Thilo Schneider / 25.01.2021 / 14:00 / Foto: Timo Raab / 34 / Seite ausdrucken

Todsichere Anlagen

Als Selbstständiger im Finanzdienstleistungsbereich bin ich es gewohnt, Anrufe von mir unbekannten Menschen und Organisationen zu erhalten, die mich als Kunde oder Vertriebsmitarbeiter gewinnen wollen. Neben seriösen Anrufen von Versicherungen und Banken tummeln sich auf dem deutschen Markt allerdings auch viele – nennen wir sie freundlich – „originelle Geschäftsideen“.

Ich hätte da schon einige „lukrative Kapitalanlagen“ verticken können, würde sich mein Intelligenzquotient auf der linken Seite der Gausschen Normalverteilung befinden und würde ich mir die Bedienungsanleitung für Schuhe mit Klettverschluss durchlesen. Sehr gelacht habe ich über eine „Filmbeteiligung mit 12 Prozent Rendite“ an der Produktion eines russischen Zeichentrickfilms, ich hätte meinen Kunden aber auch schon unerschlossene Bohrlöcher von entschlossenen Arschlöchern in Alaska oder Rübenfelder in der Nähe von Toronto/Kanada anbieten können („Dochdoch, Toronto wächst in diese Richtung und sobald die Rübenäcker Bauland werden, da geht der Preis für die Rüben aber nach oben, aber hallo, das sach isch Ihnen! Da sind 200 Prozent Rendite aber die Untergrenze!“).

Wieder andere suchten vor allem ihr eigenes Heil im Ankauf von gebrauchten Lebensversicherungen, in der Hoffnung, der Verkäufer stirbt vor Ablauf der Versicherung, hier wurde das versicherungstechnische Grundprinzip der „Wette auf das Überleben“ auf das Individuum heruntergebrochen. Ich glaube, eine Direktinvestition in die Camorra oder die Bordellszene wäre hier moralischer gewesen.

„Dann wären Sie doch dabei, was, Herrschneider?“

Selbstverständlich lege ich bei derart unwiderstehlich dämlichen und amoralischen Angeboten lachend auf, ich will schließlich weder meine Kunden noch mich in den Ruin treiben. Selbst wenn ich damit an „fantastischen Renditemöglichkeiten“ vorbeigeschrammt bin, so ist doch mein Leben nicht bedroht, und keiner meiner Familienangehörigen wird auf der Straße bespuckt. Zu 100 Prozent blieben die „fantastischen Renditemöglichkeiten“ nämlich genau das: fantastisch.

Ich biete nur Produkte an, die ich entweder wenigstens rudimentär verstehe oder selbst im Portfolio habe. „I like the story“ gibt es nicht, und selbst wenn die Idee wirklich hübsch auf Hochglanzpapier präsentiert wird – wenn mein nicht billiger Bauch „nein“ sagt, dann bleibt es dabei. Bisher bin ich damit ganz gut gefahren und habe daher auch nicht gesessen. 

Der Anruf gestern allerdings hat alles Bisherige getoppt.

„Herrschneider“, sagte die nette Dame am Telefon, „Herrschneider, Sie wollen doch auch das Beste für Ihre Kunden, gell?“ Ja, klar will ich das. Happy client, happy clerk! „Das ist ganz prima, Herrschneider, deswegen rufe ich Sie an!“ Aha. „Herrschneider, wie Sie wissen, haben wir ja derzeit Corona!“ Ja, weiß ich. Habe ich am Rande mitbekommen. „Prima, Herrschneider, wissen Sie auch, wie Sie und Ihre Kunden daran profitieren können?“

Ja. Ich könnte in Pharmaunternehmen oder in einen Pizzabringdienst investieren. „Hihi, nein, fast, Herrschneider, aber gesetzt den Fall, wir hätten eine Anlage, die Ihren Kunden garantiert 9 Prozent Rendite PRO MONAT bringt, dann wären Sie doch dabei, was, Herrschneider?“

„Wissen Sie, was eine Beerdigung kostet?“

Ich hasse es, wenn mich Verkaufsdunseln im Danebenberuf in jedem Satz mit meinem Nachnamen ansprechen und Suggestivfragen stellen, aber es ist Jahresbeginn und ich habe gut gefrühstückt, deswegen sage ich brav einmal „ja“. „Prima, Herrschneider, jetzt fragen Sie sich sicher, worum es sich handelt, nicht wahr, Herrschneider?“ Ja. Frage ich mich. Vor allem, wie lange ich mir den Scheiß noch anhören will. „Ja, das frage ich mich“, antworte ich wie ferngesteuert.

„Das ginge mir an Ihrer Stelle auch so, Herrschneider“, bestärkt mich meine Telefonbelästigerin und dribbelt sich um eine konkrete Aussage herum. „Herrschneider, wir von FinanceSolutionWorldEcology haben für diese Zeiten ein Produkt entwickelt, das nicht nur jeder braucht, sondern jeder sich auch leisten kann UND will!“, rückt meine Anruferin heraus, „und Sie und Ihre Kunden können davon profitieren!“ Cool. „Jetzt sind Sie sicher schon ganz neugierig, worum es sich handelt, nicht wahr Herrschneider?“ HERRGOTT, JA!

„Herrschneider, wissen Sie, was eine Beerdigung kostet?“ Ja, so um die 2.500 bis Einfamilienhaus, je nachdem, ob es sich um die Beerdigung einer alleinstehenden autochthonen Katzenbesitzerin oder um ein allseits beliebtes und geachtetes Familienoberhaupt eines kriminellen Libanesenclans mit Polizeischutz handelt. „Genau, Herrschneider, und hier setzen wir an. Wie Sie ja mitbekommen haben, sterben die Menschen an Corona wie die Fliegen im Spätherbst und wir von FinanceSolutionWorldEcology bieten nicht nur fantastisch günstige und ökologisch abbaubare Earth-Container aus Hartpappe an, nein, wir haben auch entsprechende Grundstücke erworben, in denen Ihre Kunden sozusagen endgelagert werden können. Wir rechnen mit einer hohen Übersterblichkeit für 2020 und 2021, nicht nur wegen Corona, sondern auch wegen der Begleiterscheinungen des Lockdowns wie erhöhten Suizidraten aufgrund finanziellen oder persönlichen Ruins, und somit sind den Renditen der Überlebenden keine Grenzen gesetzt. Na, Herrschneider, was sagen Sie dazu? Ist das nicht ein Win-Win-Geschäft für alle Beteiligten?“

Und weiter, hastig, „sicher fragen Sie sich jetzt, wann es losgeht und was es dabei zu verdienen gibt!“ Und da kracht es aus mir heraus. „Nein, das weiß ich alles schon. Ich glaube, jetzt geht es los und Sie und Ihre Totengräberfirma haben sich meine tiefste Verachtung verdient. Habe die Ehre!“, brülle ich in den Hörer und lege auf. Man kann es mit dem Kapitalismus auch übertreiben. Was kommt als Nächstes? Soylent Green?

(Weitere kapitalistische Einblicke des Autors unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist soeben in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Foto: Timo Raab

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Peter Groepper / 25.01.2021

Bei unerwünschter Telefonwerbung sage ich immer “oh, gut dass sie mich anrufen, das Produkt interessiert mich! Bitte, haben sie einen Augenblick, ich muss eben noch kurz einige Handgriffe erledigen, dann bin ich sofort wieder da”. “Ja gerne” höre ich die andere Seite sagen. Nach 1 bis 2 Minuten, gehe ich nochmal ran “legen sie bitte nicht auf, ich bin gleich sofort da”. Danach lege ich das Telefon zur Seite. Natürlich nicht aufgelegt. Manche halte recht lange durch, vor allem, wenn ich sie doch noch mit einem atemlosen “sind sie noch… einen ganz kleinen Moment noch bitte” wieder kurz anwärme.——Wer am nächsten Tag noch mal anruft, bekommt eine ganz zerknirschte Entschuldigung und ein “bitte, kleinen Augenblick eben, dauert wirklich nur eine Sekunde”. Meine liebe Frau findet mich gemein. Ich finde unerwünschte Werbung gemein.

Frances Johnson / 25.01.2021

Und bitte schön, der Vergleich ist keineswegs aus der Luft gegriffen, denn ein Bürgerkrieg war es nicht. Die Schwarzen haben ihn nicht begonnen. Die Scharzen waren zufrieden oder unzufrieden, je nachdem, wie die Framer sie behandelten. Und man muss glauben, dass es Frauen gab wie “Mammie”, die sich behaupteten und gut behandelt wurden, jedenfalls kann man nicht sagen, dass ihr Schicksal in den Städten besser wurde. Den Krieg begannen wie üblich die Eliten, und der Norden schmückte sich mit der “Befreiung” von Sklaven. Das hätte man anders regeln können. Ging es ihnen besser in Chicago oder New York? Es war ein Krieg von oben, den man auf die “Bürger” schob. Was wollten sie im Norden? Jede Wette: Die Oberherrschaft über Baumwolle, den Golf von Mexico und Arbeitskräfte, eingekleidet in ein Ideologiegerüst. Und jetzt bin ich gespannt, ob das in den USA ein revival erlebt. Diesmal wollen sie das Land und die Oberherrschaft über die Diktion. Und einen Haufen desolate Wähler, denen sie vor der Wahl ein i-phone schenken. Oder ein Abo für die NYT oder WaPo. Und instrumentalisieren die lost cases unter den Schwarzen und nun auch Latinos wie gehabt.

Frances Johnson / 25.01.2021

@ Jürgen Düker: Ich hoffe auch, dass es erfunden ist. Aber dass Menschheit, ein Teil, Geschäfte macht auch in Notlagen, ist das Animalische in ihr, der Platzhirsch. Man denke an den Kriegsgewinnler. Der berühmteste davon ist der fiktive Rhett Butler, nicht unsympathisch. Scarlett will aber das Weichei Ashley Wilkes, obwohl Rhett ihr sagt, dass sie aus seinem Holz geschnitzt ist, korrupt bis ins Mark. Schließlich nimmt sie sogar ihrer Schwester den Mann weg und heiratet Rhett später nur, um nicht zu verarmen. Wenn Rhett Not hat, geht er zur seiner Freundin Belle, Puffmutter, Don Alfonso würde korrekt Chefin der Sexarbeiterinnen sagen. Und das passt zu Rhett. Wenn die Geschichte nur über die Gutmenschen Ashley und Melanie wäre, würde man gähnen. Deswegen lesen wir die Phantasie von Thilo Schneider. Und Clark Gable wurde berühmter mit dem Film als Leslie Howard. Rhett, der Geld machte mit dem Bürgerkrieg, gehört zum Menschen wie Butter auf’s Brot. Was wäre das Brot ohne Butter? Scarlett, die wahre Hure, während Belle nur Geld verdient, ist das Salz auf der Klamotte. Am besten fand ich sie im Film, als sie in Tara einfach die Vorhänge abnimmt und sich ein Prachtkleid nähen lässt, um Rhett zu beeindrucken. Er sieht’s aber an ihren Händen. Und Melanie, die Seele, fand ich immer am besten, als sie die Treppe herunterkommt und sieht, dass Scarlett den Plünderer erdolcht hat und anerkennend sagt: Du hast ihn ermordet, das hast du gut gemacht. Dann schaffen sie ihn zusammen ohne Sarg und Investitionen für Särge in ein Erdloch. Und das hat Selznick gut gemacht. Und wir müssen aufpassen, dass unsere Werte nicht plötzlich sind: Gone with the Wind. Wir müssen Scarletts und Rhetts werden, aber mit der Seele von Melanie und Ashley.

Dr, Mephisto von Rehmstack / 25.01.2021

@Marco Stein: und die Deutsche Bank hatte dann den Knüller drauf, daß sich die Rendite leider so nicht darstellen ließe, da sich die Sterbetafeln so verändert hätten, aber sie würden zurückkaufen gegen einen “geringen” Abschlag, man könne aber auch klagen: ab da habe ich mit der Deutschen Bank (und anderen) nichts mehr zu tun gehabt, vorausgegangen waren “seriöse Anrufe (von Versicherungen und Banken)”

Karl Eduard / 25.01.2021

Man kann am Telefon auch höflich bleiben. Auch, wenn einen das nicht interessiert. Das unterscheidet nämlich das arrogante A-Loch von dem, was gezwungen war, um seines Lebensunterhaltes bei Ihnen anzurufen. Wie ich solche Typen verachte, die ihren Frust an den armen Schweinen am anderen Ende der Leitung abladen und sich dann noch toll vorkommen. Jämmerlich, erbärmlich, widerlich. Ein kurzes, nein Danke, ich bin nicht interessiert, hätte bereits gereicht. Dann wären die Fronten klar gewesen. Solche Leute schreien auch die Supermarkt Kassiererin an, warum das Klopapier alle ist. Die hat damit gar nichts zu tun.

Rudi Hoffmann / 25.01.2021

Meine Antwort aus diesbezügliche Angebote ; Nein Danke, ich habe Geld und immobiles Erpressungspotenzial genug und betreibe mein eingetragenes Geschäft nur als Hobby ! Das wirkt !

Heribert Glumener / 25.01.2021

Herrn Andreas Rühl: Sie schrieben u.a.: „Ein pharmalastiger Fonds ist und wird für die nächsten hundert Jahre eine geniale Anlagemöglichkeit sein“. Mag sein. Aber letztlich ist auch die Pharmaindustrie vor dem geradezu totalitären Interventionismus dieser Bekloppten in Brüssel, Berlin und andernorts nicht sicher (gilt zumindest für die Reste der noch nicht verramschten Pharmaindustrie in Deutschland). Denn das Wirtschaftsverständnis der Bekloppten lautet ja wie folgt: Geld macht man. So viel nötig ist. Am besten ganz doll viel. Es kommt dann auf dem Konto an. Da ist es sicher. Und am besten macht der Staat ganz doll viel in der Wirtschaft. Der Staat kann das doll, weil er ja auch doll Geld machen kann (das war jetzt kurzgefasst die Modern Monetary Theory in Worten von Olaf Scholz, Peter Altmaier und Helge Braun). Einige meinen, mit Gold lasse sich etwas retten. Kann aber auch in die Hose gehen, siehe Goldverbot ausgerechnet in den USA 1933 bis 1971. Und Bitcoin? Tja, ist vielleicht eher eine Art Lotterie (allerdings mit netter Gewinnwahrscheinlichkeit).

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