Dirk Maxeiner / 17.09.2023 / 06:15 / Foto: Montage Achgut.com / 93 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Das Merkel-Memorial

Der plötzliche und unerwartete Zusammenbruch eines Merkel-Reiterdenkmals in der Oberpfalz lud zu allerlei politischen Assoziationen ein. Jetzt liegt eine wunderbare Aufgabe vor dem gestaltenden Künstler: die Geschichte fortzuschreiben.

Es war eine klare und kühle Nacht in der Oberpfalz, bei schwachem Wind und einer Temperatur von etwa 10 Grad.  Die kleine bayrische Gemeinde Freudenberg schlief den Schlaf der Gerechten. Bei der letzten Landtagswahl erzielte die CSU im Wahlkreis 39,05 Prozent, die freien Wähler 14,77 Prozent, die SPD 14,20, die AfD 11,18 und die Grünen 10,19 Prozent. Auch in der Rangersgaß 21 im Ortsteil Etsdorf schien die Welt in Ordnung. 

Dort hat der umtriebige Künstler Wilhelm Koch in einem ehemaligen Schulgebäude das bescheidene aber gelungene „Tempel-Museum“ errichtet, „auch Glyptothek Etsdorf“ oder „Europa-Tempel“ genannt, „als Symbol für 2500 Jahre Demokratie und Bürgersinn“, so heißt es in einer Darstellung des Museums. Vor dem Eingang wacht im Dunkel eine Reiterstatue. Auf dem Rücken eines edlen 2,7 Meter hohen Pferdes sitzt aufrecht und mit durchgedrücktem Kreuz Angela Merkel, die mit ihren Händen die berühmte Raute bildet. Sie hat keine Zügel in der Hand und das Pferd wirkt deshalb ein wenig orientierungslos. Es weiß offensichtlich nicht, wohin die Reise gehen soll und schaut deshalb drein wie 80 Millionen Bundesbürger während der Regentschaft von Frau Merkel. 

Irgendwann in dieser Nacht muss es dann passiert sein. Ein leises Knistern kündet von drohendem Unheil, Risse rasen durch die Statue, Pferd und Reiterin kollabieren urplötzlich, auf dem Rasen bleibt ein Trümmerhaufen liegen, als habe ein Erdbeben von Stärke 9 die Oberpfalz heimgesucht. Die Gegend gilt aber als tektonisch recht stabil. Was ist also passiert?

Hat ein LKW-Fahrer auf der A6 von Prag nach Nürnberg, die in Sichtweite vorbeiführt, mit seiner Fanfare die Nationalhymne angestimmt? Erschrak Frau Merkel eine Sirene vom Bundes-Warntag? Hat Heinrich XIII. Prinz Reuß seine Häscher mit einer Armbrust oder einem Giftpfeil ausgesandt? Oder las ein Freudenberger der Kanzlerin die letzten Wahlumfragen für Hubert Aiwanger vor? 

Möglicherweise finden sich noch Spurenelemente von Kaiser-Wilhelm 

Der am frühen Morgen herbeigeeilte Künstler glaubt nicht an derart bösartige Sabotageakte und konstatiert, Frau Merkel und ihr Pferd hätten schlicht dem „inneren Druck nicht mehr standgehalten“. Die eineinhalb Tonnen schwere Reiterstatue wurde aus recyceltem Leichtbeton von der unter anderem auf Kunstprojekte spezialisierten Firma „additive tectonics“ gedruckt. Das Material war aber wohl nicht für einen längeren Aufenthalt im Freien geeignet, was schon wieder Vergleiche mit der bundesdeutschen Politik aufdrängt.

Bereits im Frühjahr war ja der Pferdekopf abgebrochen, und auch die merkelsche Raute ging symbolträchtig zu Boden. Das Ganze wurde dann von Wilhelm Koch wieder zusammengeklebt und weiß gestrichen, erfuhr also eine weitere künstlerische Drehung. Jenseits von Erwägungen der Kunst stellt sich natürlich auch die nüchterne Frage nach der baulichen Qualität von Reiterstandbildern. So blieben von 62 um 1900 errichteten Kaiser-Wilhelm-I-Reiterdenkmälern 16 bis heute erhalten, der Rest fiel aber keineswegs um, sondern wurde abgetragen, eingeschmolzen oder zerstört (meist nach 1945). Eingeschmolzene Bronze kann wiederverwertet werden, etwa für Siegermedaillen, Glocken oder Schlagzeugbecken. Im Klang ihrer Lieblingsband finden sich also möglicherweise noch Spurenelemente von Kaiser Wilhelm.

Der nun vollkommene Zusammenbruch von Pferd und Reiterin ist ein künstlerischer Glücksfall, schließlich ist das Werk damit erneut Gegenstand der Betrachtung und unterschiedlicher Ausdeutungen. Was Besseres konnte Wilhelm Koch gar nicht passieren. Er war klug genug, seine Statue von Anfang an als „ambivalent“ zu positionieren. Als reine Merkel-Anbetung geht sie jedenfalls nicht durch, sie altert gerade aufgrund ihres gegenwärtigen Zustandes deutlich besser als die gemeinhin gesammelten journalistischen und politischen Jubeladressen.

Ein Ball, den die Gegenseite mit exzellentem Gespür für Gemeinheiten aufnimmt

Nebenbei bemerkt, sind diese Jubeladressen künstlerisch auch sehr wertvoll, man denke nur an das Geburtstagsständchen von ZDF-Mann Udo von Kampen für Merkel. Von ähnlicher Ergebenheit waren zehn Minuten stehender Applaus und die „Huldigung für die Konkurrenzlose“ auf dem CDU-Parteitag (Wiederwahl mit 96,7 Prozent) oder die Verleihung des höchsten Ordens der Bundesrepublik an Merkel (Steinmeier ehrt Merkel: Zwei Fliegen mit einem Kreuz). Von bleibender Erinnerung ist auch das öffentlich-rechtliche Doku-Drama „Stunden der Entscheidung, Angela Merkel und die Flüchtlinge.“

Und nun zerbröselt Angela Merkel vor aller Augen von selbst, ein Ball, den die Gegenseite mit exzellentem Gespür für Gemeinheiten aufnimmt. „Innerem Druck nicht mehr standgehalten: Merkel-Statue zusammengebrochen“, schreibt Focus, „Merkel-Figur fiel in der Nacht vom Pferd“, heißt es bei der „Jungen Freiheit“, „es handelt sich offenbar um einen irreparabelen Totalschaden“. Resümee: „Die ganze Symbolik, mit der das Reiterstandbild von Altkanzlerin Merkel errichtet wurde, hat sich in ihr Gegenteil verkehrt: Erst bekam es Kratzer, jetzt ist es von allein zusammengebrochen“.

Was jetzt mit den Resten der reitenden Angela passiert, ist nach Angaben ihres Schöpfers noch nicht entschieden, es sollte aber verwundern, wenn er die Sache nicht in irgendeiner Art und Weise fortsetzen würde. Ganz gut gefallen hat mir in diesem Zusammenhang David Černýs despektierliche Statue „Pferd“, das auf das Prager Standbild des heiligen Wenzel anspielt. Dabei ist ein totes Pferd mit den Hufen an der Decke aufgehängt, und der gute Wenzel reitet auf seinem Bauch (siehe hier und das Aufmacherbild oben zu diesem Beitrag).

Welche künftige Verwendung die reitende Raute erfahren wird, macht mich jedenfalls ziemlich neugierig. Ich habe mir die Oberpfalz schon mal für eine Sonntagsfahrt vorgemerkt. Schwer beeindruckt hat mich auch das „Rasenmähertreffen“ des Künstlers, das ich als geradezu kongenial für den „Sonntagsfahrer empfinde: „Eine symbolische Geste gegen die mentale Kleingärtnerei und ein Zusammentreffen verborgener landschaftsarchitektonischer und -pflegerischer Motoristikerscheinungen“. 

 

Dirk Maxeiner ist einer der Herausgeber der Achse des Guten.Von ihm ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.

Foto: Montage/Achgut.com

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Uwe Heinz / 17.09.2023

Wenn man das Pferd totgeritten hat, dann sollte man absteigen! Man könnte nun kolportieren, daß die schlaue Merkel das nach 16 Jahren getan hat. Die zusammengebrochene Skulpur wäre demnach nur die optische Darstellung des deutschen Status quo (für die Schafe, den deutschen Schlafmichel und die Schlaftrine).

Patrick Meiser / 17.09.2023

Bekanntermaßen wurde in Waldgirmes (Mittelhessen) ja ein Pferdekopf als Teil eines Reiterstandbildes gefunden. Man geht davon aus, daß Kaiser Augustus auf diesem Pferd abgebildet sein soll. Wie man heutzutage auf den Gedanken verfallen kann, eine derart talentfreie und unsportliche Person wie Merkel als Reiterstandbild zu inszenieren, kann nur Ausfluß von Satire in ihrer extremsten Form sein. Unweigerlich stellt sich ja jedem die Frage, wie zum Teufel konnte die überhaupt aufs Pferd kommen, von der stockgeraden Haltung gar nicht zu reden. Das einzig Realistische ist, daß das Pferd unter dem Gewicht der “Reiterin” zusammengebrochen ist. Wenn das nun Schule macht, daß den größten Nullperformern hierzulande Standbilder gewidmet werden, dann ist das nicht mehr mein Land (...wie mal jmd. sagte).

Karsten Dörre / 17.09.2023

Mein Tipp: den Haufen als naturbelassenes Kunstwerk so lassen mit dem Titel “Merkel-Ära”.

Hans-Joachim Gille / 17.09.2023

Kann man die Merkel-Reste-Rampe nicht hinter Schwedischen Gardinen besichtigen lassen?

M. Haumann / 17.09.2023

Dass das Pferd zunächst unter Merkel den Kopf inklusive des vollständigen Gehirns abgeworfen hatte und ihr dann noch zur Strafe die Raute abfiel, finde ich von der Symbolik mindestens genau so herrlich wie den folgenden Totalzusammenbruch. So eine komplette Enthirnung lässt sich bekanntlich nicht mehr reparieren,  auch nicht mit Leichtbeton.

ricardo sanchis / 17.09.2023

Man könnte auch den kaputten Pferd den Namen Deutschland geben und Merkel wie sie denkend dahinter sitzt mit der Unterschrift: Hat Deutschland vom Ende her gedacht.

gerhard giesemann / 17.09.2023

Verstehe: Unter Merkel wird so ein PfErdl zum PfLuftl. Ein Pferd, das hat vier Beiner, an jeder Ecken einer; drei Beiner hätt, umfallen tät. Ein Hund, der hat vier Beiner, an jeder Ecken einer; fünf Beiner hätt, verruckt werden tät. (Fredl Fesl).

A.Schröder / 17.09.2023

Der Fachkräftemangel durchzieht alle Gewerke. Wie das Stinken beim Fisch, es beginnt oben am Kopf und endet doch nie mehr. Im Falle obigen künstlerischen, besser künstlichem Werk, ‘der Klügere gibt nach’.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Dirk Maxeiner / 19.05.2024 / 06:15 / 65

Der Sonntagsfahrer: Strom aus dem Speicher, Hirn vom Himmel

Da an diesem Wochenende allenthalben der Heilige Geist herabweht, hier drei E-Auto-Andachten für den kleinen Denk-Stau zwischendurch. An Pfingsten kommt üblicherweise der heilige Geist über…/ mehr

Dirk Maxeiner / 12.05.2024 / 06:15 / 47

Der Sonntagsfahrer: Denkmalschützer, rettet die Atomkraft!

Windrad-Betreiber können den „Rückbau" ihres Elektroschrotts vermeiden, wenn sie schlau sind und den Propeller zum Denkmal erklären lassen. Eine echte Steilvorlage für die AKW-Branche! Windmüller ist…/ mehr

Dirk Maxeiner / 05.05.2024 / 06:15 / 128

Der Sonntagsfahrer: Schiffbruch im Oderbruch

Katrin Göring-Eckardt wurde mit ihrem Dienstwagen von der Landbevölkerung stillgelegt. Das findet sie prinzipiell gut, nur nicht bei sich selbst. Im Deutschen gibt es so…/ mehr

Dirk Maxeiner / 02.05.2024 / 14:00 / 26

Schotten dicht für E-Autoflut aus China?

Sind geplante EU-Zölle zu niedrig, um den Dumping-Import chinesischer E-Autos zu stoppen? Oder sollen protektionistische Umwelt- und Sicherheitsvorschriften sie draußen halten? Vielleicht erledigt es aber auch der Kaufunwille der Kunden.…/ mehr

Dirk Maxeiner / 28.04.2024 / 06:15 / 84

Der Sonntagsfahrer: Ich sage nur China, China, China

Der chinesische Geheimdienst weiß in jedem Fall besser Bescheid über deutsche Regierungsvorlagen als der von der Berliner Falun-Gaga-Sekte informierte Wirtschaftsminister.  In Deutschland leben etwa 150.000 chinesische…/ mehr

Dirk Maxeiner / 21.04.2024 / 06:15 / 121

Der Sonntagsfahrer: Fahrverbote und Gesetze, die niemand einhalten kann

EU und Bundesregierung verabschieden immer weltfremdere Gesetze und schreiben Lösungen vor, die es schlicht nicht gibt.  Der sogenannte Klimaschutz wird dabei immer menschenfeindlicher, der Bürger willkürlich…/ mehr

Dirk Maxeiner / 14.04.2024 / 06:15 / 62

Der Sonntagsfahrer: Der Augsburger Gasballon

Augsburg ist eine Stadt von Friedensfreunden. Die schritten vergangene Woche aber zur Generalmobilmachung. Grund: Das Gasnetz soll früher oder später weg. Wenn es um Friede,…/ mehr

Dirk Maxeiner / 07.04.2024 / 06:00 / 119

Der Sonntagsfahrer: Betteln um die Pleite

Trotz der gescheiterten E-Auto-Wende betteln einflussreiche Autohersteller darum, das Verbrennerverbot nicht infrage zu stellen. Die Wünsche der Kunden sind längst egal. Wer hält länger durch? Die…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com