Ein in Italien aufgewachsener Russe mit offiziellem Sitz in Dubai: Der Internet-Milliardär Durow ist als digitaler Nomade schwer zu fassen.
„Wir können in Deutschland nicht akzeptieren, dass irgendein russischer Gründer-Milliardär definiert, was Meinungsfreiheit ist“, polterte ebenso wütend wie hilflos Jens Zimmermann, digitalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
Ganz investigativ wollten deutsche Journalisten eben jenem geheimnisvollen Milliardär nachspüren, flogen nach Dubai, nur um dort eine verschlossene Bürotür zu fotografieren. Offenbar hat Pawel Durow Besseres zu tun, als seine ganze Zeit im langweiligen Dubai (nicht mal der dortige „arabische Basar“ ist echt) zu verbringen.
Telegram, die Firma des Unauffindbaren, verkündet stolz, noch nie in ihrer Geschichte auch nur einen Byte Nutzerdaten an Behörden gegeben zu haben. Außerdem pocht Telegram auf ein Maximum an Meinungsfreiheit. Kein Wunder, dass diese Geschäftspraktiken zahlreiche Politiker von Putin über Lukaschenko bis hin zur deutschen Innenministerin Faeser in Rage versetzen.
Doch wer ist der gelegentlich als „russischer Mark Zuckerberg“ bezeichnete Pawel Durow eigentlich?
Schon reich vor Telegram
Ein schwerreicher Mann war der 37-Jährige offenbar schon, bevor er 2013 den Nachrichten-Dienst Telegram gründete – denn schon 2006 hatte der 1984 in Leningrad geborene Unternehmer zusammen mit seinem Bruder „VKontakte“ (VK), das russische Pendant zu Facebook, gegründet.
Durow verbrachte einen Großteil seiner frühen Jugend im italienischen Turin, wo sein Vater Waleri arbeitete. Nach der Grundschule besuchte er in Sankt Petersburg das Gymnasium und studierte an der dortigen Universität.
Als sich nach den Parlamentswahlen in Russland 2011 tausende Demonstranten in Moskau und anderen Großstädten Russlands zu Protestmärschen versammelten, hatten sich zahlreiche Teilnehmer über VK zu Kundgebungen verabredet. Als der russische Geheimdienst Pawel Durow aufforderte, VK-Gruppen der Oppositionellen zu schließen, weigerte sich der damals 27-Jährige einfach.
Im Mai 2012 sorgte Durow für einen Menschenauflauf, als er zusammen mit Kollegen Papierflieger aus 5000-Rubel-Geldscheinen (im damaligen Wert von etwa 124 Euro) aus dem Fenster seines Unternehmens warf. In diesem Jahr 2012 hatte er offenbar noch Hoffnung für seine Heimat Russland: Er veröffentlichte ein Manifest im russischen Magazin „Afisha“, in dem er 10 „Gebote“ für Russland niederschrieb, mit deren Hilfe es zum „führenden Land des 21. Jahrhunderts“ werden könne. Im darauffolgenden Jahr lud er den amerikanischen Geheimdienst-Überläufer Edward Snowden – der mittlerweile Asyl in Russland genießt – ein, für ihn zu arbeiten. Und im Sommer desselben Jahres gründete er schließlich Telegram, einen direkten Konkurrenten zum 2009 gegründeten und 2014 von Mark Zuckerberg übernommenen WhatsApp.
2014 sollte das Jahr werden, in dem Durows Geduldsfaden mit seiner eigenen Heimat riss: Im Januar verkaufte er seinen Geschäftsanteil an vk.com, blieb aber Direktor des Unternehmens. In dieser Rolle legte sich der freiheitsliebende Geschäftsmann erneut mit dem Staat an: Der Kreml forderte ihn dazu auf, die Seite des Regierungskritikers Alexei Nawalny zu sperren und die dort stattfindende Planung politischer Proteste zu unterbinden. Doch Durow weigerte sich, der Forderung nachzukommen und veröffentlichte die betreffenden Dokumente stattdessen auf seinem VK-Profil.
Hausdurchsuchung
Am 16. April 2014 wurden die Unternehmenszentrale am Newski-Prospekt sowie seine Wohnung durchsucht und ein Server beschlagnahmt. Durow trat als Direktor von vk.com zurück und verließ nicht nur das Unternehmen, sondern gleich ganz das Land. Er gab an, nicht die Absicht zu haben, wieder zurückzukehren.
Heute leben er und seine Kollegen als „Digitale Nomaden“, die sich auf keinen dauerhaften Wohnsitz festlegen wollen. Als digitale Nomaden sind sie auch für den Fall gerüstet, dass sie möglicherweise eines Tages das Wohlwollen der Herrscher in Dubai verlieren, und ihren Firmensitz schnell und unkompliziert verlegen müssen. Durch seine Milliarden und seine Mobilität hat er sich eine Unabhängigkeit geschaffen, die es ihm erlaubt, bei Regierungen wie z.B. der deutschen nicht klein beigeben zu müssen. Als besondere „Notausgänge“ hat Durow außerdem neben seiner russischen Staatsbürgerschaft auch noch jene von Frankreich und dem karibischen Inselparadies St. Kitts und Nevis in der Tasche.
Es ist zu bezweifeln, dass dieser Mann, der schon vor Putin nicht einknickte, nun vor deutschen Politikern kuschen wird, die die Ausfälle und Gewaltaufrufe einzelner Proleten als Vorwand benutzen wollen, die zensurfreie Plattform als Ganzes abzuschalten. Unter demselben Vorwand könnte man auch die Post verbieten, weil über sie Drohbriefe verschickt werden – oder gar das ganze Internet an sich wegen der vielen gehässigen Kommentare und Gewaltwünsche, die dort immer wieder ausgebreitet werden.
Das BKA bittet
Wie hilflos die deutschen Behörden sind, denen es offenbar weniger um vereinzelte Gewaltaufrufe als vielmehr um die Unterbindung ihnen nicht genehmer (über Telegram organisierten) Demonstrationen geht, erkennt man daran, dass das BKA jetzt mit „Lösch-Bitten“ im deutschsprachigen Telegram agieren will. Das BKA, diese Behörde, die sonst Verhaftungen in die Wege leitet, will bitten!
Der Druck auf Durow bleibt also überschaubar – und so hat er weiterhin Zeit für seinen normalen, etwas asketischen Tagesablauf: Er trinkt keinen Alkohol und keinen Kaffee, er raucht nicht, isst kein Fleisch und trainiert jeden Tag.