Eine Sprachenseite ließ von einer KI eine Strophe der deutschen Nationalhymne umschreiben, und einem sächsischen Autor droht eine Trennung von seinem Verlag, weil er seine Social-Media-Profilbilder im Rahmen des „Stolzmonats“ mit Schwarz-Rot-Gold umrahmt hatte.
„Eine Nationalhymne zu überarbeiten, ist kein Sakrileg“ schreibt die Berliner Zeitung. Schließlich wandelte sich Österreich zum 1. Januar 2012 von der „Heimat […] großer Söhne“ zur „Heimat großer Töchter und Söhne“ – und aus den „Brüderchören“ der dortigen Bundeshymne wurden „Jubelchöre“. Was Deutschland betrifft, verweist die Zeitung auf eine Sprachenseite, die sich in einem Beitrag mit „gendergerechten“ Nationalhymnen befasst. Sie hat eine Umformulierung anfertigen lassen, und zwar – wie sich das für eine Kulturnation gehört, die die Skulptur eines Künstlers durch Kram aus dem 3D-Drucker ersetzt – von ChatGPT. Die KI-Software schlägt vor (Trommelwirbel):
Einigkeit und Recht und Freiheit
Für das deutsche Heimatland!
Danach lasst uns alle streben,
Gleichgesinnt mit Herz und Hand
Das eingeschlechtliche „Vaterland“ wäre damit Geschichte, ebenso das als wenig inklusiv geltende „brüderlich“. Und wer nicht die gleiche Gesinnung hat, erhält Besuch von Herrn Haldenwang. ChatGPT hat auf Wunsch sogar weitere Strophen erarbeitet, die Zeilen enthalten wie „In Geschwisterliebe stark“ (stand hier das Saarland Pate?) oder – im Stile Sarah Connors – „Blühe deutsches Heimatstück“. Ein Stück aus dem Tollhaus.
Stolz-Rot-Gold
Nachdem wir, wie es der legendäre Alfred Tetzlaff einmal ausdrückte, diesem „Symbol unseres Staates die letzte Ehre [erwiesen]“ haben, geht es sofort weiter mit dem nächsten, nämlich Schwarz-Rot-Gold. Wie kürzlich berichtet, bestand die Stolzmonat-Kampagne im Juni darin, die Farben der deutschen Nationalflagge vor allem in den Social Media zu verwenden, insbesondere in den an die Regenbogenfahne angelehnten Farbabstufungen. Ein sächsischer Fantasyautor hat deshalb Probleme mit seinem Verlag bekommen. Er hatte Anfang Juni entsprechende Veränderungen in seinem Facebook- und Instagram-Profil vorgenommen, worauf eine andere Autorin „ihr Missfallen sehr stark zum Ausdruck gebracht hat“, wie der vorerst anonym Bleibende dem rechtsalternativen YouTuber Clownswelt erzählt.
In zeitlichem und mutmaßlich kausalem Zusammenhang dazu forderte sein Verleger ihn auf, die Flagge zu entfernen, da sie von der AfD sei – was nicht zutrifft. Möglicherweise hatte er Angst vor einem Shitstorm gegen den Verlag, zumal dieser auch homoromantische Literatur vertreibt. Die Stolzmonat-Aktion war „ein bisschen satirisch, […] vielleicht auch ein bisschen frech, aber das sind immer noch die Farben unseres Landes“, wendet Clownswelt ein.
Nachdem der Schriftsteller sich geweigert hatte, die Farbgestaltung auf seinen privaten Accounts – die mit dem Verlag nicht in Zusammenhang stehen – wie gewünscht anzupassen, steht eine Andeutung im Raum, der Verlag könne Konsequenzen ziehen. Nach Darstellung des Betroffenen hat sich das Unternehmen seit Juni nicht mehr gerührt. „Ich sitze jetzt hier auf glühenden Kohlen und weiß nicht, was wird“, klagt er. In seinem anderweitigen Hauptberuf fände er (etwa im Falle einer Kündigung) leichter eine neue Stelle als für seine Autorentätigkeit einen neuen Verlag.
Der Kern der Sache
Im Hauptberuf Probleme wegen außerberuflicher Äußerungen hat Myriam Kern bekommen, jetzt wurde sie sogar gerichtlich aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Nachdem Ende 2017 ein Mädchen im pfälzischen Ort Kandel von einem afghanischen Asylanten brutal ermordet worden war, engagierte sich die Förderschullehrerin kritisch zum Thema Flüchtlingspolitik, beim „Frauenbündnis Kandel“ und auch sonst als Aktivistin. Auf ihrem Youtube-Kanal Myriam – die Stimme aus Kandel wandte sie sich in den vergangenen Jahren zudem gegen die Corona-Politik.
Als Kern 2020 an eine Förderschule in ihrem Wohnort Landau versetzt wurde, gab es Proteste, ein SPD-Bürgermeister forderte, man solle sie stattdessen „absetzen“, und der CDU-Oberbürgermeister fürchtete um den Schulfrieden. Die Schulaufsicht ordnete an, dass sie die Schüler nicht alleine, ohne Aufpasser, unterrichten durfte. Dann wurden Kern andere Aufgaben zugeteilt, und nun hat das Verwaltungsgericht Trier ihr den Beamtenstatus entzogen. Laut der Jungen Freiheit habe das Gericht vor allem folgende ihrer Äußerungen moniert: „‚Unsere Politiker prügeln unser Recht auf Meinungsfreiheit mit Nazikeulen und Hasshetze nieder‘ und ‚Wir wollen keine fremden Massen an Männern hier‘.“ Damit „habe die Frau die Grenze zum Verfassungsverstoß mehrfach überschritten“ und sei als Lehrerin nicht mehr tragbar.
Dabei scheint Kern bei der Arbeit selbst, in der Schule, nicht aufgefallen zu sein. Was öffentliche Aussagen angeht, gibt es von ihr durchaus härteren Tobak als das oben Zitierte. Das Badische Tageblatt stufte ihre Abneigung gegen „Finanzeliten“, „Globalisten“ und George Soros als „antisemitisch“ ein, dabei handelt es sich bei „Globalisten“ bekanntlich um kein Codewort für jüdische Weltverschwörer – „Finanzelite“ könnte das je nach Kontext und Sprecher vielleicht sein –, und Kritik an Soros bedeutet für einen israelischen Minister das Gegenteil von Antisemitismus. Hätte sich Kern stattdessen ebenso lautstark für „Willkommenskultur“ und Zwangsimpfung engagiert, wäre sie jedenfalls nicht Gefahr gelaufen, ihren Beamtenstatus zu verlieren.
Es geht schon wieder los
Morgen Abend läuft die Sendung Kaisermania in mehreren „dritten“ Programmen. Ein Live-Konzert des Schlagersängers Roland Kaiser, bei dem dieser unter anderem Udo Jürgens‘ Klassiker Aber bitte mit Sahne zum Besten geben will. Aufmerksame Leser erinnern sich, dass in dem Lied das böse Wort „Mohrenkopf“ vorkommt, das in einer ZDF-Sendung mal zu „Schokokuss“ umgedichtet worden ist. Kaiser hat den Song sowohl schon „in einer zensierten Version“ vorgetragen als auch mit dem Originaltext. Für den sendeverantwortlichen MDR war es ein „Fauxpas“, „wider besseres Wissen das rassistische M-Wort verwendet [zu] haben“, den man einem „gegen Pegida, gegen Rassismus – und für Weltoffenheit, Toleranz und Dialog“ engagierten Künstler wohl so nicht zugetraut hätte. Ob sich SPD-Mitglied Kaiser bei der Dresdner Live-Übertragung dem Sprachdiktat unterwirft?
Ellenbogengay
Ruck zuck, Fresse dick – so erging es am vergangenen Samstag bei der Stuttgarter Parade zum Christopher Street Day (CSD) Detlef Raasch. Der Sprecher des örtlichen CSD-Vereins bekam im Rahmen einer körperlichen Auseinandersetzung einen Ellenbogenstoß ins Gesicht. Er „hatte eine dicke Backe“ berichtet die Stuttgarter Zeitung, und „ließ sich starke Schmerzmittel geben, damit er bei der Abschlusskundgebung sprechen konnte“. Der mutmaßliche Täter gehört offenbar einer Antifa-Gruppierung an, die zu dem Zeitpunkt beim Umzug den Vereinswagen blockierte. Als Grund wird genannt, „man habe gegen die Teilnahme der CDU beim CSD protestieren wollen“. Die Zeitung vermutet außerdem, dass der Streit um ein Plakat zum Freiburger CSD vor einem Monat eine Rolle gespielt haben könnte. Dort war ein Antifa-Motiv mit einer vermummten Frau benutzt worden, was auch dem Stuttgarter Raasch sauer aufstieß.
Gute Bücher, schlechte Bücher
Bleiben wir in diesem Themenkreis. Seit letztem Jahr kursiert in Großbritannien ein „LGBTIQ+“-Ratgeber für öffentliche Bibliotheken, wie der Telegraph erst jetzt berichtet. Der von einer kleinen Londoner Bücherei herausgegebene Band empfiehlt den Verantwortlichen nicht nur, möglichst viel einschlägige Literatur für die genannte Klientel zu beschaffen, sondern umgekehrt auch, „genderkritische“ und „transphobe“ Literatur von „TERFs“ nur zurückhaltend einzukaufen. Man möge sie im Bestand etwas verstecken, damit sie keinen Anstoß erregt. Für Toby Young, den Gründer der Free Speech Union, zeigt sich mal wieder, dass die Hexenjäger des 21. Jahrhunderts „Umhängebänder in Regenbogenfarben“ tragen.
Es ist ein Kult
In diese Kategorie passt der sogenannte Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne). Im Mai hatte er sich auf Twitter dafür ausgesprochen, dass eine Broschüre „der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien vorgelegt wird“. Indiziert werden soll der Wegweiser aus dem Transgenderkult, ein Elternratgeber der feministischen Initiative „Lasst Frauen Sprechen!“. Sie haben richtig gelesen: Nicht den Transgenderkult selbst, sondern Kritik hält man für jugendgefährdend. Den Autorinnen Stefanie Bode und Rona Duwe zufolge wurde der Indizierungsantrag von der Kommission für Jugendmedienschutz eingeleitet, der Marc Jan Eumann vorsitzt, ein früherer SPD-Landespolitiker in NRW. Gegen Koautorin Bode, eine Psychotherapeutin, läuft in dieser Sache außerdem „ein berufsrechtliches Ermittlungsverfahren durch die Psychotherapeutenkammer Baden-Württemberg“, wie die beiden Frauen berichten. Für ihre juristische Vertretung hatten sie eine Gofundme-Schenkungskampagne ins Leben gerufen, die allerdings von Gofundme vorzeitig beendet wurde, da solche unwoken Anliegen dort offenbar verboten sind. Man kann allerdings an einen gemeinnützigen Verein zweckgebunden spenden, wenn man die Autorinnen bei diesen Auseinandersetzungen unterstützen möchte.
Vorsicht, Satire!
Der Twitter-Account „Außenministerin Annalena Baerbock (PARODIE)“ war Anfang der Woche zeitweise gesperrt. Zuvor hatte sich das Auswärtige Amt an Twitter gewandt, mit der Bitte, etwas gegen die „Verwechslungsgefahr“ zu unternehmen. Mit dem Klammerzusatz am Ende entspricht der Satire-Account zwar den Regeln der Social-Media-Plattform; im Ministerium der Grünen-Politikerin war man aber in Sorge, dass viele Nutzer ihn übersehen könnten, weil der Name auf Mobilgeräten nicht in voller Länge angezeigt wird. Manche Tweets seien „auf den ersten Blick nicht ganz eindeutig als Parodie erkennbar“ – wohl weil die Realität auch im Falle Baerbocks die Satire durchaus überbieten kann. Inzwischen trägt der Account keinen blauen Verifizierungshaken mehr.
Fortgang im Fall Warweg
Ein Tweet, „mit dem sich der Kläger über Frau Baerbock lustig macht“, spielte auch eine Rolle bei Florian Warwegs Klage gegen die Bundespressekonferenz (BPK). Dass der Verein dem Journalisten die Mitgliedschaft verweigert, war letzten Monat bei uns Thema. Und dass er wie in einem solchen Tweet „Regierungsmitglieder verächtlich“ mache, war nach BPK-Argumentation einer der Gründe, weshalb man ihn nicht in den erlauchten hofjournalistischen Kreis aufnehmen will. Das berichten die Nachdenkseiten, für die sich Warweg als eine Art Hauptstadtkorrespondent betätigt. Nun entschied das Gericht, dass die Voraussetzungen für die Vereinsmitgliedschaft erfüllt sind, und „dass der Verein den Journalisten den ‚alternativen Medien‘ zuordne und ihm vorwerfe, er habe eine längere Zeit für den staatlichen russischen Auslandssender RT (ehemals Russia Today) gearbeitet“, stehe dem nicht entgegen, zitiert die Berliner Zeitung aus dem Urteil.
Die BPK müsse Warweg zwar dennoch nicht aufnehmen, ihn aber mitgliedsähnlich behandeln, ihm also Zugang zu Veranstaltungen wie den regelmäßigen Pressekonferenzen mit den Bundesregierungs- und -ministeriumssprechern gewähren. Ob die BPK in Berufung geht, wird sich zeigen.
Handschutz
Ein verweigerter Handschlag war schon bei den French Open Thema – damals wies eine Tennisspielerin aus der Ukraine ihre weißrussische Konkurrentin ab. Vor einer Woche gewann eine ukrainische Fechterin, Olha Charlan, bei einem WM-Wettkampf gegen die Russin Anna Smirnowa und wurde anschließend disqualifiziert, weil sie der unterlegenen Athletin nicht die Hand gegeben hatte. Die deutsche Fechterin Léa Krüger fand, „dass man hier die Regeln nicht nur am Wortlaut auslegen darf“ und „die ukrainischen Athleten in diesen Situationen schützen“ müsse. Auf Druck hin hob der Weltfechtverband kurz danach die Disqualifikation auf – und kassierte die Handschlagregel gleich ganz. IOC-Präsident Thomas Bach sagte Charlan sogar einen Olympia-Startplatz zu, unabhängig von ihrer Qualifikation für die Spiele.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
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