Wo man Menschen und Veranstaltungen cancelt, cancelt man auch Bücher. Das bekommt die Achgut-Edition als Verlag zu spüren: Nach der Leipziger Buchmesse wurden unsere Publikationen nun auch bei der Frankfurter Buchmesse gecancelt.
Wo man Menschen und Veranstaltungen cancelt, cancelt man auch Bücher. Das bekommt die Achgut-Edition als Verlag zu spüren: Der Spiegel-Bestseller Das Staatsverbrechen (hier bestellbar) aus der Feder von Gunter Frank wurde bereits von Buchhandelsketten ausgelistet und von der Leipziger Buchmesse ausgeschlossen. Für die Frankfurter Buchmesse im Oktober gilt nun das gleiche: Bei der Livro-Gemeinschaftsausstellung für Verlage, die nicht mit einem eigenen Stand präsent sind, muss „Das Staatsverbrechen“ ausgeschlossen werden. Gleiches gilt für den ebenfalls angemeldeten Band Land ohne Mut (hier bestellbar) von Philosophieprofessor und Leopoldina-Mitglied Michael Esfeld. Der veranstaltende Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels (MVB) hat der Achgut-Edition jüngst abgesagt. Wenn ausgewiesene Wissenschaftler mit ihren Büchern gecancelt werden, dann ist für das Publikum offensichtlich, dass bei denjenigen, die canceln, etwas nicht stimmt.
Der MVB, der zum Börsenverein des Deutschen Buchhandels gehört, verweist dabei auf seine Teilnahmebedingungen. Um strafbare, verbotene oder wegen Jugendgefährdung indizierte Titel handelt es sich bei den papiernen Produkten der Achgut-Edition zwar (noch) nicht, es kann aber die „Präsentation dem Veranstalter aus anderen Gründen nicht zumutbar“ sein. Konkret wegen „drohender Geschäftseinbußen“, die man befürchtet. Denn in der Vergangenheit habe ein Achgut-Buch bei Besuchern, insbesondere aber anderen (Klein)Verlagen, „starke Ablehnung“ hervorgerufen. Das war vor ein paar Jahren so bei Henryk M. Broders „Wer, wenn nicht ich“. Im gleichen Regal oder auch nur im gleichen Ausstellungskatalog wie Broder zu stehen, verletzt bei einigen offenbar die Grenzen der Zumutbarkeit.
Dieses Werk sei „vergleichbar“ mit den beiden jetzigen Büchern, argumentiert der MVB. Beim Vergleich fällt auf: unterschiedliche Autoren, unterschiedliche Themen, unterschiedliche Titel. Aber wer weiß, ob die missgünstigen Konkurrenzverlage nicht sowieso in Henryk M. Broder den großen Strippenzieher hinter allen Achgut-Veröffentlichungen sehen. Achgut-Herausgeber Fabian Nicolay fragt sich, „wie denn ein Buch […] aussehen muss, welchen Titel es tragen darf und welche politische Ausrichtung es haben muss, damit es den Kriterien des MVB entspricht“. Hilfreich wäre neben dem Verzicht auf kritische Inhalte wohl, wenn es nicht in der Achgut-Edition erschiene. Mutmaßlich würde man selbst „Die besten Kochrezepte aus der Achgut-Redaktion“ ablehnen, wenn es sie denn als Printpublikation gäbe. „Wir machen Bücher sichtbar“, wirbt der MVB vollmundig. „Es geht hier offenbar darum, uns als Verlag aus dem Sichtfeld zu verbannen“, hält Nicolay dem entgegen. Bei dem Frankfurter Unternehmer besteht der „Verlagsservice“ anscheinend darin, Verlage abzuservieren.
Entfernte Kunst
„Primavera“ heißt eine Skulptur des schleswig-holsteinischen Künstlers Fritz During (1910–1993), die jetzt in Flensburg Aufsehen erregt. Das Kunstwerk, das einen Frauenkörper zeigt, stand sechseinhalb Jahrzehnte unbeanstandet in einem Foyer der dortigen Europa-Universität. Wie erst kürzlich bekannt wurde, verschwand es bereits im März – auf Geheiß des Präsidiums. Dieses Leitungsorgan war darin einem Ansinnen des Gleichstellungs- und Diversitätsausschusses des Senats gefolgt. Denn einige Studentinnen und weibliche Angehörige des Lehrpersonals hätten sich beim Anblick der Skulptur „unwohl“ gefühlt, so die Gleichstellungsbeauftragte von Deutschlands nördlichster Uni, Martina Spirgatis. Das Kunstwerk transportiere ein „überholtes Bild der Weiblichkeit und legt nahe, Weiblichkeit auf Fruchtbarkeit und Gebärfähigkeit zu reduzieren“. „Warum steht dort keine denkende Frau?“, fragt Uni-Pressesprecherin Kathrin Fischer ergänzend.
„Für Leute, die Weiblichkeit in ihrem ideologischen Wirrwarr nichtmal [sic!] mehr definieren können, ist eine solche Darstellung ein Sakrileg“, schreibt Max Roland bei Apollo News. „Jede fundamentalistische Ideologie, die allumfassend wirken will, hasst die freie Kunst, weil sie ausdrückt, was nicht mehr ausgedrückt werden darf.“ Den Platz der „Primavera“ nimmt inzwischen ein Fragezeichen in Regenbogenfarben ein, der Punkt ist in feministischem Lila koloriert. Es stammt aus dem 3D-Drucker.
Im Sinne der Kunstfreiheit und weil die Uni einen Verfahrensfehler begangen hat, indem kein Senatsbeschluss eingeholt wurde, fordert eine Online-Petition nun die Rückkehr der Skulptur, bis eine ordnungsgemäße Entscheidung fällt. Die Petition stammt vom AStA-Vizevorsitzenden Janko Koch (Liberale Hochschulgruppe / FDP), inzwischen hat sich der ganze AStA-Vorstand ihr angeschlossen. Angesichts der Rolle vieler ASten als Treiber der Cancel Culture nicht unbeachtlich. Koch zufolge haben „viele Studentinnen […] entsetzt auf die Entfernung der Primavera reagiert“. AStA-Vorsitzende Alina Jacobs fragt sich nun, ob ihr „Becken zu gebärfreudig“ für das Foyer sei. Und Birgit Schmid überlegt in der NZZ, wie lange eine Universität noch Alma Mater genannt werden darf – nährende Mutter. Aufgrund des öffentlichen Aufruhrs will die Uni Flensburg nun das Kunstwerk doch wieder öffentlich aufstellen und eine Diskussion darüber anregen.
Nobelpreisträger zu unbequem
John Clauser, letztjähriger Physik-Nobelpreisträger, hätte am Dienstag ein Online-Seminar beim Internationalen Währungsfonds (IWF) halten sollen. Daraus wurde jedoch nichts. Thematisch sollte es nämlich um Klimamodelle gehen, und Clauser bestreitet, dass es eine „Klimakrise“ gibt. Der US-Forscher engagiert sich in der CO2 Coalition, die sich für eine positivere Bewertung von Kohlendioxid einsetzt. Ein paar Tage vor dem Zoom-Termin wurde Clausers Seminar dann vom IWF abgesetzt. „In Zeiten, in denen den Bürgern weltweit Tausende Milliarden an Steuergeldern abverlangt werden, damit es in ferner Zukunft draußen nicht wärmer wird“, so ein Twitter-Kommentar, „will man kritischen Stimmen natürlich kein Gehör geben.“
„Delegitimierung“ durch Widerstand
Dass Prof. Michael Meyen wegen seiner kurzzeitigen Mitherausgeberschaft beim Demokratischen Widerstand (DW) Ärger bekommt hat, war bei uns schon Thema. Jetzt hat die bayerische Landesanwaltschaft ein Disziplinarverfahren gegen den an der LMU München lehrenden Medienwissenschaftler eingeleitet. Zu Näherem will sich die dem Landesinnenministerium unterstehende Behörde nicht äußern; es wird aber vermutet, dass Meyens Tätigkeit für den DW dabei eine zentrale Rolle spielt. Denn inzwischen gilt die Gruppe, die diese Wochenzeitung herausgibt, aus Sicht des Berliner Landesgeheimdienstes offiziell als „maßgeblicher Akteur des Spektrums der ‚verfassungsschutzrelevanten Staatsdelegitimierung‘ in Berlin“. Meyen, beim DW nach wie vor als Redakteur geführt, war nur an zwei Ausgaben als Herausgeber beteiligt. Am Ende eines Disziplinarverfahrens können Sanktionen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis stehen.
Werbeverbot
Simon Goddek, seit Jahren immer mal Gast in dieser Kolumne, hat es wieder erwischt. Diesmal hat der Biotechnologie-Unternehmer zwar keinen Job oder Social-Media-Account verloren, wohl aber Werbemöglichkeiten bei Google Ads. Goddek, Kritiker der Corona-Politik und verschiedener Mainstream-Narrative vertreibt inzwischen Vitamin-D-Nahrungsergänzungsmittel. Google Ads habe ihm das Konto für Werbung gekündigt, wie er berichtet, weil er „medizinische Fehlinformationen“ verbreite.
Fortgang im Falle Baab
Dass die Uni Kiel (CAU) vor Gericht gegen Patrik Baab gescheitert war, habe ich Ihnen bereits berichtet. Die Hochschule hatte dem Journalisten, der eine eher putinfreundliche Haltung einnimmt, seinen Lehrauftrag entzogen. Rechtswidrig, wie ein Verwaltungsgericht urteilte, denn seine Berichterstattung auch aus russisch besetzten Gebieten der Ukraine ist von der Pressefreiheit geschützt. Die Entscheidung der ersten Instanz wurde nun rechtskräftig, da die Uni keine Rechtsmittel eingelegt hat. Als „Absage an die Anbiederung“ – die Anbiederung einer Hochschule an den politischen Zeitgeist – begrüßt dies Roberto De Lapuente im Overton Magazin.
Hitlervergleich
David Volodzko hat seine Stelle als Redakteur der Seattle Times kurz nach Antritt verloren. Seine erste Kolumne, die sich mit einer Lenin-Statue in der US-Großstadt befasste, war an sich nicht der Grund dafür. Dann verstieg er sich allerdings auf Twitter zu der Behauptung, Lenin sei in gewisser Weise „böser“ als Hitler gewesen, da der russische Diktator mehr Menschen hätte umbringen wollen. Nachdem er sich bei Versuchen, diesen Vergleich zu erläutern, weiter verrannt hatte, löschte er die betreffenden Tweets und entschuldigte sich. Sein Arbeitgeber kündigte ihm jedoch. Da half es auch nicht, dass Volodzko, Jude mit ukrainischen Wurzeln, sich als „demokratischer Sozialist“ sowie als bisexuelles „Mitglied der LGBT-Community“ versteht, dessen Großvater ein „Nazikiller“ gewesen sei und dessen peruanische Frau als Trainerin für Diversität, Gleichstellung und Inklusion (DEI) arbeitet. Die Seattle Times bittet um Vergebung „für jeglichen Schmerz“, die die Tweets ihres Ex-Mitarbeiters verursacht haben.
Books are burning
Wir haben heute mit einer Buchmesse begonnen, was läge da näher, als die Folge mit Bücherverbrennungen zu beschließen? Entzündete Korane in Schweden und Dänemark haben zu gewalttätigen Ausschreitungen im Irak geführt – mit dem Ziel, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in tausenden Kilometer entfernten Ländern zu beschneiden. Schon nach dem ersten Vorfall, Ende Juni in Schweden, schäumten Regierungsvertreter aus arabischen Ländern, dem Iran und Türkei, Schweden müsse gegen derartige, legale Blasphemie etwas unternehmen. Erst wurde die schwedische Botschaft in Bagdad gestürmt. Wenig später, nachdem ein dänischer Aktivist ein Buch – mutmaßlich den Koran – in Brand gesetzt hatte und auf einer irakischen Flagge herumgetrampelt war, kam es zu einem Angriff auf das Büro einer dänischen Flüchtlingshilfsorganisation (!) im südirakischen Basra.
Im Sinne der Regierungen zahlreicher islamischer Länder fasste der UN-Menschenrechtsrat diesen Monat einen Beschluss, der die Staaten auffordert, Aktionen wie solchen öffentlichen Koranverbrennungen zu verbieten und strafrechtlich zu verfolgen. Die Entscheidung wurde gegen die Stimmen der USA und der europäischen Staaten in diesem Gremium – mit Ausnahme der Ukraine – getroffen. Diese Länder verwiesen dabei auf Grundrechte. Das Abstimmungsergebnis im Detail finden Sie hier; Sie erfahren bei dieser Gelegenheit zugleich, welche Länder in diesem Rat sitzen und daher berufen sind, in Menschenrechtsfragen zu urteilen…
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Webseite auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.