Thomas Rietzschel / 21.03.2020 / 06:20 / Foto: achgut.com / 153 / Seite ausdrucken

Corona: Rette sich, wer kann!

Die Zahl der Corona-Infektionen steigt zusehends schneller. Weit über 15.000 zählt die Statistik unterdessen, dazu 44 Todesfälle. Wer weiß, wie viele es morgen sein werden. Die Lage könnte bedrohlicher kaum sein. Da gibt es nichts zu relativieren. Daran ist nicht zu deuteln. Zu sehen ist aber ebenso: Das deutsche Gesundheitswesen steht keineswegs so großartig da, wie es uns die Kanzlerin in ihrem Geschwafel an die Nation glauben machen wollte.

Rund 83 Millionen Frauen, Männer und Kinder leben derzeit in Deutschland. Ins Verhältnis dazu gesetzt, machen etwa 18.000 Infizierte nicht einmal 0,03 Prozent aus. Das ist gewiss kein Grund, die Gefahr auf die leichte Schulter zu nehmen, mitnichten. Ganz im Gegenteil, gibt es Anlass, sich noch viel weitreichendere Sorgen zu machen. Zeigen die Zahlen doch, wie schnell die Möglichkeiten medizinischer Versorgung hierzulande erschöpft sind. Obwohl sich die Deutschen rühmen, in einem der reichsten Länder der Welt zu wohnen, reichen die medizinischen Kapazitäten nicht aus, um wenigstens den Bruchteil eines Prozents der Bevölkerung hinlänglich zu behandeln, die Betroffen schlimmstenfalls vor dem Tod zu bewahren. 

Plötzlich wird offenbar, was in der Vergangenheit versäumt und vernachlässigt wurde, was schiefgelaufen ist. Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger und Apotheker müssen bis zur Erschöpfung schuften. Auf den Intensivstationen der Krankenhäuser fehlt es an Betten. Beatmungsgeräte sind Mangelware. Um den Notstand halbwegs zu steuern, spielt die Politik auf Zeit. Spekuliert wird auf eine Verzögerung der Ansteckungsgefahr, ohne zu wissen, ob man der Krankheit in Wochen, in Monaten oder erst übers Jahr Herr werden kann. 

Der Pleite überlassen

Der Forschung ist das so wenig vorzuwerfen wie dem medizinischen Personal, wohl aber einer Gesundheitspolitik, für die ökonomische Prämissen entscheidender waren als das humanitär vorausschauende Denken. Wie viele Kliniken wurden gerade in der jüngsten Vergangenheit geschlossen, wie viele Arztpraxen, zumal im ländlichen Raum, der Pleite überlassen. Am fehlenden Geld lag das nicht. Selbst staatlich betriebene Krankenhäuser verfügen heute oftmals über schönheitschirurgische Abteilungen.

Verloren ging vielmehr das Bewusstsein für die unverhofft drohende Gefahr. Im Taumel des Wohlstands haben wir die Vorsorge für den Notfall schleifen lassen, nicht nur im Gesundheitswesen und nicht bloß seitens der politisch Verantwortlichen. Die Gesellschaft überhaupt wähnte sich in einer trügerischen Sicherheit, solange die Regale der Supermärkte überquollen und die Ferienflieger abhoben. Krisen boten allenfalls willkommene Abwechslung. Als „Willkommenskultur“ zelebriert, mutierte die unkontrollierte Grenzöffnung 2015 ebenso zum Event wie die Fridays-for-Future-Demonstrationen nachher, ein großartiges Massenerlebnis für viel zu viele. 

Nur wer diese Vorgeschichte ausblendet, kann sich jetzt ernsthaft über die „Corona-Partys“ zum Mega-Event entsetzen. Mag sein, dass sich wenigstens dieser perverse Unsinn mit den angedrohten Ausgangssperren unterbinden lässt. Ob das ausreicht, jeden und jede wieder zur Vernunft zu bringen, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich scheint es nicht, nicht in einer Gesellschaft, die daran gewöhnt wurde, das Vergnügen über alles zu setzen. 

Die Bundeswehr rückt aus

Die Ablenkung vor der Gefahr hat dazu geführt, vieles abzubauen, worauf wir jetzt dringend angewiesen wären, im Bewusstsein des Einzelnen sowie in den Institutionen und Einrichtungen, die seine Sicherheit im Ernstfall garantieren sollten. Vor wenigen Tagen hat die französische Armee ein medizintechnisch hoch ausgerüstetes Feldlazarett aus dem Arsenal geholt, um es kurzfristig im Elsass, einer von Corona besonders betroffen Region, einzurichten. Die Bundeswehr indessen ist mit Gulaschkanonen ausgerückt, um die wartenden LKW-Fahrer an der Grenze zu Polen mit warmer Suppe zu versorgen. Jeder tut, was er kann. 

Wo die medizinischen Ressourcen erschöpft sind, schon bevor die Epidemie ihren Höhepunkt erreicht, bleibt nur der staatliche Durchgriff. An seiner Notwendigkeit besteht kein Zweifel. Auch wenn darum noch scheinheilig gefeilscht wird, die einen wollen, die anderen nicht, ist die Ausgangssperre längst unausweichlich, die Ultima Ratio eines Staates, der verschlafen hat, was er vorausschauend hätte tun sollen. 

Schwindel in der Not

Dass das nicht allen einleuchten will, dafür sind die trotzig gefeierten „Corona-Partys“ erste Anzeichen. Auch ist der Handel bereits dabei, private Sicherheitsdienste zu verpflichten, weil er Übergriffe der Kunden bei der Plünderung der Klopapier-Regale, wenn nicht gar die Erstürmung der Supermärkte befürchtet.

Viel zu lange wurde das Volk mit dem Eiapopeia vom Wohlstand eingelullt, als dass die Politik jetzt durchweg auf die Vernunft der Bürger zählen dürfte. Wo das Vertrauen in die medizinische Versorgung schwindet, erweist sich auch die beschwörende Behauptung der Kanzlerin, wir verfügten über eines der besten Gesundheitswesen der Welt, als ein hilfloser Schwindel in der Not. Hinter ihrem Appell, jeder habe das seine zur Bewältigung der Krise zu tun, steckt nicht mehr als die Aufforderung „Rette sich, wer kann“. 

Natürlich wird die Corona-Epidemie wie jede andere vorher irgendwann abebben. Wie lange dagegen die gesellschaftliche Krise andauern wird, ist noch längst nicht abzusehen. Momentan jedenfalls spricht alles dafür, dass noch viel mehr Menschen von dem wirtschaftlichen Desaster danach betroffen sein werden als die Infizierten, die schon jetzt zunehmend ihrem Schicksal überlassen sind. Beschwichtigende Ansprachen hin oder her.  

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Claudia Maack / 21.03.2020

Als Merkel Ende Februar In Stralsund herumschwadronierte, kein Land sei so gut für Corona gerüstet wie Deutschland, fiel mir morgens der Kaffee aus dem Gesicht. Hätte sie da besser schon Vorkehrungen getroffen anstatt zu quatschen, wäre es nicht so schlimm gekommen. Was mich aber immer umhaut, ist dieses Schwanken zwischen völlig unangebrachter nationaler Hybris (egal ob Corona, Migranten oder Endsieg: wir sind die Besten) und einem pathologischen Selbsthass (Deutschland, mieses Stück Scheiße). Wir sind immer gleichzeitig die Größten und die Miesesten. Dieses kognitive Desaster verkörpert die Staatschefin perfekt.

Dr. med. Christian Rapp / 21.03.2020

Grundsätzlich verstehe ich Ihre Gedanken. Das deutsche Gesundheitssystem ist in den letzten Jahrzehnten unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten heruntergefahren worden. Nach dem kalten Krieg ist auch Katastrophenschutz kaum ein relevantes Thema. Ein Pandemie ist aber in einem Land mit 80.000.000 Menschen eine nicht und nie beherrschbare Situation. Dafür können unsere Politiker nun wirklich nichts. Sie sind überwiegend auch hilflos. Als Macher stellt sich ledig M.Söder dar. Ob er mehr Erfolg hat, wird sich zeigen. Wenn die Zahlen so weiter gehen, haben wir im Juni 40.000.000 Mio Infizierte und 800.000 bis 1,4 Mio Tote. Wenn die Dunkelziffer 3-5 mal größer ist, werden wir Glück haben. Eine solche Situation kann kein Staat planen.

Gilbert Brands / 21.03.2020

Leider auch hier nur Teilfakten, die zu einem (gewollten?) Katastrophenbild führen. Erfasst werden nur Fälle, in denen auf Corona getestet wurde. Es fehlt beispielsweise schon die Zahl, wie viele Tests negativ verlaufen sind oder wie viele Menschen von den Ärzten ohne Test mit Paracetamol nach Hause geschickt worden sind. Auch über die mutmaßlich hohe Zahl derjenigen, die ohne große Symptome geblieben sind, wird kein Wort verloren. Das wären simple Strichlisten, die da geführt werden müssten. Warum wird das nicht gemacht (oder die Zahlen unter dem Tisch gehalten). Laut dem RKI liegt die Mortalitätsrate um einen Faktor 5-30 oberhalb der von Grippe (andere rechnen den Faktor bis auf 70 hoch). Vergleicht man die derzeitige Grippesaison (~250 Opfer) mit der von 2017/18 (~25.000 Opfer), können alleine innerhalb der Influenza-Gruppe Faktoren von 100 (!) auftreten. Corona dürfte mit den Opferzahlen irgendwo dazwischen rangieren, würde man nichts machen. 2017/18 hat sich übrigens noch nicht mal die sprichwörtliche Sau dafür interessiert. Mit Ideen und Lernfähigkeit scheint es auch nicht sehr weit her zu sein. So tauchen die anscheinend erfolgreichen Behandlungen Erkrankter in China mit Interferon und anderen Komponenten des Immunsystems hier nirgendwo auf. Die italienische Sterbestatistik könnte auch sehr gut zu einem wesentlich weniger brutalen Vorgehen genutzt werden, Aber das kommt wohl weniger gut an als wenn man als intellektuell kleine Leuchte als Politiker den großen Macker rauskehren kann.

Ricardo Sanchis / 21.03.2020

Und nun mal zurück zu den Tatsachen, statt aufmerksamheischender Panikmache. Ein Virus erzeugt eine Erkrankung der Lungenwege die bei einen geringen Prozentsatz der Betroffenen zur Lungendzündung führt. Die schweren Verläufe sind nicht mit Antibiotika allein behandelbar sondern erfordern intensivmedizinische Betreuung. Offensichtlich gibt es nicht Kapazitäten in den Krankenhäusern dafür. Dumm gelaufen und leider für einige tödlich. Vermutlich würden ca 1/4 Millionen Menschen in Deutschland in Folge sterben, wenn man gar nicht tuen würde. Es sei denn es würde ein Gegenmittel gefunden. Die großen wirtschaftlichen Schäden endstehen hingegen nur durch die Reaktion auf diesen Virus, wobei der einzige Sinn dieser Gegenmaßnahmen es ist Zeit zu gewinnen. Dadurch sollen etwas (?) weniger sterben Sind denn keine anderen Gegenmaßnahmen denkbar? Doch! Durchaus. Es wäre z.B. eine Isolation der lebensbedrohlich Gefährdeten denkbar. Z.B. indem man diese (freiwillig ) in ein virenfreies Gebiet vorübergehend umsiedelt, bei strengsten gesundheitlichen Zugangskontrollen;- bis es ein Gegenmittel gibt. Der Rest der Bevölkerung wird sowieso durchseucht werden. Die Sterberate ginge dann gegen null und es würden schwere wirtschaftliche Schäden vermieden….nur mal so als eine denkbare Lösung.   

Wilfried Cremer / 21.03.2020

Ein Sabbatjahr ist im Prinzip nicht schlecht. Leider aber nicht im Kontext mit der Frage in die Ferne, ob man lieber an der Seuche oder Hungers stirbt bzw. sterben lässt.

Andreas Rühl / 21.03.2020

Warum ist das so? Nicht etwa, weil neoliberale Profitgierige das Gesundheitssystem gekapert haben, sondern weil Vater Staat die Orientierung verloren hat. Wenn diese Krise etwas Gutes bewirken sollte, dann dahingehend, dass bei den Politikern und ihren Wählern das Bewusstsein dafuer zurückkehrt, wozu der Leviathan gemacht ist. Wozu das Geld, das den Bürgern durch Zwang weggenommen wird, eigentlich gebraucht wird. Die how dare you Frage wird immer öfter gestellt und jetzt sogar mit Recht. Es kommt mir so vor, als würden jetzt einige aus einem Traum erwachen und erkennen, dass die Natur nicht unser Freund, sondern unser Feind ist, der Staat kein Kumpel sein darf, der für eine wohlfuehlatmosphaere sorgt und für ein gutes Gewissen, sondern, wenn es drauf ankommt, unsere Existenz schützen muss. Der Traum, wir koennten zu unserer freibeuterkultur zurueck, ist geplatzt. Die Grünen merken das. Sie reden nur noch dummes Zeug oder tauchen ganz ab.

Helmut Opper / 21.03.2020

Dies ist alles äusserst zutreffend! Ganz offensichtlich hat dies Mehrheit der Wähler nicht gedesehen, lieber Party gemacht oder Freitags die Schule geschwänzt. Absehbar war, dass Ergebnis der Sparpolitik auf allen Ebenen seit Jahren. Just in time Produktion verlagerten das Lager auf die Autobahn. Die Bahn legte daraufhin Strecken still und heute stehen die LKW im 60 Km Stau weil die Grenzen dicht sind, notwendige, medizinische Hilfsgüter stehen mitten drin und erreichen die Kliniken nicht.

Thorsten Lehr / 21.03.2020

Dazu passend steigt die Union in den Umfragen und die Grösste Kanzlerin ist beliebt wie selten zuvor. Entweder rattert die Propagandamaschine wie weiland vor dem Angriff der Armee Wenck oder es stimmt tatsächlich. In beiden Fällen besteht nicht mehr viel Hoffnung!

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