Gastprofessur und erklärt ihren Gastgebern als erstes den Unterschied zwischen Antisemitismus und Antizionismus. Es gibt tatsächlich einen, aber so meint sie es nicht.

Die Universität Kassel hat Galit Noga-Banai auf die Franz-Rosenzweig-Gastprofessur für das Sommersemester 2024 berufen. Die auf spätantike und mittelalterliche Kunst spezialisierte israelische Kunsthistorikerin erforscht „die historischen Verbindungen zwischen jüdischer und christlicher Kunst sowie die Beziehungen zwischen Jerusalem und Rom“. In ihrer Antrittsvorlesung am 14. Mai ging es um ein Thema mit einem eher lokalen Bezug: „A Medievalist Guide to Modern Memorials in Nuremberg and Kassel.“ Sie freue sich „auf die Zeit in Kassel und den Austausch mit den Studierenden“, erklärte die Gastprofessorin und hoffe, „während meines Aufenthalts auch interessante Erkenntnisse für meine Forschung zu gewinnen“ – vor allem „zur vormodernen visuellen Rhetorik auf deutschen Kriegsfriedhöfen des 20. Jahrhunderts“. 

Zum „Hintergrund“ der Einladung gab die Leitung der Kasseler Uni Folgendes bekannt: „Mit der Gastprofessur erinnert die Universität Kassel an Werk und Vermächtnis des aus Kassel stammenden jüdischen Religionsphilosophen Franz Rosenzweig (1886–1929). Sie wird von der Universität Kassel seit 1987 jeweils zum Sommersemester verliehen und dient der Vergegenwärtigung der durch den Nationalsozialismus weitgehend zerstörten Kultur des europäischen Judentums und der Auseinandersetzung mit der jüdischen Gegenwart.“

Was Kasseler Kunstfreunde umtreibt

Ja! Jeder Kunstfreund, der auch nur einen Klappentext zu einem Buch von Franz Rosenzweig gelesen hat, begreift sofort, worum es der aus Israel angereisten Fachfrau für die Geschichte des Mittelalters geht: „Die Vergegenwärtigung der durch den Nationalsozialismus weitgehend zerstörten Kultur des europäischen Judentums und der Auseinandersetzung mit der jüdischen Gegenwart.“ Das ist es, was Kasseler Kunstfreunde umtreibt und zwischen zwei documentas thematisiert werden muss. Die „Vergegenwärtigung“ der durch den Nationalsozialismus weitgehend zerstörten Kultur des europäischen Judentums und die „Auseinandersetzung“ mit der jüdischen Gegenwart. Man kann diese beiden Leersätze nicht oft genug wiederholen, beinhalten sie doch alles, was in einem Förderantrag an eine Kulturstiftung des Bundes stehen könnte. Nur müsste dann die versprochene „Auseinandersetzung mit der jüdischen Gegenwart“ um das Adjektiv „kritische“ ergänzt werden.

Die Berufung einer israelischen Kunsthistorikerin für eine kurze Gastprofessur an der Uni Kassel fand auch die Redaktion der Tagesschau so wichtig, dass man die Gästin gleich zu einem Interview einlud. Sie sei, so stellte sich die Kunsthistorikerin vor, „eine israelische Jüdin, die an deutschen Militärfriedhöfen forscht“, sie habe ihr „ganzes Leben christliche Kunst und Architektur an der Hebräischen Universität Jerusalem gelehrt, um sicherzustellen, dass die Menschen bei uns den christlichen Hintergrund der westlichen Kultur kennen“.

Sauber differenzieren, bitte!

Mann sollte das Interview gelesen haben, um zu begreifen, was man/frau aufbringen muss, um eine Gastprofessur in Kassel zu übernehmen: „Ich bin selbst sehr pünktlich, ich mache alles rechtzeitig oder immer fünf Minuten zu früh.“ Auch kulturell und politisch ist auf Galit Noga-Banai Verlass, sie besucht die Passionsfestspiele in Oberammergau und nimmt an Protestdemos gegen Netanyahu teil, wohl wissend, „dass Antisemitismus und Antizionismus zwei unterschiedliche Dinge sind“.

Diesen Satz stellt die Redaktion der Tagesschau als Intro an den Anfang des Interviews. Das ist die Botschaft, auf die es ankommt, alles Übrige – „Ich fühle mich hier sehr, sehr sicher. Kassel ist sehr einladend und liberal“ – ist nur Sättigungsbeilage. 

Und der Satz stimmt sogar. Antisemitismus und Antizionismus sind zwei unterschiedliche Dinge. Früher haben die Antisemiten „Juden raus nach Palästina!“ geschrien, heute schreien die Antizionisten „Juden raus aus Palästina!“

Ist doch echt nicht dasselbe, nicht einmal das Gleiche.

Man muss eben sauber differenzieren.

 

Henryk M. Broder ist Herausgeber der Achse des Guten (zusammen mit Dirk Maxeiner und Fabian Nicolay)

Foto: Achgut.com

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Ellen Vincent / 22.05.2024

“Früher haben die Antisemiten „Juden raus nach Palästina!“ geschrien, heute schreien die Antizionisten „Juden raus aus Palästina!“—- Die Antizionisten schreien auch (US-Universitäten): “Juden zurück nach Polen!”. Auschwitz-Birkenau, Treblinka, Belzec, Sobibor, um mal die bekannteren Konzentrationslager zu nennen. Ich bin nur noch fertig mit dem, was derzeit passiert. All die Lippenbekenntnisse über das “Nie wieder!”. Das gilt anscheinend wirklich nur für tote Juden, aber nicht mehr für die Lebenden. Wobei die, die tot hätten sein müssen, zum Teil jetzt noch leben. Sie werden also vom links-muslimischen Konglomerat an US-Unis zurück “ins Gas” gewünscht? Greift hier irgendwer noch ein?

S. Wilder / 21.05.2024

Für solche feinen Differenzierungen dürfte es an der Uni Kassel eigentlich schon genug kompetentes Personal geben, das pro-Hamas „Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten“ haben bisher 13 Kasseler Dozenten unterzeichnet. Darunter besonders spitzfindige Experten wie der Postkolonie-Professor Aram Ziai, der in der Lokalpresse proklamiert “Studierende meines Jahrgangs haben zuletzt ebenfalls Protestveranstaltungen wegen des Krieges organisiert“, wobei es natürlich nur “um die Handlungen des Staates Israel“ ginge (hna.de am 15.5., Print-Auflage 142.000, gehört zur Ippen-Gruppe; der interviewende Journalist Matthias Lohr ist schon seit der documenta 15 damit befasst, die feinen Unterschiede und den “israelkritischen Diskurs” in zahlreichen Artikeln auch beim breiten Publikum zu propagieren). Oder der “Agrarmarxist” Oliver Pye, der im Hörsaal gerne Antifa-Parolen skandieren lässt. Szenen aus dem kirren Germanistan.

Gerhard Schmidt / 21.05.2024

“Ab nach Kassel” war ein Spruch aus der Zeit, als die Bauernburschen aus Hessen-Kassel als Kanonenfutter an die Briten gegen die USA verkauft wurden. Dort ist man in Sachen Menschlichkeit schon immer sehr “locker” gewesen, Roland Freisler stammte auch von dort…

Boris Kotchoubey / 21.05.2024

Wer fünf Monuten zu früh kommt, dem spreche ich Judensein ab.

W. Renner / 21.05.2024

Eine klare Anwärterin auf die goldene Tonsteinscherbe, verliehen von Claudia Roth an der nächsten Gazamenta.

Wilfried Cremer / 21.05.2024

hi, das ist wie bei der Ableitung der e-Funktion, der Unterschied ist wieder Antisemitismus. e bedeutet etschibetsch. Die Tagesschau verlangt Beweise, um den Unterschied an Netanyahu zu vollstrecken.

sybille eden / 21.05.2024

Antizionismus ist ja der erlaubte und geförderte Antisemitismus. Das ist der einzige Unterschied, meine ich.

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