Eva und der Brüsseler Sumpf

Der Korruptionsskandal im Europäischen Parlament wirft die Frage nach dem Sinn dieser Institution auf. Jetzt wird deutlich, welches parlamentarisch dekorierte Sumpfgebilde sich in Brüssel über Jahre herausgebildet hat.

Auch wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk das Publikum sedieren wollte, indem er anfänglich von einem „Korruptionsverdacht“ gegen eine griechische „EP-Abgeordnete“ sprach, lässt sich das Ausmaß der Verfehlungen durch die bisherige EP-Vizepräsidentin Eva Kaili und ihre Mittäter – unabhängig von der strafrechtlichen Würdigung – nicht beschönigen. Eine Gruppe von hochrangigen Mitarbeitern des Europäischen Parlaments hat sich unter Ausnutzung ihrer Wissensprivilegien und Amtsbefugnisse für politische Zwecke benutzen lassen, die vollständig außerhalb der europäischen Integration liegen. Schnell schaltete die Vizepräsidentin des Parlaments Katharina Barley auf Empörungston um: Angesichts der weit gediehenen staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen Vizepräsidentin Kaili dürfe diese nicht mehr ihr Amt ausüben. Wenig später dispensierte die Präsidentin des Europäischen Parlaments ihre griechische Stellvertreterin von der Ausübung der Amtsfunktion. Geschenkt.

Der Vorsitzende der christdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament sprach von einem Skandal der sozialdemokratischen Parlamentariergruppe, und im EU-Jubelchor bestand Einigkeit darin, dass man angesichts der Dimension des Skandals eher von einer individuellen Verfehlung als von einem strukturellen Missstand sprechen dürfe.

Das Gegenteil ist der Fall: Endlich wird deutlich, welches parlamentarisch dekorierte Sumpfgebilde sich in Brüssel über Jahre herausgebildet hat. Eigentlich sollte das Europäische Parlament die EU-Kommission kontrollieren. Noch eigentlicher sollte die Europäische Kommission Hüterin der Verträge sein. Im europäischen Gewaltenkonglomerat hält sich indes niemand an die Grenzen seiner Kompetenzen, sondern bemüht sich um deren stillschweigende Erweiterung und – wie jetzt deutlich wird – um einträgliche Nebengeschäfte.

Dieses System ist bekannt und hat Methode

Frau von der Leyens impfpolitische Initiativen (Unterzeichnung von Impfbeschaffungsverträgen im Wert von 71 Milliarden Euro für Rechnung europäischer Regierungen) sind bisher im Dunklen geblieben. Die EU-Ombudsfrau Emily O‘Reilly hat es nicht geschafft, die SMS zwischen Frau von der Leyen und dem Pfizer-Chef zu erhalten. Sie ist genau so schnell verschwunden wie einstmals der Schriftverkehr von Frau von der Leyen im Bundesverteidigungsministerium mit diversen Beratern. Dieses System ist bekannt und hat Methode. In Brüssel bleibt es bis auf Ausnahmen unentdeckt.

Das Europäische Parlament sieht sich als Vorreiter der europäischen Integration, ist aber nichts mehr als das Vorzimmer der Europäischen Kommission. Niemand und schon gar nicht der Europäische Gerichtshof oder andere EU-Behörden wie der EU-Rechnungshof wollen sich mit dem europäischen Parlament, dem Gralshüter des Europagedankens anlegen. Jacques Lovergne, der 30 Jahre lang als Spitzenbeamter französische Interessen in Brüssel vertreten hat und der französische Sondergesandte für das Europäische Parlament war, hat ein hinreißendes Sittengemälde unter dem Pseudonym Didier Modi verfasst (Der europäische Albtraum ein Projekt wird seziert, Edition Europolis 2017).

Für Kenner der Szene sind die jetzt zutage tretenden Verfehlungen keine Überraschung. Die Europaabgeordneten betreiben, ohne von der nationalen Presse beobachtet zu werden, ihre eigenen Geschäfte: Sie bemühen sich, für das Europäische Parlament immer mehr Kompetenzen zu ergattern, um daraufhin unternehmerische oder sonstige Interessen vor diesen Kompetenzen zu schützen. Der langjährige Europaabgeordnete Elmar Brok, ein Mann ohne Berufsabschluss, der mehr durch einen Zufall denn durch eine Wahl als Nachrücker 1980 ins Europaparlament gelangt war, hat es auf diese Weise zu einer umfassenden Lobbytätigkeit für den Bertelsmann Konzern gebracht. 

Der Skandal um die Vizepräsidentin Kalli sollte daher einen Anstoß geben, sich über die institutionelle Reform des Europäischen Parlaments Gedanken zu machen. Denn es kostet mit ca. 2,3 Milliarden Euro jährlich mehr als jedes andere Parlament auf diesem Planeten (Zum Vergleich: Der aufgedunsene Bundestag kostet den Steuerzahler etwa 950 Millionen Euro jährlich). Das Europäische Parlament ist daher so überflüssig wie ein Kropf. An seine Stelle könnte eine europäische Versammlung treten, die sich aus den europapolitisch versierten Abgeordneten der nationalen Parlamente zusammensetzt. Dies würde die Transparenz fördern und der demokratischen Legitimation der EU nutzen.

 

Dr. jur. Markus C. Kerber ist Professor für Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin, Gründer von www.europolis-online.org

Redaktioneller Hinweis: Morgen beginnt auf Achgut.com eine Serie über die einzelnen EU-Kommissare, ihre Macht und ihren Hintergrund.

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T. Schneegaß / 14.12.2022

@Michael Hinz: “Frankreich bietet 10.000 Polizisten auf, ...” meldet der Mainstream. Ein Freund aus F schrieb mir, dass die französiche Armee in Alarmbereitschaft versetzt wurde, landesweit. Ich betone, die Info ist ohne Gewähr.

Dieter Grimm / 14.12.2022

Mit welcher selbstgerechten Arroganz schwurbeln diese EU-Schmarotzer von Korruption in Ungarn oder Polen? Was für eine Schande für diese hoch bezahlten Dummschwätzer. Man sollte, nein man muss ! sie einfach nur noch ignorieren.Denn sie sind es nicht mehr wert das über sie gesprochen wird.

Kristina Kause / 14.12.2022

Wir haben doch immer gerätselt, was genau die"europäischen Werte” sind, die “wir” verteidigen müssen. Offenbar sind es die, die jetzt in Säcken überall in den Abgeordnetenbüros und Wohnungen herumstehen. Oder wird die geplante Bargeldabschaffung von einigen in Ermangelung von Weitblick wörtlich genommen und man hat die Säcke für die Müllabfuhr bereitgestellt…Aber nein, das Geld kommt ja aus Katar. Was genau die Katarer mit diesen milden Gaben bezwecken wollten, wird uns nicht verraten. Oder ist das Ganze wieder nur eine billige Inszenierung, an deren Ende nicht der Russe war’s steht, sondern die USA? Der größte Witz ist, dass Orban bestraft werden soll, weil es Korruption in Ungarn gibt. Gleich anschließend erfahren wir, dass mittlerweile schon 60 Verdächtige in Brüssel genauer über ihr Finanzverhalten befragt werden und gleich danach kommen die Wirecard-News und die Maskenaffairen und von der Leyen samt Ehemann mit ihren undurchsichtigen Pharmadeals undundund….da wünscht sich mancheiner auf den Mond oder sonstwohin, sowie Annalena, die von Ländern , die hunderttausende Kilometer von uns entfernt liegen. Wann wird genau abgerechnet?

Arne Ausländer / 14.12.2022

Als Vorläufer der EU kann die “Heilige Allianz” von 1815ff. gesehen werden. Die beschloß z.B. 1821 aus russischer Initiative, daß Österreich in Süditalien (“Königreich beider Sizilien” mit Hauptstadt Neapel) intervenieren solle, weil man sich dort eine Verfassung gegebn hatte. Verfassungen waren dem Volk in vielen Ländern während des Kampfes gegen Napoleon versprochen worden, als Motivationshilfe. Nach dem Sieg wurden die Versprechen aber nur selten umgesetzt, im genannten Beispiel wurde die Unsetzung gar direkt unterdrückt. - Zu einer nächster Vorstufe kommt es dann erst wieder im deutsch besetzten Europa 1940ff. Das mag manchen erstaunen, wenn er die zeitgenössischen Texte zum Europa-Thema nicht kennt. Diese waren teils nur die ideologische Ausschmückung der faktischen Notwendigkeit einer zentralen politischen und wirtschaftlichen Verwaltung des Gebiets. Aber es gab auch idealistische Äußerungen, besonders aus Vichy-Frankreich und von frankophilen Deutschen, die im Ton dem Europa-Enthusiasmus der 1950er recht ähnlich waren (dabei natürlich fleißig die dunkleren Seiten ausblendend). Entsprechend griff man in den 1950er auch auf Leute zurück, die während des Krieges Erfahrungen gesammelt hatten, wie man divergierende Territorien unter einen Hut bringt. (Die Namen habe ich jetzt nicht präsent, es ist einige Jahre her, daß ich mich damit befaßt hatte.) Man muß die massive dunkle Seite der europäischen Einigung klar sehen, gerade wenn man ein sinnvolles und konstruktives Miteinander souveräner europäischer Nationen oder auch (vielleicht besser, weil demokratischer) Regionen anstrebt. Das ist nicht leicht, denn die diktatorische Seite des Ganzen ist eben recht gut organisiert. Die choatischen Elemente darin sind auch real, aber letztlich hat Macht immer die Priorität. Korruption dient als bewährter Kitt, nur gelegentlich sieht man darauf, daß es niemand allzu sehr übertreibt damit. Eine Reform dieser Machtstruktur würde nur zu effektiverer Macht führen, über das Volk.

Hartmut Laun / 14.12.2022

Alle zusammen im Chor: Schreibt es an jede Wand, viel mehr Frauen braucht das Land.  Maria stand morgens auf, stieg in ein Auto ein, das von Männern erfunden und montiert wurde, aus Metall, das von Männern aus Erz gegossen wurde, das von Männern gewonnen wurde; tankte Benzin aus Öl, das von Männern gewonnen und verarbeitet wurde; fuhr auf eine Straße, die von Männern gebaut wurde; betrat ein Haus, das von Männern aus Beton gebaut wurde, von Männern gegossen, und Ziegelsteinen, die von Männern gelegt wurden; geheizt mit einem Kessel, das von Männern gebaut wurde; stieg in einen von Männern montierten Aufzug ein; schaltete das Licht aus dem Netzwerk ein, das von Männern aus einem von Männern gebauten Kraftwerk montiert wurde; goss Wasser aus der von Männern gebauten Wasserleitung, gespeist mit dem vom Männern geförderten Gas, in den Kaffee, der von Männern auf Plantagen angebaut und mit dem von Männern erfundenen und gebauten Flugzeug gebracht wurde; nahm ein Brötchen aus Weizen, der von Männern gepflanzt und geerntet wurde, dass von Männern in den von Männern gebauten Supermarkt gebracht wurde; druckte auf eine Taste eines von Männern erfundenen und zusammengebauten Computers; öffnete ein Programm, das von Männern entwickelt wurden; ging ins Internet, das von Männern erfunden wurde, und schrieb Buchstaben aus dem von Männern geschaffenen Alphabet: „Ich bin eine unabhängige Frau. Wozu brauche ich diese Alkoholiker?“

A.Lisboa / 14.12.2022

Meine Überzeugung ist, dass Kaili & Konsorten nur das Bargeld retten wollten, bevor es abgeschafft wird. Dieses einzigartige Sozialverhalten zum Wohle aller, ist ihr hoch anzurechnen und kann gar nichts mit Korruption zu tun haben, weil dies in der EU verboten ist. Die europäischen Völker können stolz auf diese aufrichtige, selbstlose Griechin sein!

Helmut Patzina / 14.12.2022

Dieses Konstrukt ist durch und durch mafiös. Mit Demokratie hat diese Symulation rein gar nichts zu tun. Ausgerechnet die, die angeblich demokratische Werte hochhalten, es in jedem Satz betonen, den sie absondern, sind die grössten Feinde einer freien Gesellschaft. Es ekelt einem an, wenn diese Bagage mit Uschi an der Spitze nur den Mund aufmacht!

A.Lisboa / 14.12.2022

Es handelt sich sicherlich nicht um Korruption, sondern es ist die moderne Art der paneuropäischen Geschäftspraxis.

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