Zu den seltsamsten Äußerungen, die je von einem Politiker getätigt wurden, gehört das Geständnis von Heiko Maas, er sei „wegen Auschwitz in die Politik“ gegangen.
Heiko Maas wurde 1966 im Saarland geboren, der Heimat vieler bedeutender Politiker von Erich Honecker bis Peter Altmaier; er hat 1987 das Abitur gemacht, Rechtswissenschaft an der Universität des Saarlandes studiert und am Landgericht Saarbrücken sowohl das Erste wie das Zweite Staatsexamen bestanden, aber nie als Jurist praktiziert.
Seine politische Karriere verlief unspektakulär, folgerichtig von weit unten nach hoch oben. 1989 trat er als junger Student der SPD bei, 1992 wurde er zum Vorsitzenden der saarländischen Jungsozialisten, 1994 zum Abgeordneten im Landtag des Saarlandes gewählt.
Nur zwei Jahre später, 1996, folgte die Ernennung zum Staatssekretär im saarländischen Ministerium für Umwelt, Energie und Verkehr, dessen Führung er 1998 übernahm. Die folgenden Jahre war er, mal mit, mal ohne Amt, in der Landespolitik aktiv, bis er von Sigmar Gabriel, dem damaligen Vorsitzenden der SPD, in die Bundespolitik geholt und Ende 2013 zum Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz innerhalb der Großen Koalition aus CDU und SPD ernannt wurde.
Als Außenminister durchaus erfolgreich
Bei den Wahlen im Herbst 2017 schaffte er es über die saarländische Landesliste in den Bundestag. In der Großen Koalition, die Anfang 2018 gebildet wurde, fiel ihm das Amt des Außenministers zu, das er bis heute innehat, durchaus erfolgreich, wenn man die Zahl der Auslandsreisen, die er unternommen, und der Konferenzen, an denen er teilgenommen hat, zum Maßstab nimmt. Im Inland bekannt geworden ist Maas vor allem durch seinen Einsatz für ein rechtliches Ungetüm namens „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“, das er initiiert hatte, um Richtern eine Handhabe gegen die Verbreitung von Hass und Hetze im Netz zu geben.
Das „NetzDG“ hat freilich nicht die Erwartungen erfüllt, die Maas in Aussicht gestellt hatte. Seit es in Kraft ist, haben Hass und Hetze im Netz nicht ab- sondern zugenommen, für das Gesetz spricht allenfalls, dass „mehrere autoritäre Staaten sich auf das Netzwerk-durchsetzungsgesetz als Vorbild bei ihrer Einschränkung der Meinungsfreiheit im Internet“ beziehen (Wikipedia).
Bevor Heiko Maas in die Außenpolitik einstieg, war Auschwitz für ihn keine Referenzgröße. Dass er „wegen Auschwitz in die Politik gegangen“ ist, hat er zum ersten Mal in einer Ansprache vor den Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes erwähnt, am Tag seiner Amtseinführung am 14. März 2018. Entweder war es ihm bis dahin nicht aufgefallen oder einer seiner Referenten hatte ihm diesen Satz in die Rede reingeschrieben.
Gibt es zwei Heiko Maas?
Wie es auch war, der Satz ist zu seinem Güte- und Markenzeichen geworden. Jedes Mal, wenn ein antisemitischer Vorfall bekannt wird, tritt Maas vor die Kameras und stellt fest, für Antisemitismus gebe es „keinen Platz in unserem Land“, was sich so anhört, als würde ein Kneipenwirt versichern, er wäre noch nie einem Alkoholiker begegnet. Man könnte sagen, Maas hält seine schützende Hand über die Juden, obwohl das – wenn überhaupt – Sache des Innenministers wäre.
Inzwischen halte ich es für möglich, dass es zwei Heiko Maas gibt. Einen, der „wegen Auschwitz in die Politik“ gegangen ist, und einen, der sich keinen Kopf darüber macht, was in seinem unmittelbaren Umfeld passiert.
Der es nicht mitbekommt oder bewusst übersieht, dass sich die Initiatoren eines anti-israelischen Manifests bei dem Leiter der Abteilung Kultur und Kommunikation im Auswärtigen Amt, Andreas Görgen, für den „fachlichen Rat“ bedanken, den er ihnen zukommen ließ; dem es nicht aufstößt, dass der deutsche Vertreter bei den Vereinten Nationen allein im Jahre 2018 in 16 von 21 Fällen anti-israelischen Resolutionen zugestimmt oder sich der Stimme enthalten hat, während sein Boss in Berlin sich darüber „besorgt“ zeigt, dass Israel in den Gremien der Vereinten Nationen „in unangemessener Form kritisiert, einseitig behandelt und ausgegrenzt wird“. Wie passt das zusammen? Wo hört die Fürsorge auf und wo fängt die Heuchelei an?
Der bestangezogene Mann des Jahres
Von keinerlei Selbstzweifel getrübt, nahm Maas den „Preis für Verständigung und Toleranz“ entgegen, der ihm vom Jüdischen Museum Berlin letztes Jahr verliehen wurde, ebenso entspannt, wie er den „Gentlemen’s Quarterly“-Preis für den „bestangezogenen Mann“ des Jahres 2016 angenommen hat.
Ich vermute, es ist Heiko Maas gelungen, sich selbst davon zu überzeugen, dass er „wegen Auschwitz in die Politik gegangen“ ist. Mir kommt es so vor, als würde Florian Silbereisen sagen, er habe die Rolle des Kapitäns auf dem „Traumschiff“ deswegen übernommen, weil ihn der Untergang der „Titanic“ dermaßen erschüttert hat.
Zuerst erschienen in de Zürcher Weltwoche