Kaum hatte CDU-Chef Merz die Cancel-Kultur mit klaren Worten verurteilt, sagte er seine Teilnahme an einem „Transatlantik-Forum“ ab, weil er nicht mit zwei Maulhelden jenes rechten Randes des demokratischen Spektrums an einem Tisch sitzen oder im selben Raum sein wollte. Dabei bestand diese Gefahr zu keiner Zeit. Außer in der Phantasie eines FAZ-Mitarbeiters.
Bild 1 Am 21. August 2008 erschien im Kulturteil der FAZ ein Beitrag von Patrick Bahners über eine schwäbische Hausfrau, die „sich immer wieder mit kritischen Meinungsäußerungen zur israelischen Politik und Staatsräson zu Wort“ meldet, unter anderem auch mit einem Leserbrief an die FAZ. Die Überschrift des Artikels lautete: „Was darf eine Jüdin in Deutschland gegen Israel sagen?“
Es war keine rhetorische Frage. Mit der ihm eigenen Weitschweifigkeit behandelte Bahners das Begehren eben jener „Jüdin in Deutschland“, die mir im Wege einer einstweiligen Verfügung die Behauptung untersagen lassen wollte, sie habe sich auf „antisemitische und antizionistische Aussagen“ spezialisiert. Bahners Artikel war auch eine Warnung an das mit diesem Fall befasste Gericht. „Ein Sieg Broders vor Gericht wäre daher nicht einfach als Sieg der Meinungsfreiheit einzustufen. Seine preisgekrönte publizistische Strategie der verbalen Aggression nutzt den Spielraum der Meinungsfreiheit, um ihn einzuschränken: Kritiker Israels sollen eingeschüchtert werden.“
Bahners machte sich das Anliegen der delirierenden Leserbriefschreiberin zu eigen. Er nutzte die Gelegenheit, um auch mit dem Zentralrat der Juden abzurechnen und einen Göttinger Sportwissenschaftler zu verteidigen, der mit seiner Mutmaßung, „die Opfer des Münchner Olympia-Attentats seien womöglich freiwillig in den Tod gegangen, um der Sache Israels zu dienen“, Anstoß erregt hatte. Eine abenteuerliche, im Kern antisemitische Spekulation, die Bahners mit einer noch abenteuerlicheren Überlegung zu übertreffen versuchte.
„Der Gedanke, dass Israel in sechs Jahrzehnten der Selbstverteidigung möglicherweise doch ein Ethos ausgebildet hat, in dem Töten und Sterben anders gewogen werden als in friedlicheren Weltgegenden, soll nicht ausgesprochen werden dürfen.“ Auf dem kurzen Weg von der deutschen Jüdin zum Göttinger Sportwissenschaftler muss Bahners mit einer Straßenwalze zusammengestoßen sein. Anders lässt sich ein solcher Aussetzer nicht erklären. (hier)
„Sieg für Broder“
Bild 2 Am 6. Januar 2009 legte Bahners nach. Die Sache war allerdings nicht so gelaufen, wie er es sich gewünscht hatte. Die Antwort auf die Frage, was eine Jüdin in Deutschland gegen Israel sagen darf, war auf drei Worte geschrumpft: „Sieg für Broder.“
Das Oberlandesgericht in Köln habe entschieden, „dass Henryk M. Broder weiter behaupten darf, Evelyn Hecht-Galinski gebe antisemitische Statements ab, wenn dies im sachlichen Zusammenhang mit der Diskussion über israelkritische Äußerungen erfolgt. Der 15. Zivilsenat hob mit seiner an diesem Dienstag verkündeten Entscheidung in zweiter Instanz ein anderslautendes Urteil des Landgerichts Köln auf …“ Bahners hatte natürlich auf eine Entscheidung zugunsten der Klägerin gehofft.
„Broder hatte auf der Internetseite ‚Die Achse des Guten‘ einen offenen Brief an die WDR-Intendantin Monika Piel veröffentlicht. Er kritisierte, dass Evelyn Hecht-Galinski, ‚eine hysterische, geltungsbedürftige Hausfrau‘, deren ‚Spezialität antisemitisch-antizionistische Statements‘ seien, in eine Radiosendung zum Thema ‚Reden über Israel‘ eingeladen worden war.“ (hier)
Bild 3 Kurz nach dem Bahners-Beitrag über die deutsche Jüdin und deren Israel-Problem fragte die FAZ bei mir an, ob ich eine Entgegnung auf Bahners schreiben möchte. Natürlich sagte ich Ja und machte mich ans Werk. Mein Text „Heiteres Antisemitenraten“ erschien am 29. August 2008 in der FAZ. Ich nutzte die Gelegenheit, ein paar grundsätzliche Sätze über die Wandelbarkeit des Antisemitismus im Laufe der Zeit zu sagen. Dabei achtete ich darauf, Bahners zu zerlegen, ohne ihm zu nahe zu kommen. (hier)
Chef des FAZ-Feuilletons und praktizierender „Donaldist“
Bild 4 Anfang 2011 erschien im Verlag C.H. Beck „eine Streitschrift“ von Patrick Bahners: „Die Panik-Macher – Die deutsche Angst vor dem Islam“. Der Verlag bewarb das Buch folgendermaßen:
„In Deutschland geht eine Panik um: Menschen mit islamischer Glaubenszugehörigkeit und Migrationshintergrund bringen das Land in Gefahr! Aber geben wirklich sie berechtigten Grund für diese Panik, oder ist nicht vor allem eine populistische Islamkritik dafür verantwortlich, dass sich die Stimmung im Land verändert? Sie argumentiert mit einem geschlossenen System von Vorurteilen, das die Verachtung ganzer gesellschaftlicher Gruppen salonfähig macht und Lösungen souffliert, die in Wahrheit praxisfern und menschenrechtswidrig sind. Diese Panikmache ist das Thema der brillanten Streitschrift von Patrick Bahners.“
Der Verlag nannte die Panik-Macher, die dafür verantwortlich sind, dass sich die Stimmung im Land verändert, beim Namen: „Ayaan Hirsi Ali, Necla Kelek, Alice Schwarzer, Henryk M. Broder, Thilo Sarrazin, Ralph Giordano gehören zu den lautesten Beschwörern einer angeblichen Bedrohung, die von den in Deutschland lebenden Muslimen ausgeht.“ Bahners zeigt, „wie sich unter dem Deckmantel der Geistesfreiheit in Wahrheit zunehmend eine Kultur der Intoleranz ausbreitet“, sein Buch „ist der dringend fällige Einspruch dagegen, dass in Deutschland fremdenfeindliche Stimmungsmache beim Thema Islam die Oberhand gewinnt“.
Unser Kollege Alan Posener machte sich auf den Weg nach Frankfurt, um den Autor und Feuilletonchef der FAZ in seinem Büro zu besuchen. Etwas irritiert berichtete er in der WELT am 22. Februar 2011: „Bahners sitzt hinter einem zu großen Schreibtisch in einem zu großen Büro, das – obwohl er seit gut einem Jahrzehnt Feuilletonchef ist – außer einem Schreibutensilienhalter in Gestalt Donald Ducks kaum verrät, wer hier arbeitet.“ So erfahren wir beiläufig, dass Bahners nicht nur der Chef des FAZ-Feuilletons ist, sondern auch ein praktizierender „Donaldist“, Mitglied der „Deutschen Organisation nicht kommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus“ (D.O.N.A.L.D.), ein Erwachsener, der seinem Hobby mit dem Ernst eines Kindes nachgeht, das davon träumt, sich eines Tages in eine Comic-Figur zu verwandeln.
Wie schnell Bewunderung in Feindseligkeit umschlagen kann
Es sei „typisch für Patrick Bahners“, schreibt Posener, „dass er sich von dem Anwurf der Unverständlichkeit betroffen fühlt“. Bahners gesteht: „Ich ärgere mich manchmal selbst darüber, dass ich nicht so einschlägig formulieren kann wie etwa Henryk Broder.“ Broders Buch „Hurra, wir kapitulieren!“ sei „ein journalistisches Meisterwerk und ein Lesevergnügen“. Broder „nimmt ein prägnantes Beispiel und leitet alles daraus ab. Die anderen Beispiele hebt er sich für Diskussionen auf. Ich hingegen hangele mich von Zitat zu Zitat“. (hier)
Ja, mei, was soll ich dazu sagen? Man kann sich seine Fans nicht aussuchen. Ich kann nichts dafür, dass es in Bahners brodelt wie in einem Vulkan kurz vor seinem Ausbruch. Jeder Mensch weiß, wie schmerzlich unerwiderte Liebe sein und wie schnell Bewunderung in Feindseligkeit umschlagen kann. Mir sind solche Anwandlungen fremd. Ich bewundere nur Autoren, die schon tot sind: Kraus, Polgar, Agatha Christie, Tucholsky, Hüsch, Hafner, Gross, Droste.
Bild 5 Am 5. August 2022 veröffentlichte Bahners, inzwischen vom Feuilletonchef der FAZ zum Kulturkorrespondenten in Köln befördert, einen Beitrag über „Merz und die Cancel-Kultur“: „Bei wem Friedrich Merz in Berlin auftreten wollte.“ Es ging um ein für Ende August von der CDU-nahen Agentur „The Republic“ geplantes „Transatlantisches Forum“ im Haus der Landesvertretung von Baden-Württemberg mit u.a. dem CDU-Chef Merz, dem konservativen US-Senator Lindsey Graham, Joachim Steinhöfel und mir.
Kein weltbewegendes Event, vielmehr eine der vielen Polit-Partys, die täglich in Berlin stattfinden, ohne Spuren zu hinterlassen. Das wäre auch dieses Mal so gewesen, wenn Merz seine Teilnahme nicht abgesagt hätte. Die Entscheidung muss dermaßen übereilt getroffen worden sein, dass Merz und die Vertretung des Landes BW keine Zeit hatten, sich auf eine gemeinsame Erklärung zu verständigen. Und so fiel die delikate Aufgabe Patrick Bahners vor die Füße. Er überlegte kurz, wie Donald Duck die Causa angegangen wäre, und gab anschließend zu Protokoll, es gebe eben „Meinungsmacher, mit denen Politiker lieber doch nicht auf demselben Podium oder auch nur im selben Raum gesehen werden wollen“. Deshalb habe Merz die „Transatlantik-Brücke“ abgebrochen, „Bei näherem Studium der Teilnehmerliste fiel in seinem Büro auf, dass auch Henryk M. Broder und Joachim Steinhöfel als Redner vorgesehen waren, zwei Maulhelden jenes rechten Randes des demokratischen Spektrums, mit dessen parteipolitischer Vertretung, der AfD, CDU und CSU in keiner Form zusammenarbeiten möchten.“
Zwei Nestbeschmutzer und ein porentief sauberer CDU-Mann im selben Raum!
An einem „Forum“ teilzunehmen, auf dem Ansichten ausgetauscht werden, ist auch bei näherem Hinsehen keine Form der Zusammenarbeit. Zumal Merz weder mit Steinhöfel noch mit mir an einem Tisch sitzen und diskutieren sollte, sondern mit dem US-Senator Lindsey Graham. Es bestand allenfalls die Gefahr, dass wir uns in der Lobby oder auf der Herrentoilette begegnen könnten; auch das hätte bereits ein kontaminativer Vorgang sein können, nicht im strengen medizinischen, aber doch im Sinne mentaler Hygiene. Bahners formulierte das so: Man müsse doch wissen, „dass Steinhöfel sich seit der sogenannten Flüchtlingskrise auch publizistisch im Sinne der rechten Fundamentalkritik der Regierung Merkel engagierte, auch in Broders ‚Achse des Guten‘, und dass es daher ein seltsames Bild gewesen wäre, wenn das komplette deutsche Team eines transatlantischen Dialogs aus Broder, Merz und Steinhöfel bestanden hätte“.
Ja, das wäre in der Tat „ein seltsames Bild“ gewesen und hygienetechnisch völlig inakzeptabel. Zwei Nestbeschmutzer und ein porentief sauberer CDU-Mann im selben Raum! So blieb nur eine Option, nämlich das Ganze abzusagen. Wobei Merz betonte, er würde Lindsey Graham gerne treffen, zu einem anderen Zeitpunkt, in einer anderen Umgebung.
Kaum hatte er den Gedanken ausgesprochen, war schon die Antwort aus Washington da. Lindsey Graham ließ Merz wissen, er sei an einem Treffen mit dem CDU-Chef nicht mehr interessiert. So kann es einem ergehen, der sich von Patrick Bahners belehren lässt, er sei „scheinbar“ bereit gewesen, „genau mit den Rechten reden zu wollen, die sich als Opfer linken Gesinnungsterrors in Szene setzen“.
Ich dagegen würde mich nie mit jemandem an einen Tisch setzen, der „anscheinend“ meint und „scheinbar“ sagt. Das geht schon gar nicht, nicht einmal, wenn es der Kölner Kulturkorrespondent der FAZ ist. (hier)
PS Da wir gerade so gemütlich beieinander sitzen und mit einem Gläschen Klosterfrau Melissengeist auf das Wohl von Patrick Bahners anstoßen, will ich Ihnen einen Text nicht vorenthalten, der am 21. Februar 2011 in der WELT erschienen ist: Vor dem Islam Angst zu haben ist eine Tugend.