Ein Film über Verteidigungsminister Boris Pistorius im ZDF wird als Meisterwerk der Hofberichterstattung in die Fernsehgeschichte eingehen.
Vor einer Woche zeigte das ZDF die Doku „Mensch Merz! Der Herausforderer“, in der dieser, kaum überraschend, nicht gut wegkam. Die Rückschläge im politischen Leben des CDU-Chefs wurden genüsslich breitgetreten, seine schlechten Sympathiewerte in Umfragen herausgestrichen, und politische Gegner wie Renate Künast oder Luisa Neubauer bekamen reichlich Gelegenheit, ihn abzumeiern. Natürlich durfte auch die Erinnerung an Fietes Sylt-Flug mit dem Privatflugzeug zu Lindners Hochzeit nicht fehlen. Über den Menschen Friedrich Merz erfuhr man nicht wirklich viel.
Ganz anders der Film über Boris Pistorius vorgestern Abend. „Mensch Pistorius! Zwischen Krieg und Frieden“ ist ein herausragendes Beispiel für das, was die Engländer so treffend brown-nosing nennen – ja, das ist genau das, was Sie sich jetzt gerade darunter vorstellen. Die Ampel stürzt von einem Umfragetief ins nächste, ganz vorneweg der Kanzler, und es mehren sich Spekulationen, dass Scholz „ausgetauscht“ werden könnte – wobei sich dann die Frage stellen würde, von wem, denn die Esken-SPD wird wohl keinen auf den Schild heben, der dem „konservativen Teil“ der Partei zugerechnet wird, den es gerüchteweise immer noch geben soll. Aber wer weiß, beim ZDF scheint man zu glauben, es sei schon mal nicht falsch, sich präventiv beim Not-Kanzler in spe einzuschleimen.
Nun muss der Rezensent einräumen, dass ihm der Verteidigungsminister noch erträglich erscheint, zumal er im Vergleich zu den Totalversagern, die mit ihm am Kabinettstisch sitzen, eine ganz gute Figur macht. Unter den Blinden ist der Einäugige eben immer noch König, und er macht grundsätzlich einen recht soliden Eindruck, ein Politiker-Typus, wie man ihn noch aus den Zeiten kennt, als die Studienabbrecher, Berufslosen, Hochstapler und ideologiegetriebenen Nullinger noch keine Kabinettsposten bekleideten und es noch nicht denkbar war, dass junge Frauen, die allein aufgrund einer Quote ins Parlament gespült werden, ihre Hauptaufgabe in der Produktion von Tanzvideos auf TikTok sehen. Aber hier soll es nicht um Pistorius gehen, sondern eben um die Servilität, oder, sagen wir es ganz offen, Speichelleckerei der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten.
Brown-nosing vom Feinsten
„Für viele ist er ein Phänomen. Was macht ihn so beliebt?“, fragt die Stimme aus dem Off liebedienerisch gleich zu Beginn, aber wenn man denkt, dass die Beliebtheit des Verteidigungsministers damit zusammenhängen könnte, dass er wie der weniger gut gelaunte Zwillingsbruder von Armin Laschet aussieht und die Beliebtheitswerte möglicherweise auf einer Verwechslung beruhen, ist man schief gewickelt: Die Imagepflegekräfte vom Staatsfernsehen haben sich Mühe gegeben, Wegbegleiter des Politikers zu finden, die ihn in den höchsten Tönen loben, sowie Kritiker wie Linken-Chefin Janine Wissler und Rüdiger Lucassen, Verteidigungspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, die ein bisschen meckern dürfen, bevor dann lang und breit erklärt wird, warum sie falsch liegen. Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter: „Unbeirrt treibt er sein Projekt der Stärkung der NATO-Ostflanke weiter voran.“ Hurra!
„Er ist Deutschlands beliebtester Politiker“, heißt es aus dem Off, sein Bruder Harald und diverse Wegbegleiter preisen Pistorius als „Kumpeltyp“, „Entscheidertyp“, als „Machertyp“, bodenständig, ehrlich, mit einer „natürlichen Autorität“, „jemand, mit dem man gut und gerne ins Gespräch kommt“. Pistorius‘ Bruder Harald, der Boris deutlich weniger ähnlich sieht als Laschet, beschreibt ihn als „immer schon zielstrebig, entschlossen, beharrlich“, einfach brillant, ein ganz toller Hecht, eine Lichtgestalt. Als einziger vermeintlicher Makel bleibt nur die in Bewerbungsgesprächen auf die Frage nach persönlichen Schwächen stets bemühte „Ungeduld“, die ja auch nur beweisen soll, wie geil und fähig man ist, während die anderen nicht zu Potte kommen.
Passanten in Pistorius‘ Heimatstadt Osnabrück wissen natürlich nur Gutes zu berichten: „Toller Politiker…“, „sympathisch“, „…er wohnt bei mir in der Nähe, der kommt am Haus vorbei und grüßt freundlich“. Kanzlermaterial eben! Dann fahren die Reporter in den Schinkel, wo Pistorius aufwuchs, „einst klassisches Arbeiterviertel, heute Multikulti-Stadtteil“, also Kriminalitäts-Hotspot und no-go-area, wo in den Grünanlagen nur noch arabische Kinder toben und man, wie der Ex-Fußballprofi Mario Basler berichtet, „am besten nicht durchfahren“ sollte, „vor allem nicht abends, und bei roter Ampel nicht stehenblieben.“ Man ahnt, dass das ein viel interessanteres Thema wäre, das beim ZDF aber eher nicht aufgegriffen wird, sonst heißt es ja gleich wieder, hier würden „Stereotype bedient“, „rassistische Ressentiments geschürt“ und so ein Filmbeitrag wäre doch bloß Wasser auf die Mühlen von Du-weißt-schon-wem.
Sie nannten ihn „Kamikaze“
Also lieber auf der sicheren Seite bleiben und die große weiße Hoffnung der flackernden Ampel hofieren. Sein Image pflege der Minister durch „geschickt gewählte Auftritte“, etwa im Sportstudio, wo er an der Torwand zweimal erfolgreich ist. Er spielte ja schon als Kind bei Schinkel 04, als linker Verteidiger (damals schon), und trug den Spitznamen „Kamikaze“, wird also bekannt dafür gewesen sein, seine Gegner umzutreten. Er ist nun mal ein Anpacker, aber auch bürgernah, lässt sich im Stadion beim VfL Osnabrück mit Fan-Schal filmen. „Einer der Hauptakteure auf der politischen Bühne Deutschlands betont gekonnt seine Bodenständigkeit“, sagt die Stimme aus dem Off, während man sieht, wie Pistorius auf dem Markt ein Bratwurstbrötchen erwirbt.
Anders als im Film über den unbeliebten Merz kommen Skandale hier nur am Rande vor. Einen erwähnte der Rezensent an dieser Stelle:
„2019 bekam der niedersächsische Innenminister Schwierigkeiten, im Landeskriminalamt von Niedersachsen erregten schwerwiegende Skandale bundesweites Aufsehen. Es ging um das Verschwinden einer dienstlichen Maschinenpistole, um das Verschwinden (und mysteriöse Wiederauftauchen) sensibler V-Mann-Akten – Achgut berichtete hier, hier und hier – sowie um den offensichtlichen Versuch, diese unschönen Vorgänge zu vertuschen.“
Dass sich in Pistorius‘ Amtszeit als Verteidigungsminister (seit Januar 2023) vier Luftwaffenoffiziere beim Plausch über den möglichen Einsatz von Taurus-Raketen von den Russen abhören ließen, wird immerhin erwähnt, aber auch gleich von Boris dem Großen souverän entsorgt: Hätte der Vorfall Konsequenzen gehabt (also etwa die Entlassung der vier Pechvögel), würde man ja nur Putins Spiel mitgespielt haben, deshalb macht er einfach weiter, als wäre nichts gewesen. Und dass er mit seiner Co-Kandidatin Petra Köpping bei der Mitgliederbefragung zur Wahl des neuen SPD-Parteivorsitzes im Herbst 2019 den vorletzten Platz belegte (hinter ihm rangierte nur noch der Antipathieträger Ralf Stegner), wird eher als Beweis dafür genommen, dass so einer wie Pistorius sich auch nach einem Rückschlag wieder aufrafft und weiterkämpft.
Ein „Vollblutpolitiker“, wie die Uschi
Das war es aber auch schon mit der lästigen Kritik, die nun mal am Rande vorzukommen hat. Jetzt geht es erstmal um die Bilderbuchkarriere des Boris P.: „Es ging immer nur nach oben, klassische Politikkarriere durch Ämter und Ministerien“. Mitarbeiter Schulbehörde Osnabrück 1991, Referentenjob bei Innenminister Glogowski bis 1995, Dezernatsleiter Bezirksregierung Osnabrück (1997), Oberbürgermeister von Osnabrück 2006, Innenminister von Niedersachsen 2013–2023, Bundesverteidigungsminister (ab 2023) und 2024 sogar Oldenburger Grünkohlkönig!
Er ist nun mal ein „Vollblutpolitiker“, wie es im Film heißt, „wie auch Ursula von der Leyen“. Die habe sich länger im Amt gehalten als so mancher Vorgänger. Kein Wort über ihr Totalversagen und den verhängnisvollen Durchmarsch der feministischen Verteidigungspolitik (mehr dazu hier) mit UvdL, Annegret Kramp-Karrenbauer und Christine Lambrecht, von der der Eindruck vermittelt wird, sie habe „die Beschaffung modernisieren“ wollen, sei aber darüber gestürzt, dass sie in Afrika Stöckelschuhe getragen habe, was „zum Politikum“ geworden sei. Gemein! Die drei ungedienten Abrissbirnen der Truppe werden geschont, stattdessen behauptet, dass die Bundeswehr „über Jahrzehnte kaputtgespart“ worden sei, was so nicht stimmt: Der Wehrhaushalt betrug im Jahr 2014 noch 32,4 Milliarden Euro, drei Jahre später 37 Milliarden, im Jahr 2019 schon 43,2 Milliarden und 2021 bereits 46,9 Milliarden, bevor er 2022 erstmals die 50 Milliarden überschritt.
Aber klar, weil die Underperformerinnen von der Leyen, Kramp-Karrenbauer und Lambrecht die Truppe endgültig zur Lachnummer gemacht hatten, konnte jeder Nachfolger im Vergleich nur als personifizierte Kompetenz rüberkommen, selbst Ronald McDonald hätte seriöser gewirkt. Und Pistorius war immerhin „beim Bund“ und ist den Soldaten gewiss näher als das trio infernale. Im Film lassen ihn die Panegyriker vom Zweiten als geerdeten Typen auftreten, der selbst mit der Aussage gegen Ende, „man muss Menschen mögen, weil man für die Politik macht“, noch ehrlich rüberkommt. Den Begriff „kriegstüchtig“ hat er ja auch nur verwendet, weil alles andere „beschönigend“ geklungen hätte.
Und fürs Beschönigen sind andere zuständig, neben seinen Ampel-Kollegen zum Beispiel die öffentlich-rechtlichen Verbündeten. Hoffentlich ist bei der Produktion kein Mitarbeiter auf der breiten Schleimspur ausgerutscht.
Claudio Casula arbeitet als Autor, Redakteur und Lektor bei der Achse des Guten.