Windrad-Betreiber können den „Rückbau" ihres Elektroschrotts vermeiden, wenn sie schlau sind und den Propeller zum Denkmal erklären lassen. Eine echte Steilvorlage für die AKW-Branche!
Windmüller ist ein mehr oder weniger ehrbarer und vor allem uralter Beruf. Seit rund tausend Jahren drehen sich in Europa die Windmühlenflügel. Für sie war die Natur mit ihren Launen und Unbilden Produktionsmittel, Energiequelle und letztendlich Lebensgrundlage – getreu dem aus Jahrhunderte langer Erfahrung hergeleiteten Mühlenspruch: "Der Windmüller ist dem lieben Herrgott sein Hausnarr". Der kleine Nachteil dieser Technik und damit der aktuellen Energiewende lässt sich bereits in Wilhelm Buschs Gedicht "Ärgerlich" finden, war also im Jahre 1909 schon Stand des Wissens:
Aus der Mühle schaut der Müller,
der so gerne mahlen will.
Stiller wird der Wind und stiller,
Und die Mühle stehet still.
“So geht es immer, wie ich finde!”
Rief der Müller voller Zorn.
“Hat man Korn, so fehlt´s an Winde,
hat man Wind, so fehlt das Korn.
Die älteste Erwähnung einer Mühle in den Niederlanden stammt aus dem Jahr 1221. Viele der übrig gebliebenen Mühlen stehen unter Denkmalschutz, drehen in Literatur, Malerei und sogar in der Musik ihre Runden. Früher quietschten und polterten die Mühlsteine – heute kündet der Infraschall vom Betrieb einer solchen Kraftmaschine. Den kann man zwar nicht hören, aber spüren. Es sei denn, man ist ein Elefant, eine Giraffe oder ein Blauwal und wandert nach Deutschland aus, dann kann man ihn auch hören. Windmühlen und Windmüller sind für allerlei schräge Geschichten bekannt zum Beispiel beim bereits erwähnten Wilhelm Busch (Der Bauer und der Windmüller), bei Miguel Cervantes (Don Quijote) oder Patrick Graichen (Die 5 Baustellen der Stromwende).
Subtilen Humor und verwaltungstechnischer Durchblick
Ein ganz neues Kapitel der windkraftbasierten Unterhaltungsliteratur wird nun aber im brandenburgischen Zossen-Schünow aufgeschlagen. Das ist bislang weniger durch seine Dichter und Denker, aber immerhin durch sein Strandbad Kallinchen bekannt, mit seinem benachbarten Campingplatz am Motzener See – hier hat auch der älteste FKK-Club Deutschlands, der Verein Allgemeine Körperkultur (AKK) Birkenheide, sein Domizil. Und jetzt kommt eine neue Atrraktion hinzu. Die Bild-Zeitung berichtete vergangene Woche über den kreativen Geniestreich eines dortigen Windradbetreibers, der subtilen Humor und verwaltungstechnischen Durchblick in einfallsreicher Weise verbindet.
„Erstes Bundesland stellt Windräder unter Denkmalschutz“, machte der Boulevard Meldung, „alte Windräder müssen abgerissen werden, wenn sie keinen Strom mehr erzeugen. Doch jetzt wurden erstmals in Deutschland zwei kaputte Anlagen unter Denkmalschutz gestellt“. Die im Jahre 1992 angeworfenen 33-Meter-Quirle vom Typ Enercon E 33 stehen seit Jahren still – Generatoren und Gondeln sind defekt, Ersatzteile fehlen – und die EEG-Subventionen sind schon eine Weile ausgelaufen (nach 20 Betriebsjahren). Weil die Windspargel zu nah am Dorfrand wachsen, dürfen sie nicht durch große neue ersetzt werden. Die Besitzer hätten sie also längst abreißen müssen, oder wie die Ortsvorsteherin Regina Pankrath es in adäquater Amtssprache formuliert: „Sie stehen seit zehn Jahren da, weil der Pflicht des Rückbaus nicht entsprochen worden ist.“
Nun weiß jeder, dass Beerdigungen teuer geworden sind, besonders, wenn die Leiche 53 Meter lang ist und eine Menge Kunststoff und Elektroschrott mitgestorben ist. Einen hübschen Windradfriedhof für eine standesgemäße Bestattung hat Tossen-Schünow nicht zu bieten und für eine Seebestattung in der Ostsee ist die Entfernung zu groß.
Der nächste Windrad-Bestattungsdienst befindet sich in Bremen und trägt den Namen „Neocomp“, da verlangt man im Schnitt aber so 100.000 Euro für ein mittleres Windrad-Begräbnis im Kiefernsarg. Ich vermute daher, dass abgehalfterte deutsche Windradflügel bald in weiter Ferne an den Ufern des Ganges oder des Jangtse angeschwemmt werden, wir haben ja mehr als 30.000 davon, um die Welt damit zu retten.
Edle Instinkte der Nächstenliebe
Die Windmüller von Schünow sannen auf preiswerte und gleichzeitig legale Abhilfe und gründeten findig einen Verein mit einem schönen Namen: „WindKraftArche“. Das kommt echt biblisch rüber und weckt im Gegenüber edle Instinkte der Nächstenliebe, so wie ein Gnadenhof für hinfällige Reitpferde, damit die treue Rosinante die letzte Reise nicht als Pferdesalami antritt.
Und so machten die Vereinsmitglieder auf zum Wünsdorferplatz in Zossen, wo das Landesamt für Denkmalpflege residiert, um dort eine ewige Bestandsgarantie als technisches Denkmal für die beiden Windräder zu erlangen.
Die Arche-Nummer funzte und Viviane Taubert vom Landesamt erklärt: „Obwohl sie im Auge des Betrachters nicht unbedingt schön sind, sie sind technisch sehr bedeutend und eben auch da relevant für die Entwicklung dieser Technik für die Menschheit“. Auch der Windrad-Retter und Vereinsmitgründer Michael Busse sorgt sich dabei ordnungsgemäß um die künftigen Generationen: „Meine Motivation ist, wir müssen etwas auch erhalten für die Zukunft. Es ist ein Stück Geschichte in Deutschland.“ Der Potsdamer möbelt Altanlagen mit Ersatzteilen auf und besorgt neue Betriebsgenehmigungen, was ich durchaus sinnvoll finde.
Wer den kleinen vom RBB dazu produzierten Film anschaut, ist echt beeindruckt von dem frischgebackenen Denkmalschützer: Er schafft es über die gesamte Aufnahmezeit nicht den geringsten Anflug von Ironie zu verbreiten, obwohl der Zuschauer das eigentlich ständig erwartet. Das kann sonst nur Harald Schmidt, zu dem der Tagesspiegel schrieb: "In der letzten Phase waren die Zuschauer und die Mitarbeiter im Studio zur wichtigsten Pointe einer Sendung geworden, die auf Pointen eigentlich keinen Wert mehr legte".
Und man muss Michael Busse echt dankbar für seine Pioniertat sein, denn andernorts hat sich die Denkmalschutz-Variante noch nicht herumgesprochen, was aber sicher bald geschehen wird. Davon abgesehen eröffnet sie auch für weitere Energiebranchen vollkommen neue Möglichkeiten, sich um den Erhalt wertvoller technischer Güter verdient zu machen. Das zeigt schon ein flüchtiger Blick in das brandenburgische Denkmalschutzgesetz. Dies definiert Denkmale als „Sachen, Mehrheiten von Sachen oder Teile von Sachen, an deren Erhaltung wegen ihrer geschichtlichen, wissenschaftlichen, technischen, künstlerischen, städtebaulichen oder volkskundlichen Bedeutung ein öffentliches Interesse besteht“.
„Sachen oder Teile von Sachen“
Da fällt mir doch sofort das Atomkraftwerk Isar II ein, über das der Merkur noch vor zwei Wochen schrieb: „Letzte Hoffnungen, dass das Atomkraftwerk Isar 2 vielleicht doch wieder in Betrieb gehen könnte, haben sich zerschlagen: Bayerns Umweltminister hat, wenn auch widerstrebend, die Genehmigung zum Abriss erteilt. Der sogenannte Rückbau dürfte bis Ende der 2030er Jahre dauern“.
Papperlapapap, vielleicht sollte sich der bayerische Umweltminister Thorsten Glauber mal in den Denkmalschutz einarbeiten, der Mann ist schließlich Architekt und könnte hier mal nachlesen: "Der Denkmalbegriff ist nicht nur vom Erscheinungsbild her sehr weit gefasst. Er ist auch zeitlich nicht eingegrenzt, kann also durchaus Objekte der neueren Geschichte (z.B. der 80er Jahre) umfassen. Entscheidend ist, dass sie historische Botschaften in die Gegenwart und für spätere Zeiten übermitteln können." Ich gehe einmal davon aus, dass das beste und sicherste Atomkraftwerk der Welt eine solche Botschaft übermitteln kann.
Isar II ist im übrigen eindeutig eine Sache, wahlweise „Mehrheiten von Sachen oder Teile von Sachen, an deren Erhaltung wegen ihrer geschichtlichen, wissenschaftlichen, technischen, künstlerischen, städtebaulichen oder volkskundlichen Bedeutung ein öffentliches Interesse besteht“. Das bayerische Denkmalschutzgesetz stimmt in dieser Beziehung fast wörtlich mit dem brandenburgischen überein, warum das sogenannte "Münchner Atomei" – der ehemalige Forschungsreaktor in Garching – ebenfalls unter Denkmalschutz steht, zumindest seine eiförmige Kuppel.
Ich bin bereit, dem Verein „AtomKraftArche“ als zweiter Vorsitzender neben dem bayrischen Umweltminister zu dienen, „meine Motivation ist, wir müssen etwas auch erhalten für die Zukunft. Es ist ein Stück Geschichte in Deutschland“. Und übrigens: Ich könnte dabei auch ernst bleiben. Zumal mir die Finanzierung gesichert scheint: "Für...Denkmaleigentümer eröffnet § 10f EStG die Möglichkeit, die für die Erhaltung oder sinnvolle Nutzung des Denkmals erforderlichen Aufwendungen zehn Jahre lang mit jeweils 9 Prozent (insgesamt also 90 Prozent) steuerlich als Sonderausgaben abzuziehen – unabhängig davon, ob es sich um Herstellungskosten oder um Erhaltungsaufwand handelt" verspricht das deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz.
Mir scheint das alles sehr ausbaufähig. Auch da kann man von Michael Busse und den Seinen lernen: Deren Verein hat sich mit Branchenexperten und Gutachtern zusammengeschlossen, um die Windräder instand zu setzen und zu betreiben. “Wir gehen davon aus, dass wir eine Anlage in diesem Jahr wieder ans Netz bekommen.“ Die Windräder sollen laut Busse noch über 50 Jahre Strom produzieren können und künftig auch als „Lernort“ dienen, berichtet der RBB. In Kooperation mit einem Studiengang für erneuerbare Energien wolle der Verein die Windräder für Studenten zugänglich machen.
Das machen wir mit Isar II genauso, es müssen sich lediglich noch ein paar Studenten finden, die wieder Nukleartechnik studieren wollen, die letzten Studiengänge ihrer Art sind wohl an der Fachholschule Aachen und der Technischen Hochschule München zu finden, sollten also als ebenfalls zügig unter Denkmalschutz gestellt werden. Und wenn wir keine finden, dann wird Isar II zur Attraktion für chinesische Touristen, die auf einen Abstecher von Neuschwanstein rüberkommen, um sich ein Bild vom guten alten Deutschland zu machen, bevor die Weltuntergangssekte über uns kam.
Da der Denkmalschutz scheinbar vorrangig gegenüber widerstrebenden behördlichen Vorschriften behandelt wird, könnte er im übrigen auch eine Lösung für Besitzer einer alten Ölheizung sein. Betroffene sollten aber flankierend ebenfalls einen Verein gründen und ihre Keller für interessierte Schulklassen öffnen, die wissen wollen, warum ihre Großeltern es immer so schön warm im Wohnzimmer hatten.
Angesichts der Möglichkeit, dass Deutschland im Zuge des Denkmalschutzes demnächst wieder über eine stete Energieversorgung verfügt, erwäge ich den verstärkten Gebrauch meines von mir vor dem Schrott geretteten Cadillac 1956, nach Ansicht meiner Frau „eine komplette Sammlung Freudscher Symbole – allerdings fahrbar“. An seiner Erhaltung besteht in jedem Fall volkskundliches Interesse, und er verfügt im Motorraum ebenfalls über einen Propeller, so dass dem Gesamtensemble der Denkmalstatus kaum zu nehmen ist.
Im Gesetz ist von „Sachen oder Teilen von Sachen“ die Rede, nicht aber davon, ob sich diese Teile gemeinsam fortbewegen oder nicht. Airline-Piloten bezeichnen ihre Maschinen übrigens gerne als „Ansammlung von Ersatzteilen, die in enger Formation fliegen“ (besonders bei Boeing). Der Verein „VerbrennerkraftArche“ befindet sich bereits in Gründung.
Dirk Maxeiner ist einer der Herausgeber von Achgut.com. Von ihm ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.
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