Neulich, nach dem Besuch einer Tankstelle, ging es meinem Renno gar nicht gut, der gute alte Diesel war kurz vorm Exitus. Hier erzähle ich, warum. Und es ist sehr peinlich.
Ich werde mich heute outen. Und es fällt mir, ehrlich gesagt, sehr schwer. Aber manchmal muss es einfach raus, auch weil ich anderen Betroffenen Mut machen will, es ebenfalls zuzugeben. Falls es sie geben sollte, da draußen. Wobei ich glaube, dass selbst Typen, die sich als Babys verkleiden, um Windeln tragen zu können, deutlich in der Mehrzahl sind. Aber der Reihe nach:
Ich hatte am Dienstag letzte Woche ein Seminar, ca. 80 Kilometer einfache Strecke. Wie üblich fuhr ich vor Antritt eines solchen Unterfangens noch einmal kurz „auffe Tanke“, für Kraftstoff, zwei Päckchen Zigarillos und eines von diesen lustigen Getränken eines österreichischen Multimillionärs, der unsere Welt leider viel zu rechtzeitig verlassen hat. Auf der Fahrt zur Tankstelle ging mir ein irrsinnig guter Artikel durch den Kopf, in dem wirklich alles drin stand. Sozusagen ein Surrogat des Wahnsinns um mich herum. Das Teil wäre mindestens für den deutschen Relotiuspreis nominiert worden, dochdoch. Don Alphonso von der Welt hätte mir Kränze geflochten. Wallah, isch schwör.
Ich tankte also brav den Franzosen, holte die Zigarillos und jenes gute Getränk und fuhr los. In etwa Höhe Autobahntankstelle Weißkirchen bekam der Renno so etwas wie Schluckauf und ruckelte gelegentlich beim Gasgeben. Als hätte er kurz Schnappatmung. Ich schob das auf die Fahrbahn, alldieweil die ja gelegentlich so Bodenwellen haben, besonders im Sommer. Allerdings war es gerade Anfang Februar, und da ist der Asphalt normalerweise noch nicht so von überschweren LKW zusammengeschoben. Aber vielleicht war das ja jetzt noch aus dem letzten Sommer, ich weiß es ja nicht. Auch am Zielort atmete der Renno gelegentlich durch, ich kannte dieses Verhalten von ihm nicht, obwohl er ja mit 100.000 Kilometern durchaus schon ein gesetzter Herr von fünf Jahren ist und wir beide uns sehr vertraut sind.
Hustet der mit Super-Bleifrei vor sich hin?
Auf der Rückfahrt bekam ich langsam, aber sicher das Gefühl, tatsächlich mit einer Kutsche zu fahren, so ruckelte und zuckelte es. Es dämmerte mir die Erkenntnis, dass es jetzt nicht mehr der Asphalt sein konnte, der da meinem Franzosen das Leben schwer machte, und ich ging in Gedanken durch, woran das liegen könnte. Meine Gedanken waren dabei recht schlicht, da meine Kenntnisse von Verbrennermotoren nicht über die eindeutige Identifikation eines Verbrennermotors, wenn ich einen sehe, hinausgehen.
Und da fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren: Könnte es sein, dass ich, also, wäre es theoretisch möglich und völlig unausgeschlossen, dass mein guter Diesel hier soeben mit gutem Super-Bleifrei vor sich hin hustete?
Es war kurz vor 18 Uhr, die Werkstatt meines Vertrauens weit entfernt und ich war auf dem Nachhauseweg. Eine gute Gelegenheit, meine These zu validieren – ich fuhr an die Tankstelle, an der ich mich morgens mit Reiseproviant eingedeckt hatte. Ich fand die Tankstelle, ich fand die Zapfsäule und ich fand den Zapfhahn. „Premium fuel save ultimate galatic mega stuff“ stand auf dem Kringel auf dem Zapfhahn. Und über dem Zapfhahn stand „Super bleifrei“.
Macht dann 500 Euro für die Dummheit
Schönschön. Ich will es nicht entschuldigen, ich will und kann keinem Anderen die Schuld geben: Wenn hier einer für die Falschbetankung des Diesels verantwortlich ist, dann bin ich das. Ich tanke seit 40 Jahren. Immer richtig. Ich habe immer die richtige Kraftstoffart in den richtigen Tank gefüllt. Das muss man ja auch mal sehen. Außerdem ist bei der Tankstelle der gleichen Marke, bei der ich normalerweise tanke, der Dieselzapfhahn immer rechts außen. Immer. Jedes Mal. Aber nicht bei meiner heutigen Ausnahmetankstelle. Da ist der Diesel links. Habe ich nicht gesehen, habe ich nicht genutzt, ich nehme den Zapfhahn ganz rechts. Prinzipiell. Aus Gewohnheit. Ich bin ein Gewohnheitstier. Ich finde bei kompletter Dunkelheit meinen Autoschlüssel, die Zigarillos und die Brille und das Handy. Weil die immer – und ich meine damit immer – an der gleichen Stelle liegen. Selbst wenn ich blind wäre – den Autoschlüssel UND das Auto fände ich! Das habe ich so bei der Bundeswehr gelernt. Damals. Als noch Kalter Krieg war. Diesel ist rechts. Man macht keine Diesel-Zapfhähne auf die linke Seite, wenn sie sonst rechts sind. Finde ich. So etwas tut man nicht. Aber das entschuldigt hier gar nichts!
Sicher, ich habe mich noch gewundert, dass der Liter 1,85 Euro kostet und deswegen aus Trotz nur 20 Liter eingefüllt, und wir haben ja auch solche Dieselspritpreise schon gesehen, wir leben im Habeck-Land, da ist alles ein bisschen teurer, was verbrannt wird. Inklusive unseres Wohlstands. Und ich nahm einfach an, dass ich mal wieder Edel-Diesel getankt hatte. Wenigstens war jetzt das zickige Verhalten des Franzosen erklärt.
Kurzer Blick auf Google: „Wenn Sie versehentlich Benzin statt Diesel getankt haben, lassen Sie das Fahrzeug um Himmels Willen bei allen Heiligen stehen, denn Sie vernichten beim Anlassen stante pede den Motor, der, eh, explodiert und geht dann kaputt und die Trümmer und ach und Sie legen die halbe Vorstadt in Schutt und Asche und bekommen Krebs.“ Dafür, fand ich, hatte sich der Renno bemerkenswert gut geschlagen, vielleicht, weil ja noch ein Viertel-Tank guter Diesel unter dem Mega-super-duper-Raketenbrennstoff drin war.
To cut a long story short: Ich habe den Diesel abschleppen und gut durchspülen lassen und er läuft flott und rund und sogar besser als vorher. 500 fröhliche Euros hat mich das gekostet. Aber darum geht’s auch nicht. Das ist nur Geld, und das geschieht mir ja auch recht, und eine neue Einspritzpumpe und ein neuer Motor wären ganz sicher teurer gewesen, und da will ich mich nicht beschweren. Dummheit kostet nun mal, das ist eben so und ich bin ein bisschen wohlhabend, das vergeht also!
Der Versager an der Zapfsäule
Was nicht vergeht, ist das, was das mit meiner Psyche gemacht hat: Ich habe mich komplett in mich zurückgezogen. Ich musste die Schmach verarbeiten, einer „von denen“ zu sein. Ein Falschtanker. Es gibt für einen überzeugten Verbrennermotoranhänger und Liberalen keine größere Schande, als Super in einen Diesel gekippt zu haben. Ich hätte hinschauen müssen. Das wäre mein verdammter Job gewesen. Habe ich nicht gemacht. Epic fail. Ich verdiene ein Elektroautochen. Ich bin nicht in der Lage, einen Tank mit dem korrekten Energieträger zu füllen. Das ist die Schande, mit der ich die nächsten mindestens 20 Jahre leben muss. Ich habe falsch getankt. Und jetzt darf mich jeder mit Fug und Recht einen Falschtanker nennen. Dafür gibt es weder Trost, noch ein Gegenmittel noch eine Therapie.
Ich habe recherchiert: Es gibt nicht einmal im sonst so durchtraumatisierten Berlin einen „Kreis-der-anonymen-Dieselmotoren-mit-Benzin-Betanker“. Es ist einfacher, mit heruntergelassener Hose und baumelndem Schweif einem Abschleppunternehmer zu erklären, dass das Auto nicht fährt, als den Satz „Ich habe das Auto falsch betankt“ über die Lippen zu bringen. Ich muss das in Eigentherapie klären und mein Trauma bewältigen. Denn jeder, dem ich das erzähle – und das sind bisher bemerkenswert wenig Menschen –, schaut mich dann mit dem Blick an, mit dem man einen behinderten Hundewelpen adoptiert und sagt so Sätze wie „Das kann jedem mal passieren, aber außer dir kenne ich keinen, dem es wirklich passiert ist.“
Ich bin der Falschtanker. Die Geisel der Automobilisten. Der Versager an der Zapfsäule. Der impotente Kraftstoffzuführer. Der alte Mann und das Super-Bleifrei. Die inkompetenteste Person, die ich kenne. Mir war wichtig, dass Sie das wissen. Jeder 80-Jährige tankt besser als ich. Das richtige Betanken eines Kraftfahrzeugs schaffen sogar Leute ohne Schulabschluss oder wenigstens ohne kleines Latinum. Ich nicht. Ich bin unfähig.
Gibt es Elektroautos auf Krankenschein, wenn man nachweist, dass man ein Tank-Trauma hat?
(Weitere verzapfte Artikel des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.