Thomas Rietzschel / 08.05.2022 / 13:00 / 37 / Seite ausdrucken

Olaf Scholz und ein besonderes Gedenken

Darüber, dass Olaf Scholz kein begnadeter Redner ist, muss man kein Wort verlieren. Welcher deutsche Bundeskanzler wäre das je gewesen. Mit dem Deutschen haben sie sich allesamt schwergetan, wenn auch nicht so schwer wie Angela Merkel, die ihrer Muttersprache nur eingeschränkt mächtig war. Schwamm drüber. Allein die Inhalte seiner flapsig hochmütigen Aussagen kann man dem Kanzler nicht so ohne weiteres durchgehen lassen. Was er in der ZDF-Sendung „Was nun Herr Scholz?“ abließ, war eine Unverschämtheit, die auch aus dem Abstand einiger Tage nichts von ihrer Virulenz verloren hat.

Nachdem Scholz gute 20 Minuten des Gesprächszeit mit Peter Frey und Bettina Schausten damit verbracht hatte, sich selbst für seine politische Weisheit zu loben, verstieg sich der Kanzler zu der Feststellung, der Krieg in der Ukraine sei kein „Kindergarten“. Gerichtet war die dummdreiste Belehrung an die Regierung in Kiew. Zynismus mag da noch das Harmloseste sein, was einem zu dieser rhetorischen Flegelei einfällt. 

Gut möglich, dass sich der Kanzler im Ton vergriff, weil er mit dem Rücken zur Wand steht; er sagte der Ukraine militärisch wirksame Hilfe im Kampf gegen den russischen Aggressor erst zu, nachdem er vom Parlament und dem verbündeten Ausland dazu gedrängt wurde. Einem überfallenen Land, in dem täglich ganze Städte in Schutt und Asche gelegt werden, in dem die Invasoren morden, plündern und foltern, wie es ihnen in den Sinn kommt, einem solchen Land zu unterstellen, es habe den Ernst der Lage nicht begriffen, verrät nicht bloß mangelnde Empathie und Hochmut - es ist schlichtweg menschenverachtend. Redet er so, um sich das Elend nicht selbst ansehen zu müssen, dem Besuch in Kiew auszuweichen, keine Verpflichtungen einzugehen, die dem Genossen Putin in Moskau missfallen könnten? Bei der Ablehnung eines Besuchs in Kiew berief sich Scholz ausdrücklich auf die „Vorgeschichte“ einer solchen Visite. Erst wenn Wolodymyr  Selenskyj sich für die Ausladung des deutschen Bundespräsidenten entschuldigt habe und ihn selbst einlade, könne auch der Bundeskanzler sich auf den Weg nach Kiew machen.

Alles hat eine Vorgeschichte

Dass auch die Ausladung von Frank-Walter Steinmeier die Folge einer Vorgeschichte war, kam dem Kanzler nicht in den Sinn. Eine Folge der sozialdemokratischen Kumpanei mit den russischen Kommunisten. Zwar hatte der Revolutionär Kurt Eisner, ein Mann vom linken Flügel der SPD, noch vor dem Ersten Weltkrieg gewarnt: „Russland ist für den Westen die Kriegsgefahr“, auch wurden die Sozialdemokraten von den Bolschewiki in der Zwischenkriegszeit als „der gemäßigte Flügel des Faschismus“ diffamiert; das hinderte Willy Brandt später nicht, den Einflüsterungen von Egon Bahr zu folgen und die „neue Ostpolitik“ unter dem Motto „Wandel durch Annäherung“ auf die Tagesordnung zu setzen. Eine wenig verwunderliche Entwicklung, bedenkt man die ideologische Verwandtschaft zwischen der SPD und den russischen Kommunisten. Beide Parteien gründen auf der Lehre von Karl Marx, auf einer Ideologie, die darauf abzielt, die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft durch ein sozialistisches Gemeinwesen mit Staatswirtschaft zu ersetzen. 

Diese DNA der SPD blieb bis heute unverändert. Weder die marktwirtschaftliche Mimikry des Godesberger Programms von 1959 noch die Mitgliedschaft von Persönlichkeiten wie dem Hamburger Edelmann Klaus von Dohnanyi als bürgerliche Galionsfigur hat daran etwas geändert. Und als Gerhard Schröder begann, sich immer weiter an Moskau anzunähern, war es sein Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier, der die Fäden zog. Später legte er sich als „Vermittler“ dafür ins Zeug, Viktor Janukowytsch, Putins Statthalter in Kiew, ein sicheren Abgang zu ermöglichen. 

Dessen Ausladung jetzt als Anlass zu nehmen, nicht dahin zu reisen, wo die Russen täglich neue Kriegsverbrechen verüben, legt die Vermutung nahe,  dass dem Kanzler die alte Komplizenschaft wichtiger ist als die Freiheit eines Landes, das die Russen erobern wollen. Ein Genosse kratzt dem anderen nicht die Augen aus, könnte man sagen. Der ukrainische Botschafter lag jedenfalls so falsch nicht, als er Scholz in der Rolle der „beleidigten Leberwurst“ sah.  

Der doppelte Irrtum

Auf seine intellektuelle Leibgarde kann sich der Kanzler jedenfalls noch immer verlassen. Ein Offener Brief an Olaf Scholz, in dem sich Alice Schwarzer dafür bedankt, dass Scholz alle Risiken so „bedacht“ erwägt, „das Risiko der Ausbreitung des Krieges innerhalb der Ukraine; das Risiko einer Ausweitung auf ganz Europa; ja, das Risiko eines 3. Weltkrieges“, dokumentiert, wie seine Follower ticken. Die Unterzeichner warnen darin vor einem zweifachen Irrtum: „Zum einen, dass die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt allein den ursprünglichen Aggressor angehe und nicht auch diejenigen, die ihm sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern. Und zum anderen, dass die Entscheidung über die moralische Verantwortbarkeit der weiteren ‚Kosten‘ an Menschenleben unter der ukrainischen Zivilbevölkerung ausschließlich in die Zuständigkeit ihrer Regierung falle. Moralisch verbindliche Normen sind universaler Natur.“  

Und niemand kennt diese „Normen“ besser als der „Musiker“ Reinhard Mey, der „Kabarettist“ Gerhard Polt oder der „Schriftsteller“  Martin Walser oder eine gewisse Hannelore Hippe, „Schriftstellerin und Autorin“, nicht zu vergessen Alexander Kluge, der in seiner Eigenschaft als „Intellektueller“ unterschrieb. Zum Schluss der Epistel, wird dem „sehr verehrten Herrn Bundeskanzler“ untertänigst versichert, man sei „überzeugt, dass gerade der Regierungschef von Deutschland entscheidend zu einer Lösung beitragen kann, die auch vor dem Urteil der Geschichte Bestand hat“.

Woher sie wissen, wie das Urteil der Geschichte dereinst ausfallen wird, bleibt freilich das Geheimnis der „prominenten“ Appellanten. Als Fettaugen auf der Suppe des Wohlstands schwimmend, erwarten sie von der Geschichte nicht mehr viel - außer weiterhin das Beste für sich. Was andere erdulden müssen, auch weil der deutsche Kanzler so lange den toten Mann spielte, statt seinen Beitrag zur Bekämpfung von Putins Machtwahn zu leisten, das lässt sie kalt. Die Realität des Grauens soll ihnen die gute Laune nicht verderben. Ruhe ist die erste Promi-Pflicht.  Nur keinen Widerstand leisten, der den Mann im Kreml erzürnen könnte. 

Heute Abend, zum 77. Jahrestag des Kriegsendes, will der Kanzler eine Fernsehansprache halten. Möglich, dass er die Gelegenheit nutzen wird, seine Groupies zu beschämen.   „Wegen des laufenden russischen Angriffs auf die Ukraine“, so die Bundesregierung in einer Vorabmeldung, werde es „ein besonderes Gedenken“ sein. – Wir sind gespannt.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

RMPetersen / 08.05.2022

“...  in dem täglich ganze Städte in Schutt und Asche gelegt werden ...” Angemessene, sachliche Sätze zu finden, ist wohl nicht nur für Scholz schwierig.

Bernd Oberegger / 08.05.2022

Sehr geehrter Herr Rietzschel, nachdem die Russen offenbar doch über genügend Benzin verfügen, versuchen Sie nun, Personen in der Regierung, die noch über ein Quäntchen Verantwortungsbewusstsein verfügen, madig zu machen. Ihr Popanz Kommunismus zieht nicht. Wie die Vergangenheit zeigt, muss man kein Kommunist sein, um verbrecherische Angriffskriege zu führen. Mit Leuten, die Ihre Ansichten teilen, fahren die USA am liebsten Schlitten. Man muss kein Jahrhundert bei der Suche nach der Ursache des Krieges zurückgehen. Ein Blick auf das Jahr 2014 reicht.

R. Kuth / 08.05.2022

Außer “Gedenken” und “Zeichen setzen” hat Politik heute meist nichts mehr drauf, außer teure Pseudolösungen für selbst kreierte Scheinprobleme wie Coronawahn und Klimastuss.

Helmut Driesel / 08.05.2022

  Er könnte vielleicht beginnen: “Wir werden in diesen Kampf gehen wie in einen Gottesdienst!” Damit sich einmal alle vergewissern, dass sie ihre Ohren noch am richtigen Platz haben. Nein, ich halte es für grundfalsch, das kommunistische Gespenst so über die sich wandelnden Zeiten fortzuschreiben. Dieses imperiale Denken, das wir wahrnehmen und zu dem sich Putin offen bekennt, ist weder russische noch sowjetische Spezialität. Es ist das Denken auch von Biden und Trump, von Bush und Obama, von allen, die über ein größeres Maß an Macht verfügen. Lawrow hat gesagt, nein, Russland wolle Alaska nicht zurück haben. Er ist eben ein Charmeur. Hätte das Putin gesagt, hätte man im Westen geschrieben: “Können diese Augen lügen?” Das Böse ist immer und überall! Es ist auch in der Schweiz. Dort wird Weltkriegsmunition hergestellt in ungeheuren Mengen exportiert. Der deutsch-schweizerische Gepard, der in der Zeit seiner Entwicklung und Indienstnahme Milliarden verschlungen hatte, wäre die ganze Zeit darauf angewiesen gewesen, dass die muffigen Schweizer Steuerschlupfli die Verwendung Schweizer Munition genehmigt. Das hatte man der steuerzahlenden Öffentlichkeit hierzulande verschwiegen. War das nicht genial eingefädelt? Ob das die Russen immer wussten?

Peter Maier / 08.05.2022

Sehr geehrter Herr Rietzschel, alles hat seine Vorgeschichte wie Sie richtig schreiben. So auch der aktuelle Krieg in der Ukraine; empfehle hierzu Peter Scholl-Latour- Russland im Zangengriff, sowie Daniele Ganser und u.a. Roger Köppel. Aber das vernutzt momentan wohl alles nichts. Die medialen Kriegstrommeln werden nicht mehr verstummen, alia iacta est, Russland ist fällig. Noch eine kurze Anmerkung: Habe- im Gegensatz zu den allermeisten Kriegsbegeisterten insbesondere der Grünen Fraktion, Wehrdienst geleistet und bin und war NIE Pazifist, weder auf der Mikro noch auf der Makroebene. Wer aber glaubt, dass die ukrainisch- westlichen Kriegsziele, wie u.a. von der englischen Außenministerin formuliert, zu erreichen sind, der…nun, das schreibe ich jetzt besser nicht.

Sabine Heinrich / 08.05.2022

Sehr geehrter Herr Rietzschel, auf Ihren Text möchte ich nicht tiefer eingehen. Ich bin hin- und hergerissen bei der Frage: “Waffen an die Ukraine liefern oder nicht?” Was aber den Brief von Alice Schwarzer und prominenten Unterzeichnern betrifft, war nach langem Nachdenken ein Unterzeichnen spätestens in dem Moment für mich unmöglich, als die Verfasserin und die Unterzeichner den korrupten, kriminellen, an beängstigender Vergesslichkeit leidenden Herrn Scholz schleimig/unterwürfig als “...verehrter…“anredeten.  - Wo waren eigentlich diese ganzen Intellektuellen, als Scholz und die ganze Berliner Mischpoke uns Deutsche seit 2020 mit ihrem Coronaterrorismus drangsaliert hat, unzählige Existenzen zerstört, Menschen in Einsamkeit, Verzweiflung und Selbstmord getrieben, Kindern und Jugendlichen 2 Lebensjahre gestohlen hat? Wo haben sie - die sonst so moralisch Daherkommenden - sich darüber empört, dass Alte und Kranke in Krankenhäusern und Pflegeheimen in Isolationshaft genommen wurden wie Schwerverbrecher und nicht einmal Sterbende besucht werden durften? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass dazu ein Sterbenswörtchen von z.B. von Reinhard Mey (“Das Narrenschiff”, “Sei wachsam”) zu vernehmen war. Besonders von ihm habe ich lange auf eine Stellungnahme gewartet so wie auch von Gerhard Polt (den ich bislang auch sehr schätzte - auch wenn er mir oft zu links rüberkommt). Ich habe auch nicht vergessen, dass Alice Schwarzer mit Foto für den “kleinen Pieks” geworben hat. Ist über ein Jahr her - aber da war sie für mich gestorben. “Verehrter Herr…” - Nun - jetzt weiß ich zumindest, wie ich die Verfasserin und die Unterzeichner einzuschätzen habe. Dass Schleimen leider oft zielführend ist (oft aber auch zu Verachtung durch die “Angeschleimten” führt), dürfte bekannt sein. Das ist schon in der Schule und später im Berufsleben so. -

Gudrun Meyer / 08.05.2022

“Das Urteil der Geschichte” stellen die Sieger aus, sonst niemand. Die Ukrainer werden nicht die Sieger sein, egal, wie der Krieg ausgeht. Aber ein Minimum an Taktgefühl sollte man von Leuten in der Montur eines Kanzlers und Präsidenten verlangen dürfen.

Wilhelm Lohmar / 08.05.2022

Ein Godesberger Programm 2.0 wäre die einzige Möglichkeit für die SPD, über das grün-linke Milieu hinaus wieder etwas akzeptabeler zu werden. Aber darauf können wir wohl lange warten.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Thomas Rietzschel / 17.06.2023 / 15:00 / 12

Kaube weiß, was Habeck mit Börne verbindet

Vor einer Woche wurde der Börne-Preis für Essays, Kritik und Reportage an Wirtschaftsminister Robert Habeck verliehen, in der Frankfurter Paulskirche. Man muss schon eine Weile…/ mehr

Thomas Rietzschel / 22.03.2023 / 16:00 / 24

Der beleidigte Lauterbach

Karl Lauterbach, Gesundheitsminister im Kabinett von Olaf Scholz, hat viel an Ansehen verloren. Aber er vertraut sich selbst noch immer, wie einst der nackte Kaiser,…/ mehr

Thomas Rietzschel / 13.03.2023 / 11:00 / 17

Pazifistische Kriegsführung mit Erfolgsgarantie

Dass unsere Panzer eher zufällig als zuverlässig anspringen, dass sie kaum Munition haben, die sie verschießen könnten – alles nicht so schlimm, lässt sich der Feind…/ mehr

Thomas Rietzschel / 23.01.2023 / 16:00 / 56

Sag mir, wo die Panzer sind, wo sind sie geblieben?

Erinnern Sie sich an Peter Struck, den letzten Bundesminister für Verteidigung, der – mit Verlaub – noch einen Arsch in der Hose hatte? Weil er die…/ mehr

Thomas Rietzschel / 20.12.2022 / 12:00 / 52

Wann kommt die Fahrrad-Steuer?

Warum müssen die Halter von Kraftfahrzeugen KfZ-Steuer zahlen, indes die Radler das öffentliche Straßennetz unentgeltlich nutzen dürfen, es mehr und mehr für sich beanspruchen, zunehmend…/ mehr

Thomas Rietzschel / 23.11.2022 / 16:00 / 24

Im neuen marxistischen Kapitalismus

Möchte der Staat die Bedeutung der Arbeit mit der Höhe seiner Sozialleistungen ausstechen, um den freien Bürger zum betreuten Mündel herabzusetzen? Mit der „wohltätigen“ Diskreditierung…/ mehr

Thomas Rietzschel / 04.11.2022 / 14:30 / 67

Lauterbach im Taumel der Macht

Was er seit seiner Berufung zum Minister veranlasst und ausgeführt hat, ist nicht mehr als die tolldreiste Posse eines Narren, der im Wahn seiner Macht…/ mehr

Thomas Rietzschel / 28.09.2022 / 16:00 / 43

Mehr Licht!

Nach der Umweltverschmutzung im Allgemeinen und der Luftverschmutzung im Besonderen haben sich die Klimabewegten von Thunberg und Neubauer bis zu den Geistesgestörten, die sich auf Autobahnen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com