Unter neuem Namen, als „Humboldt Forum“, ist das Berliner Stadtschloss wieder auferstanden aus Ruinen. Rekonstruiert wurde die Fassade, dahinter befindet sich ein Neubau, der verschiedenen Zwecken dient. Zwei Fliegen wurden mit einer Klappe geschlagen. Erstens bekam die Stadt ein Baudenkmal zurück, das zu Berlin gehört wie die Schinkelsche Bauakademie und der Dom schräg gegenüber. Zweitens entstanden im Inneren vielfältig nutzbare Räumlichkeiten für Ausstellungen, Kongresse oder Theaterprojekte.
Vergessen ist der Streit, der dem Nachbau des Schlosses vorausging. Längst nicht allen wollte die Idee anfangs gefallen. Stand doch an derselben Stelle, da, wo Ulbricht die Reste des bombardierten Schlosses erst sprengen und dann hatte wegräumen lassen, Honeckers „Palast der Republik“. Ein architektonischer Sündenfall, für den hunderte Tonnen von Beton, Stahl und Glas verschwendet wurden. Gegen den Abriss dieses Denkmals sozialistischen Spießertums sträubte sich das linke Berlin lange, am Ende aber vergebens. Die Mehrheit der Berliner wollte zwar nicht ihren „alten Kaiser Wilhelm“ wieder haben, wohl aber das Schloss, das sie als das ihre ansahen.
Wie das Ganze finanziert werden sollte, stand zunächst in den Sternen. Weder die Stadt noch die Bundesrepublik Deutschland konnten oder wollten die nötigen Mittel aufbringen. Also gründete der Initiator des Wiederaufbaus, Wilhelm von Boddien, einen Förderverein „Berliner Schloss“ und machte sich auf die Ochsentour. Mehrere Jahre ging er Klinken putzen, sammelte Spenden bei vermögenden und weniger vermögenden Mäzenen.
Viele gaben fünfzig oder hundert Euro, andere überwiesen tausende bis hunderttausende. Anonym eingezahlt wurden Summen von fünf bis neun Millionen. Insgesamt haben rund 45.000 den Spendenaufruf des „Vereins Berliner Schloss“ gezeichnet. Soll noch einer sagen, die Deutschen gäben nichts auf ihre Geschichte, die „Reichen“ würden das Geld lieber auf ihren Jachten im Mittelmeer verprassen. Es gibt auch solche, denen die Tradition mehr als einen Pfifferling wert ist.
Spender im Foyer verewigt
Als der Bau schließlich stand, vor allem die Fassade neu errichtet war, taten die Hausherren, was in solchen Fällen üblich und geboten ist. Sie bedankten sich bei den besonders Großzügigen, indem sie für jeden von ihnen eine namentlich gezeichnete Plakette im Foyer anbrachten. So weit, so gut, so anständig.
Unterdessen aber ist ein gewisser Philipp Oswalt, 57 Jahre jung und Architekturprofessor in der hessischen Provinz, auf den Plan getreten, um als nachgeborener Saubermann mit eisernem Besen im neuen-alten Schloss der Berliner zu kehren. Einige der Großspender, ließ er vermelden, seien nicht tragbar, da sie dem NS-Regime nahegestanden hätten, allen voran der 2016 verstorbene Bankier Erhardt Bödecker, der zusammen mit seiner Frau über eine Million für die Rekonstruktion der Fassade überwies.
Weil er ehedem antisemitische und antidemokratische Positionen vertreten habe, müsse nun geklärt werden, inwieweit er das Geld hergab, um den Ungeist der Vorzeit erneut in Stein meißeln zu lassen. Dass die Fronten des Bauwerks nicht erst nach 1933 gestaltet wurden, sondern bereits Ende des 17. Jahrhunderts von Andreas Schlüter, einem der bedeutendsten Baumeister des europäischen Barocks, ist dem Architekturhistoriker, als der Oswalt gern firmiert, vermutlich entgangen.
Er hat Größeres im Sinn als den Kleinkram historischer Tatsachen. Die Geschichte soll ins moralische Lot des links-grünen Zeitgeistes gebracht werden. Auch der Name Rudolf-August Oetkers sei deshalb von der Tafel der Spender zu tilgen. Ganz unbegründet wäre diese Streichung in der Tat nicht. War der Industrielle doch zuerst Mitglied der SA und später als SS-Mann an der Ostfront eingesetzt. Ihn jetzt als Mäzen zu ehren, könnte den Eindruck einer Reinwaschung erwecken, das immerhin.
Gebt die Knete zurück!
Von vornherein ist daher kaum etwas gegen die besondere Sensibilität gegenüber den verblassten Resten brauner Farbe einzuwenden. Nur verhält es sich in diesem Fall naseweiser Geschichtsaufarbeitung wie mit der Schwangerschaft: entweder ganz oder gar nicht. Will sich das Humboldt Forum von historisch belasteten Spendern trennen, dann bitte richtig. Das heißt, wer nichts mit ihnen zu tun haben will, sie für unwürdig hält, sollte auch das schmutzige Geld, das er zuvor von denselben eingesackt hat, ihnen wieder vor die Füße werfen. Davon jedoch ist bisher weder bei dem Professor aus Kassel noch im Berliner Biotop die Rede. Monika Grütters, die den Wiederaufbau des Schlosses als „Bundesbeauftragte für Kultur und Medien“ politisch engagiert begleitet hat, schweigt dazu, ebenso wie ihre Nachfolgerin im Amt, Claudia Roth.
Es ist eben immer ein Risiko, aus dem Glashaus mit Steinen zu werfen. Den Mäzenen heute vorzuwerfen, sie seien „Profiteure des NS-Regimes und ihrer Erben gewesen“, mag billig sein, recht ist es nicht. Schon allein deshalb nicht, weil das auf alle Deutschen zutrifft. Dass es ihnen bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs – abgesehen von denen, die im Widerstand waren oder ins Exil fliehen mussten – besser ging als in den Jahren zuvor, ist eine historische Tatsache. Wollte sie etwas hermachen, trug die deutsche Frau Pelze, die man den Juden abgenommen hatte. Die Männer übernahmen Firmen und Läden, auf deren Fenster sie zuvor „Juda verrecke“ geschmiert hatten. Um sich von dieser Barbarei der Masse abzugrenzen, stöbern jetzt viele in den Biographien Prominenter nach Material, mit dem sich diese als Schuldige vorführen lassen.
Wer erst die Knete einsackt und nachher über jene herfällt, die sie ihm freiwillig und in gutem Glauben übergaben, dabei jedoch nicht auf den Gedanken kommt, das historisch verschmutzte Geld wieder herauszurücken, der verhält sich selbst unanständig, schäbig und so betrügerisch wie jeder Mitläufer der jeweils herrschenden Macht.
Das ist keine Übertreibung, nur die Feststellung, dass der Saubermann von heute ein Meister aus Deutschland ist, der nichts lieber macht als reinigen. Abermals wächst zusammen, was zusammengehört, scheinheiliges Moralisieren und dreister Diebstahl.
Man könnte meinen, dass Honeckers „Palast der Republik“ doch besser in unsere Zeit passen würde als die Rekonstruktion eines preußischen Architekturdenkmals, einer Fassade, auf die einst große Geister der Aufklärung blickten, Hegel, Fichte, E.T.A. Hofmann, Savigny, Tieck, Bettina von Arnim und die Gebrüder Humboldt.
Das Schindluder, das mit ihren Namen getrieben wird, offenbart mehr, als die geistig verarmten Teufel zu fassen vermögen, die sich als das gute Gewissen der Deutschen aufspielen.