Augsburg ist eine Stadt von Friedensfreunden. Die schritten vergangene Woche aber zur Generalmobilmachung. Grund: Das Gasnetz soll früher oder später weg.
Wenn es um Friede, Freude und Eierkuchen geht, ist Augsburg stets vorne dran. Schließlich nennt man sich „Friedensstadt“ und hat sogar einen eigenen gesetzlichen Feiertag, das sogenannte „Friedensfest“. Es wird jeweils am 8. August begangen. Es treffen sich dann alle jenseits der Stadtgrenze, um im nächsten geöffneten Supermarkt friedlich zu shoppen. Damit kann die Stadt die meisten gesetzlichen Feiertage in Deutschland vorweisen, die zweite große städtische Errungenschaft nach der Augsburger Puppenkiste und der Erfindung der Autowaschanlage.
Das Fest wird seit 1650 gefeiert. Ursprünglich lobpreisten die Augsburger Protestanten damit das 1648 durch den Westfälischen Frieden eingeleitete Ende der Remigrations-… – pardon – Rekatholisierungs-Maßnahmen während des Dreißigjährigen Krieges. Heute feiert man am Lech eher irgendwas mit Frieden, nicht nur am Friedensfest, sondern auch zwischendurch. Kurzum: Man feiert gern. Und der Augsburger ist ein astrein friedliches Wesen, behütet und beschirmt von einer schwarz-grünen Koalition, die sich mit mustergültiger Liebe und Respekt begegnet.
Vergangene Woche musste ich mich dann aber doch sehr wundern. Da machte nämlich eine bemerkenswerte Meldung die Runde: „Erste Großstadt will Gasnetz stilllegen“. Und zwar schon in zehn Jahren. Ich las die Schlagzeile eher amüsiert auf Bild.de und fragte mich sofort, welche deutsche Stadt es sein könnte, in der so formidable Idioten so formidabel bekloppte Entscheidungen treffen. Ich tippte auf Städte mit einem stark akademisierten Bevölkerungsanteil, da die politische Irrtums-Wahrscheinlichkeit mit der Anzahl der studierten Semester korreliert. Ab 20 Semestern wird es echt gefährlich. War es Berlin? Freiburg? Heidelberg? Leider daneben. Denn was stand da? Augsburg.
Blutdrucksenker drei Tage hintereinander vergessen
Uuups. Das durfte doch nicht wahr sein. Als Bürger der Stadt schnappte ich nach Luft wie ein Hypertoniker, der die Einnahme seines Blutdrucksenkers drei Tage hintereinander vergessen hat. Mein schönes Häuschen trieb in meinen Gedanken den Lech hinunter wie ein Bierfloß die Isar, und dies samt der Gasheizung und dem Anschluss, den ich erst vor etwa zehn Jahren legen ließ. Innerhalb von zwei Minuten verwandelte ich mich in Charles Bronson, nahm eine Mundharmonika in den Mund und das Augsburger Rathaus mit einer Kartoffelkanone ins Visier. Hektisch kramte ich nach der Visitenkarte von Heinrich XIII Prinz Reuß, vielleicht könnte der mir ja weiterhelfen, doch dann fiel mir ein, dass er in Stuttgart-Stammheim sitzt (da ist vor zehn Jahren übrigens ebenfalls eine neue gasbasierte Kraft-Wärmekoppelungsanlage eingebaut worden).
Auf dem Perlachturm neben dem Rathaus blieb derweil die Uhr auf High Noon stehen, es erschien aber nicht Charles Bronson, sondern der Erzengel Michael zum Kampf mit dem Teufel. In der Stadtverwaltung und in den für das Gasnetz zuständigen Stadtwerken herrschte nach kurzer Zeit Fliegeralarm. Die Telefondamen wurden angewiesen, die Schutzräume aufzusuchen, Sachbearbeiter gebeten, sich unter dem Schreibtisch in Sicherheit zu bringen und nur noch per Rauchzeichen zu kommunizieren, denn der Augsburger Friedensbürger mutierte plötzlich zum Eigenheimbesitzer und damit zu einer krawallaffinen Allgäuer Mutterkuh, die einen verblödeten Touristen über die Almwiese jagt.
Ein startendes Formel-1-Feld im Motodrom von Hockenheim
Wie das Schicksal es wollte, hatte Sabine am Abend dieses Tages eine Runde Freundinnen und Freunde eingeladen, was sie öfters mal tut. Der Geräuschpegel, den ich normalerweise aus dem Wohnzimmer wahrnehme, entspricht dem eines Bienenschwarms, der friedlich den Bienenstock umschwärmt. Und dann kam wohl die Rede auf das Ende der Augsburger Gasversorgung. Aus den friedlichen Bienen wurden nullkommanix aggressive Hornissen und schließlich ein startendes Formel-1-Feld im Motodrom von Hockenheim.
Normalerweise sind die alle friedlich, alle gegen rechts und alle bunt wie der Papagei meiner Oma, aber jetzt gab es kein Halten mehr. In kürzester Zeit wurde nicht nur die Energiewende, sondern auch der Klimaschutz füsiliert – und wo man gerade dabei war, bekamen auch das Elektroauto und die Wärmepumpe Streifschüsse ab. Sabine wunderte sich außerdem sehr, in welch rasantem Tempo die Runde zu alternativen Medien übergelaufen war, um sich über den Sachstand zu informieren. Das gab mir Gelegenheit den souveränen Bildungsbürger herauszuhängen, denn ich musste Schillers „Lied von der Glocke" in meiner Schulzeit noch auswendig lernen:
„Freiheit und Gleichheit! hört man schallen;
Der ruh’ge Bürger greift zur Wehr,
Die Straßen füllen sich, die Hallen,
Und Würgerbanden ziehn umher.
Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz;
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
Zerreißen sie des Feindes Herz."
Aber was war eigentlich passiert? Es begann ganz weit weg, jenseits des Weißwurstäquators, also am Fuße des Urals, wo hierzulande Berlin vermutet wird. Dort ließ Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck, Autor des bekannten Leitfadens für Stadtwerker „Unter dem Gully liegt das Meer“, ein Papier zirkulieren. „Das 23-seitige sogenannte Grünpapier ist als Impuls zum Um- und Rückbau des Gasnetzes zu verstehen und nicht als konkreter Gesetzentwurf“, heißt es in der Zeitung für kommunale Wirtschaft; für das Ministerium stehe jedenfalls fest: Am Ende der Transformation werden Gasnetze „aller Voraussicht nach in deutlich geringerem Umfang benötigt werden als derzeit“.
Die Länge der Gasverteilnetze von derzeit mehr als 500.000 Kilometern werde „stark zurückgehen“. Inwieweit jedoch auch Gasverteilnetze oder einzelne Leitungen auf Wasserstoff umgestellt werden und inwieweit Gasverteilnetze stillgelegt würden, „ist dabei in hohem Maße abhängig von den derzeit von den Kommunen auszuarbeitenden Wärmeplänen", schreibt man weiter.
„Von der Unzulänglichkeit des menschlichen Planens“
Dabei wollen die Augsburger Stadtwerke offenbar ganz vorne mit dabei sein, obwohl Bertolt Brecht, prominenter Sohn der Stadt, dazu schon 1928 ein Papier mit dem Titel „Von der Unzulänglichkeit des menschlichen Planens“ kursieren ließ. Einmal Bildungsbürger geht noch:
Ja, mach nur einen Plan!
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch ’nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.
Dessen ungeachtet ließ man in Augsburg nach Darstellung der Stadt große Wärmeverbraucher wie Industrie, Gewerbe oder große Wohnanlagen wissen, „dass in einem Zeitraum von etwa zehn Jahren Fernwärme verfügbar sein wird„ (wogegen nichts zu sagen ist). Verknüpft wurde die Mitteilung aber offenbar mit einer unterschwelligen Nötigung: „Sollte eine Heizungserneuerung anstehen, sollte dies in die Überlegungen mit einbezogen werden, vor dem Hintergrund, dass ab 2040 in Bayern nach geltendem Recht keine Heizung mehr mit Erdgas betrieben werden darf“. Wie auch immer der Brief im Original gefasst war, er konnte als Ende einer sicheren Gasversorgung in Augsburg verstanden werden. Was auf diesen kommunikativen Versuchballon folgte, war eine kleine Vorwarnung für den Tag, an dem man ernsthaft Hand an den Bestandsbesitz des durchschnittlichen Eigenheimbesitzers legt: Er zieht blank wie ein nepalesischer Gurkha.
Augsburg versucht jetzt erst einmal, die Wogen zu glätten: „Niemandem wird der Gashahn zugedreht“, versichert die Friedensstadt, entsprechende Medienberichte seien „irreführend“. Inwieweit in Zukunft Wasserstoff etwa für Industrie über das Erdgasnetz transportiert werde, stehe derzeit noch nicht fest. Ich wage dazu mal eine Prognose: Gar nicht. Manfred Haferburg hat dazu eine sehr schöne Artikelfolge mit dem Titel „Im Wasserstoffdelirium“ geschrieben, deren kurze Conclusio lautet: Viel zu teuer, viel zu gefährlich und viel zu wenig. Was die EU aber nicht daran hinderte, am vergangenen Donnerstag ein entsprechendes Maßnahmenpaket zu verabschieden. Eine Neuauflage des Elektroauto-Desasters mit anderen Mitteln.
Rauschen wie der Teutoburger Wald bei Windstärke neun
Wenn ich so aus dem Fenster auf die umliegenden Wohnblocks schaue, frage ich mich, wie die denn alle „dekarbonisiert“ versorgt werden sollen – von der Frage nach dem „warum“ will ich mal ganz absehen, denn die würde zwangsläufig zu einer der letzten Fragen der Menschheit führen, nämlich: Bin ich wach oder träume ich? Also doch Wärmepumpe? Dann müssten in meiner unmittelbaren Nachbarschaft bald ein paar hundert solcher Dinger rauschen wie der Teutoburger Wald bei Windstärke neun.
Aber auch das halte ich eher für unwahrscheinlich und habe mich entschlossen, erst einmal auf den Eintritt der Wirklichkeit in das Bewusstsein der Massen zu warten. So wie gerade im brandenburgischen Oranienburg: „Die Stadtwerke Oranienburg haben die Bundesnetzagentur darüber informiert, dass im vorgelagerten Hochspannungsnetz keine ausreichende Leistung für die wachsende Stadt Oranienburg zur Verfügung gestellt werden kann“, schreibt die Märkische Allgemeine, „das hat gravierende Folgen für den Anschluss von Wärmepumpen und für die Neuansiedlung von Gewerbe und Industrie“.
„Um das Stromnetz in Oranienburg weiter stabil zu halten, können die Stadtwerke ab sofort keine Neuanmeldungen oder Leistungserhöhungen von Hausanschlüssen mehr genehmigen", schreibt die Märkische Allgemeine weiter. Dies beträfe beispielsweise den Anschluss von Wärmepumpen und Ladeinfrastruktur. Auch neue Gewerbe- und Industrieflächen könnten derzeit nicht an das Netz angeschlossen und mit Strom beliefert werden.
Zum Glück habe ich inzwischen einen gebrauchten Dieselgenerator im Netz entdeckt, da schraube ich Räder dran und behaupte, es sei mein Zweitwagen.
Dirk Maxeiner ist einer der Herausgeber der Achse des Guten. Von ihm ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.
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