Thomas Maul, Gastautor / 06.05.2024 / 11:00 / Foto: David Shankbone / 8 / Seite ausdrucken

Zur Aufhebung des New Yorker Weinstein-Urteils 

Die Aufhebung des New Yorker Urteils gegen Harvey Weinstein sieht zwar nach einer Rückkehr zu rechtsstaatlichen Prinzipien aus, muss es aber nicht sein. Dennoch verändert das Abebben von #MeToo die Atmosphäre – auch in den Gerichten.

Ende April wurde die Verurteilung Harvey Weinsteins zu 23 Jahren Haft wegen Sexualverbrechen (2020, New York) vom Berufungsgericht wegen Verfahrensfehlern gekippt. Anfang Mai verständigten sich die Parteien darauf, den Prozess voraussichtlich im September erneut zu führen.

Die deutschen Medien gaben sich unisono mit folgendem Textbaustein überrascht: „Völlig überraschend hat ein Gericht in New York die historische Verurteilung des ehemaligen Filmmoguls Harvey Weinstein wegen Sexualverbrechen aufgehoben. Die Juristen am Berufungsgericht der US-Ostküstenmetropole widerriefen damit einen der aufsehenerregendsten Rechtssprüche der vergangenen Jahre.“ (Stern.de, 25.04.24)

Grund sei vor allem ein schwerwiegender Verfahrensfehler des damaligen Richters James Burke gewesen, nämlich die Zulassung von prior-bad-acts-Zeuginnen: „Wir kommen zu dem Schluss, dass das erstinstanzliche Gericht fälschlicherweise Zeugenaussagen über nicht angeklagte, mutmaßliche frühere sexuelle Handlungen gegen andere Personen als die Kläger der zugrunde liegenden Straftaten zugelassen hat“, heißt es in der Entscheidung (zit. n. ebd.).

In der Sache, juristisch, ist die Aufhebung des Weinstein-Urteils samt Begründung einerseits alles andere als eine Überraschung, zumal für Achgut-Leser. In einem meiner dort publizierten Artikel zum Fall Weinstein (hier, hierhier und hier) schrieb ich am 11. Februar 2020:

„Im Sommer 2019 dann ist der Staatsanwaltschaft endlich ein – nur vermeintlicher, weil geradezu zweischneidiger – Coup geglückt, mit dem sie nämlich zugleich noch einmal zur Schau stellte, wie wenig Vertrauen in die Überzeugungskraft ihrer eigenen Zeuginnen sie selbst hegt: Richter Burke segnete eine erneute Nachjustierung der Anklage bzw. der geplanten Prozessführung ab, die für die Verteidigung derart gravierend war, dass der schon mehrmals verschobene und für September geplante Prozessbeginn nur wenige Wochen davor wieder verschoben werden musste: auf Anfang Januar 2020. 

Durch die richterliche Zulassung sogenannter prior-bad-acts-Zeuginnen (die außerhalb der eigentlichen Anklage stehen […]) wurde die Verfahrensanlage in dem Sinne zum Nachteil des Angeklagten verkompliziert, als die Geschworenen das Verhältnis von Haupt- und prior-bad-acts-Zeuginnen womöglich nicht richtig gewichten. […]  

Die Anklagevertretung mag darauf hoffen, mit vermeintlich glaubwürdigeren Aussagen zu nicht-verhandelten „früheren schlechten Taten“ die defizitären Momente der Berichte über die zu verhandelnden, angeklagten Taten wettzumachen. Formal-juristisch ist dies eigentlich unzulässig. Dem Angeklagten ist das konkret zur Last Gelegte nachzuweisen, und das kann nicht darüber geschehen, dass er (an und für sich unbewiesen) früher schon mal Ähnliches oder Gleiches getan haben soll. So haben Berufungsgerichte auch schon Verurteilungen kassiert, wenn sie zu dem Schluss gelangt sind, dass den prior-bad-acts-Zeugen im betreffenden Verfahren zu viel Gewicht beigemessen wurde.“

Die #MeToo-Zeit ist augenscheinlich vorbei 

Andererseits ist es schon überraschend und auch ein wenig zufällig, dass sich der Rechtsstaat in der Causa Weinstein anscheinend wieder zurückmeldet. Natürlich könnte man meinen, dass Evidenz und Rationalität sich schlicht wieder Geltung verschaffen, sobald die medial befeuerte Massen-Hysterie (nichts anderes war die #MeToo-Bewegung), die eine irrationale Verurteilung Weinsteins überhaupt erst möglich machte, wieder abebbt.

Und dass die #MeToo-Zeit augenscheinlich vorbei ist, zeigt sich ja darin, dass die „überraschende“ Aufhebung eines „historischen Urteils“ nicht mehr zum medialen und politischen Dauerthema reicht, eher achselzuckend zur Kenntnis genommen wird, weil es wieder wichtigere Themen gibt. Und doch fiel die Entscheidung des Berufungsgerichts mit 4 zu 3 Stimmen denkbar knapp aus, hätte daher durchaus auch – trotz des für Weinstein günstigeren Umstands, etwas aus dem medialen Fokus gerückt zu sein) anders enden können.

Sollte der neu aufzurollende Prozess jedenfalls nun ohne Verfahrensfehler und einigermaßen fair – in einem anderen gesellschaftlichen Klima – vonstatten gehen, hätte Weinstein aufgrund der schwachen Zeuginnen der Anklage gute Chancen auf einen Freispruch. 

In Hinblick auf seine Verurteilung in Kalifornien, wo er 2023 mit weiteren 16 Jahren Haft für Sexualverbrechen betraft wurde, ist dies insofern bitter, als der Angeklagte dort von vornherein als bereits verurteilter Sexualverbrecher wahrgenommen wurde, während dieser Prozess sicher anders verlaufen oder unter Umständen gar nicht zustande gekommen wäre, hätte New York gleich mit einem Freispruch geendet.

Auch in Kalifornien meinte die Anklage übrigens, nicht ohne prior-bad-acts-Zeuginnen auskommen zu können, die vom damaligen Gericht ebenfalls zugelassen wurden. Der hier bald anstehenden Entscheidung des Berufungsgerichts sieht die Anklage jedoch trotz der New Yorker Entwicklung einigermaßen gelassen entgegen, weil das kalifornische Gesetz gegen den Einsatz von prior-bad-acts-Zeugen prinzipiell nicht so restriktiv sei wie das New Yorker (vgl. New York Times, 28.04.24).

 

Lesen Sie auch:

https://www.achgut.com/artikel/ein_kritischer_kommentar_zum_weinstein_urteil

https://www.achgut.com/artikel/weinstein_vor_gericht_analyse-zur_halbzeit

https://www.achgut.com/artikel/weinstein_ein_monster_am_pranger

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Leserpost

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Klaus Dieter / 06.05.2024

@Gudrun Meyer Das mit den weißen Männern stimmt so nicht. Bill Cosby ist auch wegen Mißbrauch verurteilt worden und saß ein. Sein Urteil wurde, siehe oben, auch kassiert.

Michael Hinz / 06.05.2024

@Gudrun Meyer - #“Me too” war nie als Verteidigung sexuell verletzter Frauen gedacht, sondern arbeitete strikt die intersektionell-linke Speisekarte ab..# Danke Gudrun für die gute und klare Analyse!

Michael Hufnagel / 06.05.2024

Gudrun Meyer - chapeau!

Gudrun Meyer / 06.05.2024

“Me too” war nie als Verteidigung sexuell verletzter Frauen gedacht, sondern arbeitete strikt die intersektionell-linke Speisekarte ab: Weiße Männer besitzen eine ausschließliche Täter-Identität, weiße Frauen können Opfer weißer Männer, aber sonst niemandes Opfer sein. Als ein dt. Richter 2023 einen überführten und geständigen, afghanischen Vergewaltiger auf Bewährung freisetzte, weil der Täter ja so gut in Deutschland angekommen und das Opfer als weiße Kartoffel eine mehrfache, identitäre Täterin war, störten sich vermutlich “Rächzfeministinnen” daran, nicht aber woke “junge Feministinnen”. Schließlich sprach nur ein Opferpunkt für das tatsächliche Opfer, aber der Täter konnte als Muslim, “Geflüchteter”, Krimineller und “Opfer des strukturellen Rassismus” weit mehr Opferpunkte geltend machen.  Muslime und/oder PoC sind so eindeutig identitäre Opfer, dass es dort kaum Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Opferquotienten gibt. Sofern sie die irre Ideologie kritisieren und den vor-woken, westlichen Werten zustimmen, sind sie irgendwie weiß und natürlich rächz, Macht 2 gewichtige Täterpunkte.  Transsexuelle, Queere und “Non-Binäre” sind ziemlich unabhängig von ihren Geschlechtschromosomen und Hautfarben mit einem enormen Opferquotienten ausgestattet. Nicht-queere, weiße Schwule stehen jedoch an Täterschaft den weißen, heterosexuellen Männern nahe. In der intersektionell-linken-Welt ist völlig irrelevant, was Weinstein getan hat, was nicht und was eigentlich nachweisbar ist oder nicht. Relevant ist dort folgende Rechnung: Harvey Weinstein ist weiß und ein Mann, also ein Täter. Als Jude hat er einerseits einen Opferpunkt, aber andererseits ein Dutzend Täterpunkte. Und wenn “mee too” den Bach runtergeht, heißt das leider nicht, dass eine sachliche Verhandlung von Vergewaltigungsfällen aufkäme oder gar die intersektionell-linke Ideologie als Ganzes erledigt wäre. Mit “mee too” fällt nur eine einzige von vielen Stützen eines modischen Wahnsystems.

Paul Franklin / 06.05.2024

Noch ein paar Jahre, und man wird die Asche seiner auf dem Scheiterhaufen verbrannten Gebeine ausgraben und in St. Patricks zur letzten Ruhe legen, unmittelbar vor oder nach der Heiligsprechung. Als Wunder dürfte der Umstand gelten, dass keine der von ihm (mutmaßlich) vergewaltigten Frauen schwanger geworden ist. Als Schutzpatron aller Machtmissbräuchlich*innen wird seine Ikone zum Erbitten der befleckten Empfängnisverhütung im Schrein der Traumfabrik stehen. Bis es soweit ist, wird Kerkerhaft angeordnet.

Rolf Mainz / 06.05.2024

Zu “MeToo” dürfte alles gesagt sein. Aber: wenn ein erwiesenermassen Schuldiger - nicht nur in diesem Fall - aufgrund von Verfahrensfehlern seiner Bestrafung entgeht, ist dies skandalös und eine pure Verhöhnung jeden rechtstaatlichen Empfindens.

Wilfried Cremer / 06.05.2024

Ostküste. Stern. Alles klar.

Rainer Niersberger / 06.05.2024

Warten wir ab.  Im uebrigen, zugegebermassen ohne hinreichende Kenntnisse des US - Rechtes, fbd ich nicht nur das Verfahren selbst, sondern auch die rechtliche Bewertung der angeblichen Taten und das Strafmaß ” erstaunlich”. Schon die Terminologie ” Verbrechen”, eine Vergewaltigung lag weder vor, noch wurde sie ” irrtümlich” bestraft, ist angesichts der Taten im Belaestigungsbereich interessant. 23 Jahre fuer derartige Belästigungen lassen den Schluss zu, dass es hier um ein rein polit/ ideologisches Verfahren ging, in dem die bestimmende Meute befriedigt werden musste. Wir kennen es auch in Sch’land.  23 Jahre sind m. W. auch in den USA eher fuer Mord oder Totschlag (  hier wohl Mord 2. Grades) ueblich.  Eine “Rechtsordnung” , die fuer Straftaten gegen das Leben eine niedrigere Strafe als fuer sexuelle Belästigung vorsieht, ist bezogen auf die Rechtsgutordnung und der Bewertung der Rechtsgueter” interessant”.  Zufaellig laufen hier der Hegemon und der Vasall in die gleiche Richtung. Richtig ist, dass zudem nicht mehr die Tat, sondern der Taeter ( allein) entscheidet. Bestraft wurden hier nicht die Taten des Herrn W., sondern sein “So sein”, vermutlich auch seine “Erscheinung”. Fuer ” richtige” Juristen eine spannende Entwicklung, allgemein ein Grund allerhoechster “Beunruhigung” .

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