Die Religion ist zurückgekehrt in die Welt des (nicht so ganz und nicht so vollkommenen) säkularen Staat. Wir dürfen uns auf Überraschungen gefasst machen. Die Impulspapiere und unser täglich neu auszuhandelndes Zusammenleben ist erst der Anfang. Die Forderung des Herrn Söder halt ich für ausgemachten Blödsinn. Er hilft nicht einmal, der CSU bei den nächsten Wahlen ein respektables Ergebnis zu erreichen. Er befördert als Antwort nur neue Ansprüche einer Religion mit Herrschaftsanspruch. Zu Reinhard Kardinal Marx, obwohl er noch lebt, von meiner Seite nichts mehr.
Natürlich geht es um Reviermarkierung, so wie bei Kopftuch, Mobbing auf dem Schulhof, Vergewaltigung, No-Go-Gebieten. Und ENDLICH traut sich jemand, ein wenig Revier für Deutsche zu markieren. Ein notwendiger Anfang! Überall müssen Kreuze, deutsche und israelische (!) Fahnen hängen, überall muss es Schweinefleisch geben (und nichts anderes), Schächten verboten sein, damit die Einwanderer wissen, dass sie nur eine Aufgabe haben: Assimilation.
Wilfried Cremer hat es hier vor kurzem treffend ausgedrückt: “Die Werte der Aufklärung sind nicht vom Himmel gefallen, sondern im Sieb der Vernunft aufgelesene Werte der Bibel.” Sowohl Kardinal Marx als auch Muslime mögen diese Erkenntnis so wenig wie der Teufel das Weihwasser und linkes Denken ist zu eindimensional, um es zu verstehen. Alle sind aus unterschiedlichen Gründen überkreuz mit dem Kreuz, dessen vernunftgemäße Bedeutung man im t, also der Toleranz fassen kann. Ein ziemlich kluger Schachzug von Söder, der die AfD zurückwerfen wird. Symbolpolitik vom Feinsten: gerichtet gegen die Intoleranz von Marx, Sozialisten und Islam.
Unsere Kultur ist jüdisch-christlich, römisch und humanistisch geprägt; Buddhisten und ähnlich unbedeutende Religionen haben zu dem, was wir heute sind und wie wir denken, absolut keinen Beitrag geleistet. Doch seit die nachwachsende Generation mit der Senkung der Bildungshürden in Deutschland keinen nennenswerten kulturgeschichtlichen Horizont mehr hat, fallen historische Fake News auf günstigen Boden, wie eben die Mär von der Abwesenheit einer deutschen Kultur oder die Leugnung ihrer christlichen Wurzeln. Gerade ein Bischof müsste das nötige theologische Wissen haben, wenn er nicht schon intellektuell kapituliert hat. Und alsbald krähte der Hahn zum dritten Mal.
Hilft das Aufhängen des Kruzifixes in den bayerischen Amtsstuben nichts, so schadet es auch nicht. Manchmal können auch rein symbolische Akte ein wenig das Bewusstsein verändern, wenngleich sie nicht eine aktive Politik ersetzen. Sicher, die Aktion ist, wie Sie richtig bemerken, ein hilfloses Rückzugsgefecht, um das römisch-christliche Territorium wenigstens noch ein Weilchen zu verteidigen. Die Kruzifixe werden ohnehin wohl bald wieder abgehängt werden müssen, nämlich sobald sich ein strenggläubiger Muslim oder eine symbolisch bekopftuchte Muslima beim Beantragen oder Abholen der Sozialhilfe am Kruzifix stört und deshalb den Rechtsweg bis in die letzte Instanz beschreitet. (Beim “Kruzifix-Urteil” vor einigen Jahren waren es nach meiner Erinnerung allerdings anthroposophisch orientierte Eltern, die ihrem Kind den Anblick des Kruzifixes nicht zumuten wollten, obwohl man hier von “einfach zwei über Kreuz gelegte Bretter” sprechen könnte in Analogie zu dem “nur ein Stück Stoff” des muslimischen Kopftuches.) Söder sollte den Akt jedoch nicht so ideologisch aufladen, sondern das Kruzifix einfach als bayerische Tradition, Folklore oder bestenfalls als Ausdruck der Volksfrömmigkeit zu deren Recht verhelfen. Ich jedenfalls genieße, obwohl “religiös unmusikalisch”, bei meinen Urlauben in Bayern im Herrgottswinkel einer bayerischen Gastwirtschaft und unter den Blicken des hölzernen Schmerzensmannes meinen Schweinsbraten und meine Halbe, so wie es die dortige autochtone Bevölkerung auch hält.
Der Spruch “die Kirche im Dorf lassen” beweist doch, dass schon immer “irgendwer” gegen “irgendetwas” war, jedoch die Kirche als unantastbar galt; soweit nicht Neues. Die Kirche mit dem Kreuz obendrauf war nicht nur der Mittelpunkt einer Ortschaft aufgrund religiösen Stellenwertes, sondern ganz banal dem Umstand geschuldet, dass sie eben zuerst da war. Um diese wurden dann die weiteren Gebäude angeordnet. Das Kreuz ist somit universell, gehört Niemandem und jeder in diesem Land kann sich ein Kreuz aufhängen oder eben nicht. Also erübrigt sich eigentlich die Diskussion darüber. Wenn ein Ministerpräsident nun als Entscheidungsbefugter anordnet, Kreuze anzubringen; wo ist das Problem? Jede neue Strasse in Bayern (andere Bundesländer ?) wird bei der Einweihung auch mittels Kreuz und Weihwasser gesegnet. Darf man das noch ....
Ja , Herr Lommatzsch, Sie bringen es auf den Punkt. Einerseits ist und bleibt ein Politiker immer irgendwo ein Machtmensch, genau wie der Beamte auch, in dem in “seinem (Be) Reich” seine Macht ausspielt, sei es im Kleinen oder im Grossen. Andererseits stellen Sie richtig fest, dass die Ursachen immer früher ausgesät wurden. Meistens, wie im erwähnten Fall, durch die Demontage von Gesetzen und Selbstverständlichkeiten, Normalitäten. Leider sind es eben diese Normalitäten, welche für den Bürger immer noch Gültigkeit haben und auch so vorausgesetzt werden, für die Politik aber längst nicht mehr relevant sind. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass es höchste Zeit ist, dass der Staat zu seinen wesentlichen Aufgaben zurück kehrt und diese dringenden Arbeiten macht, für die er auserkoren wurde: Sicherheit, Schutz des Eigentums, Kontrolle des Finanzsystems ,Dienstleistungen und bescheidene Vorgabe von Rahmenbedingungen , Verteidigung der Landesgrenzen, usw. so dass es für die Bürger wieder möglich wird, die von ihm ausgewählten Gäste in sein Haus zu lassen. Ein Sozialsystem das auf der Basis von “Sozial” fusst und nicht eine ganze Umverteilungsindustrie , und damit allerlei Profiteure nach sich zieht. Es sind zu viele Dinge da, die einer neuen Definition bedürfen. Es ist leider zu offensichtlich, dass die regierenden selber sehen, dass das von ihnen selber “Verbrochene” aus dem Ruder läuft. Dabei sollte man zusammen sitzen und mit kühlem Kopf gemeinsam den Weg zur Selbstverständlichkeit zurückfinden anstatt den Ball immer weiter hin und her zu schlagen. Das sind die Spielchen der Papiertiger, welche nun hoffentlich bald mal Feuer fangen. Mit der ganzen Hand auf alle Anderen zeigen und auch Sanktionen zu verhängen, nur um sich noch etwas länger über Wasser zu halten ist nur feige und unanständig! b.schaller
Vielleicht ist die Diskussion um das Kreuz bezeichnend für eine Neuordnung unserer Gesellschaft. Eigentlich geht es vielleicht weniger um das Kreuz als um die Veränderungen, die uns erwarten und schon erreicht haben. Anpassung an eine neue Sicherheitslage, von Zuwanderern geprägtes Stadtbild, Terrorgefahr und vieles mehr. Das Kreuz ist nur ein Symbol. Glaube und Kirche hatten in Wirklichkeit wohl schon längst ausgedient. Und nun kommen da Hunderttausende, die es ernst meinen mit ihrer Religion. Teilweise sehr ernst. Wie steht man nun zu der „eigenen“ Religion? Hat man denn eine? Bekommen wir auf diese Weise eine Chance uns mit dieser Frage auseinanderzusetzen? Oder sollten wir nicht stolz sein auf unseren Laizismus? Haben wir das (Religions-)Theater nicht längst hinter uns gelassen? Nicht ganz. Sonst würden sich an dieser Frage die Gemüter nicht erhitzen. Ginge es nach der Kirche, würde das Kreuz wohl nur noch an „heiligen“ Stätten selber zum Einsatz kommen. Aber was ist dann mit all den im Alltag präsenten Symbolen des Islam? Müssten die nicht ebenfalls verschwinden? Oder könnten wir da großzügig, gönnerhaft drüber hinwegsehen? Lasst ihnen doch den Spaß? Gar nicht so einfach. Es ist eine Chance uns mit uns zu befassen und ein paar offene Fragen zu klären.
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