Tante Betty und die Schallwende

Tante Betty war eine ältere, alleinstehende Dame, die es sich in ihrer frisch renovierten Zweizimmerwohnung in einer deutschen Großstadt hübsch eingerichtet hatte. Ihre finanzielle Situation war gesichert, und sie führte ein sorgenfreies Leben. Sie hatte eine verheiratete Tochter, aber noch keine Enkel, dafür einen sehr lebhaften Jack Russell Terrier. Trotzdem hätte sie sich manchmal mehr Abwechslung gewünscht. Besuche und Einladungen von Freundinnen wurden in letzter Zeit seltener.

Ihre Wohnung lag im obersten Stockwerk des Gebäudes, das sie sich mit zwei Dutzend anderer Parteien teilte. Ein paarmal im Jahr gab es eine Versammlung der Bewohner, in der die üblichen Themen debattiert wurden. In letzter Zeit ging es oft um Lärm. Obwohl Altbau, war das Haus hellhörig; vermutlich lag es an dem weiträumigen, gekachelten Treppenhaus. Ein ums andere Mal versicherten sich die Bewohner gegenseitig, alles zu tun, um den Lärm zu mindern. Aber es half nichts. Im Treppenhaus installierte man jetzt ein Mikrofon, um den Schallpegel aufzuzeichnen – und der stieg langsam, aber sicher an. Von Monat zu Monat wurde die Phon-Zahl höher. Die guten Vorsätze der Bewohner waren Lippenbekenntnisse, und wenn Party war, dann ging es eben rund, insbesondere auch bei der jungen Multi-Kulti-Generation. Und bei so vielen Mietern im Haus gibt es immer irgendwo einen Grund zum Feiern.

Tante Betty aber nahm den Kampf gegen Lärm sehr ernst. Sie ging die Treppe nie in High Heels runter, sondern mit Pantoffeln, und wechselte die Schuhe vor Verlassen des Hauses. Auch in ihrer Wohnung sorgte sie für absolute Stille. Sie verabschiedete sich sogar schweren Herzens von einem Kanarienvogel, der ihr zugeflogen war und der manchmal zwitscherte. Das war zwar fröhlich, aber eben auch laut.

Die Nachbarin kaufte eine neue Kaffeemühle, extra für Betty

Bei den Mieterversammlungen wurden jeweils mit viel Jammern die neuesten Phon-Zahlen präsentiert, und sie lagen jedes Mal höher als zuvor. Keiner hielt sich an die vereinbarten Maßnahmen – außer Tante Betty. Um einen weiteren Beitrag zu leisten, installierte sie in ihrer Wohnung jetzt sogenannte Lärmsäulen. Das sind zylinderförmige, deckenhohe Gebilde aus Schaumstoff, so dick wie ein mittlerer Baumstamm, die jeglichen Schall absorbieren.

Sie entsorgte auch ihre elektrische, lautstarke Kaffeemühle, mit der morgens die Vorbereitungen für das Frühstück begannen, und bat ihre Nachbarin, den Kaffee für sie zu mahlen. Die war sehr hilfsbereit und tat das gerne, insbesondere weil Betty anbot, im Gegenzug ihren Müll runter zu tragen. Dass das Mahlen in der Nachbarwohnung auch Geräusche machte, daran dachte Betty nicht: Aus den Augen, aus dem Sinn. Die Nachbarin kaufte sogar eine neue Kaffeemühle, extra für Betty. 

Tochter und Schwiegersohn aber begannen sich Sorgen um Tante Bettys Zustand zu machen, insbesondere, weil sie immer einsamer lebte. Die alten Freundinnen lehnten Einladungen höflich, aber konsequent ab. Kein Wunder – insbesondere die wattierten Schallsäulen in der schönen Wohnung strahlten einen Hauch von Wahnsinn aus. Geduldig versuchte der Schwiegersohn ihr zu erklären, dass ihre Anstrengungen und Investitionen in die Schallwende – das war inzwischen ihre Bezeichnung für das Projekt – keinerlei Einfluss hätten. Von Monat zu Monat wurde es im Hause lauter, trotz ihrer Anstrengungen. Sie beharrte aber darauf, dass jeder Beitrag zähle, dass doch einer den Anfang machen müsse. 

Man erklärte ihr, dass ihr Beitrag eben nicht zählte, wenn jeden Monat in der Summe ein Vielfaches an Lärm dazukommt. Und auch, dass „den Anfang machen“ nichts bringt, wenn niemand ihr folgt. Er drängte sie, ihr Projekt Schallwende einzustellen und stattdessen unter die Leute zu gehen und das Leben zu genießen. Für Tante Betty waren diese Gespräche schmerzhaft; schließlich brach sie in Tränen aus und schluchzte: „Aber wenn ich mit meinem Projekt aufhöre, was bleibt mir dann noch? Ich habe doch sonst nichts!“

Tante Betty ist Deutschland

Liebe Leserin, Lieber Leser, für den Fall, dass Sie es noch nicht bemerkt haben: das Haus ist unser Planet Erde, der Schall ist das CO2 und Tante Betty ist Deutschland. Die Kaffeemühle, das sind die konventionellen Energiequellen, die man ins Ausland verlagert hat, ja, und die hässlichen Schallsäulen, die sind in Wirklichkeit ein paar hundert Meter hoch, haben drei Flügel und zerstören die Anmut unseres Lebensraums.

Wenn Sie jetzt einwenden, der Vergleich würde hinken, dann gebe ich Ihnen recht. Es ist nämlich keine Frage, dass Lärm der Gesundheit schadet; der Schaden durch CO2 aber ist durchaus umstritten. Insofern ist die Realität noch verrückter als die Geschichte von Tante Betty.

Fakt ist, dass ohne die deutsche Energiewende, ohne die zehntausenden von Windmühlen, ohne den teuersten Strom der Welt und ohne die angedrohte Einschränkung der Mobilität die Erde sich um kein Deut schneller oder langsamer erwärmen wird, falls sie das überhaupt tut.

Vielleicht sagen Sie jetzt, dass die meisten Deutschen diese Energiewende eigentlich gar nicht wollen; sie sei Resultat einer strategischen Allianz aus Politik, Goldgräbern und Medien, die uns systematisch in die Irre leiten. Ja, das mag schon sein, aber die könnten das nicht mit uns machen, wäre da nicht in der Seele der Bevölkerung der geheime Wunsch nach solch einer masochistischen Politik.

Was bleibt uns dann noch?

Aber wie kann so etwas kommen? Beim Ringen um die Aufarbeitung unserer Vergangenheit hat man gleich die ganze „Festplatte“ mit der Aufschrift „Deutsche Geschichte“ neu formatiert. Die Identität kraft unserer Herkunft, unsere Tradition ging dabei verloren. Letzte Relikte, die sich in die Gegenwart gerettet haben, sind heute entweder „Nazi“ oder tabu. Die Dichter und Denker sind ebenso „out“ wie technisch-wirtschaftliche Kompetenz. Schwarz-rot-gold ist peinlich, und der Name Deutschland ist das Unwort der 21. Jahrhunderts. 

Aber was bleibt uns dann noch? Und so wie Tante Betty für ihre Identität die Schallwende erfunden hat, so haben wir Deutsche uns mit der Sorge ums Klima eine neue Identität gegeben. Das ist eine neue „raison d’etre“, eine vermeintlich unbefleckte Daseinsberechtigung.

Zwar bringt die Energiewende für die Mehrheit deutliche Einbußen an Lebensqualität mit sich, und nur ganz Wenigen beschert sie monströse Gewinne an Macht und Geld. Das nehmen wir aber gerne in Kauf, denn das Ganze ist so etwas wie Sühne – es nützt zwar niemandem, aber fühlt sich irgendwie gut an.

Bei der Wahl im September nun wird die deutsche Bevölkerung demonstrieren, wie weit sie auf diesem destruktiven Pfad Richtung „Tipping Point“ noch gehen möchte. Wir wollen doch nicht so enden wie Tante Betty. Die wurde nämlich in eine Anstalt eingewiesen. Das kam so: Ihr kleiner Hund bellte eines Abends ganz laut, und das war ihr so peinlich, dass sie versuchte, ihm die Stimmbänder mit einer Nagelschere zu durchschneiden. Das ging schief und das arme Tier verblutete. Daraufhin fiel Betty in eine tiefe Ohnmacht und wurde erst am nächsten Morgen entdeckt, als die Nachbarin kam, um den Kaffee zum Mahlen abzuholen. Die Polizei wurde gerufen und die Dinge nahmen ihren Lauf. Die übrigen Hausbewohner aber, denen sie Vorbild sein wollte, nahmen von Bettys Schicksal keine Notiz.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Hans Hofmann-Reineckes Blog „Think Again“. Sein Bestseller „Grün und Dumm“ ist bei Amazon erhältlich.

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Leserpost

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Fridolin Kiesewetter / 31.05.2021

“Ein Volk, das seine Vergangenheit nicht ehrt, hat keine Zukunft.” (Goethe). Oder andersherum ausgedrückt: Wenn jemand will, daß ein Volk seine Vergangenheit nicht ehrt, dann will er, daß es keine Zukunft hat.

A. Ostrovsky / 31.05.2021

Ja, und nun? Das war ja nicht die erste Wende, die CO2-Wende. Herr Hoffman-Reinecke, ich siedele Sie irgendwo in Oberbayern an. Ich hoffe das passt. Gehen Sie doch mal in die Landwehrstarße, fahren Sie mal mit der U6 oder der S6, das ist egal. Oder stellen Sie sich doch mal eine halbe Stunde mitten auf die Kaufinger Straße (ich war lange nicht mehr dort, glaube aber, dass Corinna dem Treiben keine Grenzen setzt). Oder laufen Sie im Westpark einmal um den See. Ihre Theorie, dass Lärm krank macht, kann nicht stimmen. Die Lautesten sehen aus, wie das blühende Leben. Und dann kann man auch die Frage stellen, wieso man von der ehemaligen Jugend Ostdeutschlands (vor 30 Jahren waren die noch jung) nichts hört, obwohl die doch damals geschlossen nach München gekommen sind, das jedenfalls war mein Eindruck. Die Erklärung ist einfach: Damals hingen überall vor dem geistigen Auge die Schilder “Es ist verboten, ostdeutsch zu sprechen!” Dann später hatte die SPD die geniale Idee mit den Schildern “München ist bunt”, was ja nichts anderes hieß, als “Ossi halts Maul”. Es demonstrierte, was für Rassisten die Ossis sind, die doch für sich selbst Asyl beantragten, aber den Brüder*Innen im mittleren Osten die Menschlichkeit versagten. Das war schon eine Wende, die Wende zum National-Faschismus Ost, die uns leider gezwungen hat, Hilfe aus Arabien anzufordern. Am Ende müssen auch Sie bestätigen, dass der Ossi hier die Schuld hat und auch wenn Tante Betty “noch ned bei deneda gwesn” ist, muss ja ihre “unbeirrbare Zielstrebigkeit” irgendwo herkommen. Diese Unversöhnlichkeit, ist ja das Zeichen der Dunkeldeutschen. Und mit dem CO2 ist das nicht anders. Den Kartoffeln sagt man “Paris sehen und sterben”, meint dabei das Klima-Pampflet, aber dem Chines gibt man noch Entwicklungshilfe, damit er seine CO2-Emissionen bis 2030 noch schnell verdoppeln kann. Das ist auf anderer Ebene das Selbe. Doitsch nixgut!

Robert Krischik / 31.05.2021

Dumm gelaufen. Aber warum bellt auch der Hund? Da konnte man schließlich nicht mit rechnen. Ob die Jugend aufbegehren wird, wenn ihr der Wahnsinn der Alten zu bunt wird? Kann sein, aber es sieht leider nicht danach aus.

George Samsonis / 31.05.2021

Die Bäume machen es vor: Erst sind sie GRÜN und im Herbst zeigen sie ihr wahres Gesicht und werden sie BRAUN. Irgendwie kommt mir das bekannt vor. Die beiden Farben liegen in Dtl. sehr nahe beisammen.

Bernhard Freiling / 31.05.2021

Natürlich wollen “die Deutschen” das. Das und nix Anderes. In Philippsburg wurden die Kühltürme eines voll funktionsfähigen, wenn auch wg. Energiewende abgeschalteten, AKW gesprengt. Unter der Führung und Aufsicht der regierenden Grünen und deren Partner, der CDU. Erfolg? Beide Parteien wurden bei der Landtags-Wahl im März 21, die nach der Sprengung stattfand, bestätigt. Erzähle mir also keiner, “die Deutschen” wollten “das” nicht. ++ Verrückte wählen aus ihren Reihen die Anstaltsleitung der weltweit größten Freiluft-Irrenanstalt. Und das wird bei der Bundestagswahl hochwahrscheinlich nicht anders sein. In die Irrenanstalt muß keiner mehr reingesteckt werden - die sind alle schon dort - und fühlen sich da so wohl wie die Säue in ihrer Suhle.

Detlef Fiedler / 31.05.2021

Das musste ja schief gehen, werter Herr Hofmann-Reinecke. Eingebunden war zwar die Hausgemeinschaft, aber es fehlte deren Präsident. Frank Walter Steinmullah. Der hätte Tante Betty, nebst Hund, nämlich rausgerissen aus dem Schlamassel und die ganze Sache zum Erfolg geführt.

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