Henryk M. Broder / 18.07.2023 / 14:00 / Foto: Achgut.com / 39 / Seite ausdrucken

Ist Muriel A. eine Antisemitin oder tut sie nur so?

Der Blogger Tilo Jung unterhält sich mit der Nahostexpertin Muriel Asseburg über die Frage, unter welchen Umständen man der Hamas eine Lizenz zum Umbringen von Israelis zugestehen sollte. Dies sollte aber keinesfalls als Antisemitismus verstanden werden.

Der documenta-Skandal ist noch in frischer Erinnerung, da kommt schon das nächste Debakel um die Ecke. Diesmal geht es nicht um indonesische Künstler, die es bis nach Kassel geschafft haben, sondern um eine Mitarbeiterin der „regierungsnahen“ Stiftung Wissenschaft und Politik, die bis jetzt weder positiv noch negativ aufgefallen ist: Muriel Asseburg. Für ihr Coming out als Expertin für Palästina und den Nahen Osten hat sie sich den Kanal von Tilo Jung ausgesucht, mit dem sie mehr als zwei Stunden plauderte – über die Lage im Nahen Osten, den Umgang der Israelis mit den Palästinensern und die Frage, wie weit „bewaffneter Widerstand“ gehen darf. Uniformierte Besatzer anzugreifen, sei legitim, erklärte Muriel Asseburg, Zivilisten nicht.

Wobei die Expertin für Palästina und den Nahen Osten nicht mitbekommen oder vergessen hat, dass für die Hamas, die Hisbollah und die bewaffneten Ausleger der Fatah alle Israelis Besatzer sind, Armeeangehörige ebenso wie Zivilisten, egal wo sie „siedeln“, in den Grenzen vor dem Sechs-Tage-Krieg oder in den „besetzten Gebieten“ jenseits der Grünen Linie. Ganz „Palästina“ müsse von der „zionistischen Besatzung“ befreit werden, jedes israelische Kind ist ein potenzieller Soldat, und je eher es ausgeschaltet wird, umso schneller werden die Palästinenser das bekommen, wofür sie kämpfen – ihren eigenen Staat, nicht neben Israel, sondern auf seinen Ruinen.

Das ist eine realistische Perspektive, von der Muriel Asseburg verschont bleibt. Ebenso wie ihr Arbeitgeber, die Bundesregierung, die an der Vorstellung einer „Zwei-Staaten-Lösung“ festhält, wohl wissend, dass es eine halluzinatorische Idee ist. Und alles, was Frau Asseburg im Interview mit Tilo Jung sagt, deutet darauf hin, dass sie dem subtilen Pazifismus der Palästinenser näher steht als dem militärischen Dogmatismus der Israelis.

"Solidarität mit Juden oder Menschenrechte - man muss sich entscheiden"

Unser Kollege Stefan Frank hat für mena-watch die Unterhaltung zwischen der „Nahostexpertin“ und Tilo Jung einer gründlichen Prüfung unterzogen und wesentliche Passagen daraus transkribiert. Klar wird: So wie es in den beiden denkt, so reden sie auch. Ungebremst und ungeniert. Eine Kostprobe? Bitte:

Die Palästinenser seien »die Unterdrückten«, sagt Tilo Jung. Die Israelis seien »die Besatzer«. Auf der Seite der Juden zu sein, das sei so, »als ob wir uns auf die Seite der Russen stellen würden«. Jung und Asseburg arbeiten auch hier mit einer Täter-Opfer-Umkehr. Sie blenden aus, dass es zu allen Zeiten die arabischen Führer waren, die nicht bereit waren, einen jüdischen Staat zu akzeptieren: nicht 1937 (Peel-Plan), nicht 1947/48 (UN-Teilungsplan), nicht 1967 (Drei Neins von Khartum), nicht in Camp David 2000 (stattdessen startete Arafat die Al-Aqsa-Intifada), nicht 2008 (als Ministerpräsident Ehud Olmert Abbas mehr als hundert Prozent der Westbank für einen eigenen Staat anbot) und nicht bei vielen anderen Gelegenheiten.

Die magische Kugel, mit der die PLO-Führer jeden Friedensplan zunichte machen können, ist das sogenannte Recht auf Rückkehr. Die Forderung, dass acht Millionen Nachfahren der arabischen Flüchtlinge des Arabisch-Israelischen Kriegs von 1948 das Recht haben sollen, in das Israel innerhalb der Waffenstillstandslinie von 1949 »zurückzukehren«, würde, von der praktischen Unmöglichkeit abgesehen, bedeuten, dass die Juden dort zur Minderheit würden – also das Ende des jüdischen Staates. Auch Muriel Asseburg ist für das »Recht auf Rückkehr«. Das zu erreichen, sei unter anderem das Ziel der antiisraelischen Boykottbewegung BDS, glaubt sie.

Israel ist für sie das Reich des Bösen. Darth Vader. Auf der Seite Israels zu stehen und gleichzeitig »für Völkerrecht, Menschenrechte, regelbasierte Weltordnung, Multilateralismus« zu sein, meinte Asseburg, »das passt halt nicht zusammen«. Wer für Völkerrecht und den Schutz der Menschenrechte ist, der kann, geht es nach Asseburg, nicht gleichzeitig »Solidarität mit Jüdinnen und Juden« üben. Man müsse sich für eines von beidem entscheiden.

Nachzulesen hier und hier.

Foto: Achgut.com

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Sebastian Laubinger / 18.07.2023

Sehr geehrte Frau Grimm—hervorragend gebrüllt, Frau Löwin! Juden sind immer wieder verfolgt worden. Als Berber im 7. und 8. Jhdt in Spanien einfielen, halfen ihnen Juden (was diesen, nur als Anmerkung, herzlich wenig genützt hat… die viel beschriebene muslimische Toleranz für Juden war weitgehend Propaganda, die Umsetzung hing vom jeweiligen Herrscher ab . . . und tolerant waren diese nur zeitweise, und eher selten). WARUM? Je nun, die westgotischen Könige sahen “ihre” Juden als Goldesel, drangsalierten diese immer wieder durch Extrasteuern, entzogen ihnen willkürlich Rechte und versuchten ständig, sie zu bekehren. Verständlicherweise ließen sich viele Juden von Muslimen überreden, ihnen zu helfen, um ihre eigene Situation zu verbessern. Das klappte nur anfangs, weil, als die Juden ihre Schuldigkeit getan hatten, es ihnen nachher nicht besser ging (teilweise (deutlich) schlechter). Jahrhunderte lang wurde den Juden verübelt, den muslimischen Eroberern geholfen zu haben. Eine bizarre Unterstellung. Wenn ich jemanden ständig schikaniere und ausbeute, kann ich im Ernstfall Loyalität von dieser Person erwarten? Ähnlich nach der Oktoberrevolution 1917. Viele Juden versprachen sich unter den Bolschewiken bessere Zeiten. Hat sich wiederum nicht ausgezahlt, aber sehr verständlich. Im Kaiserreich waren Juden vollständig assimiliert, jüdische Soldaten wurden überproportional oft wegen Tapferkeit vor dem Feind ausgezeichnet, weil sie ihr Land liebten. Sie betrachteten sich, völlig zu recht, als Deutsche. Gott schütze Israel. Und vergessen wir nicht: Jesus. War. Jude. Und er hätte NIEMALS gewollt, dass Christen SEIN Volk verfolgen.

Sebastian Laubinger / 18.07.2023

Ich hab’s aufgegeben, mit Linken über solche Themen zu reden. Es. Bringt. NICHTS. Der absolute Großteil der Leute, die gegen Israel hetzen, haben nicht die LEISESTE Ahnung, wovon sie reden. Ein paar wenige haben eine gaaaanz vage Vorstellung, aber völlig verzerrt durch öffentliche Medien. Verschärfend kommt dazu, dass unsere ReGIERung zwar offiziell Seit’ an Seit’ mit Israel steht, in der UN aber JEDE Resolution GEGEN Israel fröhlich abgenickt wird. Passt aber, weil unsere Medien ja ganz überwiegend auf links gezogen und daher wüst antisemitisch sind, wobei die meisten dieses Medienpacks zu dumm sind, um zu begreifen, dass sie nützliche Idioten sind. Mit der Betonung auf, “Idioten”. Wenn sich davon ein Journalist angegriffen fühlt: Je nun. Was soll ich dazu sagen? Es ist doch einfach so. Wer zu faul/unfähig/blöd ist, etwas zu recherchieren, was jeder in fünf Minuten herausfinden kann, der kann nicht erwarten, ernst genommen zu werden. Linke Journaille biedert sich an Muslime an, von denen nicht wenige von einer Wiederholung der Shoa träumen. Wahrlich, Julius Streicher und Josef Goebbels würden sich auf die Schenkel schlagen vor Lachen. “Widerlich” ist ein Wort, das angesichts solcher Kackvögel noch sehr milde ist. Da ich keinen Wunsch verspüre, mein Abendessen hervorzuwürgen, tue ich mir den geistigen Durchfall der beiden vom Autor erwähnten Pseudoexperten nicht an.

Martin Müller / 18.07.2023

Was die Beiden da so herbeisehnen, hört sich an, als müsse man in Deutschland respektive EU mit einer neuen Wannseekonferenz rechnen. Nichts ist unmöglich im Lager der rotgrünen Faschisten….

Jochen Lindt / 18.07.2023

mich nervt nur, dass wir dieses “Flüchtlings”-Geschäftsmodell names UNRWA seit 74 Jahren finanzieren.

Wilfried Cremer / 18.07.2023

richtig, Herr Sch@ster, nur Jesus hatte von Beginn her keinen Glauben (nötig), Er sieht… (und der Antisemitismus meint und meidet Ihn und hasst die Juden dafür, dass sie Ihn geboren haben.)

Gert Friederichs / 18.07.2023

Ach, lieber Herr Broder, ich lese viele ihrer Beiträge mit Vergnügen. Aber beim Thema Israel:Palästinenser bin ich nicht an ihrer Seite. Da fehlen mir die bei ihnen unzweifelbar vorhandenen Israel-Gene. Macht aber nichts. Wir beide wissen, die Situation ist für die nahe und auch die weitere Zukunft völlig verkorkst. Mal angenommen, die USA verlieren ihren Machtstatus, wie will Israel dann überleben in ihrer Isolation und nach all den Misstaten der Vergangenheit?

Anneliese Bendit / 18.07.2023

Wie sieht es aus mit „Recht auf Rückkehr“ nach Schlesien? Das stand schwarz auf weiß im Antrag auf „Wiedergutmachung“.

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