Henryk M. Broder / 04.02.2020 / 16:00 / 35 / Seite ausdrucken

Der Geist der Versöhnung weht durch die Geschichte

In der „Berliner Rede“, die Bundespräsident Roman Herzog im April 1997, vor fast 23 Jahren, hielt, kam ein Satz vor, der bis heute zitiert wird: "Durch Deutschland muss ein Ruck gehen." Das Land müsse sich aus alten Strukturen lösen und Neues wagen, politisch wie gesellschaftlich. Herzogs Rede haftet inzwischen das Attribut "historisch" an.

Nun hat der amtierende Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor ein paar Tagen in Jerusalem eine Rede gehalten, die – kaum, dass sie verklungen war – ebenfalls als "historisch" qualifiziert wurde. Anlass war der 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee.

Sogar Steinmeiers Mitarbeiter seien auf dem Rückflug nach Berlin dermaßen gerührt gewesen, berichtete ein Zeuge, dass sie einander "umarmt" hätten, emotional überwältigt von der "historischen Geste" des israelischen Staatspräsidenten Reuven Rivlin, der seinen deutschen Kollegen nach dessen Rede "umarmt" hat. Die Welle der Anerkennung setzte sich in den deutschen Medien fort, die es Steinmeier hoch anrechneten, dass er seine „historische Rede“ in der Gedenkstätte Yad Vashem nicht auf Deutsch, sondern auf Englisch hielt, aus Rücksicht auf die Gefühle der noch lebenden Opfer.

Man konnte den Ruck, der durch Deutschland ging, allerorten spüren: Diesmal hatte unser Staatsoberhaupt alles richtig gemacht! Nicht nur die beiden Präsidenten lagen sich in den Armen, sondern auch die beiden Völker, auf immer versöhnt.

75 Jahre später

Steinmeier wurde vor allem zugutegehalten, dass er „die richtigen Worte“ gefunden, sich zur deutschen Verantwortung für den Holocaust bekannt hatte, als ob das – 75 Jahre nach dem erzwungenen Ende des Mordens – eine besondere Leistung wäre, die angemessen gewürdigt werden müsste. Steinmeier stellte klar, dass es nicht etwa Aliens, sondern „Deutsche“ waren, die den Juden Schlimmes angetan hatten: "Deutsche haben sie verschleppt. Deutsche haben ihnen Nummern auf die Unterarme tätowiert. Deutsche haben versucht, diese Menschen zu entmenschlichen, zu Nummern zu machen, im Vernichtungslager jede Erinnerung an sie auszulöschen. Es ist ihnen nicht gelungen."

Eine Feststellung, der man entgegenhalten könnte, dass angesichts der Zahl der Toten von einem Scheitern der Täter keine Rede sein kann. Politisch korrekt erinnerte der deutsche Präsident in seiner Rede daran, dass die Opfer „Jüdinnen und Juden“ waren, damit niemand auf die Idee kommt, die Nazis hätten es nur auf männliche Angehörige der Spezies abgesehen.

Keine Frage, Steinmeier meinte es gut. Er verneige sich „in tiefer Trauer“, aber auch „erfüllt von Dankbarkeit“ für die „ausgestreckte Hand der Überlebenden, für das neue Vertrauen von Menschen in Israel und der ganzen Welt, für das wiedererblühte jüdische Leben in Deutschland“, beseelt "vom Geist der Versöhnung, der Deutschland und Israel … einen neuen, einen friedlichen Weg gewiesen hat".

Man könnte solche Sätze auch so verstehen, dass Deutschland keinen Groll mehr gegen Israel hegt und den Juden alles vergeben hat, was die Nazis ihnen angetan haben. Die ausgestreckte Hand der Überlebenden und das wiedererblühte jüdische Leben in Deutschland befördern den Geist der Versöhnung. Ebenso, wie die oft gestellte Frage, ob denn die Juden, anders als die Deutschen, nichts aus ihrer Geschichte gelernt hätten und sich deswegen so gemein gegenüber den Palästinensern benehmen würden.

Eine Welt ohne Zionismus

Man könnte aber auch die Frage stellen, was Deutschland, vertreten durch Frank-Walter Steinmeier, aus der Geschichte gelernt hat. Ob es o.k. ist, freundschaftliche Beziehungen mit einem Terrorregime zu unterhalten, das „eine Welt ohne Zionismus“ anstrebt und Israel von den "Seiten der Geschichte" tilgen möchte. Ob es o.k. ist, diesem Regime zum Jahrestag der Revolution im Namen aller Deutschen alles Gute für die Zukunft zu wünschen.

Ob es o.k. ist, in den Vereinten Nationen gegen Israel zu stimmen und dieses Verhalten damit zu begründen, man habe auf diese Weise "noch nachteiligere Beschlüsse" verhindert. Gehört das alles zum "Geist der Versöhnung, der Deutschland und Israel einen neuen, einen friedlichen Weg gewiesen hat"? Man soll Worte und Sätze, die von Politikern bei Staatsfeiern gesagt werden, nicht auf die Apothekerwaage legen. Aber die Flexibilität, die der deutsche Präsident an den Tag legt, ist doch bemerkenswert.

Im Mai 2017 legte er am Grab von Jassir Arafat in Ramallah einen Kranz nieder und verneigte sich vor dem Fatah-Führer, dessen Politik tausenden von Israelis und Palästinensern das Leben gekostet hat. Jetzt verneigte er sich in Jerusalem vor den jüdischen Opfern der Nazis.

Beachtlich an dieser "Geste" war nicht nur die eiskalte Chuzpe, mit der sie exekutiert wurde, noch erstaunlicher war, dass alle deutschen Medien der Versuchung widerstanden haben, die Events fotografisch zu verknüpfen, obwohl es genug gelungene Aufnahmen von beiden gibt. Ein Akt der Höflichkeit gegenüber dem Präsidenten und seinem Versprechen: "Wir stehen an der Seite Israels!"

Klicken Sie hier und hier

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Florian Bode / 04.02.2020

Für Frankwalter „Sockenpuppe“ Steinmeier können ausschließlich Nazis und Nazissinnen Täter und Täterinnen sein. Allenfalls noch Mitglieder und Mitgliederinnen der AfD sowie deren Symathisanten und Sympathisantinnen. Andere Antisemiten und Antisemitinnen gab, gibt und wird es nicht geben. Schon gar nicht bei den Linken und…

Donald Adolf Murmelstein von der Böse / 04.02.2020

Vorschlag zur Güte - Vielleicht sollte man doch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation wiederbeleben, dann könnte man die Schuld auf die über 250 unabhängigen Fürstentümer verteilen.

P. F. Hilker / 04.02.2020

Versöhnung? Ja, es kam bei mir auch so rüber, als müssten die Deutschen den Israelis irgendwas vergeben. Merkwürdig. Frage mich bloß, was?

Sabine Lotus / 04.02.2020

Herr Broder, mal ein ganz anderer Ansatz: Könnte es sein, daß die gesammelten Purzelbäume, die wir da gerade bestaunen dürfen, nicht Dummheit, nicht Vermessenheit, noch nicht einmal Bösartigkeit sind sondern Hilfeschreie? Richter die Prozesse mit den Worten “Akte zu, Affe tot” schließen, Bundesgrüßonkel mit dem beschriebenen Verhalten (...oder ist er doch Überzeugungstäter…wer weiß), die ganzen tausend Nadelstiche, die gerade einfach durchgewunken werden, ist das vielleicht bereits der begonnene ‘Generalstreik’? Hilfeschrei da sie den Geist einfach nicht mehr in die Flasche bekommen? Sämtliche Parteien von Extremisten aller Lager unterwandert und die noch können, versuchen durch Maximierung der Absurdität und innerer Manipulation (Arbeitsverweigerung) die Lage zu eskalieren, bis endlich wieder gesprochen werden kann? Manometer, bin ich heute AltersmildeWF. Aber möglich wäre es schon. Ich sitze momentan ja schließlich auch lieber hier und stänkere mit, anstelle von…und denk mir “Hasch mich”. Aber was weiß ich schon. Vielleicht bin ich auch einfach nur faul…und die anderen auch. :)

Gunther Thöndel / 04.02.2020

Sehr geehrter Herr Broder, seien Sie versichert: Dieser Herr ist nicht mein Präsident. Er war es nie und wird es niemals sein. Ich gehöre zum Jahrgang 1975, quasi Enkelgeneration der Täter, aber mit einem völlig anderen historischem Bewusstsein gesegnet, als es Vertreter unserer Exekutive sind. Deren öffentliche Bekenntnisse zur angeblich besonderen Verantwortung des Deutschen Volkes gegenüber dem Staat Israel und jüdischem Leben in Deutschland sind regelmäßig im Abstimmungsverhalten Deutschlands bei den UN zu bestaunen und bedauern. Konsequent einzutreten für den einzigen Rechtsstaat im nahen Osten liegt unseren Politdarstellern so fern wie dem Veganer das Schnitzel. Waffenverkäufe an Israel- und allgemein Judenfeindlich gesinnte Regime zählen mehr als die geheuchelte “Staatsräson“, nach der die Sicherheit des Staates Israel höchste Priorität hätte. Unterstrichen wird diese Doppelmoral deutscher Exekutive UND des höchsten Repräsentanten der BRD noch dadurch, keinerlei Maßnahmen zu treffen, die der massenhaften Einwanderung von Judenfeinden in die Bundesrepublik entgegen wirken. Es bleibt also wieder nur, mich aufrichtig fremd zu schämen. Wie gesagt: Not my president!

Jörg Klöckner / 04.02.2020

Hallo Herr Broder! Sie erwähnen, dass Steinmeier seine Rede “nicht auf Deutsch, sondern auf Englisch hielt, aus Rücksicht auf die Gefühle der noch lebenden Opfer.” Ich habe dazu eine Frage. Oder vielmehr, ich hätte noch eine Frage an die Leserin “Emma Wagner”, die am 26.1. den Artikel von Chaim Noll kommentierte mit (Auszug): “Egal wie sehr die Menschen versuchen dagegen anzuschreiben, schreien etc. es wird keine Änderung mehr geben. Wir sind unrettbar verloren. Ich habe Angst vor den zukünftigen Straßenkämpfen etc. Mein Großvater hat mich gewarnt, geh nicht in dieses Land, es ändert sich nicht. Zu spät! Gott sei mit uns!” Den gesamten Kommentar von Frau Wagner kann ich sehr gut nachempfinden, wenn ich die Sachlage allzu sehr an mich heranlasse. Leider habe ich damals die Gelegenheit verpasst nachzufragen: Es wird doch gerne darauf verwiesen, Deutsch sei “die Sprache der Täter”. Aber ist es nicht auch die Sprache der Opfer? Die Muttersprache der Opfer, mit der sie hier in Deutschland aufgewachsen sind? Die Nazis wollten sie und deren Kultur, die im Deutschen verwurzelt ist, vernichten. Das Naziregime ist untergegangen und die einstigen Opfer haben gesiegt - ihre Sprache und ihre Kultur haben triumphiert. Wenn man jetzt, wie Steinmeier es getan hat, mit Hebräisch oder Englisch kommt… nimmt man ihnen damit nicht diesen Sieg und reißt ihnen abermals die Wurzeln heraus? Bürgert man sie nicht erneut aus, und macht sie zu “Juden”, zu “Israelis” ganz so, wie es die Nazis einst gemacht, sie ausgegrenzt und stigmatisiert hatten? Ist die “Geste” Steinmeiers in diesem Sinne nicht heuchlerisch?

Sirius Bellt / 04.02.2020

Lieber Herr Broder, Ihr Titel lautet: “Der Geist der Versöhnung….” Handelt es sich hierbei um einen Tippfehler des Wortes “Verhöhnung”?

Karl Mistelberger / 04.02.2020

“... dass angesichts der Zahl der Toten von einem Scheitern der Täter keine Rede sein kann?” Eichmann selbst war da kritischer eingestellt.  Bettina Stangneth berichtet in ihrem Buch „Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders“:  “Er war ein überzeugter Nationalsozialist und genau darum ein Massenmörder, voller Stolz auf das, was er gemacht hatte. Das Einzige, was er bereute, war, dass er die Aufgabe nicht ganz geschafft hatte und es nicht möglich gewesen war, zehn Millionen zu ermorden. Und mit dieser Überzeugung sitzt Eichmann in Jerusalem und kämpft weiter.”

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Henryk M. Broder / 03.04.2024 / 12:00 / 120

Kein Freibrief von Haldenwang

Von „Verfassungshütern“ wie Thomas Haldenwang geht die größte Gefahr für Meinungsfreiheit und Demokratie in unserem Land aus. Wenn die Bundesrepublik eine intakte Demokratie wäre, dann…/ mehr

Henryk M. Broder / 12.03.2024 / 14:00 / 62

Christian Wulff: Liechtenstein? Nein, danke!

Unser beliebter Ex-Präsident Christian Wulff hat Angst, Deutschland könnte auf das Niveau von Liechtenstein sinken. Das kleine Fürstentum hat auf vielen Gebieten längst die Nase…/ mehr

Henryk M. Broder / 07.03.2024 / 16:00 / 19

Aserbaidschanische Kampagne verhindert Armenien-Debatte

Eine in Berlin geplante Buchpräsentation und Diskussion über bedrohtes armenisches Kulturgut konnte aus Sicherheitsgründen nur online stattfinden. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP)…/ mehr

Henryk M. Broder / 04.03.2024 / 14:00 / 23

Michael Blume: Vom Zupfgeigenhansl zum Ersten Geiger?

In der Dienstzeit des Antisemitismus-Beauftragten Michael Blume hat die Zahl antisemitischer Straftaten in Baden-Württemberg erfolgreich zugenommen. Aber der Mann hat andere Sorgen. Ende Dezember letzten…/ mehr

Henryk M. Broder / 24.02.2024 / 12:15 / 35

Eilmeldung! Herr Schulz ist aufgewacht!

Im Büro der Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann war nach einem Bericht von Achgut.com die Luft heute morgen offenbar besonders bleihaltig. Richtet man…/ mehr

Henryk M. Broder / 24.02.2024 / 06:00 / 125

Frau Strack-Zimmermann hat Cojones, ist aber not amused

Es spricht für Marie-Agnes Strack-Zimmermann (MASZ), dass sie mein Schaffen verfolgt. Deshalb hat sie noch eine Rechnung mit der Achse offen. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (MASZ) hat…/ mehr

Henryk M. Broder / 22.02.2024 / 10:00 / 80

No News aus Wolfsburg in der Tagesschau

In Wolfsburg stellt sich der VW-Chef auf die Bühne, um Weltoffenheit zu demonstrieren. Die Belegschaft hat derweil andere Sorgen. Die Tagesschau meldet, auch an diesem Wochenende hätten tausende…/ mehr

Henryk M. Broder / 18.02.2024 / 11:00 / 57

Eine Humorkanone namens Strack-Zimmermann

Ja, wenn einem deutschen Politiker oder einer deutschen Politikerin nichts einfällt, irgendwas mit Juden fällt ihm/ihr immer ein. Dass immer mehr Frauen in hohe politische…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com