Thomas Rietzschel / 23.11.2022 / 16:00 / Foto: Pixabay / 24 / Seite ausdrucken

Im neuen marxistischen Kapitalismus

Möchte der Staat die Bedeutung der Arbeit mit der Höhe seiner Sozialleistungen ausstechen, um den freien Bürger zum betreuten Mündel herabzusetzen? Mit der „wohltätigen“ Diskreditierung der Arbeit droht der bürgerlichen Gesellschaft einer ihrer Stützpfeiler wegzudrehen.

Im Streit der Parteien um das Bürgergeld geht es hoch her, obwohl es im Grunde um nichts geht, jedenfalls nicht um das, wovon wir annehmen sollen, es sei der Knackpunkt. Denn tatsächlich passen die Kontrahenten – jene, die das bedingungslose Grundeinkommen wollen, und diejenigen, welche es ablehnen – zusammen wie zwei alte Latschen. Unter Arbeit stellen sich beide das Gleiche vor: eine Fron, um sich und die seinen durchzubringen. Beide Seiten verstehen die Arbeit als eine „Ware“, deren Preis auszuhandeln ist.

Liegt er nur knapp unter dem, was einem ohnehin als staatliche Fürsorge zusteht, hat die Arbeit ihren kapitalistischen Wert verloren. Wer dennoch nicht hinterm Ofen hocken, lieber etwas tun möchte, ist der Dumme, so der Anschein der gegenwärtigen Diskussion. Kein Gedanke mehr an den ideellen Wert der Arbeit, an ihre persönlichkeitsprägende Wirkung, an den Stolz, den der Arbeitende aus dem Geschaffenen beziehen mag, aus der Leistung, die er erbringen konnte. Betrogen ist, wer den Verlockungen des Sozialstaates erliegt. Es macht doch einen Unterschied, ob mir 1.000 Euro als milde Gabe zufließen oder ob ich dafür etwas getan habe, auf eigenen Füßen stehe. Soll natürlich nicht heißen, denen die Unterstützung zu entziehen, die nicht in der Lage sind, für sich zu sorgen, weil sie gesundheitlich angeschlagen oder entlassen worden sind. 

Vielmehr geht es um einen Staat, der die Bedeutung der Arbeit mit der Höhe seiner Sozialleistungen ausstechen möchte, um den freien Bürger zum betreuten Mündel herabzusetzen. Denn wirklich frei fühlt sich doch nur, wer einer Tätigkeit nachgeht, von der er weiß, dass sie gebraucht wird. Alle anderen bleiben befangen im Gefühl der Dankbarkeit und dem Ausgeliefertsein an den edlen Spender. Wer die Arbeit madig macht, betrügt den Menschen um eines seiner wesentlichen Rechte. Was er bekommt, ist nicht seins. Mit der „wohltätigen“ Diskreditierung der Arbeit droht der bürgerlichen Gesellschaft einer ihrer Stützpfeiler wegzudrehen.

Immer steht das Recht auf Arbeit an erster Stelle

Nicht zum Spaß heißt es in der „Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10.12.1948“: „Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit.“ Oder schauen wir in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.“

Immer steht das Recht auf Arbeit an erster Stelle. Von einer Pflicht ist keine Rede. Hat es doch lange, sehr lange gedauert, bis der Arbeit überhaupt das Ansehen zuteil wurde, das ihr als konstatierende Kraft jedes Gemeinwesens gebührt. Anders als der Müßiggang war sie in der Antike scheel angesehen. Xenophon sprach von einer „banausischen“, Cicero von einer „schmutzigen“ Tätigkeit. Erst mit der Ausbreitung des Christentums begann sich der Bedeutungsinhalt des Wortes zu wandeln. Jesus und seine Jünger waren Handwerker, der Vater arbeitete als Tischler. Von Paulus stammt das Bibelwort: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“ Oder mit den Worten Luthers: „Müßiggang ist Sünde wider Gottes Gebot.“

Spätestens mit der Aufklärung wurde der Gedanke populär, dass sich Wohlstand und Mangel nicht göttlicher Fügung, sondern eigenem Tun verdanken. Arbeit avancierte zur Bürgertugend: Daran ließ auch Karl Marx – viel eher eine begnadeter Theoretiker des Kapitalismus denn ein Vordenker sozialistisch-kommunistischer Misswirtschaft – keinen Zweifel. Für ihn machte sie sogar das Wesen des Menschen überhaupt aus, war sie die einzige „Ware“, die das Proletariat zu Markte tragen konnte, was den Arbeitern denn auch einen gewissen Stolz verleihen sollte. Dass Marx’ Schwiegersohn Paul Lafarge später eine Streitschrift für „Das Recht auf Faulheit“ schrieb, gar von „einer seltsamen Sucht“ der Arbeiterklasse sprach, konnte die Geschichte nicht umkehren. 

Auf dem Weg zum Müßiggang

Wenn aber verantwortliche Politiker wie Hubertus Heil der Wirtschaft heute Konkurrenz machen, indem sie die Tariflöhne mit steigenden Sozialleistungen angreifen, sägen sie an dem Ast, auf dem wir sitzen, auch Herr Heil. Und das nicht nur, weil dem Staat bald das Geld ausgehen könnte. Es lassen sich immer größere Teile der „Arbeitnehmer“ zu einem bescheideneren, aber durchaus bequemen Müßiggang verführen, etwa nach der Devise: warum für einen Lohn rackern, an den das Bürgergeld fast schon heranreicht?

Wo die Arbeit ihren finanziellen Anreiz aufgibt, verliert sie auch den ideellen. Wir werden mehr noch als bisher soziale Kontakte und menschlich erfüllende Emotionen verlieren, was wiederum dazu führt, dass wir dem Cyborg, der Menschmaschine, zum Verwechseln ähnlich werden. Wir verlieren uns selbst. Übrig bleiben Konsumenten, die kaufen und verreisen, wo sie nie hinwollten, nur um die freie Zeit totzuschlagen – Individuen, denen das Verbindende fehlt, das die Arbeit stiftet. Wir degradieren uns zu Sklaven einer staatlich befeuerten Faulheit. Denn wer nichts schafft, hat auch nichts zu sagen, er hat sich seiner Bürgerrechte begeben. 

Und so, wie mit der Ausbreitung des Christentums die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft einherging, so kam es auch zu einer positiven Umdeutung des Begriffes „Arbeit“. Auf ihrer Leistung, auf dem, was die Bürger zu schaffen vermochten, gründen der Stolz und das Selbstbewusstsein seit der Aufklärung.  

Inzwischen ist die Arbeit zu einer Ware verkommen – für die, die ihr abgeschworen haben, sowie für die, die sie zu möglichst niedrigen Preisen einkaufen wollen. Das ist der marxistische Kapitalismus unserer deutschen wohlstandsverblödeten Gesellschaft im 21. Jahrhundert.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Markus Viktor / 23.11.2022

@Moritz Ramtal: volle Zustimmung. „Arbeit macht frei“ – wo stand das noch mal? Freiheit für Arbeitende wäre fairer Genuss der Früchte ihrer Arbeit bei Freiheit von Parasiten aus der Ober-, Mittel- und Unterschicht. Dann hätten die Arbeitenden bezahlbare Wohnungen, Geld für Autos und Reisen, und die anderen eben nicht. Es gäbe keine “Working Poor”. Diese Spaltung der Gesellschaft würde ich vorziehen.

S. Kamsmeier / 23.11.2022

Dieser Artikel ist so widerlich und zeigt so genau meine Erfahrungen in der (für mich schon seit Jahrzehnten andauernden Arbeitswelt), daß ich es mittlerweile wohl vorziehen muß, die von mir abrgundtief verachteten Grünen zu wählen. Die Alternative ist schließlich noch übler.

Arne Ausländer / 23.11.2022

Seltsam, wie hier kaum jemand bedenkt, daß die vielen auf zugeschusterten oder speziell für sie geschaffenen Posten im Staatsapparat, in NGOs usw. usw. bestens “verdienen” und gern mit einstimmen (wenn auch nicht offen, weil es derzeit gerade unerwünscht ist), wenn man auf die faulen Hartz IV-Empfänger hinabblickt. Auch wird wenig gesehen, wie oft für notwendige Arbeit schlicht nirgends Geld bereitgestellt wird. Oder höchstens schandhafte Minilöhne wie im Pflegesektor u.v.a. Die moralische Sicht auf Arbeit und Faulheit ist weitgehend gerechtfertigt - in einer wenigstens halbwegs intakten Gesellschaft. Hierzulande funktioniert aber nur deshalb noch vieles, weil die einen für die anderen arbeiten. Soweit scheinbar mit vielen Kommentaren übereinstimmend. Nur sehen sich viele der größten Schmarotzer sehr wohl als arbeitend, obwohl sie weit mehr von anderer Leute Geld verballern, als Sozialhilfeempfänger jemals in die Finger bekommen. (Ich erspare mir jetzt Beispiele, jeder dürfte welche kennen.) Abdererseits gibt es unter denen, die formal “nichts tun”, gar nicht wenige, die sich durchaus produktiv in die Gemeinschaft einbringen. Nicht nach fremden Vorgaben, aber gerade deshalb so wichtig. - Wenn man sich mit einem Vorkriegsstadtplan durch eine zerstörte Stadt bewegen will, kann man sich leicht verlaufen. So wie in dieser Debatte um Arbeitsethik.

Hans-Peter Dollhopf / 23.11.2022

Wer bis zum Steuertag im Juli des Jahres rein für einen Staatsapparat arbeiten muss und auf seine Zuverlässigkeit, seinen Eifer und Fleiß dabei auch noch stolz ist, der ist krank.

W. Renner / 23.11.2022

Der Begriff des Mündels trifft es nicht so ganz, denn Mutter und Mündel konnten seinerzeit ihren Vormund selbst auswählen. Der Begriff der Entmündigung, also so vergleichsweise so etwas wie dem Robert das Windrad und dem Olaf das Sondervermögen einfach weg nehmen,  wäre dagegen angebracht.

W. Renner / 23.11.2022

Was erwartet ihr anderes, wenn Sozialsten, Marxisten, Maoisten und Tagträumer das Land regieren?

Moritz Ramtal / 23.11.2022

Schon etwas übel: “Denn wirklich frei fühlt sich doch nur, wer einer Tätigkeit nachgeht, von der er weiß, dass sie gebraucht wird.” Hunderttausende Erben haben dieses Gefühl in Deutschland auch gänzlich ohne Tätigkeit, sie kassieren einfach Boden- und Kapitalrenten. Man darf bei der ganzen Diskussion nicht vergessen, dass die arbeitende Bevölkerung immer die nicht Arbeitenden am oberen und unteren Ende der Wohlstandsverteilung versorgt.

Gus Schiller / 23.11.2022

Olaf “Vergesslich” Scholz hat tatsächlich behauptet, Deutschland hätte die Krise im Griff. In Wirklichkeit ist es so, dass die Krise Deutschland fest im Griff hat und die schlechteste Regierung seit 1945 es noch nicht bemerkt hat,

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