Markus C. Kerber, Gastautor / 14.03.2020 / 06:00 / Foto: Tomaschoff / 167 / Seite ausdrucken

Der verdrängte Staatsnotstand

Als erstmals das Ausmaß der Corona-Bedrohung in China und die hochgradige Ansteckungsgefahr für alle Beobachter sichtbar wurden, hatte der Bundesgesundheitsminister sich mit beruhigenden Worten an die bundesdeutsche Bevölkerung gewandt. In Deutschland stehe alles zum Besten. Das Land sei gut gerüstet und es sei nicht damit zu rechnen, dass die Epidemie auch in Deutschland Einzug halten würde.

Nun sind wir eines Besseren belehrt worden und wir wissen, warum es so kam und kommen musste. Statt nämlich sofort entsprechende medizinische Kontrollen für alle Passagiere auf Flughäfen und Grenzübergangsstationen zu beschließen, die aus den Krisengebieten kamen, meinte der junge Gesundheitsminister, es mit Wohlfühl-Appellen bewenden lassen zu können. Spätestens seit der Ansteckung von Bundesbürgern, die zu Besuch bei einem chinesischen Zulieferanten im Krisengebiet waren, wissen wir, woher die Ansteckungskette kommt. Sie ist das unmittelbare Ergebnis staatlicher Unterlassung.

Aber mehr noch: obschon wir mittlerweile gewärtig sind, dass nur noch die Dynamik der Ausbreitung der Epidemie gebrochen werden kann, gelingt es dem Bundesgesundheitsminister – und damit der Bundesregierung – nicht einmal, unter allen Ländern Einigkeit dafür zu erzielen, was getan und was abgesagt werden muss. Derartige Absagen haben eine unwiderlegbare gesundheitspolitische Legitimität. Die Menschen, die noch nicht erkannt haben, dass sie durch ihr fortwährendes Kontaktieren anderer Menschen – ohne zu wissen, wer den Virus in sich trägt – Dritte gefährden können, bedürfen eines deutlichen Anstoßes durch staatliche Gewalt. Appelle, Empfehlungen und gutes Zureden reichen nicht aus.

Die Grenzen der Föderation

Der Gesundheitsnotstand, der Deutschland überzieht, ist die Stunde des Staates. Das, was aber im Verhältnis von Staat und Bürgern gilt, sollte – und muss auch – im Verhältnis zwischen Bund und Bundesländern gelten. Man kann schließlich so rheinischen Frohnaturen wie Herrn Laschet nicht die Frage überlassen, ob Karnevalszüge stattfinden oder nicht. Hätte man den Karneval untersagt – in der Tat ein schwieriges Unterfangen für demokratisch gewählte Politiker –, wäre eine Unzahl von Ansteckungen unterblieben.

Wenn man indessen jetzt nicht drastisch flächendeckend überall in der Bundesrepublik Deutschland die Mobilität einschränkt und Veranstaltungen als Keimzelle weiterer Ansteckungen untersagt, kann es passieren, dass unsere heilige Kuh – der Föderalismus – zum Unglücksbringer für viele Bürgerinnen und Bürger wird. Wie viele Opfer wird es noch kosten, um die Träger der Bundesstaatsraison jetzt zur Raison zu bringen und dazu zu veranlassen, mutig und – sofern nötig – ohne Rücksicht auf Popularität Maßnahmen des Gemeinwohls zu treffen? Wie formulierte einst Jean Bodin: „Nichts ist legitimer als das Notwendige.“ (Im Original: „Rien n'est plus légitime que le nécessaire.“)

Die Kombination von Parteienstaat und Föderalismus könnte sich für die Bundesrepublik Deutschland als fatal herausstellen. Denn die von Parteien gewählten Landesfürsten der einzelnen deutschen Länder ziehen es vor, mit einer Behaglichkeitsposition in die große Auseinandersetzung gegen eine wirklich globale gesundheitliche Bedrohung vorzugehen. Mit ihnen ist kein Staat zu machen, keine Gerechtigkeit zu stiften und die Gesundheit als ein hohes öffentliches Gut nicht zu schützen. Mit der Corona-Krise beginnt die Götterdämmerung des deutschen Föderalismus. Denn es gibt keinen Bundesstaat ohne Bundesgewalt.

Prof. Dr. jur. Markus C. Kerber lehrt an der Technischen Universität Berlin öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik und ist der Gründer von Europolis Online.

Foto: Tomaschoff

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Leserpost

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Max Weber / 14.03.2020

Ich verstehe nicht, weshalb man nicht wenigstens in jeder größeren Stadt mobile Stellen einrichtet, an die sich Jeder!! wenden sollte um sich testen zu lassen. Stattdessen werden diejenigen aufgerufen sich zu melden, die in einem “Risikogebiet” waren. Deutschland ist längst selbst Risikogebiet nach dieser Definition. Vermutlich gibt es aber nicht genug Material für Tests, weil die Politiker die Notwendigkeit derartiger Maßnahmen zu spät erkannt haben. Flächendeckend testen und die Positiven und deren Kontakte in Quarantäne schicken, das würde viele Schließungen ersparen und die Wirtschaft wesentlich weniger belasten.

Ilona Grimm / 14.03.2020

@S.Niemeyer: Über Ihre Verlautbarung habe ich sehr lachen müssen. Und das obwohl sie so sehr an der Realität orientiert ist… Klasse! Ja, auf die noch bessere Berichterstattung der GEZ-Medien freue ich mich schon. Die Gebührenerhöhung haben die Tunichtgute im Parlament schnell durchgedrückt; dazu hat ihr Hirnschmalz gerade noch gereicht. Aber das ist mir sowieso egal, weil ich ja streike - durch Gebührenminderung. Bisher habe ich übrigens noch keine Mahnung erhalten.

Arnold Warner / 14.03.2020

Sorry, wenn ich das mal so drastisch ausdrücke: Dumme Menschen gibt es offenbar auch hier unter den Klugen. Wer das Virus zum Fake macht, weil er nicht unterscheiden kann zwischen echten, alltäglichen Verharmlosungen seitens der Regierenden bei Krisen (“Wir schaffen das!”) und realen Bedrohungen, sollte, nein, nicht zum Arzt gehen, sondern erst einmal in _sich_. Vielleicht gibt es ja noch Hoffnung auf Erwachen. „Covid-19-Patienten kommen allein, weil keine Verwandten sie begleiten dürfen. Wenn sie sterben, dann spüren sie es, sie sind dabei ganz klar. Es ist, als würden sie ertrinken. Nur langsamer. So, dass sie alles mitbekommen.“ So wird eine italienische Ärztin zitiert. Klingt unangenehm, oder? Wäre das was für Sie? So langsam ersticken, und das bei vollem Bewusstsein und zudem ganz alleine? Ich finde, dieser Bericht klingt etwas realer als leicht zu durchschauende Lügen in Sachen Klima, Migration und Energiewende. Oder wie finden Sie das?  “Tag und Nacht toben ununterbrochen Schlachten. ... Die Kranken kommen nacheinander in die Notaufnahme. Sie lagen eine Woche oder zehn Tage mit Fieber zu Hause und sind nicht rausgegangen, um andere nicht anzustecken. Aber jetzt können sie nicht mehr, sie bekommen keine Luft mehr. ... Es ist immer dieselbe Diagnose. Beidseitige Lungenentzündung.“ So ein anderer Arzt aus Italien. Wer hier immer noch von Grippe faselt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.

Frank Pressler / 14.03.2020

25.100 Influenza-Todesfälle 2017/18 DAZ, 4.10.2019: „2018/19 wurden laut RKI 954 Todesfälle mit Influenza-Infektion übermittelt …, was deutlich weniger sind als in 2017/18 mit 1.674 Todesfällen. … Allerdings bergen diese Zahlen auch ein gewisses Verzerrungspotenzial … Daher ist es international üblich, dass die der Influenza zugeschriebene Sterblichkeit mittels statistischer Verfahren geschätzt wird. Man bestimmt dafür zunächst die sogenannte Hintergrundmortalität, folglich die Sterblichkeit während einer Influenzawelle, die jedoch zu erwarten wäre, würden keine Grippeviren zirkulieren. Während hinreichend starker Influenzasaisons kann ein Mortalitätsanstieg beobachtet werden, der mehr oder weniger deutlich über die Hintergrundmortalität hinaus geht und der Influenza zugeschrieben wird, erklären die Grippeexperten im Influenzasaisonbericht ihr Vorgehen. Diese Übersterblichkeit wird als Exzess-Mortalität bezeichnet.“ Die 25.100 Influenza-Todesfälle von 2017/18 sind also nur Schätzungen (Verhältnis ca. 1:15). Na ja, und wenn man jetzt die statistische Übersterblichkeitsrechnung allein mit den Corona-Opfern der letzten drei Wochen in Italien anstellte (lt. Ministero della Salute 1.266), wie hoch wäre dann wohl jetzt schon – rein statistisch – die Zahl der Corona-Todesfälle in Italien anzusetzen?

A. Ostrovsky / 14.03.2020

Ilona Grimm / 14.03.2020 Sehr geehrte Frau Grimm. Es ist nicht grundsätzlich falsch, die menschliche Gesellschaft als System zu betrachten. Allerdings darf man dann das Wort nicht als Schimpfwort verwenden, mit dem die Grünen und die Roten ihren Hass gegen alte weiße Männer zum Ausdruck bringen, die Islamisten ihren Hass gegen die Schweinefleichfresser (also alte weiße Männer), die Feminist*innen ihren Hass gegen Männer, speziell alte weiße, und die Rotfaschisten ihren Hass gegen die Tatsache, dass die politischen Ebenen angeblich von alten weißen Männern dominiert werden, wenn man mal von der alten weißen Frau absieht, die schon länger dort ist. Es gibt eine Systemtheorie, die das Verhalten von Systemen anhand messbarer Größen beschreibt. Da gibt es auch ein Kriterium der Stabilität nach Nyquist, das man nur versteht, wenn man komplexe Zahlen mit Real und Imaginäranteil begreift. Diese Theorie beschreibt Rückkopplungen. Wenn dort eine Totzeit auftritt, also eine Verzögerung zwischen Ursache und Wirkung, wie etwa 14 Tage Inkubationszeit eines Virus oder eine Führungsphilosophie “wir schauen uns an, was los ist, dann beraten wir nach einer Woche und dann treffen wir eine Entscheidung, vielleicht”, dann ist bei einem Rückkopplungsfaktor größer als 1 ein unkontrollierbares unstabiles Verhalten unvermeidlich. Wir haben schon Jahrzehnte geduldet, dass die Politik REAGIERT, statt aus Wissen und Intelligenz vorausschauend zu handeln. Und wir lassen laufend zu, dass der Grad der Rückkopplung durch Machterweiterung, Gesetztesverachtung und Anmaßung ständig zunimmt. Der Zusammenbruch war lange vorhersehbar, allerdings nicht von allen. Wir lassen weiter zu, dass angemaßte Autokrat*innen jede intelligente Voraussicht blockieren und jedes faktische Wissen durch Postfaktisches weglügen, OHNE GEFAHR DES WIDERSPRUCHES. Und wir beobachten im Schaukelstuhl wie eine galoppierende Krise die andere jagt. Nun kippt der Schaukelstuhl.

Anna Kirsch / 14.03.2020

@Ilona Grimm: Sehe ich auch so. Aber, die Hilfslieferungen nach China erfolgten in der Überzeugung, dass “unser Gesundheitswesen für die Krise hervorragend aufgestellt ist”. Welcher Berater dies Herrn Spahn wohl eingeredet hat?

Gerhard Rachor / 14.03.2020

Frau Schönfelder, ich bitte Sie, tatsächlich mal die alternativen Seiten zu lesen und auch das RKI. Um zu sehen, wie „harmlos“ COVID-19 ist, könnten Sie sich doch zu einer Vorort Recherche in die Lombardei aufmachen. Wenn Sie dann zurück sind, überdenken Sie bitte noch einmal Ihren Post!

Michael Löhr / 14.03.2020

Falls es hier einige noch nicht mitbekommen haben, die Letalität bei Corona ist höher als bei einer Grippe. Bei einer Grippe sind es 1-2 Tote pro 1000/Einwohner, bei Corona sind es ca. 7 (lt. WHO) bis 30 Tote (China, Italien?) pro 1000/EW. Ca. 14 von 100/EW erkranken schwer, wobei 6 von 100/EW eine intensivmedizinische Betreuung benötigen. Erkranken zu viele auf einmal, ist eine intensivmedizinische Betreuung nicht mehr möglich, d.h., die Todeszahlen steigen unweigerlich. Bei zu vielen Erkrankungen kollabiert unser Gesundheitssystem und andere lebensbedrohliche Krankheiten können kaum noch behandelt werden. D.h., auch hier werden die Todeszahlen steigen. Wer dann röchelnd und nach Luft ringend irgendwo rumliegt und auf sein Ableben wartet, wird die Gefahr vermutlich anders einschätzen. Im Land der dümmsten und statistikresistentesten Atomkraftgegner der Welt, finde ich die Einstellung hinsichtlich Corona schon beachtlich. Vielleicht wollen manche auch früher an ihr Erbe….

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