Es gehört zu den Regeln der Resozialisierung, dass ein Straftäter nicht ewig an seine Untat erinnert werden soll. Das gilt auch für Straftäterinnen, allerdings nicht, wenn die Vorstrafe etwas mit der aktuellen und zukünftigen Berufsausübung zu tun hat.
Christine Lagarde, damals Chefin des IWF, wurde Ende 2016 von einem Sondergericht schuldig gesprochen. Dieser typisch französische Gerichtshof ist nur für Fälle von amtierenden und ehemaligen Amtsträgern zuständig. Und tut sein Möglichstes, diese von Straffolgen fern zu halten. Im Fall Lagarde ging das aber nicht. Sie hatte als Finanz- und Wirtschaftsministerin dem Hasardeur und Pleitier Bernard Tapie per Schiedsgerichtsspruch eine Entschädigung von dringend benötigten 400 Millionen Euro zugehalten.
Honni soit qui mal y pense, sagt da der Franzose, ein Schelm, wer Böses denkt und die Nähe und Unterstützung Tapis des damaligen französischen Präsidenten Sarkozy damit in Verbindung bringt. 2015 wurde dieser Schiedsspruch aufgehoben und Tapie dazu verurteilt, das Geld zurückzuzahlen. Andere Betrugsverfahren laufen weiterhin gegen ihn.
Nun wäre ja selbst bei den lockeren Sitten im IWF eine vorbestrafte Präsidentin nicht haltbar gewesen. Also kam das Sondergericht zum salomonischen Urteil, Lagarde zwar schuldig zu sprechen, aber von einer Strafe abzusehen. Schon der Vorgänger Lagardes, der Franzose Dominique Strauss-Kahn, hatte einen eher unrühmlichen Abgang wegen einer Sexaffaire. Lagarde wankte damals, aber sie fiel nicht.
Aber beurteilen wir Lagarde wegen ihrer Taten, nicht wegen ihrer Untaten. Der Internationale Währungsfonds (IWF) ist dafür da, durch Kreditvergaben an Länder in finanzieller Not zu deren Stabilisierung beizutragen. Es handelt sich um eine bei der UNO in Washington angesiedelte Organisation, der in der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen wurde, durch drakonische Bedingungen Länder nicht nur weiter ins Elend zu stürzen, sondern auch den Wechsel zu diktatorischen Staatsformen zu befördern.
Unter Federführung Deutschlands angerichteter Schlamassel
Aber diese Störgeräusche begleiten den IWF seit Langem. Wie ist denn die Tätigkeit von Lagarde als IWF-Direktorin zu bewerten? Aus europäischer Sicht ist natürlich die Politik des IWF gegenüber Griechenland interessant. In diesem von der EU unter Federführung Deutschlands angerichteten Schlamassel, das zu einer Pauperisierung der griechischen Bevölkerung, einem Wirtschaftseinbruch ohne Beispiel, einer Jugendarbeitslosigkeit von fast 50 Prozent und einer niemals abzutragenden Staatsverschuldung geführt hat, spielte der IWF eine bedenkliche Rolle.
Bei diversen Rettungsaktionen, mit denen Griechenland weiter ins Elend geritten wurde, stellte Bundeskanzlerin Merkel eine Beteiligung des IWF zur Bedingung. Sie wollte damit dem sinnlosen Verrösten von Milliarden-Krediten mehr Legitimität verschaffen. Und Lagarde machte mit. Zur Erinnerung: Zunächst wurden dem längst bankrotten griechischen Staat Nothilfen von 110 Milliarden Euro zugehalten. Dann wurden 165 Milliarden draufgelegt und Privatgläubiger um über 100 Milliarden rasiert. Mit dem Ergebnis, dass es Griechenland schlechter denn je geht.
Im Nachhinein räumte der IWF selbst schwerwiegende Fehler, Versäumnisse und "bedeutende Misserfolge" ein. Um bei der vermeintlichen Griechenlandrettung dabei zu sein, hatte der IWF seine eigenen Regeln gebeugt, überschritten, pulverisiert. Auch hier gibt Lagarde das Bild einer Chefin ab, die sehr willig ist, politischem Druck nachzugeben. Diese Haltung begleitet sie offensichtlich durch ihre ganze Karriere.
Was erwartet Lagarde bei der EZB, der europäischen Notenbank? Nichts Gutes. Ihr Vorgänger, der ehemalige Goldman-Sachs-Banker Mario Draghi, hat zwar den Euro vor dem Zusammenbruch gerettet, mit seinem berühmten Ausspruch, er tue, "whatever it takes", um diese Fehlkonstruktion, dieses Fehlgeburt in einem künstlichen Koma als Scheintoten am Leben zu erhalten. Dafür hat die EZB fast den ganzen Markt an werthaltigen Anleihen in Euro leergekauft, in einem unvorstellbaren Volumen von 2,7 Billionen Euro. Wie die Notenbank aus diesem Taschenspielertrick, das Geld wandert von der linken in die rechte Hosentasche, je wieder herauskommen will, ist völlig schleierhaft.
Die Aufhebung der Schwerkraft in der Finanzwelt
Zudem hat Draghi in seiner gesamten Amtszeit den Leitzins, also die Vorgabe für das allgemeine Zinsniveau, niemals erhöht. Er liegt bei null Prozent, was faktisch einem Negativzins gleichkommt. Die Eurozone befindet sich also in der absurden Situation, dass der Gläubiger dem Schuldner etwas dafür bezahlt, dass er ihm Geld leihen darf. Das ist die Aufhebung der Schwerkraft in der Finanzwelt.
Das selbstgesteckte Inflationsziel von rund 2 Prozent hat die EZB ebenfalls nicht erreicht. Am schlimmsten ist: Im Gegensatz zu den USA laufen seit der Finanzkrise von 2008 noch jede Menge Zombie-Banken in Europa herum, die ebenfalls klinisch tot sind und nur durch eine absurde Bewertung von faulen Schuldpapieren am Leben gehalten werden. Bei einer nächsten Finanzkrise, und die kommt wie das Amen in der Kirche, steht die EZB aber ohne Munition da.
Während Griechenland zwar ein unseliges Gemurkse war, aber wirtschaftlich als Zwerg keine bedeutende Rolle in der EU spielt, sieht das bei Italien schon anders aus. Und bei Spanien. Und bei Frankreich. Sollte einer dieser Staaten beschliessen, aus der Währungsgemeinschaft auszutreten, dann kracht’s. Denn diese Staaten sind durch ihre Wirtschaftsleistung too big to fail. Das nützt Italien bereits weidlich aus, indem es sich ungeniert weiter verschuldet und auf alle Ratschläge und drohenden Gebärden aus Brüssel pfeift. Mit dem soweit richtigen Ansatz: Mit Griechenland konntet ihr Schlitten fahren. Mit uns nicht.
Und schliesslich gibt es im Interbanking der immer noch existierenden nationalen Notenbanken die sogenannten Target 2-Salden. Professor Hans Werner Sinn wies auf sie und die in ihnen steckende Sprengkraft lange Jahre hin und wurde von den sogenannten Finanzwissenschaftlern verlacht. Bis dann knirschend eingeräumt wurde, dass er Recht hat und dass da tatsächlich ein gewaltiges Problem schlummert. Kurz gefasst ist auch hier Deutschland der Zahlvater mit einem Saldo von rund einer Billion Euro. So viel schulden andere Notenbanken der deutschen. Italien ist Schlusslicht mit einer halben Billion im Negativen, dicht gefolgt von Spanien.
Sollte ein Land aus dem EU austreten, ist es vertraglich verpflichtet, diese Schulden glattzustellen, zu bezahlen. Selten so gelacht. Mit anderen Worten: Auf die neue Chefin der EZB warten gigantische Probleme. Die – wenn überhaupt – nur gelöst werden könnten, wenn die EZB wie es sich gehört völlig unabhängig von Politik und Regierungen agiert. Leider zeigt der Lebenslauf Lagardes, dass sie eigentlich immer genau das Gegenteil tat. Sie stellte sich willfährig in den Dienst der Politik oder der Regierung. Genau aus diesem Grund wurde sie ausgesucht. Genau aus diesem Grund ist das eine ganz schlechte Nachricht. Für die EZB, für den Euro, für Deutschland. Aber was soll’s, ist ja nicht die einzige schlechte Nachricht.